Arbeitsrecht

Zurückstufung in das Eingangsamt wegen Beihilfebetrug und Urkundenfälschung

Aktenzeichen  16a D 15.1777

Datum:
3.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayDG BayDG Art. 10 Abs. 1 S. 1
BeamtStG BeamtStG § 34 S. 2, S. 3
StGB StGB § 20, § 21, § 263 Abs. 1, § 267 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Eine vollständige Zerstörung des Vertrauens in die Zuverlässigkeit des Beamten, die seine Entfernung aus dem Dienst erforderlich macht, ist bei innerdienstlichem Betrug zum Nachteil des Dienstherrn anzunehmen, wenn im Einzelfall Erschwerungsgründe vorliegen, denen keine durchgreifende Milderungsgründe gegenüberstehen (BVerwG BeckRS 2015, 46561). (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei innerdienstlichen Betrugshandlungen mit einem Schaden von 8.000 Euro, die zu einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr geführt haben, und dem Vorliegen von Erschwerungsgründen (Betrug über einen längeren Zeitraum mit Urkundenfälschung), wird grundsätzlich die Entfernung aus dem Dienst angemessen sein. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
3 Von der Entfernung aus dem Dienst ist jedoch zugunsten einer Zurückstufung in das Eingangsamt abzusehen, wenn der Beamte zur Tatzeit erheblich vermindert schuldfähig war und er die durch die persönliche Situation und die Persönlichkeitsstörung geprägte negative Lebensphase überwunden hat. (Rn. 34 – 46) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 13 DK 14.5352 2015-06-30 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht auf die Zurückstufung (Art. 10 BayDG) der Beklagten in das Eingangsamt (Bes.Gr. A6) erkannt.
1. Das Disziplinarverfahren weist in formeller Hinsicht keine Mängel auf. Der vom Verwaltungsgericht auf der Grundlage der disziplinarischen Ermittlungen festgestellte Sachverhalt ist auch zur Überzeugung des Senats erwiesen. Aus den mit der Disziplinarklage vorgelegten Akten lässt sich entnehmen, dass die Beklagte sich in 19 Fällen des Betrugs, davon in sechs dieser Betrugsfälle als Begleittat auch einer Urkundenfälschung strafbar gemacht hat (§§ 263 Abs. 1, Abs. 2, 267 Abs. 1, 22, 23, 52, 53 StGB). Der Senat geht deshalb insgesamt in Übereinstimmung mit dem Erstgericht von einer Schadenshöhe von knapp 8.000,- Euro aus. Die in der Disziplinarklage aufgeführten Taten, so wie sie im Urteil des Verwaltungsgerichts festgestellt wurden, hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 3. Mai 2017 ausdrücklich eingeräumt. Im Hinblick auf die einzelnen Vorwürfe wird gemäß Art. 3 BayDG i.V.m. § 130 b VwGO auf das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 30. Juni 2015 verwiesen, das seinerseits in vollem Umfang auf die Feststellungen in der Disziplinarklage Bezug nimmt, Art. 3 BayDG i.V.m. § 117 Abs. 5 VwGO.
2. Die Beklagte hat durch das festgestellte Verhalten gegen die Pflicht zu uneigennütziger Amtsführung (§ 34 Satz 2 BeamtStG), gegen die Pflicht, die Gesetze zu beachten und gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 34 Satz 3 BeamtStG) verstoßen. Hierin liegt gemäß § 47 Abs. 1 BeamtStG ein einheitliches Dienstvergehen. Durch Vorspiegelung falscher Tatsachen gegenüber der Beihilfestelle hat die Beklagte Zahlungen in Höhe von knapp 8.000,- Euro für sich und ihr Kind erhalten, auf die sie keinen Anspruch hatte. Zur Verwirklichung ihres betrügerischen Verhaltens hat sie in sechs Fällen unechte Urkunden hergestellt, in dem sie die Datumsangabe auf bereits bei der Beihilfestelle eingereichten Rechnungen veränderte und nochmals Erstattung beantragte. Die Beklagte hat die Betrugshandlungen und Urkundenfälschungen nicht zu Lasten eines außen stehenden Dritten begangen, sondern ihren Dienstherrn selbst geschädigt. Das Dienstvergehen ist deshalb als innerdienstlich zu qualifizieren (BVerwG, U.v. 5.5.1993 – 1 D 49/92 – juris Rn. 14; Sächs. OVG, U.v. 12.8.2011 – D 6 A 207/11 – juris Rn. 44).
3. Das Fehlverhalten der Beklagten wiegt schwer i.S.v. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG. Gleichwohl ist nach Überzeugung des Senats von einem endgültigen Vertrauensverlust des Dienstherrn und der Allgemeinheit noch nicht auszugehen. Die besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalls erlauben ausnahmsweise eine mildere Bewertung des Dienstvergehens.
3.1 Nach Art. 14 Abs. 1 BayDG ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens und unter angemessener Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten sowie des Umfangs der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn und der Allgemeinheit zu treffen. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden. Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 12).
3.2 Da die Schwere des Dienstvergehens nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme ist, muss das festgestellte Dienstvergehen nach seiner Schwere einer der im Katalog des Art. 6 BayDG aufgeführten Disziplinarmaßnahme zugeordnet werden. Dabei können die von der Rechtsprechung für bestimmte Fallgruppen herausgearbeiteten Regeleinstufungen als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen zugrunde gelegt werden. Für die endgültige Bestimmung der Disziplinarmaßnahme ist dann entscheidend, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist (BVerwG, U.v. 3.5.2007 – 2 C 9.06 – juris Rn. 21). Bei der Auslegung des Begriffs „Schwere des Dienstvergehens“ ist maßgeblich auf das Eigengewicht der Verfehlung abzustellen. Hierfür können die objektiven Handlungsmerkmale (insbesondere Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung, z.B. Kern- oder Nebenpflichtverletzung, sowie besondere Umstände der Tatbegehung, z.B. Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens), subjektive Handlungsmerkmale (insbesondere Form und Gewicht der Schuld des Beamten, Beweggründe für sein Verhalten) sowie unmittelbare Folgen des Dienstvergehens für den dienstlichen Bereich und für Dritte bestimmend sein (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6/14 – juris Rn. 16).
Die Verhängung der Höchstmaßnahme ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Abwägung aller Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Beamten ergibt, dass es dem Dienstherrn nicht mehr zuzumuten ist, mit dem betroffenen Beamten das Beamtenverhältnis fortzusetzen. Neben der Schwere des Dienstvergehens sind dabei auch die persönlichen Verhältnisse und das sonstige dienstliche Verhalten des Beamten vor, bei und nach dem Dienstvergehen zu berücksichtigen. Es ist hierbei eine Prognose zu treffen, ob sich der Beamte aus der Sicht des Dienstherrn und der Allgemeinheit zukünftig so verhalten wird, wie es von ihm im Hinblick auf seine Dienstpflichten als berufserforderlich zu erwarten ist. Die gesamte Prognosegrundlage, also die Bewertung der Schwere des Dienstvergehens wie auch aller anderen Bemessungsgesichtspunkte, die im Hinblick auf entlastende Kriterien nicht nur auf sog. anerkannte Milderungsgründe beschränkt sind, muss ergeben, ob der Schluss auf einen verbliebenen Rest an Vertrauen in die Person der Beamtin noch möglich oder der Vertrauensverlust umfassend eingetreten ist; dies ist eine Frage der Gesamtabwägung im Einzelfall (vgl. BVerwG, U.v. 20.10.2005 – 2 C 12.04 – juris Rn. 30).
3.3 Nach Auffassung des Senats ist das Eigengewicht des vorliegenden Dienstvergehens erheblich. Die Verwaltung ist bei ihren Entscheidungen im personellen und fürsorgerischen Bereich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit ihrer Bediensteten angewiesen. Dies gilt insbesondere dann, wenn dienstrechtliche Ansprüche geltend gemacht werden. Aufgrund des im Interesse der Allgemeinheit auferlegten Sparsamkeitsprinzips ist die Verwaltung gehalten, auch bei der Betreuung ihrer Bediensteten den personellen und materiellen Aufwand so gering wie möglich zu halten. Deshalb lässt sie sich die Richtigkeit und Vollständigkeit der Antragsangaben ausdrücklich versichern. Eine Beamtin, die trotz dieser Versicherung ihre Sorgfaltspflicht vorsätzlich verletzt und ihren Dienstherrn in einem Zeitraum von vier Jahren in einer Größenordnung von knapp 8.000,- Euro betrügt, offenbart damit ein erhebliches Maß an Pflichtvergessenheit und belastet das zwischen ihr und ihrem Dienstherrn bestehende, für die Erfüllung der Aufgaben der öffentlichen Verwaltung unerlässliche Vertrauensverhältnis, nachhaltig (BVerwG, U.v. 22.2.2005 – 1 D 30/03 – juris Rn. 68).
3.4 Allerdings stellt die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Falle des Betrugs eines Beamten zu Lasten seines Dienstherrn nicht die disziplinarrechtliche Regelmaßnahme dar (vgl. BVerwG, U.v. 5.5.1993 – 1 D 49/92 – juris Rn. 16; U.v. 22.2.2005 a.a.O. Rn. 69; B.v. 20.12.2011 – 2 B 64/11 – juris 12). Dazu sind die Fallgestaltungen beim innerdienstlichen Betrug zu unterschiedlich. Hier richtet sich die Disziplinarmaßnahme nach den besonderen Umständen des Einzelfalls, wobei nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung dem Betrug gegenüber dem Dienstherrn grundsätzlich ein geringeres disziplinarisches Gewicht als der Zugriff auf ihm amtlich anvertrautes oder dienstlich zugängliches Geld seiner Verwaltung eingeräumt wird (vgl. BayVGH, U.v. 15.7.2009 – 16a D 07.2101 – juris Rn. 98 m.w.N.). Eine vollständige Zerstörung des Vertrauens in die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit des Beamten, die seine Entfernung aus dem Dienst erforderlich macht, wird nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in den Fällen des innerdienstlichen Betrugs zum Nachteil des Dienstherrn dann angenommen, wenn im Einzelfall Erschwerungsgründe vorliegen, denen keine durchgreifende Milderungsgründe gegenüberstehen (BVerwG, B.v. 6.5.2015 – 2 B 19/14 – juris Rn. 11; U.v. 22.2.2005 a.a.O. Rn. 69). Hinsichtlich der Erschwerungsgründe gilt: je gravierender sie in ihrer Gesamtheit zu Buche schlagen, desto gewichtiger müssen die Milderungsgründe sein, um davon ausgehen zu können, dass noch ein Rest an Vertrauen zu dem Beamten vorhanden ist. Erschwerungsgründe können sich z.B. aus Anzahl und Häufigkeit der Betrugshandlungen, der Höhe des Gesamtschadens, der missbräuchlichen Ausnutzung der dienstlichen Stellung oder dienstlich erworbener Kenntnisse sowie daraus ergeben, dass die Betrugshandlungen im Zusammenhang mit weiteren Verfehlungen von erheblichem disziplinarischen Eigengewicht, z.B. mit Urkundenfälschungen, einhergehen (BVerwG, U.v. 28.11.2000 – 1 D 56/99 – juris Rn. 29).
3.5 Innerdienstliche Betrugshandlungen einer Beamtin zu Lasten des Dienstherrn mit einem Schaden von knapp 8.000,- Euro rechtfertigen in der Regel die Verhängung der Höchstmaßnahme. Der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat gefolgt ist, lässt sich entnehmen, dass die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bei einem Gesamtschaden von über 5.000,- Euro ohne Hinzutreten weiterer Erschwerungsgründe gerechtfertigt sein kann (BVerwG, B.v. 6.5.2015 – 2 B 19.14 – juris Rn. 11; BayVGH, U.v. 13.7.2011 – 16a D 09.3127 – juris Rn. 130; U.v. 15.3.2017 – 16a D 14.1160 – juris Rn. 29). Dieser Wert ist wohl nicht mehr maßgeblich (BayVGH, U.v. 15.3.2017 a.a.O. juris Rn. 29; in diesem Sinne auch VG Regensburg, B.v. 21.11.2016 – RO 10A DS 16.961 – juris Rn. 44; VG Ansbach, B.v. 20.7.2016 – AN 13b DS 16.01107 – juris Rn. 106; weitere Präzisierung durch die Rechtsprechung erforderlich: Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Stand: Nov. 2016, § 13 Anm. 3.2.2.4), da sich aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Dezember 2015 (2 C 6/14 – juris), mit dem die Rechtsprechung zum Zugriffsdelikt ausdrücklich aufgegeben worden ist, schließen lässt, dass sich jede schematische Betrachtung – insbesondere an Hand von Schwellenwerten – verbietet.
3.6 Zur Bestimmung des Ausmaßes des Vertrauensschadens, der durch eine vom Beamten vorsätzlich begangene Straftat hervorgerufen worden ist, ist auch bei innerdienstlich begangenen Straftaten zunächst auf den gesetzlich bestimmten Strafrahmen zurückzugreifen (BVerwG, B.v. 5.7.2016 – 2 B 24.16 – juris Rn. 14; BayVGH, U.v. 7.12.2016 – 16a D 14.1215 – juris Rn. 62). Begeht ein Beamter innerdienstlich eine Straftat, für die das Strafgesetzbuch als Strafrahmen eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vorsieht (hier sind es für Betrug und Urkundenfälschung nach §§ 263 Abs. 1, 267 Abs. 1 StGB jeweils fünf Jahre), so reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (BVerwG, U.v. 10.12.2015 a.a.O. Rn. 20).
3.7 Unabhängig vom Umstand, dass der frühere Schwellenwert von 5.000,- Euro überschritten ist, bestehen im Fall der Beklagten Erschwerungsgründe, die grundsätzlich die Verhängung der Höchstmaßnahme rechtfertigen würden. Die Beklagte hat eine Vielzahl von Betrugshandlungen über einen längeren Zeitraum begangen, in sechs Fällen in Tateinheit mit einer Urkundenfälschung. Zwischen den einzelnen Beihilfeanträgen lagen jeweils mehrere Monate, so dass die Beklagte immer wieder erneut einen Tatenschluss fassen musste. Selbst wenn nach Auffassung des Senats keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beklagte zusätzlich ihre dienstliche Stellung oder ihr dienstlich erworbenes Wissen für die Vornahme der Betrugshandlungen ausgenützt hat, belastet eine Beamtin, die ihren Dienstherr unter Verletzung ihrer Wahrheits- und Offenbarungspflichten um des eigenen materiellen Vorteils willen in betrügerischer Weise schädigt, das bestehende Vertrauensverhältnis regelmäßig so schwer und so nachhaltig, dass ihre Dienstentfernung jedenfalls dann erforderlich ist, wenn – wie bei der Beklagten – erschwerende Umstände hinzukommen (vgl. BVerwG, U.v. 26.11.1991 – 1 D 28.91 – juris; Sächs. OVG, U.v. 12.8.2011 – D 6 A 207/11 – juris Rn. 49).
3.8 Von der Höchstmaßnahme muss jedoch zugunsten einer weniger strengen Disziplinarmaßnahme abgesehen werden, wenn ein in der Rechtsprechung anerkannter Milderungsgrund vorliegt. Diese erfassen typisierend Beweggründe oder Verhaltensweisen des Beamten, die regelmäßig Anlass für eine noch positive Persönlichkeitsprognose geben. Zum einen tragen sie existenziellen wirtschaftlichen Notlagen sowie körperlichen oder psychischen Ausnahmesituationen – auch einer etwa verminderten Schuldfähigkeit – Rechnung, in denen ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet werden kann. Zum anderen erfassen sie ein tätiges Abrücken von der Tat, insbesondere durch die freiwillige Wiedergutmachung des Schadens oder die Offenbarung des Fehlverhaltens jeweils vor drohender Entdeckung. Selbst wenn keiner der vorrangig zu prüfenden anerkannten Milderungsgründe vorliegt, können entlastende Umstände gegeben sein, deren Gewicht in ihrer Gesamtheit dem Gewicht der anerkannten Milderungsgründe vergleichbar ist. Dabei muss das Gewicht der Entlastungsgründe umso größer sein, je schwerer das Betrugsdelikt auf Grund der Höhe des Schadens, der Anzahl und Häufigkeit der Betrugshandlungen, der Begehung von Begleitdelikten und anderer belastender Gesichtspunkte im Einzelfall wiegt. Entlastungsgründe sind nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ bereits dann einzubeziehen, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen sprechen (BVerwG, U.v. 23.2.2012 – 2 C 38.10 – juris Rn. 15).
3.9 Der Senat geht vorliegend davon aus, dass aufgrund der besonderen Umstände im konkreten Einzelfall das schwerwiegende Dienstvergehen der Beklagten in deutlich milderem Licht zu sehen ist und deshalb von einer Entfernung aus dem Dienst abgesehen werden kann. Die volle Ausschöpfung des in Anlehnung an die abstrakte Strafandrohung gebildeten Orientierungsrahmens ist im Fall der Beklagten nicht geboten (BVerwG, U.v. 6.6.2007 – 1 D 2.06 – juris Rn. 25; BayVGH, U.v. 4.6.2014 – 16a D 10.2005 – juris Rn. 51).
Zwar kann sich die Beklagte nicht auf eine unverschuldete, wirtschaftliche Notlage oder ein Mitverschulden des Dienstherrn aufgrund der Organisation der Beihilfeabrechnung berufen. Als wesentlich entlastend wertet der Senat jedoch vorliegend, dass die Beklagte die Betrugshandlungen im Zustand erheblich eingeschränkter Steuerungs- und damit Schuldfähigkeit aufgrund einer krankhaften seelischen Störung (§§ 20, 21 StGB) begangen hat.
Erheblich verminderte Schuldfähigkeit gemäß §§ 20, 21 StGB setzt voraus, dass die Fähigkeit, das Unrecht einer Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, wegen einer Störung i.S.v. § 20 StGB bei Tatbegehung erheblich eingeschränkt war. Für die Steuerungsfähigkeit kommt es darauf an, ob das Hemmungsvermögen so stark herabgesetzt war, dass der Betroffene den Anreizen erheblich weniger Widerstand als gewöhnlich entgegen zu setzen vermochte (vgl. BayVGH, U.v.17.11.2011 – 16a D 09.465 – juris Rn. 64). Nur unter diesen Voraussetzungen kann eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit i.S.v. §§ 20, 21 StGB in Betracht kommen.
Der im Rahmen des Disziplinarverfahren beauftragte Sachverständige Dr. S … hat in seinem Gutachten vom 23. März 2014 ausdrücklich festgestellt, dass im Tatzeitraum zwischen 2008 und 2012 bei der Beklagten eine depressive Episode (ICD-10: F32.2) vorgelegen hat, die innerhalb eines nicht mehr genau eingrenzbaren Zeitraums, auf alle Fälle aber im Jahre 2008, als schwer zu qualifizieren ist. Außerdem diagnostizierte er bei der Beklagten eine abhängige Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.7), die zwar keine forensisch relevante Auswirkung gehabt, aber den Boden für die depressive Dekompensation bereitet habe. Der Gutachter stellte des Weiteren fest, dass die Beklagte zumindest während des Jahres 2008, nicht ausschließbar auch für den späteren Zeitraum (2009 – 2012) die Betrugshandlungen im Zustand erheblich eingeschränkter Steuerungs- und damit Schuldfähigkeit aufgrund einer krankhaften seelischen Störung, nämlich einer schweren depressiven Episode, begangen hat, was im Strafrecht dem Vorliegen einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit entspreche.
Auch die in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht als Zeugin vernommene Ärztin Dr. B …, bei der sich die Beklagte seit Mai 2011 durchgehend in psychotherapeutischer Behandlung im Hinblick auf die diagnostizierte Persönlichkeitsstörung befand, hat diese Einschätzung im Ergebnis bestätigt. Das von ihr beschriebene Verhalten der Beklagten zu Beginn der Behandlung, das von immer wiederkehrenden Stimmungsschwankungen, Essattacken und Ängsten gekennzeichnet gewesen sei, folgt den Ausführungen des Gutachters dahingehend, dass auch für den Zeitraum (2009 – 2012) das Vorliegen einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit nicht ausgeschlossen werden kann. Nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ waren diese konkret entlastenden Anhaltspunkte auch für den übrigen Zeitraum in die Maßnahmenzumessung einzustellen (BVerwG, U.v. 23.2.2012 – 2 C 38/10; BayVGH, U.v. 4.6.2014 – 16a D 2005/10 – juris Rn. 53), so dass der Senat für den gesamten Tatzeitraum von einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit der Beklagten ausgeht.
Der Senat verkennt hierbei nicht, dass die „Erheblichkeit“ eine Rechtsfrage darstellt, die die Verwaltungsgerichte ohne Bindung an die Einschätzung Sachverständiger in eigener Verantwortung zu beantworten haben (BVerwG, U.v.3.5.2007 a.a.O. Rn. 33). Hierzu bedarf es einer Gesamtschau der Persönlichkeitsstruktur der Betroffenen, ihres Erscheinungsbildes vor, während und nach der Tat und der Berücksichtigung der Tatumstände, insbesondere der Vorgehensweise. Die Erheblichkeitsschwelle liegt umso höher, je schwerer das in Rede stehende Delikt wiegt (BVerwG, U.v. 3.5.2007 a.a.O.). Dementsprechend hängt im Disziplinarrecht die Beurteilung der Erheblichkeit im Sinne von § 21 StGB von der Bedeutung und Einsehbarkeit der verletzten Dienstpflichten ab (BVerwG, U.v. 25.3.2010 – 2 C 83.08 – juris Rn. 29 f. und U.v. 29.5.2008 – 2 C 59.07 – juris Rn. 30 m.w.N.). An der Erheblichkeit bestehen jedoch für den Senat keine Zweifel.
Die als Zeugin vernommene behandelnde Ärztin Dr. B …, die die Beklagte seit Mai 2011 durchgehend psychotherapeutisch im Hinblick auf die diagnostizierte Persönlichkeitsstörung betreut, hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ausgeführt, dass die Beklagte sich erkennbar bis zur Entdeckung der von ihr begangenen Betrugstaten im April 2012 weiterhin durch den geschiedenen Ehemann und ihre Familienangehörigen derart unter Druck habe setzen lassen, dass sie finanzielle Forderungen von dieser Seite ohne ausreichende eigene finanzielle Mittel nachgegeben habe. Aufgrund dieser von ihr selbst verursachten finanziellen Notsituation habe sich die Beklagte subjektiv in einer ausweglosen Lage befunden. Bei der Beklagten habe dies bedingt durch das bei ihr diagnostizierte Krankheitsbild dazu geführt, dass diese in dieser Situation keine andere Lösung als die Begehung weiterer Straftaten zur Erlangung der (subjektiv) erforderlichen Geldmittel gesehen habe. Aufgrund der insoweit dargelegten Einschränkungen in der Steuerungsfähigkeit geht der Senat deshalb bei der Beklagten trotz leicht einsehbarer Kernpflichten von einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit zum Tatzeitpunkt aus, durch die die im Verhalten der Beklagten begründeten Erschwerungsgründe aufgewogen werden. Dies hat zur Folge, dass nach obergerichtlicher Rechtsprechung die Verhängung der Höchstmaßnahme nur noch in Ausnahmefällen in Betracht kommt (vgl. BVerwG, U.v. 27.10.2008 – 2 B 48/08 – juris Rn. 7; U.v. 25.3.2010 – 2 C 83/08 – juris Rn. 34; BayVGH, U.v. 17.11.2011 a.a.O. Rn. 68).
3.10 Im Rahmen der nun gebotenen Prüfung, ob noch die schärfste Disziplinarmaßnahme geboten ist, kommt der Senat in einer Gesamtschau aller bemessungsrelevanten Umstände zu dem Ergebnis, dass die Beklagte das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit bei Kenntnis aller belastenden und entlastenden Umstände noch nicht endgültig verloren hat (BVerwG, B.v. 9.10.2014 – 2 B 60/14 – juris Rn. 32). Es ist davon auszugehen, dass sich die Lebensverhältnisse der Beklagten soweit stabilisiert haben, dass weitere Pflichtverstöße gleicher Art nicht zu besorgen sind.
Die behandelnde Ärztin Dr. B … hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ein durchweg positives Bild von der Beklagten gezeichnet. Diese sei nunmehr aufgrund der durchgeführten Therapie in der Lage, finanzielle Forderungen des geschiedenen Ehemanns und der Großfamilie abzulehnen, was ihres Wissens auch eindeutig gelinge. Die finanziellen Verpflichtungen habe die Beklagte soweit als möglich zurückgeführt und den finanziellen Aufwand erheblich reduziert. Im Hinblick auf die Arbeitstätigkeit werde das Verhalten der Beklagten als zuverlässig eingeschätzt. Zwar wage sie es nicht, eine langfristige Prognose abzugeben, ein weiteres deliktisches Verhalten der Beklagten halte sie jedoch für ausgeschlossen. Ein Rückfall werde nicht als realistisch angesehen. Die Beklagte habe im Rahmen ihrer langjährigen Therapie ausreichend Strategien entwickelt, um einen solchen ausschließen zu können. Diese Einschätzung hat die Beklagte auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung für den Senat in glaubwürdiger Weise bestätigt. Das vom Kläger erstellte Persönlichkeitsbild vom 31. März 2017 verstärkt zudem die positive Prognose im Hinblick auf die Beklagte. Danach zeigte sie sich vom ersten Tag ihrer Tätigkeit in ihrem neuen Einsatzort als sehr zuverlässig, gewissenhaft und fleißig. Im Team habe sie sich gut eingefügt und wirke als Vorbild für die Kollegen.
Der Senat geht deshalb davon aus, dass die Beklagte ihre durch die persönliche Situation und die diagnostizierte Persönlichkeitsstörung geprägte negative Lebensphase überwunden hat. Hierzu hat sie mit der Durchführung einer langjährigen Verhaltenstherapie einen nicht unwesentlichen Beitrag geleistet. Gegenwärtig kommt sie ihren finanziellen Verpflichtungen nach und hat bestehende Schulden abgebaut. Sie übt das alleinige Sorgerecht für ihre Tochter aus und pflegt keinerlei Kontakt mehr mit ihrem Ex-Ehemann. Eine erneute Begehung von Straftaten erscheint deshalb auch für den Senat mit ausreichender Sicherheit als ausgeschlossen.
In der Gesamtschau aller be- und entlastender Umstände ist davon auszugehen, dass sowohl hinsichtlich der Schwere des begangenen Dienstvergehens als auch im Hinblick auf das Persönlichkeitsbild der Beklagten noch kein endgültiger Vertrauensverlust im Sinne von Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG eingetreten ist. Nach Überzeugung des Senats erweist sich deshalb die Zurückstufung der Beklagten in das Eingangsamt als angemessene, aber auch gebotene Disziplinarmaßnahme.
Die Maßnahme der Zurückstufung verstößt auch nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Entsprechend dem Sinn des Disziplinarrechts, die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes zu wahren, ist es notwendig, die disziplinare Maßnahme zu wählen, die dem Gewicht des Dienstvergehens und dem dadurch eingetretenen Vertrauensschaden entspricht. Ins Verhältnis zu setzen sind die Schwere des Fehlverhaltens und der durch den Beamten veranlasste Vertrauensschaden.
Hat beides, wie im vorliegenden Fall, erhebliches Gewicht, so ist der Nachteil, der für die Beamtin durch die Disziplinarmaßnahme eintritt, nicht unverhältnismäßig. Er liegt in ihrem persönlichen Verantwortungsbereich und ist ihrem schuldhaften pflichtwidrigen Verhalten zuzurechnen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 BayDG. Das Urteil ist mit seiner Verkündung rechtskräftig geworden (Art. 64 Abs. 2 BayDG).

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