Verwaltungsrecht

befürchte zum Wehrdienst, Asylbewerber, Abschiebungsverbote

Aktenzeichen  W 7 K 16.31419

Datum:
2.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3
AsylG AsylG § 4

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet, da der Bescheid des Bundesamts vom 17. August 2016 nicht rechtswidrig ist und die Kläger dadurch (schon deswegen) nicht in ihren Rechten verletzt sind (§ 113 Abs. 5 VwGO). Denn die Kläger haben weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG noch einen solchen auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Ebenso wenig besteht ein Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 bzw. 7 Satz 1 AufenthG. Die Entscheidung über die Dauer der Befristung in Ziffer 6 des Bescheids ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 II S. 559, 560), wenn er sich (1.) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (2.) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder (b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (3.) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, i.S. des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Aus § 3a AsylG ergibt sich, welche Handlungen als Verfolgung i.S. des § 3 Abs. 1 AsylG gelten. Zwischen derartigen Handlungen und den in § 3b AsylG näher definierten Verfolgungsgründen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG), wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris; BVerwG, U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 –, BVerwGE 1989, 162 f.; BVerwG, U.v. 15.3.1988 – 9 C 278/86 –, BVerwGE 1979, 143 f.).
Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals und hinsichtlich der zu treffenden Prognose, dass dieses die Gefahr politischer Verfolgung begründet, erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 –, Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG Nr. 32). Demgemäß setzt ein Asyl- oder Flüchtlingsanspruch voraus, dass der Schutzsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbzw. Flüchtlingsbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 –, Buchholz, § 108 VwGO Nr. 147).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Insoweit wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Bundesamts im angegriffenen Bescheid Bezug genommen, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Soweit der Kläger zu 1) vorträgt, er befürchte zum Wehrdienst eingezogen zu werden, führt dies nicht zu einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Nach seinen eigenen Angaben hat er persönlich einen Einberufungsbescheid oder eine Ladung nicht erhalten. Auch die legale und offensichtlich ungehinderte Ausreise der Kläger auf dem Luftweg zeigt, dass keine Fahndung eingeleitet worden ist und der Kläger zu 1) nicht gesucht wurde. Weitere Mobilisierungswellen sind derzeit nicht vorgesehen (BayVGH, B.v. 14.3.2017 – 11 ZB 17.30220). Im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2017 wird hierzu ausgeführt, dass Ende Oktober 2016 die Demobilisierung der 6. Mobilisierungswelle abgeschlossen wurde. Eine weitere Mobilisierung sei bislang nicht vorgesehen. Richter, Vollzeitstudenten, Post-Graduate-Studenten, Priester, Väter mit drei und mehr minderjährigen Kindern, Parlamentsabgeordnete und Straftäter seien freigestellt. Der Kläger zu 1) muss als Vater der minderjährigen Kläger zu 3), 4) und 5) bereits deshalb nicht mit einer Einberufung als Reservist rechnen.
Die Aufforderung zu kämpfen kam auch nicht von staatlicher ukrainischer Seite, sondern von den Kräften der DNR im Separatistengebiet, wie die Kläger zu 1) und 2) in der mündlichen Verhandlung geschildert haben.
Darüber hinaus wird ergänzend darauf hingewiesen, dass jeder souveräne Staat grundsätzlich das Recht hat, seine Staatsangehörigen zum Wehr- und Militärdienst heranzuziehen. Denn nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG kann (nur) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 fallen, als Verfolgungshandlung i.S. des Abs. 1 gelten. Dazu gehören Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen Menschlichkeit, schwere nichtpolitische Straftaten oder Zuwiderhandlungen gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen. Zwar ist mit den in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen davon auszugehen, dass es in den von Separatisten kontrollierten Gebieten der Oblaste Donezk und Luhansk ebenso zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen ist wie auch in Gebieten, in denen ukrainische “Freiwilligen-Bataillone“ gegen Separatisten vorgehen (vgl. nur Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 11.2.2016). Berichte, dass reguläre Einheiten der ukrainischen Armee an solchen Menschenrechtsverletzungen beteiligt waren, liegen nicht vor, auch im Jahresreport 2016 Ukraine von Amnesty International finden sich keine Hinweise darauf.
Soweit die Kläger zu 1) und 2) pauschal vortragen, bei einer Rückkehr verfolgt zu werden, weil sie Mitglieder der Partei der Regionen des früheren Staatschefs Janukowitsch gewesen seien, führt dies ebenfalls nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Denn nach der derzeitigen Auskunftslage sind keine Berichte bekannt, wonach abgeschobene ukrainische Asylbewerber deswegen behelligt worden wären. Im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2017 wird weiter ausgeführt, dass die Parteienlandschaft plural sei und alle denkbaren Strömungen von national-konservativ und nationalistisch über rechtsstaats- und europaorientiert bis links-sozialistisch vertreten seien. Aktivitäten von Oppositionsparteien oder-Gruppen unterlägen keinen staatlichen Restriktionen (S. 8).
Die Kläger konnten auch nicht glaubhaft machen, wegen ihrer Zugehörigkeit zur „Kirche des Erretters Christus“, die zum Verein der Freien Evangelischen Gemeinden in der Ukraine gehöre, einer flüchtlingsrelevanten Verfolgung zu unterliegen. Auch wenn man als wahr unterstellt werden kann, dass in Luhansk Kirchen geschlossen wurden oder es in den von Separatisten besetzten Gebieten der Ukraine nicht möglich sei, religiöse Literatur zu verteilen, kann dennoch nicht von einer landesweiten Verfolgung ausgegangen werden; der Vortrag der Kläger bezieht sich auch nur auf diese besetzten Gebiete. Auch nach dem aktuellen Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine vom 7. Februar 2017 ist die Freiheit des religiösen Bekenntnisses und der ungestörten Religionsausübung von der Verfassung garantiert und wird von der Regierung in ihrer Politik gegenüber Kirchen und Religionsgemeinschaften respektiert.
2. Die Kläger können sich auch nicht mit Erfolg auf subsidiären Schutz berufen. Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt (1.) die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, (2.) Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder (3.) eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 AsylG). Die Ausführungen der Kläger vermögen eine subsidiäre Schutzberechtigung ebenfalls nicht zu begründen. Stichhaltige Gründe i.S. von § 4 AsylG wurden nicht vorgebracht. Insoweit wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Bundesamts im angegriffenen Bescheid Bezug genommen, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass zwar davon auszugehen ist, dass im Osten der Ukraine (Donbass) in den Gebieten Donezk und Luhansk ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt besteht. Wie das Bundesamt zutreffend ausführt, besteht für Personen aus dem Kriegsgebiet eine zumutbare inländische Fluchtalternative in anderen Landesteilen der Ukraine. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2017 ist zwar aufgrund der aktuellen Situation in der Ukraine von einem erhöhten Migrationspotential auszugehen. Die Zahl der registrierten Binnenflüchtlinge ist bis Januar 2017 auf 1,6 Millionen gestiegen (Lagebericht, S. 11). Die Grundversorgung für Rückkehrer ist jedoch, wie für die meisten Menschen in der Ukraine, knapp ausreichend. Auch die medizinische Versorgung ist kostenlos und flächendeckend, auch wenn qualitativ höherwertige Leistungen teilweise von privaten Zuzahlungen abhängig sind (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2017, S. 15).
Es bestehen auch keine stichhaltigen Gründe dafür, dass dem Kläger zu 1) bei einer Rückkehr in die Ukraine eine Haftstrafe wegen Wehrdienstentziehung droht und er dort unmenschlichen Haftbedingungen i.S. von Art. 3 EMRK ausgesetzt sein wird. Denn der Kläger zu 1) hat gerade nicht glaubhaft machen können, dass er sich dem Wehrdienst entzogen hat (siehe oben).
Im Übrigen haben die Kläger ausschließlich pauschale Befürchtungen bezüglich ihrer Kinder vorgetragen, die keine Schutzgewährung begründen können.
3. Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls ersichtlich. Auch insoweit wird auf die Begründung im angegriffenen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
4. Daher sind auch die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung in die Ukraine rechtmäßig. Auch gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung bestehen keine Bedenken. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich, insbesondere haben die Kläger keine Verwandten in Deutschland. Es ist nicht zu beanstanden, wenn das Bundesamt sich in Fällen, in denen – wie hier – keine individuellen Gründe vorgebracht werden oder ersichtlich sind, generell aus Gründen der Gleichbehandlung für eine Frist von 30 Monaten entscheidet und damit das in § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG festgelegte Höchstmaß zur Hälfte ausschöpft (BayVGH, B.v. 28.11.2016 – 11 ZB 16 30463).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).

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