Aktenzeichen 20 N 15.353
Bayerisches Gesetz über den Vollzug des Tierseuchenrechts vom 08.04.1974 (BayRS 7831-1-UG) Art. 5 Abs. 2
VwGO § 47 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 1, S. 2, Abs. 5 S. 2
TierNebG § 6 Abs. 2
BayAGTierNebG Art. 4 Abs. 4
Leitsatz
1. Für die Erhebung von Beiträgen durch eine Tierseuchenkasse außerhalb des Anwendungsbereichs des § 71 TierSG ist eine Ermächtigungsgrundlage in einem förmlichen Gesetz erforderlich. Eine Satzung reicht nicht aus. (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei Art. 5 Abs. 2 S. 1 des Bayerischen Gesetzes über den Vollzug des Tierseuchenrechts handelt es sich um eine Aufgabenzuweisungsnorm, aus der sich eine vom Bundesrecht losgelöste Beitragserhebungsbefugnis nicht ableiten lässt. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Satzung über die Beiträge der Bayerischen Tierseuchenkasse für das Jahr 2011 vom 5. Oktober 2010 wird für unwirksam erklärt.
I. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Antragsgegnerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Antragsteller vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Der Normenkontrollantrag des Antragstellers ist zulässig (I.) und begründet (II).
I.
Der Antrag ist zulässig.
Die angegriffene Satzungsbestimmung der Antragsgegnerin (vgl. § 47 Abs. 2 Satz 2 VwGO) ist als „andere im Rang unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschrift“ nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO statthafter Gegenstand eines verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahrens. Die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist gewahrt, weil der Normenkontrollantrag am 14. Oktober 2011 und damit innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Satzung 2011 durch Veröffentlichung im Staatsanzeiger am 15. Oktober 2010 eingelegt wurde. Der Antragsteller kann auch geltend machen, durch die angegriffene Rechtsvorschrift in seinen Rechten verletzt zu sein, weil er auf der Grundlage der Festsetzungen zu einem Beitrag herangezogen worden ist, der noch nicht bestandskräftig ist (vgl. BVerwG, B. v. 11.10.2016 – 3 BN 1.15 – NVwZ-RR 2017, 2). Bedenken gegen das Rechtsschutzbedürfnis sind damit nicht ersichtlich.
II.
Der Normenkontrollantrag ist begründet.
Die streitgegenständliche Beitragssatzung für das Jahr 2011 der Antragsgegnerin findet in Art. 5 Abs. 2 des Bayerischen Gesetzes über den Vollzug des Tierseuchenrechts vom 8. April 1974 (BayRS 7831-1-UG) keine hinreichende Rechtsgrundlage und ist damit nichtig.
Rechtsgrundlage für die Erhebung der Tierseuchenbeiträge in Bayern durch die Tier-seuchenkassse für das Jahr 2011 ist Art. 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 des Gesetzes über den Vollzug des Tierseuchenrechts vom 8. April 1974 (BayRS 7831-1-UG) in der vom 1. April 2009 bis 30. April 2014 geltenden Fassung. Danach hat die Tierseuchenkasse die Aufgabe, die Höhe der von den Tierbesitzern aufgrund des Tierseuchenrechts zu entrichtenden Beiträge festzusetzen und zu erheben. Nach seinem eindeutigen Wortlaut stellt Art. 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 des Gesetzes über den Vollzug des Tierseuchenrechts aber lediglich eine Rechtsgrundverweisung dar. Die Befugnis, Beiträge für die Tierseuchenkasse zu erheben, muss sich damit aus anderen Rechtsvorschriften des Tierseuchenrechts ergeben.
Aus der Aufgabenzuweisung des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über den Vollzug des Tierseuchenrechts im Allgemeinen lässt sich keine Beitragserhebungsbefugnis herleiten, denn es gibt keinen Rechtssatz, wonach sich aus der gesetzlichen Zuweisung einer Aufgabe die Befugnis, Abgaben zu erheben herleiten lässt. Bei dem Beitrag zur Tierseuchenkasse handelt es sich um eine Abgabe, welche von der Tierseuchenkasse als Anstalt des öffentlichen Rechts (Art. 5 Abs. 1 Gesetz über den Vollzug des Tierseuchenrechts) erhoben wird. Der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung, der als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips im gesamten Bereich des Abgabewesens Geltung beansprucht (BVerwG, B. v. 20.08.1997 – 8 B 169.97 – juris), ist Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes – GG -) und besagt, dass abgabebegründende Tatbestände so bestimmt sein müssen, dass der Abgabepflichtige die auf ihn entfallende Abgabelast vorausberechnen kann (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 23.10.1986 – 2 BvL 7/84, 2 BvL 8/84 – BVerfGE 73, 388, m.w.N.). Im Bereich des Abgabenrechts werden damit die Anforderungen an eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung durch den aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der 15 Besteuerung verstärkt. Danach muss die eine Abgabenpflicht begründende Norm nach Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt sein, so dass eine Abgabenlast in gewissem Umfang für den Bürger voraussehbar sowie überschaubar wird. Adressat dieses Grundsatzes ist zunächst der Gesetzgeber (vgl. BFH, B. v. 1.4.2008 – XI B 223/07 -, juris, Rn. 3), der um möglichst klare, bestimmte, exakt formulierte und in ihren Folgen vorhersehbare Normen bemüht sein muss (vgl. zum Ganzen BVerfG, B. v. 31.10.2016 – BvR 871/13, 1 BvR 1833/13 -juris Rn 21). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, soweit durch die Festsetzung der Beiträge durch die Beitragssatzung 2011 auch Kosten für Maßnahmen außerhalb des § 71 TierSG wie z.B. für Maßnahmen zur planmäßigen Bekämpfung von übertragbaren Tierkrankheiten und für Vorsorgemaßnahmen zur Gesunderhaltung von Tierbeständen eingestellt wurden (Art. 5 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 des Gesetzes über den Vollzug des Tierseuchenrechts). Unstrittig wurden durch die Beitragssatzung für das Jahr 2011 Kosten für sämtliche Aufgaben der Tierseuchenkasse nach Art. 5 Abs. 2 des Gesetzes über den Vollzug des Tierseuchenrechts und nicht nur Beitragsleistungen nach dem Tierseuchengesetz in die Beitragskalkulation eingestellt. Nach § 71 Abs. 1 Satz 2 und 3 TierSG dient die Beitragserhebung nach dem TierSG lediglich zur Deckung der Entschädigung für Tierverluste nach §§ 66 ff. TierSG. Zwar können die Länder nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Aufgaben des Tierseuchenrechts außerhalb des bundesrechtlichen Entschädigungsrechts einer Tierseuchenkasse begründen und im Rahmen ihrer Kompetenzen auch entscheiden, wie diese finanziert werden (BVerwG, B. v. 14.7.2011 – 3 BN 1/10 -juris Rn 6). Dies setzt aber voraus, dass das förmliche Landesgesetz die Tierseuchenkasse zur Erhebung von Beiträgen zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben ermächtigt, was in Bayern durch Art. 5 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes über den Vollzug des Tierseuchenrechts nicht geschehen ist, weil lediglich eine Aufgabenbeschreibung der Tierseuchenkasse enthalten ist, jedoch insoweit keine materielle Beitragserhebungsbefugnis.
Die Aufgabe, nach Art. 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 des Gesetzes über den Vollzug des Tierseuchenrechts Beiträge zu erheben, erledigt die Tierseuchenkasse durch den Erlass einer Beitragssatzung (vgl. § 3 der Anstaltssatzung) und damit zwar durch ein Gesetz im materiellen Sinn. Mit dem Erlass eines nicht förmlichen Gesetzes ist der aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip resultierende Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt jedoch nicht gewährleistet. Die Befugnis, Tierseuchenbeiträge von den Tierhaltern zu erheben, muss sich aus dem parlamentarischen Gesetz selbst ergeben. Überlässt der Gesetzgeber öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Anstalten als Trägern funktionaler Selbstverwaltung bestimmte Aufgaben zur Regelung in Satzungsautonomie, darf er ihnen die Rechtsetzungsbefugnis nicht zur völlig freien Verfügung überlassen (BVerfG, B. v. 1.7.2004 – 1 BvR 1298/94, 1 BvR 1299/94, 1 BvR 1332/95, 1 BvR 613/97 – BVerfGE 111, 191 = juris). Der bloße Verweis auf eine Beitragspflicht der Tierbesitzer nach dem Tierseuchenrecht wäre aber zu unbestimmt, um eine vom Bundesrecht losgelöste, eigenständige Beitragspflicht der Tierbesitzer zu begründen.
Aus der Entscheidung des Senats vom 27. September 2012 – 20 BV 11.2690 – juris Rn 83 zu § 6 Abs. 2 TierNebG und Art. 4 Abs. 4 BayAGTierNebG ergibt sich entgegen der Auffassung der Landesanwaltschaft keine andere Sichtweise. In dieser Entscheidung hat der Senat in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht die Möglichkeit einer Ausnahme bzw. einer Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang zugelassen, wenn der Landesgesetzgeber dies trotz bundesrechtlicher Ermächtigung (§ 6 Abs. 2 TierNebG) zwar nicht ausdrücklich festgelegt hat, sich aus einer landesgesetzlichen Regelung (Art. 4 Abs. 4 AGTierNebG) aber ergibt, dass der Gesetzgeber eine Befreiungsmöglichkeit denknotwendig voraussetzt. Diese Sach-und Rechtslage ist mit der hier zu entscheidenden jedoch nicht vergleichbar. Geht es bei der Ausnahme bzw. der Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang darum, zu Gunsten des Betroffenen zu entscheiden, so handelt es sich bei der Befugnis, Beiträge zur Tierseuchenkasse zu erheben, um eine Eingriffsbefugnis zu Lasten des Betroffenen. Die Anforderungen, die an die Bestimmtheit einer den Bürger begünstigenden Regelung zu stellen sind, sind ungleich niedriger als die Anforderungen an die Bestimmtheit einer den Bürger belastenden Abgabeerhebungsbefugnis.
Soweit die Beklagte damit zusammenhängend darauf verweist, dass das Gesetz über den Vollzug des Tierseuchenrechts an zahlreichen Stellen das Beitragserhebungsrecht der Tierseuchenkasse erwähnt und damit etabliert, genügt dieser Umstand gerade nicht den Erfordernissen an die Tatbestandsmäßigkeit der Abgabeerhebung. Aus dem Gesetz über den Vollzug des Tierseuchenrechts ist für den Betroffenen nicht ersichtlich, dass sämtliche sich aus diesem Gesetz ergebenden Aufgaben der Tierseuchenkasse durch Beiträge der Tierbesitzer finanziert werden.
Wurden demnach durch die Satzung über die Beiträge der Bayerischen Tierseuchenkasse für das Jahr 2011 vom 15. Oktober 2010 Beiträge festgesetzt, mit denen Aufgaben der Tierseuchenkasse finanziert wurden, die nicht durch die landesgesetzliche Befugnis zur Erhebung von Beiträgen abgedeckt waren, so ist die Satzung wegen dieses Gesetzesverstoßes nichtig und damit nach § 47 Abs. 5 Satz 2 Hs. 1 VwGO für unwirksam zu erklären.
Auf die vom Antragsteller im Übrigen erhobenen Einwendungen gegen die Abgabesatzung kommt es somit nicht mehr an. Ein Teil der durch die Antragsteller aufgeworfenen Fragen ist durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt (vgl. BVerwG, B. v. 14.7.2011 – 3 BN 1/10 – juris). Abschließend wird auf Folgendes hingewiesen: Der Beitrag für die Tierseuchenkasse nach Art. 5 Abs. 2 des Gesetzes über den Vollzug des Tierseuchenrechts wurde vom Bayerischen Gesetzgeber als echter Beitrag und damit als Vorzugsleistung ausgestaltet, weil er als Gegenleistung für die Möglichkeit der Inanspruchnahme öffentlich-rechtlicher Leistungen erhoben wird und mit den Besitzern der genannten Tiere eine klar definierte gesellschaftliche Gruppe einen individuellen Vorteil aus diesen Leistungen zieht. Der Gedanke der Gegenleistung, des Ausgleichs von Vorteilen und Lasten ist aber der den Beitrag im abgabenrechtlichen Sinn grundsätzlich legitimierende Gesichtspunkt; er muss deshalb auch die rechtliche Gestaltung, vor allem die Abgrenzung des Kreises der Beitragspflichtigen und den Veranlagungsmaßstab bestimmen. Beitragspflichtig können nur diejenigen sein, die besondere Vorteile von der öffentlich-rechtlichen Leistung haben (vgl. BVerfG, B.v. 20.5.1959 – 1 BvL 1/58 – BVerfGE 9, 291). Dementsprechend liegt eine Vorzugslast nur dann vor, wenn eine Abgabe zum Ausgleich staatlichen Aufwands erhoben wird und dabei staatlich gewährte Vorteile abschöpft oder die dem Staat entstandenen Kosten auf den Abgabenschuldner überwälzt (BVerfG, B. v. 31.5.1990 – 2 BvL 12/88, 2 BvL 13/88, 2 BvR 1436/87 -NVwZ 1991,51). Sollen gesetzliche Aufgaben der Tierseuchenkasse nach § 5 AGTierGesG in die Beitragserhebung und damit die Beitragskalkulation der Antragsgegnerin einbezogen werden, so ist darauf zu achten, dass die einzelnen Leistungen diesem Gegenleistungscharakter im Sinne des Beitragsrechts entsprechen. Insoweit ist eine Abgrenzung zur Sonderabgabe erforderlich. Sollte der Beitrag zur Tierseuchenkasse sowohl Elemente des klassischen Beitrags als Vorzugslast als auch Elemente der Sonderabgabe erfüllen und es sich damit um eine gemischte Abgabe handeln, so müssen die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für beide Abgabeformen erfüllt sein.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1
VwGO, § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.