Aktenzeichen B 4 K 15.996
Leitsatz
1 Ein Ausländer ist dann nicht unverschuldet an seiner Ausreise gehindert, wenn er nach § 25 Abs. 5 S. 4 AufenthG zumutbare Anforderungen an die Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt. Welche Bemühungen einem Ausländer zumutbar sind, ist unter Berücksichtigung aller Umstände und Besonderheiten des Einzelfalls zu entscheiden, wobei ihm von vornherein aussichtslose Handlungen nicht abverlangt werden dürfen (vgl. BVerwG BeckRS 2014, 53836). (Rn. 22 – 23) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Ein Privatleben iSv Art. 8 Abs. 1 EMRK, das dem Schutzbereich dieser Vorschrift unterfällt, kommt grundsätzlich nur auf der Grundlage eines rechtmäßigen Aufenthalts und eines schutzwürdigen Vertrauens auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht. (Rn. 24) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Die Ausreise eines äthiopischen Staatsangehörigen ist dann auf unabsehbare Zeit tatsächlich unmöglich, wenn er nicht über gültige Reisedokumente, d.h. einen äthiopischen Nationalpass oder äthiopische Passersatzpapiere, verfügt, da die Einreise nach Äthipien strikten Kontrollen unterliegt. (Rn. 25) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Die Pflicht, nach § 48 Abs. 3 S. 1 AufenthG an der Beschaffung eines Identitätspapiers mitzuwirken, umfasst auch die Bemühungen des Ausländers, sich ggf. unter Einschaltung von Mittelspersonen oder eines Rechtsanwalts in seinem Herkunftsland um die erforderlichen Dokumente und Auskünfte zu bemühen (vgl. OVG NRW BeckRS 2008, 35933). (Rn. 28) (red. LS Clemens Kurzidem)
5 Kommt ein ausreisepflichtiger Ausländer seiner Mitwirkungspflicht bei der Passbeschaffung nicht nach, hat er die sich aus seinem Verhalten ergebenden Nachteile grundsätzlich hinzunehmen und kann nicht darauf vertrauen, aufgrund eines langjährigen Aufenthalts in Deutschland eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Dies gilt erst recht, wenn er mit einem nach eigener Einschätzung gefälschten Reisedokument eingereist ist und er damit die Umstände selbst herbeigeführt hat, die nun seiner freiwilligen Ausreise und Abschiebung entgegenstehen (OVG NRW BeckRS 2008, 35933). (Rn. 37) (red. LS Clemens Kurzidem)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
1. Die als Untätigkeitsklage zulässige Klage ist unbegründet.
Gemäß § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist, soweit die Unterlassung des Verwaltungsaktes rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist.
Die Unterlassung des begehrten Verwaltungsaktes ist nicht rechtswidrig, weil der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten humanitären Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG hat.
Gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Eine Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist (§ 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG). Ein Verschulden des Ausländers liegt insbesondere vor, wenn er zumutbare Anforderungen an die Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt (§ 25 Abs. 5 Satz 4 AufenthG).
Welche Bemühungen dem Ausländer, der alles in seiner Kraft Stehende dazu beizutragen hat, damit etwaige Ausreisehindernisse überwunden werden, zumutbar sind, ist unter Berücksichtigung aller Umstände und Besonderheiten des Einzelfalls zu entscheiden. Von vornherein aussichtslose Handlungen dürfen dem Ausländer nicht abverlangt werden (BVerwG, B. v. 26.06.2014 – 1 B 5/14 – juris Rn.7).
a) Die Ausreise des Klägers ist nicht rechtlich unmöglich. Zwar garantiert Art. 8 Abs. 1 EMRK im Bundesgebiet verwurzelten Ausländern das Recht auf Achtung des Privatlebens, auch wenn es keinen familiären Bezug hat. Ein Privatleben i. S. des Art. 8 Abs. 1 EMRK, das den Schutzbereich der Vorschrift eröffnet, kommt jedoch grundsätzlich nur auf der Grundlage eines rechtmäßigen Aufenthalts und eines schutzwürdigen Vertrauens auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht. Da dem Kläger ausschließlich asylverfahrensrechtliche Aufenthaltsgestattungen und Duldungen erteilt worden sind, wurde ihm zu keiner Zeit ein Aufenthaltsrecht eingeräumt, das ein berechtigtes Vertrauen auf Fortbestand hätte begründen können. Der Beklagte hat dem Kläger nie eine Verfestigung des Aufenthalts in Aussicht gestellt, sondern seit Abschluss des Asylverfahrens auf die Beendigung seines Aufenthalts hingewirkt (BVerwG, U. v. 26.10.2010, InfAuslR 2011, 92/93 Rn.13).
Die Ausreise des Klägers ist jedoch derzeit und auf unabsehbare Zeit tatsächlich unmöglich, weil er nicht über gültige Reisedokumente, d.h. einen äthiopischen Nationalpass oder äthiopische Passersatzpapiere verfügt. Für eine Einreise nach Äthiopien, die am internationalen Flughafen in Addis Abeba strikt kontrolliert wird, müssen auch äthiopische Staatsangehörige im Besitz eines Reisepasses oder eines anerkannten Ersatzdokuments sein (Lagebericht Äthiopien, Stand März 2017, S. 22). Die tatsächliche Unmöglichkeit der Ausreise erstreckt sich sowohl auf eine freiwillige Ausreise als auch auf eine zwangsweise Abschiebung.
b) Der Kläger ist jedoch nicht unverschuldet an der Ausreise gehindert, weil er nicht ernsthaft und nachhaltig alle ihm möglichen und zumutbaren Anstrengungen zur Beschaffung eines Passes bzw. Passersatzpapieres und damit zur Beseitigung des Ausreisehindernisses unternommen hat.
Gemäß § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist ein Ausländer, der keinen gültigen Pass oder Passersatz besitzt, verpflichtet, an der Beschaffung eines Identitätspapiers mitzuwirken.
Identitätspapiere sind alle Urkunden und Dokumente, die dazu geeignet sind, die Ausländerbehörde bei der Geltendmachung und Durchsetzung der Rückführungsmöglichkeit zu unterstützen. Die Mitwirkungspflicht zu ihrer Beschaffung umfasst dabei alle Rechts- und Tatsachenhandlungen, die zu ihrer Beschaffung erforderlich sind (Hörich in Kluth/Heusch, BeckOKAuslR, Stand 01.02.2017, § 48 AufenthG Rn.33f.). Dabei hat sich der Ausländer ggf. auch unter Einschaltung von Mittelspersonen und eines Rechtsanwalts in seinem Herkunftsland um erforderliche Dokumente und Auskünfte zu bemühen (OVG Münster, B. v. 05.06.2008 – 18 E 471/08 – InfAuslR 2008, 417/418). Da der Ausländer den Rechtsanwalt mandatiert, um ihn dabei zu unterstützen, die ihm unabhängig von einem möglicherweise entgegenstehenden Willen obliegende ausländerrechtliche Ausreisepflicht zu erfüllen, verstößt der Rechtsanwalt entgegen dem Vorbringen des klägerischen Prozessbevollmächtigten nicht gegen anwaltliches Standes- oder gar Strafrecht, wenn er die benötigten Dokumente beschafft. Auf die (übliche) Mitwirkungshandlung der Einschaltung eines Rechtsanwaltes im Herkunftsland, dessen Adresse über die deutsche Auslandsvertretung erfragt werden kann, hat die Ausländerbehörde, die bereit ist, die dafür anfallenden Kosten zu übernehmen, den Kläger, entgegen seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung, wiederholt ausdrücklich hingewiesen. Schaltet der Ausländer in Erfüllung seiner Pflicht zwar Dritte in seinem Heimatland ein, lässt ihnen aber nicht alle für die Beschaffung der Unterlagen erforderlichen Informationen zukommen, wirkt er nur unzureichend mit (vgl. BayVGH, B. v. 05.09.2014 – 10 ZB 12.1853 – juris Rn.5).
Wie sich aus den beiden Bescheinigungen des Äthiopischen Generalkonsulats in Frankfurt am Main vom 24.09.2014 und 08.11.2016 ergibt, hat der Kläger zwar selbst bei der Auslandsvertretung einen neuen äthiopischen Pass beantragt. Das Generalkonsulat lehnte den Antrag jedoch ab, weil der Kläger nicht genügend Beweise für seine äthiopische Nationalität vorbringen konnte. Daraus lässt sich schließen, dass der Kläger bei Vorlage entsprechender Beweise einen Pass erhalten hätte. Diese Einschätzung, die der Kläger nicht widerlegt hat, steht im Einklang mit dem Schriftsatz vom 05.04.2017, in dem die Ausländerbehörde dem Gericht, gestützt auf Informationen der Regierung von O.- Zentrale Ausländerbehörde mitgeteilt hat, dass anderen Äthiopiern auf ihre nachdrückliche eigene Initiative hin ein Reisedokument ausgestellt wurde. Da der Schriftsatz vom 05.04.2017 insofern nichts Neues enthält, brauchte dem Klägervertreter zu dessen Inhalt keine Schriftsatzfrist gewährt werden. Hinsichtlich der Behandlung der unbehelflichen Beweisanträge des Klägervertreters in der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Obwohl das Landratsamt K.den ausreisepflichtig gewordenen Kläger bereits mit Schreiben vom 17.07.2014 an seine Mitwirkungspflicht bei der Passbeschaffung erinnert und ihn konkret aufgefordert hatte, seinen Kebeleausweis, sein Schulzeugnis und sein Diplom vorzulegen, hat er diese für seine Identifikation sachdienlichen Unterlagen weder selbst von Deutschland aus beschafft, indem er sich an seine Gemeindeverwaltung, seinen Schule oder Universität gewandt hat, noch hat er in Äthiopien lebende Verwandte oder Bekannte oder einen Rechtsanwalt seines Herkunftslandes damit beauftragt.
Was den Kebele-Ausweis angeht, hat der Kläger sowohl bei einer Befragung durch die Regierung von Mittelfranken am 19.05.2011 als auch bei seiner Anhörung im Rahmen des Asylverfahrens am 04.08.2011 angegeben, dieses Dokument befinde sich bei einem Cousin in M … Der Aufforderung der Ausländerbehörde, sich diesen Ausweis schicken zu lassen, ist er bis heute nicht nachgekommen. Zur Begründung hat er in der mündlichen Verhandlung angegeben, er wisse nicht, ob der Ausweis aus Papier noch existiere und gehe fest davon aus, dass seine Verwandten das Dokument nicht aufbewahrt hätten. Damit hat er zu verstehen geben, dass er nicht einmal versucht hat, dieses wichtige Dokument zu beschaffen. Weiter macht er geltend, er habe den Ausweis nicht beschaffen könne, weil er keinen Kontakt zu seinen Verwandten habe. Der Kläger hat jedoch keine überzeugenden Gründe dafür angegeben, warum er nicht in der Lage sein sollte, schriftlich oder telefonisch den Kontakt mit seinen in Äthiopien lebenden Eltern, Geschwistern und weiteren Verwandten zu pflegen.
Was sein Collegediplom betrifft, macht er geltend, er könne es nicht beschaffen und verweist darauf, hätte er die Möglichkeit gehabt, sich das Dokumente übermitteln zu lassen, hätte er es längst getan, um seine Chancen auf dem Ausbildungsmarkt zu verbessern. Außerdem könne er sich nicht von Deutschland aus direkt an die Bildungseinrichtung in M. wenden. Dies ist lediglich eine Behauptung des Klägers. Es erschließt sich nicht, weshalb eine Universität einem im Ausland lebenden Landsmann nicht eine Diplomurkunde nachsenden können sollte. Der Kläger hat es jedenfalls nicht einmal versucht. Außerdem hat er nicht überzeugend erklärt, wieso nicht sein Bruder, der in M… studiert, ggf. mit einer Vollmacht ausgestattet, dieses Dokument in Ausfertigung oder in beglaubigter Form für ihn hätte beschaffen und ihm zukommen lassen können.
Auch sein Schulabschlusszeugnis könnten seine Geschwister für ihn beschaffen, ggf. sogar im College „Nile“, wo er es vorgelegt haben muss, um ein Studium aufzunehmen.
Von wesentlicher Bedeutung zur Identifizierung des Klägers als Äthiopier ist schließlich eine Geburtsurkunde, um die sich der Kläger bisher ebenfalls nicht bemüht hat.
Wie der Beklagte in seinem Schriftsatz vom 05.04.2017 ausgeführt hat, besteht die sichere Aussicht, dass Angehörige oder sogar drei Bekannte als Zeugen diese Personenstandsurkunde (auch) für einen in Deutschland lebenden Äthiopier auf dem Standesamt erhalten können.
Auch von dieser Möglichkeit bei der Beschaffung eines Identitätsdokuments mitzuwirken, hat der Kläger, dessen Eltern noch in seinem Geburtsort W… leben, keinen Gebrauch gemacht, sondern nur bestritten, dass er bei seiner Befragung am 19.05.2011 angegeben habe, dass er eine Geburtsurkunde besessen habe. Das hätte ihn allerdings nicht gehindert, sich in Äthiopien mittels seiner Verwandten und Bekannten um eine Geburtsurkunde zu bemühen. Im Übrigen könnte gerade bei der Beschaffung dieses Dokuments und ggf. weiterer Unterlagen, die seine äthiopische Nationalität belegen, ein eingeschalteter Rechtsanwalt gute Dienste leisten.
Da der ausreisepflichtige Kläger damit seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen ist, hat er die sich aus seinem Verhalten ergebenden Nachteile grundsätzlich hinzunehmen und kann nicht darauf vertrauen, aufgrund seines fast sechsjährigen Aufenthalts in Deutschland eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Dies gilt erst recht, weil er mit einem nach eigener Einschätzung gefälschten und damit nicht gültigen Reisedokument eingereist ist und damit selbst die Umstände (mit) herbeigeführt hat, die nun seiner freiwilligen Ausreise und Abschiebung entgegenstehen (OVG Münster, B. v. 05.06.2008 – 18 E 471/08 – InfAuslR 2008, 417/419).
2. Als unterliegender Teil trägt der Kläger gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 167 VwGO,§ 708 Nr. 11 ZPO.