Verwaltungsrecht

Versammlung innerhalb des befriedeten Bezirks um den Bayerischen Landtag

Aktenzeichen  10 CE 17.751

Datum:
12.4.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 107806
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 5 Abs. 3 S. 1, Art. 8 Abs. 1
BayVersG Art. 18, 19
VwGO § 123 Abs. 3
ZPO § 938 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Zur Zulassung einer Versammlung innerhalb des befriedeten Bezirks um den Bayerischen Landtag.
2 Gemäß § 123 Abs. 3 VwGO iVm § 938 Abs. 1 ZPO steht es im freien Ermessen des Gerichts, welche Anordnungen zur Erreichung des mit dem Antrag verfolgten Zwecks erforderlich sind; insofern darf das Gericht seine Entscheidung auch durch Maßgaben wie Auflagen oder Bedingungen ergänzen. (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine Ausnahme vom generellen Verbot von Versammlungen innerhalb des befriedeten Bezirks ist möglich, wenn eine Beeinträchtigung der Tätigkeit des Landtags und seiner Fraktionen sowie seiner Organe und Gremien und eine Behinderung des freien Zugangs zum Landtagsgebäude nicht ernsthaft zu besorgen ist. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 13 E 17.1488 2017-04-12 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 12. April 2017 wird die Maßgabe in I. Satz 2 des Beschlusstenors aufgehoben. Die Anschlussbeschwerde des Antragsgegners wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit Beschluss vom 12. April 2017 hat das Verwaltungsgericht München den Antragsgegner verpflichtet, die Versammlung des Antragstellers im befriedeten Bezirk des Bayerischen Landtags am 12. April 2017 zuzulassen; die Zulassung erfolgt mit der Maßgabe, dass das Mitführen von Original- und/oder nachgebildeten Waffen (auch historische) im Bereich des befriedeten Bezirks des Bayerischen Landtags untersagt ist.
Mit der Beschwerde wendet sich der Antragsteller gegen die Maßgabe I. Satz 2 des Beschlusstenors. Es handle sich um einen nicht gerechtfertigten Eingriff in das Grundrecht der Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG; es gebe bei realistischer Betrachtung des Sachverhalts überhaupt keine Gefährdung eines anderen Rechtsgutes durch das Mitführen der Schein-Holz-Waffen im Rahmen der künstlerischen Aktion.
Der Antragsgegner hatte Gelegenheit zur Stellungnahme und hat Anschlussbeschwerde mit dem Ziel der vollständigen Antragsablehnung erhoben.
Ergänzend wird auf die Gerichtsakte des Beschwerdeverfahrens Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist begründet. Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, die der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigen die Abänderung des angefochtenen Beschlusses im tenorierten Umfang.
Gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO steht es im freien Ermessen des Gerichts, welche Anordnungen zur Erreichung des mit dem Antrag verfolgten Zwecks erforderlich sind; insofern darf das Gericht seine Entscheidung auch durch Maßgaben wie Auflagen oder Bedingungen ergänzen (Kuhla in Beck’scher Online-Kommentar VwGO, Stand 1.4.2016, § 123 Rn. 139 ff.).
Dieses Ermessen ist allerdings mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG und die hier betroffenen Grundrechte des Antragstellers (Art. 8 Abs. 1 GG, Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) beschränkt. Soweit eine solche gerichtliche Maßgabe eine nicht völlig unerhebliche Beeinträchtigung dieser Rechte bewirkt, überschreitet sie dieses „freie Ermessen“.
So verhält es sich nach summarischer Prüfung aber hier, weil für den Senat weder ersichtlich ist, dass das Mitführen der nachgebildeten historischen Waffen die Friedlichkeit der Versammlung in Frage stellt, noch dadurch bei objektiver Betrachtung auch eines unbefangenen Betrachters eine Bedrohungssituation hervorgerufen wird. Auch der Schutzzweck der Art. 18 f. BayVersG (Verhinderung unzulässiger Einwirkungen auf die Funktionsfähigkeit des Bayerischen Landtags) gebietet eine derartige Einschränkung dieser grundrechtlich geschützten Versammlung im konkreten Fall nicht.
Die Anschlussbeschwerde des Antragsgegners ist im Wesentlichen aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts als unbegründet zurückzuweisen. Als Ausnahme vom generellen Verbot von Versammlungen innerhalb des befriedeten Bezirks ist die grundsätzlich im Ermessen der zuständigen Behörde stehende Zulassungsentscheidung unter Berücksichtigung der betroffenen bzw. einschlägigen Grundrechte zu treffen. Ist – wie hier – eine Beeinträchtigung der Tätigkeit des Landtags und seiner Fraktionen sowie seiner Organe und Gremien und eine Behinderung des freien Zugangs zum Landtagsgebäude nicht ernsthaft zu besorgen (insbesondere in der sitzungsfreien Zeit), kommt die Zulassung der Versammlung in Betracht (vgl. Gesetzesbegründung LT-Drs. 15/10181 zu Art. 19). Das eingeräumte Ermessen wird im vorliegenden Fall durch den hohen Stellenwert der hier betroffenen Grundrechte des Antragstellers (Art. 8 Abs. 1 GG, Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) soweit eingeschränkt, dass die konkrete Versammlung zuzulassen ist. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners weist Art. 19 BayVersG dem Präsidenten des Bayerischen Landtags bei der Entscheidung über das in Art. 19 Abs. 3 BayVersG vorgesehene Einvernehmen keinen gerichtlich nicht überprüfbaren Beurteilungsspielraum zu. Nicht überzeugend ist auch die Auffassung des Antragsgegners, der Antragsteller müsse glaubhaft machen, „dass die Verwirklichung seines Versammlungszweckes nur dadurch erreicht werden kann, indem er die Versammlung zwingend innerhalb des befriedeten Bezirks durchführt“. Denn dies verkennt die Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit und die daraus grundsätzlich resultierende Gestaltungsfreiheit des Veranstalters. Der Veranstalter muss auch nicht etwa die „Schlüssigkeit“ des gewählten Versammlungsortes nachweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 2 VwGO. Der Beigeladene trägt etwaige Kosten selbst.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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