Aktenzeichen M 19 K 16.1296
BImSchG § 6 Abs. 1 Nr. 1, § 15 Abs. 2 S. 2, § 16 Abs. 1 S. 1, § 17 Abs. 1
BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 3
Leitsatz
1. Eine Rechtsverletzung Dritter (hier einer Gemeinde) findet durch eine Freistellungserklärung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 BImSchG als „bloßer Verfahrensregelung“ selbst dann nicht statt, wenn sich diese Freistellungserklärung als rechtswidrig erweisen sollte (wie BVerwG, U. v. 7.8.2012 – 7 C 7.11 – BeckRS 2012, 59185).(Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Durch die Außervollzugsetzung einer wasserwirtschaftlichen Maßgabe kann eine Gemeinde nicht in ihren Rechten verletzt sein, weil hiermit kein Eingriff in ihre Selbstverwaltungshoheit verbunden ist. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Privilegierung gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB entfällt bei der Zufuhr von Fremdkies jedenfalls dann nicht, wenn der Verarbeitung des zugefahrenen Kieses nur eine untergeordnete Bedeutung zukommt und diese damit bodenrechtlich nicht relevant ist. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft, nachdem sich das ursprüngliche Begehren auf Aufhebung des Bescheids, der bis zum 31. Dezember 2016 befristet war, durch Zeitablauf erledigt hat. Die Klägerin kann für die Fortsetzungsfeststellungsklage ein besonderes Feststellungsinteresse wegen Wiederholungsgefahr geltend machen. Nach dem Wegfall der mit dem Verwaltungsakt verbundenen Beschwer wird gerichtlicher Rechtsschutz grundsätzlich nur zur Verfügung gestellt, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art an einer nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten Maßnahme hat (BVerwG, U.v. 16.5.2013 – 8 C 38/12 – juris Rn.12). Ein derartiges Feststellungsinteresse setzt die hinreichend bestimmte Gefahr voraus, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen erneut eine gleichartige Maßnahme ergehen wird, für die die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Maßnahme von „richtungsweisender Bedeutung“ ist (BVerwG, U.v. 12.10.2006 – 4 C 12/04 – juris Rn. 8; B.v. 9.5.1989 – 1 B 166/88 – juris Rn. 7). Da die Beklagte in den Jahren 2014 und 2016 die Verarbeitung von Fremdkies als genehmigungsfrei angesehen hat, kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass dies auch bei einer etwaigen erneuten Anzeige der Beigeladenen im Jahr 2017 der Fall wäre.
Die Klage ist jedoch nicht begründet, da die Klägerin durch den streitgegenständlichen Bescheid jedenfalls nicht in ihren Rechten verletzt war (§ 113 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. Satz 1 VwGO). Der Bescheid des Beklagten vom 18. Februar 2016 enthält weder in Nr. 1 (vgl. 1. – 3.) noch in Nr. 2 (vgl. 4.) eine materiell-immissionsschutzrechtliche Regelung, die die Klägerin in ihrem durch Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz (GG) und Art. 11 Abs. 2 Bayerische Verfassung (BV) garantiertem Selbstverwaltungsrecht verletzen könnte.
1. Bei dem Bescheid handelt es sich bei der erforderlichen objektiven Wertung um eine sog. Freistellungserklärung im Sinne von § 15 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 BImSchG verbunden mit nachträglichen Anordnungen im Sinne von § 17 Abs. 1 BImSchG. Das Landratsamt ist ausweislich der Begründung des Bescheids vom 18. Februar 2016 davon ausgegangen, dass keine wesentliche Änderung im Sinne von § 16 BImSchG vorliegt, da insbesondere mit der Fremdkieszufuhr keine Erhöhung der Durchsatzleistung der Brecheranlage verbunden ist. Die in Nr. 1 des Bescheids vom 18. Februar 2016 vorgenommene Außervollzugsetzung der Auflage Nr. 4.5.1 des Bescheids vom 15. Februar 2010 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 10. April 2013 diente damit letztlich nur der Klarstellung, dass durch die beabsichtigte Zufuhr von Fremdkies keine nachteiligen Auswirkungen hervorgerufen werden, die nach § 16 Abs. 1 Satz 1 BImSchG für die Prüfung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG erheblich sein können. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist Regelungsgehalt einer solchen Freistellungserklärung gemäß § 15 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 BImSchG allein die Feststellung, dass die Änderung einer Anlage keiner förmlichen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedarf. Der Betreiber einer immissionsschutzrechtlich genehmigungspflichtigen Anlage soll durch das Verfahren nach § 15 BImSchG mittels präventiver Kontrolle vor dem Vorwurf der formellen immissionsschutzrechtlichen Illegalität geschützt werden (BVerwG, U.v. 28.10.2010 – 7 C 2.10 – juris Rn 24; U.v. 7.8.2012 – 7 C 7/11 – juris Rn. 14). Eine Rechtsverletzung Dritter – und damit hier der Klägerin – findet durch eine Freistellungserklärung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 BImSchG als „bloßer Verfahrensregelung“ selbst dann nicht statt, wenn sich diese Freistellungserklärung als rechtswidrig erweisen sollte (BVerwG, U.v. 7.8.2012 a.a.O. Rn 12).
2. Selbst wenn der Außervollzugsetzung der Nr. 4.5.1 des Genehmigungsbescheids eine Regelungswirkung zukommen sollte, wäre die Klägerin durch die Außervollzugsetzung einer rein wasserrechtlich begründeten Nebenbestimmung nicht in ihren Rechten verletzt. Die unter Nr. 4.5.1 des Genehmigungsbescheids vom 10. Februar 2010 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 10. April 2013 enthaltene Maßgabe, dass in der Anlage ausschließlich grubeneigener Kies sortiert und gebrochen werden darf, erfolgte ausweislich der systematischen Stellung im Bescheid allein als wasserwirtschaftliche Vorgabe. Durch die Außervollzugsetzung einer wasserwirtschaftlichen Maßgabe kann die Klägerin aber nicht in ihren eigenen Rechten verletzt sein, weil hiermit kein Eingriff in ihre Selbstverwaltungshoheit verbunden ist.
3. Im Übrigen wäre die Klägerin auch durch eine etwaige Zulassung der Verwendung von Fremdkies im Jahr 2016 nicht in ihren Rechten verletzt gewesen. In der Rechtsprechung ist insoweit anerkannt, dass von der Privilegierung auch Vorhaben umfasst sind, die selbst nicht privilegiert sind, aber mit dem Betrieb in räumlichem und funktionellem Zusammenhang stehen (vgl. Battis/Krautzberger/Löhr/Mitschang/Reidt, 13. Aufl. 2016, BauGB, § 35 Rn. 32). Der Kiesabbau sowie der damit verbundene Betrieb der Brecheranlage ist bauplanungsrechtlich nach § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB als privilegierter Betrieb anzusehen. Diese Privilegierung entfällt bei der Zufuhr von Fremdkies jedenfalls dann nicht, wenn der Verarbeitung des zugefahrenen Kieses nur eine untergeordnete Bedeutung zukommt und diese damit bodenrechtlich nicht relevant ist. Maßgeblich für die Beurteilung, ob der Fremdkiesverarbeitung eine untergeordnete Bedeutung zukommt, sind alle Umstände des Einzelfalls. Hier wurde seit Erteilung der Genehmigung für die Brecheranlage im Februar 2010 lediglich in den Jahren 2014 und 2016 Fremdkies zugefahren. Diese Zufuhr von Fremdkies wurde dabei auf maximal 50 Prozent der jährlichen Gesamtverarbeitungsmenge begrenzt. Die in dem Gesamtbetriebszeitraum der Brecheranlage von knapp sieben Jahren auf einen Zeitraum von insgesamt zwei Jahren mengenmäßig begrenzte Zufuhr von Fremdkies fällt im Hinblick auf die Gesamtnutzung nicht ins Gewicht und stellt sich bislang als untergeordnet dar, so dass die Privilegierung durch die zeitweilige und mengenmäßig begrenzte Verwendung von Fremdkies nicht entfallen ist.
4. Die im Bescheid vom 18. Februar 2016 unter Nr. 2 getroffenen Anordnungen hinsichtlich der Zufuhr von Fremdkies haben die Klägerin ebenfalls nicht in ihren Rechten verletzt. Im Gegensatz zu Nr. 1 des Bescheids, der allenfalls klarstellende Bedeutung zukommt, enthält Nr. 2 nachträgliche Anordnungen nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BImSchG, die sicherstellen sollen, dass sich der Betrieb im Rahmen der angezeigten Änderung bewegt. Inwieweit hierdurch eine Rechtsverletzung der Klägerin erfolgt sein soll, ist weder näher dargelegt noch sonst für das Gericht erkennbar.
Die Klage ist mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da die Beigeladene einen eigenen Antrag gestellt und sich damit einem eigenen Prozessrisiko ausgesetzt hat, erscheint es angemessen, dass die Klägerin auch deren außergerichtliche Kosten trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).