Medizinrecht

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Aktenzeichen  2 KR 226/15

Datum:
5.4.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 163952
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage gegen den Bescheid vom 22. Dezember 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Mai 2015 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die zulässige und insbesondere form- und fristgerechte Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 22.12.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger als Rechtsnachfolger der verstorbenen Versicherten nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Kostenerstattung für die durchgeführte Behandlung mit dendritischen Zellen.
Als Anspruchsgrundlage kommt insoweit nur § 13 Abs. 3 SGB V in Verbindung mit § 2 Abs. 1a SGB V in Betracht. In § 13 Abs. 3 SGB V ist Folgendes geregelt:
Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.
In § 2 Abs. 1a SGB V ist Folgendes geregelt:
Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsgemäß vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Abs. 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernte Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.
Vorliegend wird ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V durch den Kläger als Rechtsnachfolger seiner verstorbenen Ehefrau geltend gemacht. Der Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als der Gewährleistungsanspruch auf ein bestimmtes Sachmittel oder eine bestimmte Dienstleistung. Deswegen bedarf es eines Rechtsanspruchs auf die selbstbeschaffte Leistung. Als solche Rechtsgrundlage käme vorliegend nur § 2 Abs. 1a SGB V Betracht. Ein Anspruch nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V scheidet deshalb aus, da es sich bei der durchgeführten Therapie mit dendritischen Zellen nicht um eine zugelassene Behandlungsmethode gemäß § 135 Abs. 1 SGB V handelt. Die Zulassung ist danach jedoch Voraussetzung für einen Behandlungsanspruch gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V (vgl. Bundessozialgericht – BSG – vom 08.07.2015, B 3 KR 5/14 R).
Ein Behandlungsanspruch mit einer nicht zugelassenen Behandlungsmethode setzt nach § 2 Abs. 1a SGB V in Anlehnung an den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98) voraus, dass bei dem Versicherten eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung oder eine zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung vorliegt, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht und dass die nicht anerkannte Behandlungsmethode eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bietet.
Bei der Ehefrau des Klägers lag zwar eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung im Sinne der genannten Vorschrift vor.
Nach dem überzeugenden Gutachten von Herrn Prof. Dr. F. konnte jedoch nicht mit dem erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen werden, dass eine allgemein anerkannte Behandlungsmethode nicht zur Verfügung stand. Insoweit konnte daher dahinstehen, ob auch die weitere Voraussetzung des § 2 Abs. 1a SGB V vorlag (nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf) bzw. ob der Beschaffungsweg nach § 13 Abs. 3 SGB V eingehalten wurde.
Das Gutachten von Herrn Prof. F. ist schlüssig und überzeugend. Das Gericht hat daher keine Bedenken, das Gutachten seiner Beurteilung zugrunde zu legen. Der Gutachter hat sich ausführlich mit den vorliegenden Befunden auseinandergesetzt und kam zum Ergebnis, dass noch allgemein anerkannte Behandlungsmethoden zur Verfügung standen.
Im Gutachten wurde festgestellt, dass die bisherige Therapie bei der Ehefrau des Klägers korrekt nach den aktuellen S3-Leitlinien für das Mammakarzinom erfolgte und unter engmaschiger Verlaufskontrolle die bisherige Therapie weitergeführt werden sollte. Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass bei einer erneuten Progression eine systematische Chemotherapie nach dem CMF-Schema oder „Gemcitabin/Carboplatin„Schema durchgeführt werden sollte. Sollten die Knochenmetastasen schmerzhaft und/oder frakturgefährdend werden, wäre eine lokale Bestrahlung die beste Behandlung. Im Gutachten wurde dargelegt, dass die aufgeführten Therapiemaßnahmen eine gute Chance haben, die Erkrankung längerfristig zu stabilisieren. Gleichzeitig kam Herr Prof. Dr. F. zum Ergebnis, dass das Mammakarzinom nicht eine Tumorerkrankung darstellt, die durch dendritische Zellen positiv beeinflusst werden könnte. Dendritische Zellen könnten beim Mammakarzinom nur dann eingesetzt werden, wenn keine Therapieoption mehr besteht. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass die Patientin in der Hoffnung auf eine Therapie mit dendritischen Zellen eine wirksame Therapie entsprechend den S3-Richtlinien ablehnt. Insgesamt kam Herr Prof. Dr. F. daher zum Ergebnis, dass nur mit einer konsequenten Therapie nach den S3-Richtlinien der Patientin geholfen werden könnte.
Es konnte daher nicht mit dem erforderlichen Vollbeweis festgestellt werden, dass keine andere Behandlungsalternative entsprechend dem medizinischen Standard bestand. Insoweit konnte daher nicht im Vollbeweis festgestellt werden, dass alle Voraussetzungen nach § 2 Abs. 1a SGB V erfüllt sind. Der Vollbeweis erfordert, dass die Tatsachen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden kann. Können die Tatsachen trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht im erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zulasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleiten möchte. Für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzung, dass keine allgemein anerkannte Behandlungsmethode mehr zur Verfügung stand, trifft insoweit den Kläger die Darlegungssowie die objektive Beweislast.
Das Gutachten von Herrn Prof. Dr. F. erscheint auch schlüssig und überzeugend. Die Einwände der Klägerseite gegen das Gutachten konnten nicht überzeugen. Soweit die Klägerseite sich auf ein positives Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg bezieht, ist zu berücksichtigen, dass sich hieraus keine andere Beurteilung ergibt. Auch insoweit wäre Voraussetzung für einen Anspruch nach § 2 Abs. 1a SGB V, das keine allgemein anerkannte Behandlungsmethode zur Verfügung stand. Dies konnte im hier vorliegenden Verfahren nicht mit dem Vollbeweis nachgewiesen werden. Insoweit liegt daher ein Unterschied zu dem Sachverhalt vor, der der zitierten Entscheidung des LSG Baden-Württemberg zugrunde lag. Insoweit kommt es daher für § 2 Abs. 1a SGB V auf eine Prüfung für jeden konkreten Einzelfall an.
Soweit die Klägerseite geltend macht, dass Bedenken gegen das Gutachten bestehen, nachdem der Gutachter ausführt, dass vorliegend der sog. Nikolaus-Beschluss des BVerfG nicht anwendbar sei, ergibt sich hieraus ebenfalls keine andere Beurteilung. Das Gericht kann nicht feststellen, dass der Gutachter insoweit von unzutreffenden rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen ist. Vielmehr hat der Gutachter die im BVerfG-Beschluss aufgestellten Voraussetzungen medizinisch überprüft und kam zum Ergebnis, dass vorliegend die Voraussetzungen nicht erfüllt sind, nachdem hier noch dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung standen.
Soweit die Klägerseite außerdem darauf verweist, dass die Aussage des Gutachters – wonach dendritische Zelltherapien nur im Rahmen von klinischen Studien durchgeführt werden sollten – der Rechtsprechung des LSG Baden-Württemberg entgegensteht, kommt es hierauf entscheidungserheblich nicht an, weil es bereits an der anderen Voraussetzung nach § 2 Abs. 1a SGB V fehlt, nämlich dass keine andere dem anerkannten Behandlungstandard entsprechende Methode zur Verfügung stand. Auch kam es nicht darauf an, dass Herr Prof. Dr. F. arzneimittelrechtliche Bedenken gegen die Anwendung und Herstellung von dendritischen Zellen erhebt. Auf die Prüfung insoweit kam es vorliegend für die Entscheidung nicht mehr an, da der Anspruch, wie bereits dargestellt, an einer anderen Voraussetzung des § 2 Abs. 1a SGB V scheitert. Eine entsprechende Befragung hierzu von Herrn PD Dr. D. war daher nicht erforderlich.
Soweit die Klägerseite geltend macht, dass die Ausführungen auf Seite 9 des Gutachtens zum Beschluss des BVerfG vom 06.12.2005 sowie zu § 2 Abs. 1a SGB V eine unzutreffende Rechtsauffassung des Sachverständigen widerspiegeln, mit welcher der Sachverständige seinen Gutachterauftrag erheblich überdehnt, ist auf Folgendes hinzuweisen:
Insoweit handelt es sich lediglich um eine wortwörtliche Zitierung aus dem MDK-Gutachten (siehe auch Blatt 6). Auch unter dem Unterpunkt Beurteilung auf Blatt 9 des Gutachtens wurde lediglich aus dem MDK-Gutachten zitiert. Es handelte sich daher lediglich um eine Zusammenfassung der Aktenlage, nachdem im Gutachten zunächst auch andere ärztliche Stellungnahmen und Unterlagen zusammengefasst wurden. Es kann daher nicht festgestellt werden, dass der Gutachter seinen Gutachterauftrag überdehnt hat. Vielmehr ergibt sich, dass er entsprechend dem Gutachtensauftrag und der gestellten Beweisfragen die Voraussetzungen nach § 2 Abs. 1a SGB V geprüft und das Vorliegen der Voraussetzungen verneint hat.
Insgesamt konnte nicht mit dem erforderlichen Vollbeweis festgestellt werden, dass eine allgemein anerkannte Behandlungsmethode nicht zur Verfügung stand. Bereits aus diesem Grund scheitert der Anspruch nach § 2 Abs. 1a SGB V, auf die Prüfung der weiteren Voraussetzungen kam es daher nicht mehr an.
Nach alledem war die Klage unbegründet und demzufolge abzuweisen.
Folglich sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten, § 193 SGG.

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