Aktenzeichen L 19 R 402/16
SGB VI § 106 Abs. 1, Abs. 3
GG Art. 3, Art. 14 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
1 Der Kläger hat als Bezieher einer Altersrente, der in einer privaten Krankenversicherung versichert ist, Anspruch auf einen Zuschuss zu den Aufwendungen für die Krankenversicherung, dessen Berechnung sich aus § 106 Abs. 3 SGB VI ergibt. (Rn. 28 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es bestehen gegen diese Norm keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Es wird kein Verstoß gegen Art. 3 GG darin gesehen, dass für Rentenbezieher, die freiwillig gesetzlich krankenversichert sind, und für solche, die privat versichert sind, in erheblich unterschiedlichem Umfang Anteile der Kosten durch den Beitragszuschuss aufgefangen werden. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die gesetzliche Krankenkasse knüpft an den Gedanken der Solidargemeinschaft an und setzt die Beitragshöhe auch in Beziehung zum erzielten Einkommen, während die private auf einer Risikoabsicherung aufbaut und somit die Beiträge anders ermittelt und auf die Lebenszeit verteilt. Aufgrund der unterschiedlichen Ansätze sind differenzierte Regelungen zulässig. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
S 9 R 144/09 2014-10-09 GeB SGNUERNBERG SG Nürnberg
Tenor
I.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 09.10.2014 wird zurückgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG) ist zulässig. Die Zulässigkeit ergibt sich daraus, dass der Kläger eine ihn belastende erstinstanzliche Gerichtsentscheidung, die berufungsfähig ist, angefochten hat. Streitgegenstand ist dabei, wie das Sozialgericht Nürnberg zutreffend festgestellt hat, allein die Frage, ob die Beklagte zu Unrecht dem Kläger einen zu niedrigen Beitragszuschuss zu seiner privaten Krankenversicherung gezahlt hat und fortlaufend zahlt und ob auf den Überprüfungsantrag des Klägers hin der ursprüngliche, bereits bestandskräftige Altersrentenbescheid in diesem Punkt abzuändern ist.
Die erstinstanzliche Klage war anfänglich auf andere Streitgegenstände gerichtet, die sich im Verlauf des Verfahrens jedoch sämtlich erledigt haben. Da aber die Überprüfung des Rentenbescheids vom 21.03.2007 Gegenstand der Entscheidung der Beklagten vom 19.12.2007, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2009, war und die Entscheidung über die Höhe des Beitragszuschusses ebenfalls in dem zur Überprüfung gestellten Bescheid vom 21.03.2007 getroffen worden war, liegt keine Klageänderung nach § 99 SGG vor.
Über § 86 SGG ist auch der Bescheid vom 10.12.2008 Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahrens geworden, weil er den als Überprüfungsgegenstand streitinhaltlichen Altersrentenbescheid hinsichtlich der Höhe und Berechnung des Beitragszuschusses abgeändert hat. Daran ändert auch die anderslautende Rechtsbehelfsbelehrung:nichts.
Nicht streitgegenständlich ist dagegen die Frage, ob der Kläger einen Anspruch auf Aufnahme in die gesetzliche Krankenversicherung bzw. Krankenversicherung der Rentner haben könnte, da dies nicht in diesen verfahrensgegenständlichen Bescheiden geregelt worden war.
Die Berufung ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung eines höheren Krankenversicherungsbeitragszuschusses zu seiner Altersrente im Überprüfungsverfahren.
Nachdem der Rentenbescheid des Klägers bereits bestandskräftig geworden ist, käme eine teilweise Rücknahme und Abänderung nur im Rahmen des § 44 SGB X in Betracht.
§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X lautet: „Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.“
Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte das Recht unrichtig angewandt hätte oder einen unzutreffenden Sachverhalt zu Grunde gelegt gehabt hätte. Der Kläger hat als Bezieher einer Altersrente, der in einer Privaten Krankenversicherung – d.h. bei einem Krankenversicherungsunternehmen, das der deutschen Aufsicht unterliegt – krankenversichert ist, gemäß § 106 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf einen Zuschuss zu den Aufwendungen für die Krankenversicherung.
Die Berechnung des Beitragszuschusses ergibt sich im Fall des Klägers aus § 106 Abs. 3 SGB VI, der zum 01.01.2009 eine größere Änderung erfahren hat und zum 01.01.2015 noch einmal etwas abgeändert worden ist.
Die Beklagte hat den Zuschuss bis 31.12.2008 in Höhe des halben Beitrages geleistet, der sich aus der Anwendung des durchschnittlichen allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkassen auf den Zahlbetrag der Rente ergab. Von 2009 bis Ende 2014 hat sie den Zuschuss in Höhe des halben Beitrages geleistet, der sich aus der Anwendung des um 0,9 Beitragssatzpunkte verminderten allgemeinen Beitragssatzes der gesetzlichen Krankenversicherung auf den Zahlbetrag der Rente ergab. Im Übrigen ist ab 01.01.2015 die Verminderung um 0,9 Prozentpunkte weggefallen (§ 106 Abs. 3 SGB VI in der jeweils gültigen Fassung). Anhaltspunkte für Berechnungsfehler der Beklagten sind nicht erkennbar und werden nicht geltend gemacht.
Eine Entscheidung des BSG, wonach im Rahmen des § 106 SGB VI nicht auf den allgemeinen Beitragssatz, sondern auf einen konkreten Beitragssatz eines Basistarifs abzustellen sei, ist vom Kläger nicht näher bezeichnet worden; eine solche Entscheidung existiert offensichtlich nicht. Soweit der Kläger eine Übertragung von Rechtsgedanken aus einem anderen Rechtsgebiet anregen will, hat er dies nicht näher bezeichnet. Es wären auch die Unterschiede zwischen einer Rentenleistung und anderen Sozialleistungen zu beachten.
Der Senat hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Anwendung von § 106 Abs. 3 SGB VI – in der jeweils geltenden Fassung – und sieht insbesondere keinen Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz (GG) darin, dass für Rentenbezieher, die freiwillig gesetzlich krankenversichert sind, und für solche, die privat krankenversichert sind, in erheblich unterschiedlichem Umfang Anteile der Kosten durch den Beitragszuschuss aufgefangen werden. Wie schon im erstinstanzlichen Urteil dargestellt, knüpft die gesetzliche Krankenversicherung an den Gedanken der Solidargemeinschaft an und setzt die Beitragshöhe auch in Beziehung zum erzielten Einkommen, während die private Krankenversicherung auf einer Risikoabsicherung aufbaut und ihre Beiträge somit ganz anders ermittelt und über die Lebenszeit verteilt. Wegen der erheblich unterschiedlichen Ausgangssituation, war es zulässig hier differenzierte Regelungen zu schaffen.
Dass der Zuschuss zur Krankenversicherung vor 2009 und nach 2009 anders geregelt worden war, hat mit Änderungen in der gesetzlichen Krankenversicherung, d.h. im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), zu tun und ist nicht zielgerichtet darauf gewesen, das Verhältnis von Beitragszuschüssen zur privaten und zur freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung zu verändern. Die Änderung zum 01.01.2015 hat sich formal lediglich zu Gunsten des Klägers ausgewirkt und hat keine neuen, noch nicht behandelten Gesichtspunkte mit sich gebracht.
Dass die tatsächliche Beitragshöhe keine Rolle spielen soll, bzw. lediglich zur Beachtung eines Maximalanteils von 50% der Kosten herangezogen wird (§ 106 Abs. 3 Satz 5 SGB VI), stellt keinen Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 GG) dar, da bei Entstehen einer tatsächlichen Bedürftigkeit in Bezug auf den Lebensunterhalt ergänzende andere Sozialleistungen (etwa nach dem SGB XII) diesem Rechnung tragen.
Für die vom Kläger geforderte Orientierung des Beitragszuschusses am Beitrag im Basistarif der privaten Krankenversicherung oder gar – wie anfänglich gefordert – an seinem tatsächlichen individuellen Krankenversicherungsbeitrag gibt es weder eine gesetzliche Grundlage, noch ein verfassungsrechtliches Gestaltungsgebot. Im Gegenteil, es würden durch eine solche Regelung Bezieher kleiner Renten, die über anderweitige Einkünfte verfügen, ungerechtfertigt bevorteilt, weil der Rückbezug zur Rentenhöhe wegfallen würde.
Nach alledem war die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 09.10.2014 als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.