Aktenzeichen M 19L DB 15.5045
BeamtStG § 34 S. 2, § 35 S. 2
Leitsatz
Tenor
I. Die Disziplinarverfügung des Polizeipräsidiums … vom 6. Oktober 2015 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
Die Klage hat Erfolg. Die Disziplinarverfügung des Polizeipräsidiums München vom 6. Oktober 2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (Art. 3 BayDG i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Das ihm zur Last gelegte Fehlverhalten ist weder hinsichtlich des von der Firma „C… S…“ vertriebenen Videokoffers (1.) noch hinsichtlich der unzureichenden Systembetreuung des Easy Servers (2.) zur Überzeugungsgewissheit des Gerichts erwiesen. Selbst wenn das unter 2.2 geschilderte Verhalten als Dienstpflichtverletzung zu werten sein sollte, würde sich eine disziplinarrechtliche Ahndung aufgrund der sonstigen zu seinen Gunsten sprechenden Umstände nicht als verhältnismäßig darstellen (3.). Jedenfalls stünde einer disziplinarrechtlichen Ahndung ein Verwertungsverbot wegen Zeitablaufs entgegen (4.).
1. Das Gericht sieht den Vorwurf, der Kläger habe entgegen dem Zusatz in der Nebentätigkeitsgenehmigung vom 8. März 2010 dienstlich erlangtes Wissen für die von ihm für die Firma „C… S…“ entwickelten Videokoffer genutzt, als nicht erwiesen an.
Der Vorwurf in der Disziplinarverfügung stellt dabei nach seiner klaren Formulierung (vgl. dort S. 2 und 4) nur darauf ab, dass der Kläger dienstlich erlangtes Wissen für die Entwicklung des privat vertriebenen Koffers eingesetzt habe. Nicht vorgeworfen wird ihm, dass er Personal, Material oder Einrichtung des Dienstherrn für die Ausübung der Nebentätigkeit in Anspruch genommen habe.
Im vorliegenden Fall steht zweifelsfrei lediglich fest, dass der Kläger sowohl im Dienst als auch für die Firma „C… S…“ einen Videokoffer zur Übertragung von Bildmaterial entwickelt hat. Nicht geklärt ist dagegen, welches dienstlich erlangte Wissen der Kläger in welchem Umfang für welche Komponente des von der Firma „C… S…“ vertriebenen Videokoffers eingesetzt haben soll. Offen ist weiter, ob die beiden Koffer hinsichtlich Hardware- und Softwareausstattung baugleich oder zumindest -ähnlich waren und ob sie über identische Funktionen verfügen. Hierzu wurden im behördlichen Disziplinarverfahren keine Ermittlungen angestellt und enthält die angefochtene Disziplinarverfügung keine Ausführungen. Mangels Kenntnis dieser Umstände kann auch nicht auf eine Nutzung dienstlich erlangten Wissens für die Entwicklung der privat vertriebenen Videokoffer geschlossen werden. Ein bloßer Verdacht, der nicht bestätigt ist, darf nicht zur Grundlage einer Rechtssanktion gemacht werden. Der disziplinarische Vorwurf und seine Bewertung dürfen nur aus einem tatsächlich erwiesenen Pflichtenverstoß abgeleitet werden (Hummel/Köhler/Mayer/Baunack, BDG, 6. Aufl. 2016, Rn. A.10 S. 77).
Im Hinblick auf die wenig konkreten Angaben durch EPHK L. und EPHK Sch., POR M., TAR St. und TI B. im Rahmen der schriftlichen und mündlichen Zeugeneinvernahmen im Disziplinarverfahren ergibt sich keine weitere Möglichkeit zur Aufklärung für das Gericht.
2. Als nicht erwiesen sieht das Gericht auch die Vorwürfe an den Kläger an, er habe bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben als Systembetreuer gegen seine dienstlichen Pflichten verstoßen.
2.1 Soweit der Beklagte dem Kläger anlastet, er habe eine Einbindung und Konfiguration der Netzwerkschnittstelle unterlassen, so dass eine automatische Fehlermeldung an das Eventlog unterblieben sei, fehlt es bereits an einem belastbaren Nachweis, dass der Kläger die Konfiguration des Easy Servers tatsächlich vorgenommen hat oder daran beteiligt war.
Nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung hat er beim Aufstellen des Easy Servers im Jahr 2010 lediglich den Server konfiguriert und mit Windows 2003 ausgestattet, nicht aber das Platten-Shelf eingerichtet. Wer es eingerichtet habe, wisse er nicht und könne er auch nicht rekonstruieren. Auch der in der mündlichen Verhandlung vernommene Zeuge L. führt aus, aus eigenem Wissen könne er nicht sagen, wer den Easy Server im Jahr 2010 installiert habe. Soweit der Zeuge weiter vorträgt, Herr S. habe ihm allerdings berichtet, dass der Easy Server seinerzeit von ihm (Herrn S.) gemeinsam mit dem Kläger installiert worden sei, misst das Gericht der Aussage des unmittelbar am Geschehen beteiligten Klägers größeres Gewicht bei als den auf bloßem „Hörensagen“ beruhenden Angaben des Zeugen L. Das Gericht hat keinen Anlass, an der Glaubhaftigkeit der Aussage des bisher unbescholtenen und weder disziplinar- noch strafrechtlich in Erscheinung getretenen Klägers zu zweifeln. Angesichts der auch ansonsten glaubhaften Ausführungen des Klägers geht das Gericht insoweit auch nicht von einer bloßen Schutzbehauptung aus.
2.2 Nicht aufrecht erhalten werden kann weiter der Vorwurf an den Kläger, er hätte anhand der orange leuchtenden Warnlampe „Fault“ und der durchgängig grün leuchtenden Festplattenlampen feststellen müssen, dass an den Festplatten Defekte bestanden hätten. Ob die erstgenannte Warnlampe vor Ende Januar 2013 aufgeleuchtet hat, ist nicht bewiesen; dem Aufleuchten der durchgängig grün leuchtenden Festplattenlampen musste der Kläger seinerzeit keine fehlerrelevante Bedeutung beimessen.
Nicht belegt und auch nicht im Nachhinein feststellbar ist, ob die Fehlerleuchte „Fault“ tatsächlich seit dem Ausfall der ersten Festplatte 4 am 25. September 2012 kontinuierlich orange geleuchtet hat. Der Zeuge B. führte insoweit in der mündlichen Verhandlung aus, er habe es noch nie erlebt, dass eine Festplatte ausgefallen sei und die Fehlerleuchte nicht aufgeleuchtet habe. Für ein sofortiges Aufleuchten der Fehlerleuchte beim erstmaligen Ausfall auch nur einer Festplatte spricht weiter, dass bei der Inaugenscheinnahme des Serverraums des Polizeipräsidiums S… N… am 6. Februar 2015 die Warnleuchte ab dem Zeitpunkt der Entnahme der ersten Festplatte durchgängig orange geleuchtet hat. Demgegenüber gibt der Kläger an, trotz seiner regelmäßigen Kontrollen im Serverraum habe er das Aufleuchten der Warnleuchte „Fault“ erst Ende Januar 2013 bemerkt. Auch wenn aufgrund der Aussage des Zeugen B. und des Ablaufs bei der Besichtigung des Serverraums viel dafür spricht, dass die Warnleuchte ab dem erstmaligen Ausfall bereits einer Festplatte kontinuierlich aufleuchtet, kann dieses Aufleuchten in der Rückschau nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden. Nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ ist deshalb zugunsten des Klägers davon auszugehen, dass eine Warnmeldung durch die Fehlerleuchte tatsächlich erst Ende Januar eingetreten ist.
Nicht zu beanstanden ist dagegen, dass der Kläger der durchgängig grün leuchtenden Anzeige einzelner Festplatten nicht die Bedeutung einer Fehlermeldung beigemessen hat. Nach dem von ihm vorgelegten Auszug aus dem Benutzerhandbuch des Easy Servers kommt einer grün leuchtenden ebenso wie einer grün blinkenden LED die Bedeutung „The disk is operating normally“ zu. Der Zeuge B. hat insoweit ausgeführt, die Aussagekraft einer Leuchte lasse sich dem Systemhandbuch entnehmen. Der Kläger konnte also davon ausgehen, dass eine durchgängig grün leuchtende LED ebenso wie eine grün blinkende LED das ordnungsgemäße Funktionieren der jeweiligen Festplatte anzeigt.
Nicht zu beanstanden sind weiter die von ihm nach Bemerken der orangen Warnleuchte ergriffenen Maßnahmen. Nach seinen Angaben hat er die Plattenabdeckung abgenommen und überprüft, ob eine rote Leuchte einen Plattenfehler signalisiere, was nicht der Fall gewesen sei. Weiter habe er das Eventlog überprüft, dort aber keine relevanten Fehlerdaten feststellen können. Anschließend habe er die KPI A… kontaktiert und nachgefragt, ob Fehler beim Easy Server aufgetreten seien, was verneint worden sei. Anschließend habe er den Server neu gestartet. Die Fehlerlampe habe jedoch weiterhin geleuchtet. Eine Rückfrage bei der KPI A… habe ergeben, dass diese sowohl vor als auch nach dem Neustart ohne Beeinträchtigung arbeiten habe können. Weiter habe er den für das Pilotprojekt Easy Server in Bayern zuständigen Kollegen S. und seinen Vorgesetzten St. von dem Aufleuchten der Warnleuchte informiert. Diese Maßnehmen sind nicht zu beanstanden, wie sich aus einem Vergleich mit den nach Angaben des Zeugen B. in der mündlichen Verhandlung im Falle des Aufleuchtens der Leuchte „Fault“ zu ergreifenden Schritten ergibt. Der Zeuge führte aus, die Funktionskontrolle eines Servers erfolge üblicherweise mittels eines Tools. Daneben sei auch eine Sichtkontrolle üblich. Ob ein Neustart des Systems durchzuführen sei, sei Geschmacksache. Jedenfalls sei der Hersteller zur Fehlerbehebung einzuschalten. Hier hat der Kläger – ausgehend von einer entsprechenden Netzwerkkonfiguration – das Eventlog als Kontrolltool eingesetzt. Dies ist nicht zu beanstanden, weil man bei der Annahme, das Platten-Shelf sei auf das Eventlog aufgeschaltet, durchaus über einen längeren Zeitraum davon ausgehen kann, dass das Fehlen von Fehlermeldungen ein ordnungsgemäßes Funktionieren des Platten-Shelfs bedeute, wie der Zeuge B. ausgeführt hat. Weiter hat der Kläger eine Sichtkontrolle durchgeführt. Der von ihm ebenfalls vorgenommene Neustart des Systems ist zudem eine von mehreren möglichen Optionen. Zwar hat der Kläger die von dem Zeugen für angezeigt erachtete Einschaltung des Herstellers unterlassen; dies wurde ihm aber auch weder von seinem erfahreneren Kollegen S. noch von seinem Vorgesetzten St. nahegelegt. Nach Aussage des Zeugen B. gibt es überdies keine Handreichung für die mit den einzelnen Systemen befassten Betreuer, die die im Falle einer Störung zu ergreifenden Schritte aufzeigt.
2.3 Soweit der Beklagte dem Kläger weiter vorwirft, er habe keinen Eintrag in der Auftrags- und Störungsdatenbank IuK-Hotline getätigt, ist darin weder ein Verstoß gegen die innerdienstliche Richtlinie IuK-Hotline noch gegen eine dienstliche Weisung zu sehen, der dem Kläger als Verstoß gegen seine Pflicht aus § 35 Satz 2 BeamtStG angelastet werden könnte.
Der Richtlinie IuK-Hotline ist so formuliert, dass sie nur zur Sicherstellung einer „schnellen, reibungslosen und kompetenten Hilfe unserer Anwender“ (vgl. dort Nr. 2.4 Satz 1) dient und lediglich Aufträge und Störungen erfasst, die über die Hotline eingehen (vgl. dort Nr. 2.4.2). Ihr ist nicht zweifelsfrei zu entnehmen, dass sie auch von den Systembetreuern eigenständig erkannte Störungen betrifft. Ferner existierte seinerzeit auch keine dienstliche Weisung des Inhalts, dass Systembetreuer generell verpflichtet seien, Störungen in der Auftrags- und Störungsdatenbank einzutragen. Dies ergibt sich aus der Aussage des Zeugen L. in der mündlichen Verhandlung. Aus dessen weiterer Angabe in der mündlichen Verhandlung, von den Systembetreuern werde „erwartet“, Störungen in der genannten Datenbank zu dokumentieren, lässt sich eine dienstliche Weisung nicht entnehmen. Voraussetzung für eine solche ist, dass dem Beamten eine klare und verbindliche Anordnung von seinem Vorgesetzten gegeben wird (BVerwG, U.v. 13.12.2000 – 1 D 34.98 – juris Rn. 23), was bei einer bloßen „Erwartung“ nicht der Fall ist.
Unabhängig von der Befolgung einer Richtlinie oder dienstlichen Weisung hat der Kläger hier jedenfalls das mit einem Eintrag in die Auftragsund Störungsdatenbank verfolgte Ziel, nämlich die Dokumentation einer Störung und die Sicherstellung ihrer Behebung, im vorliegenden Fall dadurch verfolgt, dass er Herrn S. von der KPI-Z (Kriminalpolizeiinspektion für zentrale Aufgaben) von der Störung informiert und in die Störungsbehebung eingebunden und hiervon wiederum seinen Vorgesetzten Herrn St. in Kenntnis gesetzt hat. Gerade im Hinblick auf die besondere Erfahrung von Herrn S., der für die Betreuung des Pilotprojekts Easy Server in ganz Bayern zuständig ist, konnte der Kläger davon ausgehen, dass die Behebung einer möglichen Störung durch diesen weiterverfolgt werde.
3. Auch für den Fall, dass die Fehlerleuchte „Fault“ bereits mit Ausfall der ersten Festplatte am 25. September 2012 aufgeleuchtet haben sollte (vgl. 2.2), scheidet eine disziplinarrechtliche Ahndung des innerdienstlichen Verhaltens des Klägers aus.
Bei Aufleuchten der Fehlerleuchte bereits seit 25. September 2012 wäre davon auszugehen, dass der Kläger zwar regelmäßige Kontrollen im Serverraum durchgeführt, das Aufleuchten der Warnleuchte aber über einen Zeitraum von circa vier Monaten nicht bemerkt hat. In diesem Fall läge ein innerdienstliches Fehlverhalten des Klägers vor, bei dem ihm Fahrlässigkeit zur Last zu legen wäre und das einen Verstoß gegen die Pflicht, sich mit vollem persönlichem Einsatz dem Beruf zu widmen (§ 34 Satz 1 BeamtStG), darstellen würde. Bei der Bemessung der angemessenen Disziplinarmaßnahme wäre allerdings zu beachten, dass sich in diesen vier Monaten keine Hinweise auf einen Ausfall des Systems ergeben haben und dass der Kläger ab 30. Januar 2013, also weit vor Auftreten der erstmaligen Fehlfunktion am 16. April 2013, erkrankt war. Im Hinblick auf die regelmäßig durchgeführten Kontrollen des Serverraums und den bloßen Fahrlässigkeitsvorwurf hinsichtlich des Nicht-Bemerkens der Warnleuchte wäre eine disziplinarrechtliche Ahndung das Fehlverhalten des Klägers deshalb lediglich mit einem Verweis denkbar. Dieser wäre im vorliegenden Fall jedoch aufgrund der zu Gunsten des Klägers sprechenden Umstände als unverhältnismäßig anzusehen. Er ist bislang weder disziplinarisch noch strafrechtlich vorbelastet. Alle vorliegenden Persönlichkeitsbilder, die einen längeren Zeitraum umfassen, sind äußerst positiv. Zu Gunsten des Klägers ist weiter die lange Verfahrensdauer als Milderungsgrund zu berücksichtigen; bereits das Verfahren als solches wirkt belastend und ist deshalb mit pflichtenmahnenden Nachteilen verbunden, die nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz das Sanktionsbedürfnis mindern können (BVerwG, U.v. 12.5.2016 – 2 WD 16.15 – juris Rn. 80).
4. Selbst für den Fall, dass die zu Gunsten des Klägers sprechenden Umstände keine Unverhältnismäßigkeit eines Verweises – oder selbst einer Geldbuße – bewirken sollten, würde eine solche Disziplinarmaßnahme jedenfalls am Maßnahmeverbot wegen Zeitablaufs nach Art. 16 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 Nr. 2 BayDG scheitern.
Wie ausgeführt wäre hier ein Anknüpfen einer Disziplinarmaßnahme allenfalls an das Nicht-Bemerken der Warnleuchte über vier Monate denkbar, das mit der Erkrankung des Klägers am 30 Januar 2013 abgeschlossen war. Da hier aber selbst zwischen der Ausdehnung des Disziplinarverfahrens mit Schreiben des Polizeipräsidiums S… N… vom 20. Juni 2013 und dem Erlass der Disziplinarverfügung vom 6. Oktober 2015 mehr als zwei Jahre liegen, darf ein Verweis oder eine Geldbuße nicht erteilt werden. Eine Bezügekürzung – wie in der Disziplinarverfügung vorgenommen – kommt dagegen im vorliegenden Fall als zu einschneidende Disziplinarmaßnahme nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 4 Satz 1 BayDG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO und trägt dem Unterliegen des Beklagten Rechnung.