Aktenzeichen S 38 KA 1262/15
SGB X SGB X § 32 Abs. 1, Abs. 3
Ärzte-ZV Ärzte-ZV § 1 Abs. 3 Nr. 3, § 19 Abs. 3
Leitsatz
1 Eine Nebenbestimmung in einem Bescheid über eine Anstellungsgenehmigung (§ 103 Abs. 4b SGB V), wonach die Genehmigung endet, wenn die vertragsärztliche Tätigkeit nicht innerhalb von drei Monaten nach Zustellung des Bescheides aufgenommen wird, ist zulässig. (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine singuläre, keinesfalls auf bestimmte Dauer angelegte Tätigkeit vermag den Anspruch auf Genehmigung nach § 103 Abs. 4b SGB V nicht zu begründen; in diesem Fall geht das Tätigwerden nicht über das Stadium eines Arbeitsversuches hinaus. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage es handelt sich um eine kombinierte Anfechtungs- und Verbescheidungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet.
Die Klage wurde ursprünglich durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers namens Dr. F … eingelegt, an den auch der Widerspruchsbescheid des Beklagten gerichtet wurde. Herr Dr. F … hat jedoch zum 01.10.2016 auf seine vertragsärztliche Zulassung verzichtet. Auf den Vertragsarztsitz wurde seine Tochter, Frau Dr. G. mit Wirkung zum 01.10.2016 zugelassen. Frau Dr. G …, die vom gleichen Pro-zessbevollmächtigten vertreten wird, macht nunmehr ihrerseits die zunächst von ihrem Vater begehrten Ansprüche in eigenem Namen geltend. Nach Auffassung des Gerichts handelt es sich um keine Klageänderung im Sinne von § 99 SGG, da hier die Rechtsnachfolge kraft Gesetzes eingetreten ist (vgl. Meyer-Ladewig,Keller/Leitherer, Komment zum SGG, Rn 7a zu § 99). Vielmehr liegt ein gesetzlicher Parteiwechsel vor, dem durch Berichtigung des Rubrums Rechnung getragen wurde. So spricht § 103 Abs. 3a S. 1 SGB V von der Weiterführung der Praxis durch den Rechtsnachfolger. Mit ihrem neuen Status verbunden und eintretend in die Rechtsstellung des Praxisvorgängers ist auch das Recht, einen Arzt unter den Voraussetzungen des § 103 Abs. 4b SGB V anzustellen. Die Aktivlegitimation der Klägerin liegt somit vor.
Der Widerspruchsbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Gestützt auf den Genehmigungsbescheid vom 10.11.2014 hat der Beklagte in seiner Sitzung vom 29.10.2015 die Auffassung des Zulassungsausschusses bestätigt, wonach wegen Nichtaufnahme der Tätigkeit die Genehmigung des Beigeladenen zu 8 zum 20.02.2015 endete und, dass die Angestelltenstelle nicht mehr im Sinne von § 103 Absatz 4b S. 3 SGB V nachbesetzungsfähig ist. Unter Ziffer III. des Genehmigungsbescheides vom 10.11.2014 wurde bestimmt, dass die Genehmigung endet, wenn die vertragsärztliche Tätigkeit nicht innerhalb von drei Monaten nach Zustellung des Bescheides aufgenommen wird.
Es handelt sich hierbei um eine zulässige Nebenbestimmung im Sinne von § 32 Abs. 1 SGB X. Danach darf ein Verwaltungsakt mit einer Nebenbestimmung nur versehen werden, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden. Die Nebenbestimmung im Genehmigungsbescheid vom 10.11.2014 beruht auf § 19 Abs. 3 Ärzte-ZV i.V.m. § 1 Abs. 3 Ziffer 3 Ärzte-ZV. Danach endet die Anstellungsgenehmigung bei Nichtaufnahme der Tätigkeit innerhalb von drei Monaten nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung.
Mit der Anstellungsgenehmigung nach § 103 Abs. 4b SGB X (Gesetz vom 22.12.2006, BGBl 1 S. 3439) hat der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen, dass in Gebieten, in denen Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, niedergelassene Vertragsärzte unter Verzicht auf ihre Zulassung bei einem anderen Vertragsarzt im Angestelltenstatus tätig sein dürfen. Es handelt sich hierbei um eine Privilegierung gegenüber dem Fall der Nachfolgezulassung nach §§ 103 Abs. 4, 103 Abs. 3a SGB V. Denn die Anstellungsgenehmigung nach § 103 Absatz 4b SGB V erfordert keine Prüfung durch die Zulassungsgremien, ob eine Nachbesetzung aus Versorgungsgründen erforderlich ist (§ 103 Absatz 3a Satz 3 SGB V) und auch, wenn dies zu bejahen ist, keine Ausschreibung des Vertragsarztsitzes und keine Auswahlentscheidung nach § 103 Abs. 4 SGB V. Grund für die Privilegierung ist, dass der auf die Zulassung verzichtende Arzt aus dem vertragsärztlichen System nicht ausscheidet, eine Personenidentität zwischen dem verzichtenden und dem angestellten Arzt besteht und lediglich ein Statuswechsel vom niedergelassenen zum angestellten Arzt stattfindet. Eine solche Privilegierung ist dann nicht gerechtfertigt, wenn die Anstellungsgenehmigung als Konstrukt letztendlich dem anstellenden Arzt dazu dient, sich einen Vertragsarztsitz zu sichern, um ihn dann kurzfristig anderweitig zu besetzen. Der angestellte Arzt darf nicht vorübergehend quasi als Platzhalter fungieren; ansonsten würde dies zu einer Umgehung der gesetzlichen Regelungen zur Überversorgung führen und den Handel mit Vertragsarztsitzen begünstigen. Aus diesem Grund ist das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung (BSG, Urteil vom 04.05.2016, Az. B 6 KA 21/15 R BSG) unter Hinweis auf den Rechtsgedanken in § 103 Abs. 3a S. 5 SGB V i.V.m. S. 3 und Abs. 4 Satz 5 Nr. 6 SGB V i.d.F. des GKV-VSG zu dem Ergebnis gekommen, die Tätigkeit des angestellten Arztes müsse gewollt und gelebt sein, wovon nach Ablauf einer dreijährigen Tätigkeit als angestellter Arzt auszugehen sei. Wie das Bundessozialgericht (aaO) ausführt, gilt dieser Zeitraum aus Vertrauensschutzgründen allerdings erst für Umwandlungsanträge aus der Zeit nach Verkündung des Urteils. In diesen Fällen sei zu prüfen, ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der früher zugelassene Arzt, der vor Ablauf von drei Jahren seine Tätigkeit wieder beendet hat, dort zumindest nicht eine gewisse Zeit tätig werden wollte.
Mit der Regelung in § 19 Abs. 3 Ärzte-ZV i.V.m. § 1 Abs. 3 Ziffer 3 Ärzte-ZV und der Nebenbestimmung im Genehmigungsbescheid vom 10.11.2014 (Ziffer III.) wird bezweckt, dass das Konstrukt der Anstellungsgenehmigung nicht entgegen der ratio von § 103 Abs. 4b SGB V missbraucht wird. Insofern ist diese Nebenbestimmung zulässig im Sinne von § 32 Abs. 3 SGB X.
Somit stellt sich die Frage, ob der Tatbestand der Nebenbestimmung (Ziffer III.) erfüllt ist und damit die Genehmigung nach Ablauf von drei Monaten nach Zustellung des Genehmigungsbescheides endet. Der Tatbestand der Genehmigung ist dann erfüllt, wenn der anzustellende Arzt in der Praxis des anstellenden Arztes nicht tätig wurde.
Zur Tätigkeit des Beigeladenen zu 8 gibt es unterschiedliche Fakten und unter-schiedliche Einlassungen der Beteiligten. So führt der Kläger einmal aus, der Beigeladene zu 8 sei am 07.01.2015 und am 21.01.2015 in der Praxis tätig gewesen (Sitzung des Zulassungsausschusses am 18.05.2015), ein andermal ist die Rede vom 07.01.2015 und 14.01.2015 (Sitzung des Zulassungsausschusses am 22.06.2015). Die Umschreibung von Leistungen wurde für die Behandlungstermine am 07.01.2015, 14.01.2015 und 21.01.2015 beantragt. Der Bevollmächtigte des Beigeladenen zu 8 machte in seinem Schreiben vom 20.06.2016 geltend, sein Mandant habe dem Kläger mehrfach angeboten, in dessen Praxis zu arbeiten. Der Kläger habe dies jedoch abgelehnt. Als Fakt ist schließlich zu nennen, dass der Auflösungsvertrag bereits am 09.01.2015 vom Kläger unterzeichnet wurde. Des Weiteren ist festzuhalten, dass offensichtlich zunächst eine Abrechnung für das Quartal 1/2015 auf die Arztnummer des Beigeladenen zu 8 nicht erfolgen sollte, später dann eine Umstellung für 71 Patienten beantragt wurde.
Unter Würdigung der sich teils widersprechenden Aussagen der Beteiligten und Fakten kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass der Beigeladene zu 8 wenn überhaupt lediglich am 07.01.2015 in der Praxis des Klägers tätig war. Eine solche singuläre, keinesfalls auf bestimmte Dauer angelegte Tätigkeit vermag nicht den Anspruch auf Genehmigung nach § 103 Abs. 4b SGB V zu begründen. Vielmehr geht in diesem Fall das Tätigwerden nicht über das Stadium eines Arbeitsversuches hinaus. Die ersten Arbeitstage in einer Praxis sind außerdem generell dadurch gekennzeichnet, dass sich der neu eintretende Arzt zunächst mit den praxisspezifischen Gegebenheiten vertraut machen muss. Zwar ist einzuräumen, dass es keine gesetzliche Regelung über eine „Mindesttätigkeit“ gibt. Dies ist auch nicht erforderlich, zumal zur Auslegung des Begriffs „Tätigkeit“ die ratio legis heranzuziehen ist. Von einer „gelebten“ Tätigkeit, wie sie vom Bundessozialgericht gefordert wird, kann bei einer solchen singulären Tätigkeit, aber auch bei einer Tätigkeit an nur drei Tagen keine Rede sein. Die Vertretung (Vertreterin: Frau Dr. E.), die nach den Aussagen des ursprünglichen Klägers stattgefunden haben soll, ändert daran nichts. Denn zum einen handelt es sich um keinen Vertretungsfall im Sinne von § 32 Abs. 1 Ärzte-ZV, zum anderen wurde die Vertretung gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns zunächst nicht angezeigt (Nachmeldung mit Schreiben vom 09.05.2015). Eine solche, mit den gesetzlichen Vertretungsregelungen nicht zu vereinbarende Vertretung führt nicht zu einer „gelebten“ Tätigkeit im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, wenn man statt auf die Tätigkeit auf den Willen des anzustellenden Arztes abstellt, was außerdem nicht im Einklang mit dem Genehmigungsbescheid stehen würde. In diesem Zusammenhang ist die Aussage des Prozessbevollmächtigten des Beigeladenen zu 8 zu würdigen, aus der sich ergibt, dass zunächst die Vertragsverhandlungen zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen zu 8 scheiterten und erst durch Vermittlung durch den Beigeladenen zu 9 eine Einigung wohl überraschend zu Stande kam. Diese Gesamtumstände sprechen nicht dafür, dass ein Wille vorhanden war, auf den Vertragsarztsitz zu verzichten, um als angestellter Arzt beim ursprünglichen Kläger tätig zu werden, sondern andere Beweggründe vorlagen. Hinzu kommt, dass die Tochter des Klägers und spätere Klägerin den Zulassungsgremien mitgeteilt hat, dass im Quartal 1/2015 keine Leistungen abgerechnet werden. Außerdem gab es keinen „Außenauftritt“ des Beigeladenen zu 8. Die Begründung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin hierzu, es sei von Anfang an klar gewesen, dass dieser nur begrenzt tätig werden würde, ist auch ein deutlicher Hinweis darauf, dass eine „gelebte“ Angestelltentätigkeit des Beigeladenen zu 8 von Anfang an nicht beabsichtigt war. Schließlich fällt auf, dass die Praxis des ursprünglichen Klägers/der Klägerin auf endokrinologische Leistungen spezialisiert ist und als Hormon- und Stoffwechselzentrum firmiert (Internet-Auftritt), während der Beigeladene zu 8 Facharzt für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Kardiologie und Pneumologie ist. Vor diesem Hintergrund ist höchst zweifelhaft, ob sich der Beigeladene zu 8 mit seinem ihm eigenen Leistungsspektrum auf eine gewisse Dauer in die Struktur der Praxis des Klägers/der Klägerin einfügen kann. Damit erklärt sich auch das Hin und Her im Zusammenhang mit der Umschreibung von Patienten mit endokrinologischen Leistungen und dem nachfolgenden Abrechnungskorrekturantrag des Klägers auf „Zusetzung“ von kardiologischen Leistungen bei 20 Patienten. Dies musste auch den Beteiligten, insbesondere auch dem Beigeladenen zu 8 von Anfang an bewusst sein. Das Gesamtbild wird schließlich dadurch abgerundet, dass merkwürdigerweise am gleichen Tag, nämlich am 23.01.2015 die Erklärung über die Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit des Beigeladenen zu 8 durch den Kläger erfolgte und durch den Beigeladenen zu 8 dem Vorstand der KVB und der Buchhaltung die Aufhebung des Anstellungsvertrages mitgeteilt wurde.
Anhaltspunkt für einen Willen des Beigeladenen zu 8, in der Praxis des Klägers als angestellter Arzt tätig zu werden, ist der Abschluss des Anstellungsvertrages, der allerdings bereits zum 09.01.2015 durch Auflösungsvertrag mit Wirkung zum 31.03.2015 beendet wurde. Ebenfalls könnte aus der Aussage des Prozessbevollmächtigten des Beigeladenen zu 8, dieser habe wiederholt seine Bereitschaft erklärt, tätig zu werden, der Kläger habe dies jedoch abgelehnt, eventuell auf einen diesbezüglichen Willen geschlossen werden. In diesem Zusammenhang muss jedoch die Frage aufgeworfen werden, warum der Beigeladene zu 8 nicht versucht hat, seine Ansprüche aus dem Anstellungsvertrag gegenüber dem Kläger notfalls gerichtlich durchzusetzen. Daraus hätte auf ein nachhaltiges Interesse des Beigeladenen zu 8 geschlossen werden können.
Selbst, wenn auf den Willen des anzustellenden Arztes, in der Praxis tätig zu werden, abzustellen wäre, überwiegen die dagegen sprechenden Anhaltspunkte.
Aus den vorgenannten Gründen ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Beklagte festgestellt hat, die Genehmigung des Beigeladenen zu 8 ende wegen Nichtaufnahme der Tätigkeit zum 20.02.2015 und die Angestelltenstelle sei nicht mehr nachbesetzungsfähig im Sinne des § 103 Absatz 4b S. 3 SGB V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.