IT- und Medienrecht

Ermessenserwägungen der Kommune bei dem Vergleich von Entwässerungsalternativen

Aktenzeichen  B 4 K 15.451

Datum:
29.3.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 149119
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayKAG Art. 5 Abs. 1 S. 1
BayWG Art. 34 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Zwar darf der weite Ermessensspielraum der Kommune bei der Entscheidung, wie sie die ihr obliegende Abwasserbeseitigung vornimmt, nicht dazu führen, dass der Einrichtungsträger eine beliebige Gestaltung der Anlage ohne jegliche Rücksicht auf die Kostenlast der (möglichen) Anschlussnehmer vornimmt. Die Grenze, ab der Investitionen nicht mehr auf Beitrags- und Gebührenschuldner umgelegt werden dürfen, ist aber erst erreicht, wenn die Entscheidung für eine Entwässerungsalternative schlechthin sachlich unvertretbar erscheint. (Rn. 26 – 27) (redaktioneller Leitsatz)
2 Maßgeblich für die Berechnung der Kosten von Entwässerungsalternativen ist eine ex-ante-Sicht (ebenso BayVGH BeckRS 2001, 25233). Der Einschätzung des Wasserwirtschaftsamtes als neutraler Fachbehörde kommt dabei ein besonderes Gewicht zu. (Rn. 28 – 30, 32 und 37) (redaktioneller Leitsatz)
3 Bei der Ermittlung der Kostenlast, die sich aus verschiedenen Entwässerungsalternativen ergibt, ist der durchschnittliche, nicht der einzelne Anschlussnehmer zugrunde zu legen. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Bescheide der Beklagten vom 09.07.2015 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG können die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für die Herstellung ihrer öffentlichen Einrichtungen (Investitionsaufwand) Beiträge von den Grundstückseigentümern erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtungen besondere Vorteile bietet. Hierzu zählen auch die öffentlich betriebenen Entwässerungsanlagen. Die Entstehung von Herstellungsbeiträgen nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG setzt voraus, dass das herangezogenen Grundstück durch eine insgesamt betriebsfertige Einrichtung erschlossen wird und dass eine gültige Abgabesatzung vorhanden ist (BayVGH, U. v. 18.01.2005 – 23 B 04.2222 – BeckRS 2005, 39594; st. Rspr.).
a) Die BGS-EWS der Beklagten vom 07.11.2014 ist eine wirksame Rechtsgrundlage für die Erhebung von Herstellungsbeiträgen für das klägerische Grundstück. Gegen die Gültigkeit der Satzung hat die Klägerin keine substantiierten Rügen erhoben. Anhaltspunkte in dieser Richtung drängen sich dem Gericht auch nicht auf.
b) Der Beitragstatbestand des § 1 BGS/EWS 2014 ist erfüllt. Danach erhebt die Beklagte für die Deckung ihres Aufwandes für die Herstellung der Entwässerungseinrichtung für u. a. das Gemarkungsgebiet … einen Beitrag.
Gegen die nach § 6 BGS/EWS errechnete Beitragshöhe nach Grundstücksflächen und Geschossflächen erhebt die Klägerin keine Einwände; nach ihrer Auffassung habe die Beklagte aber bei ihrer Entscheidung für den Anschluss an die zentrale Kläranlage ihren Entscheidungsspielraum überschritten, mit der Folge, dass der hierfür entstandene Aufwand nicht beitragsfähig sei.
Die Entscheidung darüber, ob und gegebenenfalls welche Maßnahmen zur Errichtung einer Entwässerungsanlage durchgeführt werden sollen, liegt grundsätzlich im weiten Planungs- und Ermessensspielraum des Einrichtungsträgers, der nur in engen Grenzen einer gerichtlichen Überprüfung unterliegt (§ 114 VwGO). Allerdings darf neben der auf jeden Fall erforderlichen generellen Notwendigkeit und Geeignetheit der beabsichtigten Maßnahme deren Verwirklichung nicht mit einem sachlich nicht mehr vertretbaren Mittelverbrauch verbunden sein. Was zum umlegungsfähigen Aufwand konkret zählt, sagt das Kommunalabgabengesetz nicht. Man wird hierzu aber alles rechnen müssen, was zur sachgerechten Ausstattung der Einrichtung aus der Sicht einer sparsam wirtschaftenden und zugleich vorausschauend planenden Gemeinde zum Zeitpunkt der Planung und Errichtung der Anlage erforderlich scheint (vgl. BayVGH vom 29.04.2010 – 20 BV 09.2024, juris Rn. 60; m.w.N.). In dem von der Klägerin durchgeführten Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hat der Bayer. Verwaltungsgerichtshof im Beschluss vom 14.03.2013 (20 CS 13.766) darauf abgestellt, dass der weite (politische) Ermessensspielraum der Kommune, wie sie die ihr gemäß Art. 34 Abs. 1 Satz 1 BayWG obliegende Abwasserbeseitigung bewältigt, nicht dazu führen darf, dass der Einrichtungsträger eine beliebige Gestaltung der Anlage ohne jegliche Rücksicht auf die Kostenlast der (möglichen) Anschlussnehmer vornimmt (vgl. BayVGH vom 19.08.2004, GK 2005, Rn. 88; beck-online).
Aus der neueren Rechtsprechung wird deutlich, dass Investitionen allenfalls dann nicht auf Beitrags- und Gebührenschuldner umgelegt werden können, wenn sie schlechthin sachlich unvertretbar sind. Andernfalls gingen sie zu Lasten der Allgemeinheit, wären also aus Steuermitteln zu bezahlen (vgl. Schieder/Happ, Bayer. Kommunalabgabengesetz, 3. Aufl., Erl. Art. 5 KAG, Rn. 82f., unter Hinweis auf BVerwG vom 27.05.2003 – 9 BN 3.03, juris Rn. 13 und BVerfG vom 19.03.2003 – 2 BvL 9/98, juris Rn. 62).
Jede innerhalb dieses Rahmens bleibende Entscheidung des Ortsgesetzgebers ist der gerichtlichen Entscheidung entzogen. Das gilt sowohl für das „Ob“ als auch für das „Wie“ einer Investition. Maßgeblich ist insoweit stets eine „ex-ante-Sicht“ (BayVGH vom 06.03.2001 – 23 ZB 00.2218).
Nach diesen Maßstäben hat die Beklagte nach Überzeugung des Gerichts den ihr zustehenden weiten Ermessensspielraum bei ihrer Entscheidung für den Anschluss der Ortsteile … und … an die zentrale Abwasserbeseitigung nicht überschritten. Insbesondere durfte sie auf der Grundlage der Wirtschaftlichkeitsprüfung des Wasserwirtschaftsamts … davon ausgehen, dass die gegenübergestellten Abwasserbehandlungswege (zentrale oder dezentrale Lösung) als wirtschaftlich gleichwertig zu betrachten sind und es ihr frei steht, für welche Variante sie sich entscheidet.
Der Einschätzung des Wasserwirtschaftsamtes als neutraler Fachbehörde kommt ein besonderes Gewicht zu. Sie ist auch die Grundlage für die Bewilligung staatlicher Fördergelder.
Wie der zuständige Sachbearbeiter H. im Erörterungstermin erklärte, hat er im Verlauf der Planungen mehrmals Kostenvergleiche aufgestellt, erstmals 2002, als der Bauentwurf des planenden Ingenieurbüros zur Prüfung vorgelegt wurde, dann 2006, als die Variante Kleinkläranlagen hinzukam, im Jahr 2007 im Rahmen einer weiteren Modifikation, als der Ortsteil … aus der Planung abgetrennt wurde, und schließlich 2009, als ihm die Kostenerhebungen der IG Bürger und der IKT vom 07.11.2008 vorgelegt wurden. Erneut wurde er mit der Sache befasst, als in 2009/2010 ein Petitionsverfahren beim Bayer. Landtag angestrengt wurde und er gegenüber dem Bayer Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz Stellung nehmen musste. Er betonte, dass er stets beide Varianten für förderfähig und keine für vorzugswürdig gehalten habe.
Die Wirtschaftlichkeitsprüfung erfolgte nach den Leitlinien für die Durchführung der Kostenvergleichsberechnungen der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (KVR-LAWA). Dies bestreitet auch nicht der von der Klägerin im Verfahren hinzugezogene Dipl. Ing. B., der aber meint, das Wasserwirtschaftsamt habe bei der zentralen Lösung relativ geringe Herstellungskosten und bei der dezentralen Lösung relativ hohe Investitions- und laufende Kosten angesetzt, so dass die Vergleichsberechnung in Richtung zentrale Anlage tendiere. Insbesondere habe sich in den letzten Jahren gezeigt, dass die Investitionskosten für Kleinkläranlagen noch weiter gesunken seien, was die Ansätze der IKT bestätige. Der Vertreter der Fachbehörde gab hierzu an, dass er sich bei den Kostenansätzen für Kleinkläranlagen an die Werte aus der Kostenerhebung des LfU 2007 gehalten habe, die von Zuwendungsgebern für die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung herangezogen worden seien. Nach Ansicht des Gerichts ist dies im Interesse einer gleichmäßigen Berechnungsgrundlage nicht zu beanstanden. Auf die aktuelle Preisentwicklung für Kleinkläranlagen kommt es wegen der ex-ante-Sicht nicht an.
Im Übrigen ist aus den Ziff. 2.1 bis 2.3 und 3. der Stellungnahme des WWA vom 27.01.2009 ersichtlich, dass sich die Fachbehörde im Rahmen ihrer Plausibilitätskontrolle mit den Kostenansätzen der Interessengemeinschaften und des planenden Ingenieurbüros kritisch auseinandergesetzt und eine eigene Vergleichsberechnung angestellt hat. Wenn sie dann in ihrem Resümee die gegenübergestellten Abwasserbehandlungen in der vorliegenden Planungsschärfe als wirtschaftlich gleichwertig betrachtet und dem Vorhabensträger freistellt, welche Variante zur Ausführung kommen soll, ist nicht ersichtlich, weshalb es sich einem nicht fachkundigen Gremium wie dem Stadtrat der Beklagten aufdrängen soll, dass die Berechnungen der Fachbehörde sachlich fehlerhaft sein könnten. Sie konnte vielmehr zu Recht auf die sachliche Richtigkeit der Stellungnahme der Fachbehörde vertrauen.
Hinzu kommt, dass auch das Petitionsverfahren, in dem die von der Interessengemeinschaft nachträglich vorgelegte Vergleichsberechnung des Ingenieurbüros … einbezogen wurde, nicht zu einem anderen Ergebnis geführt hat und die Beklagte schließlich die für die Ersterschließung mit Entwässerungseinrichtungen vorgesehene staatliche Förderung nach den Richtlinien RZWas 2005 und RZKKA erhalten hat. Ohne den Nachweis der Wirtschaftlichkeit wäre die Abwasserentsorgungsmaßnahme nicht förderfähig gewesen.
Ein weiterer sachlicher Gesichtspunkt für die Entscheidung für den Anschluss an die zentrale Kläranlage liegt – unabhängig von der reinen Kostenfrage – darin, dass im Ortsteil … nicht alle Grundstücke über die nötige Größe für den Bau einer Kleinkläranlage verfügen. Das WWA hatte in seiner Stellungnahme bereits auf die teilweise beengten Platzverhältnisse mit ungünstigen Versickerungsmöglichkeiten hingewiesen. Bei einem freiwilligen Zusammenschluss von mehreren Grundstückseigentümern zu einer gemeinsamen Anlage, wie von der Interessengemeinschaft angestrebt, sind bei einem langjährigen Betrieb tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten nicht auszuschließen. Diese gegen die dezentrale Lösung sprechenden Umstände durfte die Beklagte in ihre Überlegungen einbeziehen.
Somit ist nicht ersichtlich, dass die Entscheidung der Beklagten für die zentrale Lösung schlechthin sachlich unvertretbar war.
Mangels Entscheidungserheblichkeit brauchte deshalb das Gericht dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Fehlerhaftigkeit der Stellungnahme des WWA und der infolgedessen fehlerhaften Entscheidung der Beklagten für den Anschluss an die zentrale Kläranlage nicht entsprechen. Da nur die ex-ante-Sicht maßgeblich ist, bedarf es keiner „Nachschau“ im Sinne einer Nachberechnung anhand der tatsächlich entstandenen Kosten und folglich keiner Akteneinsicht in alle Kostenbelege.
c. Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ihr gegenüber die Entscheidung für den Anschluss an die zentrale Kläranlage zu einer bis zu 100% höheren Kostenbelastung geführt habe. Sie legt dazu in der mündlichen Verhandlung eine Vergleichsberechnung des von ihr beauftragten Dipl. Ing. B. vor, wonach die zentrale Lösung für die Grundstücke der Klägerin zu einem fast 100% höheren Projektkostenbarwert und zu 50% höheren Jahreskosten im Vergleich zu der dezentralen Lösung geführt hat.
Zwar darf der weite (politische) Ermessensspielraum der Kommune nicht dazu führen, dass der Einrichtungsträger eine beliebige Gestaltung der Anlage ohne jegliche Rücksicht auf die Kostenlast der (möglichen) Anschlussnehmer vornimmt (vgl. BayVGH vom 19.08.2004, a.a.O.). Es würde die Anforderungen an eine Kommune jedoch übersteigen, wenn sie die Kostenlast jedes einzelnen Anschlussnehmers in den Blick zu nehmen hätte. Für den durchschnittlichen Anschlussnehmer hat sich hier jedoch keine überhöhte Kostenlast ergeben.
Wie die Beklagte durch Vorlage einer Auflistung belegt, ergibt sich als Summe aller festgesetzten Herstellungsbeiträge in den Ortsteilen … und … ein Betrag von 293.038,57 EUR. Bei der Errichtung von Kleinkläranlagen wären nach der von der Klägerseite vorlegten Ausarbeitung des Ingenieurbüros … von 2009 Kosten in Höhe von 276.846,30 EUR angefallen. Der Vergleich zeigt, dass es zu keiner unangemessen höheren Belastung der Anschlussnehmer durch Herstellungsbeiträge gekommen ist. Aus diesem Grund haben wohl, außer der Klägerin, alle Mitglieder der Interessengemeinschaft die Beitragsbescheide akzeptiert. Dass es bei der Klägerin zu einer vergleichsweise höheren Belastung gekommen ist, liegt an der Besonderheit, dass sie für ihre neun teilweise zusammenhängenden Grundstücke nicht neun sondern nur zwei Kleinkläranlagen (KKA 1 für 12 EW und KKA 2 für 8 EW) benötigt, also Investitionskosten in beträchtlicher Höhe erspart hätte. Dieser Sonderfall rechtfertigt es aber nicht, die Entscheidung der Beklagten für die zentrale Lösung als Ermessensüberschreitung zu werten.
d. Streitgegenstand sind die Herstellungsbeitragsbescheide der Beklagten. Die Höhe der Benutzungsgebühren für die Entwässerungseinrichtung und deren Kalkulation spielen hier keine Rolle.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens trägt. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 ZPO.

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