Europarecht

Anspruch auf Aufhebung von Einstellungsbescheid

Aktenzeichen  Au 6 K 17.30174

Datum:
14.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 42 Abs. 1 Alt. 1, § 113 Abs. 1
AsylG AsylG § 10 Abs. 2 S. 1, 2 u. 4, § 25, § 33 Abs. 1, 2 S. 1 Nr. 1 Alt. 2 u. Abs. 5 S. 2 u. 6 Nr. 2, § 34a Abs. 2 S. 1 u. 3, § 36 Abs. 3 S. 1 u. 10

 

Leitsatz

Tenor

I.
Der Bescheid des Bundesamts für … vom 3. Januar 2017 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens tragen der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet, denn der Kläger hat zwar einen Anspruch auf Aufhebung des Bescheides vom 3. Januar 2017, weil dieser rechtswidrig ist und ihn in eigenen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 VwGO), aber nicht auf Verpflichtung der Beklagten zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens neben dem fortzuführenden Verfahren. Daher ist die Klage im Übrigen abzuweisen.
1. Die Klage ist zulässig.
a) Statthafte Klageart ist im Fall von Einstellungsbescheiden des Bundesamts nach § 33 AsylG die Anfechtungsklage i.S.v. § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO. Mit der Aufhebung des Einstellungsbescheids wird ein Verfahrenshindernis für die inhaltliche Prüfung seines Asylbegehrens beseitigt und das Asylverfahren ist in dem Stadium, in dem es zu Unrecht beendet worden ist, durch das Bundesamt weiterzuführen (BVerwG, U.v. 7.3.1995 – 9 C 26494 – juris). Da das bisherige Asylverfahren folglich noch nicht beendet wurde, fehlt es am Rechtsschutzbedürfnis bzw. der Statthaftigkeit einer Klage auf Verpflichtung des Bundesamts, ein weiteres Asylverfahren durchzuführen. Ein auf die Fortführung des Asylverfahrens gerichteter Verpflichtungsantrag kommt nicht in Betracht, weil das Bundesamt hierzu nach Aufhebung der Entscheidung über die Verfahrenseinstellung automatisch verpflichtet ist (vgl. hierzu auch BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 19).
b) Die Klage wurde fristgerecht erhoben.
Die Klage gegen Entscheidungen nach dem Asylgesetz muss gemäß § 74 Abs. 1 Halbs. 1 AsylG innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung erhoben werden; ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO innerhalb einer Woche zu stellen (§ 34a Abs. 2 Satz 1 und 3 AsylG, § 36 Abs. 3 Satz 1 und 10 AsylG), ist auch die Klage innerhalb einer Woche zu erheben, § 74 Abs. 1 Halbs. 2 AsylG. Die auf eine Woche verkürzte Klagefrist gemäß § 74 Abs. 1 Halbs. 2 AsylG gilt im Fall der Einstellung nach § 33 AsylG nicht; der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist nicht innerhalb einer Woche zu stellen, da es für die Einstellung des Verfahrens nach § 33 AsylG an einer § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG und § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG entsprechenden Regelung fehlt (vgl. VG Minden, B.v. 26.7.2016 – 10 L 1078/16.A – juris Rn. 13).
Die somit maßgebliche Zweiwochenfrist wurde vorliegend gewahrt.
aa) Hinsichtlich des Beginns der Klagefrist ist nicht auf den erfolglosen ersten Zustellungsversuch des streitgegenständlichen Bescheids am 4. Januar 2017 abzustellen (Blatt 89 der Verwaltungsakte).
Zwar muss ein Ausländer Zustellungen unter seiner letzten bekannten Anschrift gegen sich gelten lassen, wenn die letzte bekannte Anschrift, unter der der Ausländer wohnt oder zu wohnen verpflichtet ist, durch eine öffentliche Stelle – hier: die Stadt … – mitgeteilt worden ist (§ 10 Abs. 2 Satz 2 AsylG i.V.m. § 10 Abs. 2 Satz 1 AsylG). Die Zustellung einer Sendung gilt mit deren Aufgabe zur Post selbst dann als bewirkt, wenn die Sendung dem Ausländer – wie hier – nicht zugestellt werden kann und sie als unzustellbar zurückkommt (§ 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG; vgl. zum Ganzen etwa VG München, B.v. 21.6.2016 – M 16 S. 16.30747 – juris Rn. 11; VG Augsburg, U.v. 30.9.2013 – Au 2 K 11.30313 – juris Rn. 12).
Allerdings ist Voraussetzung für die Fiktionswirkung des § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylG, dass dem Bundesamt eine zutreffende Anschrift mitgeteilt worden ist; eine falsche Auskunft kann dem Ausländer nicht zugerechnet werden (vgl. VG Augsburg, U.v. 23.1.2017 – Au 2 K 17.30023 – juris Rn. 25). Denn ausweislich des Wortlauts des § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylG gilt die Zustellungsfiktion – anders als nach Satz 1 – nur für die von einer öffentlichen Stelle mitgeteilte letzte bekannte Anschrift, unter der der Ausländer wohnt oder zu wohnen verpflichtet ist. Erforderlich ist somit, dass der Ausländer im Zeitpunkt der Mitteilung einen konkreten Bezug zu der mitgeteilten Anschrift hatte, weil er dort tatsächlich wohnte oder jedenfalls dort zu wohnen verpflichtet war. Nicht ausreichend für die Fiktionswirkung ist damit die Mitteilung irgendeiner Anschrift durch die öffentliche Stelle. Ein Vergleich mit § 10 Abs. 2 Satz 1 AsylG zeigt, dass diese Einschränkung bewusst erfolgt ist. Denn gemäß Satz 1 ist für die Zustellungsfiktion bereits ausreichend, dass Zustellungen und formlose Mitteilungen an die letzte Anschrift gerichtet waren, die Aufgrund des Asylantrags oder einer Mitteilung des Ausländers der jeweiligen Stelle bekannt ist. Gemäß dem Wortlaut kommt es hier nicht darauf an, dass die Angaben des Ausländers bei der Asylantragstellung bzw. bei einer Mitteilung durch ihn selbst der Wahrheit entsprechen und er dort tatsächlich seinen Wohnsitz (zu nehmen) hatte.
Diese Auslegung legt auch Art. 19 Abs. 4 GG nahe. Aufgrund der weitreichenden Folgen der Fiktionswirkung ist diese restriktiv und eng am Wortlaut auszulegen. Da durch die Fiktionswirkung auch der Lauf von Rechtsbehelfsfristen ausgelöst werden kann, erfordert es das Gebot des effektiven Rechtsschutzes, dem Ausländer nur solche Mitteilungsmängel bezüglich seiner Erreichbarkeit anzulasten, die in seiner Risikosphäre liegen. Gibt er selbst eine falsche Anschrift an, unterfällt dies seinem Verantwortungsbereich. Erfolgt eine falsche Anschriftsmitteilung jedoch durch eine öffentliche Stelle, liegt dies außerhalb seiner Einflussmöglichkeit, woraus ihm keine erheblichen Nachteile erwachsen dürfen. Dass der Ausländer gegebenenfalls seine Mitteilungspflicht gemäß § 10 Abs. 1 AsylG verletzt hat, führt zu keinem anderen Ergebnis, soweit eine Kausalität zwischen dieser Pflichtverletzung und einer fehlenden Erreichbarkeit nicht vorliegt.
Demnach ist vorliegend keine wirksame Zustellung an die …straße erfolgt. Zwar war dem Bundesamt diese Adresse durch die Stadt … als letzte Anschrift am 29. November 2016 mitgeteilt worden. Jedoch war die darin enthalten Adresse veraltet und damit unzutreffend, da der Kläger mit Bescheid der Regierung von … vom 24. November 2016 ab dem 25. November 2017 der Gemeinschaftsunterkunft in … zugewiesen wurde und dort am 25. November 2016 eingezogen ist. Die Mitteilung vom 29. November 2016 entsprach somit nicht den Anforderungen des § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylG. Damit ist die letzte bekannte Anschrift gemäß § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylG die durch die Stadt … am 24. November 2016 angezeigte Unterkunft in ….
bb) Die zweite Zustellung des streitgegenständlichen Bescheids erfolgte – wenn überhaupt – durch Aushändigung durch die Ausländerbehörde der Stadt … am 11. Januar 2017. Damit wurde die Klagefrist durch die Klage vom 16. Januar 2017 gewahrt.
c) Für die Anfechtungsklage besteht ein Rechtsschutzbedürfnis
Die dem Kläger gemäß § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG eröffnete Möglichkeit, die Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen, lässt das Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtungsklage nicht entfallen (BVerfG, B.v. 20.7.2016 – 2 BvR 1385/16 – juris Rn. 8; VG Regensburg, B.v. 18.4.2016 – RO 9 S. 16.30620 – juris Rn. 11 ff.; VG Ansbach, B.v. 3.6.2016 – AN 4 S. 16.30588 – juris Rn. 13 ff.). Ein Antrag gemäß § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG verbraucht die (erste) Möglichkeit einer Wiederaufnahme; im Fall einer erneuten Einstellung wird der Wiederaufnahmeantrag nur als Folgeantrag gemäß § 33 Abs. 5 Satz 6 Nr. 2 AsylG gewertet, so dass die Wiederaufnahme zu einer Verschlechterung der Rechtsposition des Asylbewerbers führt. Der das Asylverfahren einstellende streitgegenständliche Bescheid wird erst dadurch gegenstandslos, dass das Bundesamt entscheidet, das Verfahren fortzuführen (vgl. § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG), und im Anschluss an diese Entscheidung das Verfahren in dem Verfahrensabschnitt fortführt, in dem es eingestellt wurde.
2. Die Anfechtungsklage ist auch begründet.
Der angefochtene Bescheid vom 3. Januar 2017 ist rechtswidrig, weil die Voraussetzungen der Verfahrenseinstellung nicht vorliegen.
Gemäß § 33 Abs. 1 AsylG gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer oder die Ausländerin das Verfahren nicht betreibt. Das Nichtbetreiben wird gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG gesetzlich vermutet, wenn der Ausländer bzw. die Ausländerin einer Aufforderung zur Anhörung nach § 25 AsylG nicht nachgekommen ist. Diese Vermutung gilt nach Satz 2 der Vorschrift aber dann nicht, wenn unverzüglich nachgewiesen wird, dass das Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die der Asylbewerber oder die Asylbewerberin keinen Einfluss hatte.
Vorliegend fehlt es bereits an einer wirksamen Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG, da dem Kläger die Ladung zur Anhörung nicht rechtzeitig zugegangen ist. Denn die Ladung vom 15. Dezember 2016 war an die …straße,, gerichtet. Wie bereits ausgeführt, befand sich der Kläger jedoch seit dem 25. November 2016 in der Gemeinschaftsunterkunft in, sodass ihn die Ladung zur Anhörung nicht erreichte. Die Fiktionswirkung gemäß § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylG kommt hier nicht zur Anwendung (siehe oben).
Folglich erweist sich der Bescheid mit allen akzessorischen Nebenentscheidungen als rechtswidrig.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO).

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