Aktenzeichen S 31 R 1567/15
SGB VI § 2 S. 1
Leitsatz
Eine Krankenschwester, die für einen ambulanten Pflegedienst weisungsfrei tätig wird, steht nicht in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis (Berufung anhängig, LSG München, L 7 R 5035/17). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Unter Aufhebung des Bescheides vom 08.01.2015 in Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 25.06.2015 wird festgestellt, dass die Tätigkeit der Beigeladenen für den Kläger vom 13.02.1013 bis zum 26.12.2013 nicht im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wurde, und demzu-folge keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung bestand.
II.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Gründe
Die Klage ist zulässig und in vollem Umfang begründet.
Die Beigeladene stand im Jahr 2013 nicht in einem Beschäftigungsverhältnis zum Kläger. Der Bescheid vom 08.01.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.06.2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Die Beklagte ist gemäß § 7 a SGB IV zuständig für die Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status der Beigeladenen und darf hierüber auch nach Beendigung der zu beurteilenden Tätigkeit entscheiden (vgl. BSG SozR. 4-2400, § 7a Nr. 3, Rn 32). Sie ist jedoch materiellrechtlich zu dem rechtswidrigen Ergebnis gelangt, die Beigeladene sei beschäftigt gewesen.
Beurteilungsmaßstab für die Prüfung, ob eine Beschäftigung vorlag, ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV eine Tätigkeit nach Weisungen und die Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Ob demnach eine Beschäftigung besteht, ist nach Gesamtwürdigung aller Umstände, die für oder gegen eine Beschäftigung sprechen, abzuwägen. Entscheidend ist dabei letztendlich, welche Umstände überwiegen. Ausgangspunkt ist dabei das Vertragsverhältnis, wie es sich aus den Vereinbarungen ergibt. Weichen die tatsächlichen Verhältnisse davon ab, sind diese maßgeblich, soweit die Abbedingung vertraglicher Vereinbarungen rechtlich zulässig ist.
Nach Auffassung des erkennenden Gerichts unterlag die Beigeladene weder einem Weisungsrecht des Klägers, noch war sie in dessen Arbeitsorganisation eingegliedert.
Sowohl die Beigeladene als auch der Kläger haben in der mündlichen Verhandlung unabhängig voneinander glaubwürdig dargelegt, dass hinsichtlich der Frage, wie ein Patient zu pflegen und wie mit ihm und seinen Angehörigen umzugehen sei, keinerlei Weisungen von Seiten des Klägers erteilt wurden. Was die pflegerischen Leistungen anging, so wurde der Rahmen durch die ärztliche Verordnung vorgegeben. Dies galt zwar für freiberufliche Pflegekräfte gleichermaßen wie für Angestellte. Aus der Tatsache, dass hinsichtlich des Inhalts der pflegerischen Leistungen Angestellte auch keine fachliche Weisungen ihres Arbeitgebers erhielten, kann jedoch nicht geschlossen werden, die Beigeladene unterliege einem Arbeitgeber-Direktionsrecht. Sie erhielt nämlich auch jenseits der Frage, welche pflegerischen Leistungen zu erbringen sind, keine Weisungen vom Kläger. Darin liegt ein bedeutender Unterschied zur Tätigkeit der zahlreichen Festangestellten, die der Kläger beschäftigt. Diese erhalten, wo nötig, durchaus Weisungen vom Kläger, beispielsweise, ob ein alkoholkranker Patient wunschgemäß in eine Gastwirtschaft zum Alkoholkonsum begleitet werden soll, oder nicht. Solcherlei Fragen, die den Umgang mit schwierigen Patienten betreffen, entschied die Beigeladene im Unterschied zu den Beschäftigten des Klägers – in eigener Verantwortung und frei von Weisungen.
Weiterhin gab es kein Weisungsrecht des Klägers hinsichtlich der Zeiten, in welchen die Beigeladene für ihre Dienstleistung bereit stehen sollte. Die Beigeladene bestimmte selbst, welche Zeiten sie dem Kläger anbieten wollte und hatte nur dann eine Verpflichtung zur Anwesenheit beim Patienten, wenn sie einen angebotenen Einzelauftrag auch annahm. Diese Freiheit erstreckte sich ebenso auf die Frage, bei welchen Patienten die Beigeladene ihre Dienstleistung erbringen wollte. Lag ihr ein Patient nicht, oder war ihr der Anfahrts Weg zu weit, so konnte sie dessen Pflege ohne weiteres ablehnen. Diese Möglichkeit hatten angestellte Pflegekräfte nicht.
Der Arbeitsort ergab sich aus der Natur des Auftrags. Ein Patient kann nur dort gepflegt werden, wo er sich befindet. Darin ist keine Bestimmung des Arbeitsorts im Sinn eines Arbeitgeber-Direktionsrechts zu erblicken.
Aus der Tatsache, dass die Beigeladene frei über ihre Einsatzzeiten verfügen konnte, ergibt sich, dass eine Eingliederung in die betriebliche Organisation des Klägers nicht vorlag. Um seinen Betrieb ordnungsgemäß führen zu können, muss der Kläger in der Lage sein, sämtliche Pflegezeiten, zu deren Übernahme er sich in Pflegeverträgen mit Patienten verpflichtet hat, auch abzudecken. Um dies sicherstellen zu können, beschäftigte der Kläger im streitigen Zeitraum ca. 40 festangestellte Pflegefachkräfte, denen er die Einsatzzeiten nach den Bedürfnissen seines Betriebs vorgeben konnte. Über die Einsatzzeiten der Beigeladenen konnte der Kläger nicht in dieser Weise zeitlich verfügen. Das bedeutet, dass er kein bestimmtes Zeitkontingent der Beigeladenen bei der Pflegedienstplanung einkalkulieren konnte. Erst dann, wenn die Beigeladene verfügbare Zeiten meldete, konnte er sie in die Planung der Dienste einbeziehen. Die Tatsache, dass die Beigeladene, sobald sie einen Pflegeauftrag angenommen hatte, namentlich im Dienstplan aufgeführt wurde, reicht nicht aus, um eine Eingliederung in die betriebliche Organisation im Sinne von § 7 SGB IV zu bejahen. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick darauf, dass die Beigeladen unter keinem sonstigen Aspekt in die betriebliche Organisation eingebunden war. Sie nahm nicht an Dienstbesprechungen des Klägers teil und ebensowenig an Fortbildungsveranstaltungen, an denen die angestellten Pflegefachkräfte durchaus teilzunehmen hatten. Organisatorische Tätigkeiten übte die Beigeladene für den Kläger nicht aus. Sie trug auch keine Dienstkleidung des Klägers und trat den Patienten gegenüber nicht als dessen Angestellte auf. Ferner wurde der Beigeladenen klägerseits auch keinerlei Arbeitsmaterial zur Verfügung gestellt. Die Anfahrtswege zum Patienten bewältigte die Beigeladene mit dem eigenen PKW, dessen Anschaffungs- und Betriebskosten sie selbst trug. Dies ist nicht gleichzusetzten mit einem Angestellten, der den Weg zum Arbeitgeber vor und nach Beginn seiner Dienstzeit mit einem eigenen PKW zurücklegt. Denn vorlie-gend geht es nicht um den Anfahrts Weg zum Betrieb des Arbeitgebers, sondern um den Anfahrts Weg zu den jeweiligen Einsatzorten, der Teil der geschuldeten Tätigkeit ist, und den Angestellte üblicherweise mit einem Firmenfahrzeug, dessen Betriebskosten der Arbeitgeber trägt, zurücklegen.
Auch die Tatsache, dass die Beigeladene im Falle ihrer kurzfristigen Verhinderung, einen übernommenen Auftrag auszuführen, selbst in der Verantwortung gestanden hätte, eine Ersatzkraft zu organisieren, zeigt, dass sie nicht in die betriebliche Organisation des Klägers eingegliedert war. Denn im Falle ihrer Eingliederung hätte der Kläger einen kurzfristigen Ausfall der Beigeladenen im Rahmen seiner Dienstplanung selbst kompensieren müssen.
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist das erkennende Gericht auch der Auffassung, dass die Beigeladene durchaus ein Unternehmerrisiko zu tragen hatte. Dieses Risiko ergibt sich daraus, dass die Beigeladene Investitionen, etwa für die Anschaffung des PKW und des Notebooks, tätigen musste, um ihre Tätigkeit anbieten zu können, ohne dass sie sicher sein konnte, Aufträge zu erhalten, aus denen sie Einnahmen erzielen konnte. Auch laufende Kosten hatte sie zu tragen, etwa die Unterhaltskosten für den PKW und die Bei-träge zur Berufshaftpflichtversicherung. Auch innerhalb eines angenommenen Auftrages trug die Beigeladene ein Unternehmerrisiko, nämlich das Ausfallrisiko in dem Falle, dass eine vereinbarte Pflegeleistung doch nicht benötigt wurde, sei es bei Krankenhausaufenthalt des Patienten oder im Falle seines Todes. Konnte die Beigeladene einen vereinbarten Dienst aus solchen Gründen nicht erbringen, so hatte sie auch keinen Anspruch auf Vergütung. Dieses Ausfallrisiko, das der Kläger für seine Angestellten trug, trug vorliegend die Beigeladene.
Das Gericht verkennt nicht, dass das Unternehmerrisiko der Beigeladenen nicht groß war angesichts der Tatsache, dass sie keine großen Anschaffungen machen musste, um die Pflegetätigkeit ausüben zu können. Daraus kann jedoch in einer Dienstleistungsbranche, die keine nennenswerten Investitionen verlangt, nicht der Schluss gezogen werden, es liege keine selbständige Tätigkeit vor. Von Bedeutung wäre dies nur dann, wenn jemand die erforderlichen Investitionen für eine selbständige Tätigkeit nicht selbst tätigte, sondern ihm aufwändige Arbeitsmittel, Gerätschaft oder Infrastruktur vom Auftraggeber zur Verfü-gung gestellt würde. Dies ist hier nicht der Fall.
Auch das Argument der Beklagten, der Kläger habe die fachliche Verantwortung für die Pflegeleistung allein getragen, verfängt nicht. Hätte die Beigeladene ihre Pflichten bei der Pflege verletzt, wäre durchaus ihre Haftung für Schäden in Betracht gekommen. Gerade für diesen Fall hatte sie eine Berufshaftpflichtversicherung abgeschlossen.
Der Beurteilung als selbständige Tätigkeit steht auch der Beschluss des BSG vom 17.03.2015 (Az.: B 3 P 1/15 B), auf den sich die Beklagte in der mündlichen Verhandlung berufen hat, nicht entgegen. Zwar wird hier ausgeführt, dass ein Pflegedienst im Sinne von § 71 Abs. 1 SGB XI Leistungen der häuslichen Pflege nicht durch Personen erbringen dürfe, die außerhalb eines Anstellungsverhältnisses tätig sind. Leistungen solcher Personen könnten demgemäß nicht als eigene Leistungen eines Pflegedienstes abgerechnet werden. Diese Erwägungen des 3. Senats könne sich allein auf das Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und den Krankenkassen beziehen, mit denen er einen Versorgungs-vertrag geschlossen hat. Die Tatsache, dass nach Ansicht des 3. Senates des BSG eine Abrechnung gegenüber der Kasse ausgeschlossen sei, wenn eine selbständige Pflegekraft eingesetzt wird, führt nicht dazu, dass ein vertragliches Verhältnis zwischen Selbständigen als Beschäftigungsverhältnis anzusehen wäre, sondern möglicherweise eben dazu, dass die fraglichen Leistungen gegenüber einer Krankenkasse nicht abgerechnet werden können.
Insgesamt erachtet das erkennende Gericht daher die streitige Tätigkeit als selbständige Tätigkeit (entgegen Urteil des 7. Senates des BayLSG vom 16.07.2015, Az.: L 7 R 978/12 in einem ähnlich gelagerten Fall; entsprechend Urteilen des 11. Senats des LSG Baden- Württemberg vom 23.04.2015, Az.: L 11 R 3224/14 und vom 19.04.2016, Az.: L 11 R 3476/15). Berücksichtigt hat das Gericht dabei auch die Regelung des § 2 S. 1 Nr. 2 SGB VI. Hier hat der Gesetzgeber die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung normiert für selbständig tätige Pflegepersonen, die in der Kranken-, Wochen-, Säuglings- oder Kinderpflege tätig sind und im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen. Aus dieser Vorschrift ist ersichtlich, dass der Gesetzgeber ausdrücklich davon ausgeht, dass Krankenpfleger in einer eigenverantwortlichen Tätigkeit auf Grund ärztlicher Verordnung selbständig sein können. Würde man die Maßstäbe der Beklagten zu Grunde legen, bliebe für § 2 S. 1 Nr. 2 SGB VI kaum ein Anwendungsbereich. Dies liefe dem Willen des Gesetzgebers zuwider.
Nach allem waren die angefochtenen Bescheide somit aufzuheben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.