Aktenzeichen L 6 R 332/14
SGG SGG § 160 Abs. 2
Leitsatz
1 Um eine Besserstellung des fremdrentenberechtigten Personenkreises gegenüber den in der Bundesrepublik Deutschland rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmern zu vermeiden, muss eine höhere Beitragsdichte bezüglich etwaiger Fremdrentenzeiten jeweils im Einzelfall nachgewiesen werden. (redaktioneller Leitsatz)
2 Es darf kein vernünftiger, in den Umständen des Einzelfalles begründeter Zweifel daran bestehen, dass die geltend gemachten Beitrags- und Beschäftigungszeiten ohne schädliche Unterbrechungstatbestände zurückgelegt worden sind. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
S 30 R 151/12 2014-01-16 Urt SGMUENCHEN SG München
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 16. Januar 2014 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist nicht begründet.
Zutreffend haben die Beklagte wie auch das SG die Anerkennung der in Ungarn zurückgelegten Beschäftigungszeiten im Umfang von 6/6 abgelehnt. Nach § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 1 Buchst. a Fremdrentengesetz (FRG) stehen bei einem anerkannten Vertriebenen – wie vorliegend dem Kläger – die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegten Beitragszeiten inländischen Beitragszeiten gleich. Für die Feststellung derartiger Beitragszeiten genügt es gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 FRG, dass sie glaubhaft gemacht werden. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist, § 4 Abs. 1 Satz 2 FRG. Allerdings findet nach § 22 Abs. 3 FRG in der hier anzuwendenden, ab 1. Januar 1992 geltenden Fassung bei lediglich glaubhaft gemachten Beitrags- oder Beschäftigungszeiten eine wertmäßige Kürzung der zu ermittelnden Entgeltpunkte auf 5/6 statt. Die Kürzung beruht auf der durch statistische Untersuchungen gewonnenen Erfahrung, dass auch die durchschnittliche Beitragsdichte im Bundesgebiet (nur) diesem Umfang entspricht (BSG SozR 5050 § 15 Nrn. 4 und 16 m.w.N.).
Um eine Besserstellung des fremdrentenberechtigten Personenkreises gegenüber den in der Bundesrepublik Deutschland rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmern zu vermeiden, muss daher eine höhere Beitragsdichte bezüglich etwaiger Fremdrentenzeiten jeweils im Einzelfall nachgewiesen werden. Der Nachweis im Sinne eines Vollbeweises ist regelmäßig erst dann geführt, wenn für das Vorliegen der behaupteten rechtserheblichen Tatsachen ein derart hoher, an Gewissheit grenzender Grad von Wahrscheinlichkeit spricht, dass sämtliche begründeten Zweifel demgegenüber aus der Sicht eines vernünftigen, die Lebensverhältnisse klar überschauenden Menschen vollständig zu schweigen haben (vgl. BSGE 6, 144; 20, 255; Bayer. LSG, vom 26.07.2006, Az.: L 16 R 100/02 m.w.N.).
Es darf danach vorliegend kein vernünftiger, in den Umständen des Einzelfalles begründeter Zweifel mehr daran bestehen, dass die geltend gemachten Beitrags- und Beschäftigungszeiten ohne schädliche Unterbrechungstatbestände zurückgelegt worden sind. Nachgewiesen sind tatsächliche Beitragszeiten allerdings nicht bereits dann, wenn lediglich Anfang und Ende des jeweiligen Zeitraums einer beitragspflichtigen Beschäftigung genau bekannt sind. Vielmehr muss auch feststehen, dass währenddessen keine Ausfalltatbestände (krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit, unbezahlter Urlaub, unentschuldigte Fehlzeiten etc.) eingetreten sind, die zu einer – wenn auch nur vorübergehenden – Unterbrechung der Beitragsentrichtung geführt haben können. Das Gericht muss hierbei aufgrund konkreter und glaubhafter Angaben über den Umfang der Beschäftigungszeiten und der dazwischen liegenden Ausfallzeiten davon überzeugt sein, dass im Einzelfall eine den Anteil von 5/6 übersteigende höhere Beitragsdichte erreicht worden ist. Es müssen den vorgelegten Unterlagen daher die jeweiligen Unterbrechungszeiträume genau zu entnehmen sein bzw. es muss eindeutig feststehen, dass eine bestimmte Beschäftigungszeit tatsächlich nicht unterbrochen gewesen ist (vgl. BSGE 38, 80; BSG vom 24.07.1980, Az.: 5 RJ 38/79; BSG vom 20.08.1974, Az.: 4 RJ 241/73; LSG Hessen vom 28.03.2008, Az.:L 5 R 32/07)
Die vielfältige, zur Frage des Nachweises von in Rumänien zurückgelegten FRG-Zeiten ergangene Rechtsprechung hat weiter zur Voraussetzung für den Nachweis einer über 5/6 liegenden Beitragsdichte erhoben, dass vorgelegte Nachweise auch Angaben darüber enthalten müssen, aus welchen noch vor Ort in den Betrieben oder sonstigen Archiven vorgehaltenen Unterlagen die jeweiligen Angaben über geleistete Arbeitstage entnommen wurden. Um die im Rahmen des zu erbringenden Vollbeweises erforderliche Plausibilitätsprüfung einer über 5/6 liegenden Beitragsdichte durchführen zu können, ist weiter zu fordern, dass die vorgelegten Bestätigungen monats- bzw. jahresbezogene Angaben über die jeweilige Zahl der Arbeitstage (ggf. unter Berücksichtigung gesetzlicher Feiertage) sowie sämtlicher Absenzen enthalten. Um eine Kongruenz zwischen der Anzahl der Arbeitstage insgesamt und den tatsächlichen Anwesenheitszeiten feststellen bzw. mögliche Widersprüche mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen zu können, sind zudem valide Angaben über Beginn und Ende aller Unterbrechungszeiträume erforderlich. Für den Beweiswert von Lohn- und Gehaltslisten und der auf ihrer Grundlage erstellten Bescheinigungen ist insoweit von Bedeutung, dass auch das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen sowie der Umfang bezahlter Abwesenheiten wie gesetzlicher Urlaub (unter Angabe des individuellen Urlaubsanspruchs), Fortbildungen, Dienstbefreiungen, Krankheitstage mit/ohne Lohnfortzahlung etc. ausgewiesen werden (vgl. Urteil des Senats vom 14.07.2012, Az.: L 6 R 421/11).
Diesen Ansprüchen genügen die vom Kläger vorgelegten Unterlagen nicht. Dies ergibt sich bereits aus den Besonderheiten des in der streitigen Zeit in Ungarn geltenden Sozialversicherungsrechts. In Ungarn wurden Beitragszeiten im Versicherungsverlauf für jedes einzelne Jahr in Tagen ausgewiesen. So brauchte zum Beispiel eine Arbeitsunterbrechung wegen Mutterschaft (bis zu drei Jahren) in einem ungarischen Arbeitsbuch nicht vermerkt zu werden. Auch kannte das ungarische Recht Sachverhalte von Arbeitsunfähigkeitszeiten, die dem deutschen Recht fremd sind und deshalb nicht gleichgestellt werden können. Konkrete Fehlzeiten waren – außer bei Bestehen einer eigenen Betriebsbeihilfekasse – weder durch den Arbeitgeber noch durch den Sozialversicherungsträger im Arbeitsbuch nebst Anlagen auszuweisen (vgl. hierzu LSG Hessen, Urteil vom 14.08.2012, Az.: L 2 R 85/11 m.w.N.).
Ausgehend von diesen Prämissen können die vom Kläger zurückgelegten ungarischen Beitragszeiten zwar als glaubhaft gemacht, nicht aber als nachgewiesen angesehen werden. Den vom Kläger vorgelegten Auszügen aus den Arbeitsbüchern wie auch den Bescheinigungen seiner Arbeitgeber kann alleine entnommen werden, dass der Kläger in Ungarn zu bestimmten Zeiten bei verschiedenen Arbeitgebern in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden hat und dass er grundsätzlich der Beitragspflicht zur dortigen Rentenversicherung unterlag. Dies schließt hingegen nicht aus, dass in die bescheinigten Anstellungszeiten auch Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit oder einer sonstigen Arbeitsunterbrechung gefallen sind, die aufgrund der Regelungen des ungarischen Sozialversicherungsrechts als durchgehende Versicherungszeit anerkannt wurden. Der Nachweis einer lückenlosen tatsächlichen Beitragsentrichtung während der gesamten bestätigten Zeiten kann mit den Angaben aus dem Arbeitsbuch damit regelmäßig nicht geführt werden. Dieses kann grundsätzlich nur als Mittel der Glaubhaftmachung angesehen werden (vgl. LSG Hessen a.a.O.). Eine fehlende Unterbrechung der einzelnen Beschäftigungsverhältnisse kann auch aus dem Versicherungsverlauf des ungarischen Rentenversicherungsträgers nicht im Sinne des erforderlichen Vollbeweises abgeleitet werden, da dieser nur Versicherungszeiten (einschließlich Hochschulausbildungszeiten) nach ungarischem Recht bescheinigt. Die insoweit für die jeweiligen Arbeitsverhältnisse bestätigten Beschäftigungszeiten enthalten insbesondere keine Angaben über die konkrete Zahl der Arbeitstage mit Angaben des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und unter Abzug der tatsächlich genommenen Urlaubstage. Auch weitere Angaben zu Krankheits-, Fortbildungs- und sonstigen Abwesenheitszeiten sind nicht enthalten. Vielmehr entsprechen die Angaben genau der Anzahl der jeweiligen Kalendertage einschließlich der Wochenenden. Dass aber an sämtlichen Wochenenden – wie im Übrigen auch in dem Kläger zustehenden Jahresurlaub – gearbeitet worden sein soll, ist offensichtlich ausgeschlossen.
Die Berufung wird demnach mit der Kostenfolge des § 193 SGG zurückgewiesen.
Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 Ziff. 1 und 2 SGG bestehen nicht.