Aktenzeichen B 5 K 16.246
Leitsatz
1 Der Kläger darf als Beamter auf Lebenszeit nur dann in den Ruhestand versetzt werden, wenn zum maßgeblichen Zeitpunkt – dem Tag des Erlasses des Widerspruchsbescheids – auch die Dienstunfähigkeit für eine anderweitige Verwendung gegeben gewesen wäre. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2 Als weitere Tatbestandsvoraussetzung verlangt das Gesetz eine zum Zeitpunkt des Erlasses der Zurruhestandsversetzungsverfügung in die Zukunft gerichtete Prognose, dass keine Aussicht auf auf volle Wiederherstellung der Dienstfähigkeit des Beamten innerhalb der kommenden sechs Monate besteht. (Rn. 1) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Ruhestandsversetzung muss jedenfalls als ermessensfehlerhaft angesehen werden, weil der Dienstherr gehalten gewesen wäre, der Frage der wiedergewonnenen Dienstfähigkeit des Klägers für die Durchführung der Umschulung in den allgemeinen Polizeidienst näher nachzugehen und ggf. eine erneute polizeiärztliche Begutachtung durchzuführen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Der Bescheid vom 9. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. März 2016 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Hinzuziehung des Bevollmächtigten im Widerspruchsver-fahren wird für notwendig erklärt.
4. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 115 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 v.H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg. Die streitgegenständliche Zurruhesetzungsverfügung erfolgte rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten aus seinem Beamtenverhältnis. Die Zurruhesetzungsverfügung war daher gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzuheben.
1. Eine Dienstunfähigkeit des Klägers im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) zum Zeitpunkt des Erlasses der Zurruhesetzungsverfügung konnte nicht festgestellt werden, so dass sich diese als rechtswidrig erweist. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG ist der Beamte auf Lebenszeit in den Ruhestand zu versetzen, wenn er wegen des körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung der Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig) ist. Nach § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG kann als dienstunfähig auch angesehen werden, wer infolge Erkrankung innerhalb von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat, wenn keine Aussicht besteht, dass innerhalb weiterer sechs Monate die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist. Nach § 44 Abs. 1 Satz 3 BBG wird in den Ruhestand nicht versetzt, wer anderweitig verwendbar ist. Maßgeblich für die Beurteilung der Frage der Dienstfähigkeit ist dabei der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (st. Rspr. vgl. nur: BVerwG, U.v. 26.3.2009 – 2 C 73.08 – BverwGE 133, 297/299; vgl. auch: BeckOK, VwGO, § 113 Rn. 22 m.w.N.), hier also der Zeitpunkt des Erlass des Widerspruchsbescheids am 03.03.2016. Aus dem Zusammenspiel der Regelungen der einzelnen Sätze des § 44 Abs. 1 BBG und dem zu Grunde liegenden Leitgedanken „Rehabilitierung vor Versorgung“ (BVerwG, U.v. 20.03.2009, a.a.O., S. 302; vgl. auch: BeckOK, BBG, § 44 Rn. 1 ff.) folgt zudem, dass der Kläger als Beamter auf Lebenszeit dann nur in den Ruhestand hätte versetzt werden dürfen, wenn zum maßgeblichen Zeitpunkt – dem 03.03.2016 – auch die Dienstunfähigkeit für eine anderweitige Verwendung gegeben gewesen wäre. Gemessen an diesen Maßstäben lag beim Kläger keine Dienstunfähigkeit im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG vor (hierzu unter a.). Von einer Dienstunfähigkeit im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG kann ebenfalls nicht ausgegangen werden (hierzu unter b.). Jedenfalls kann aber die streitgegenständliche Zurruhesetzungsverfügung zumindest wegen nicht rechtskonformer Ermessensausübung (hierzu unter c.) keinen Bestand haben.
a) Eine Dienstunfähigkeit im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG lässt sich schon alleine auf Basis des der Zurruhesetzungsverfügung zu Grunde gelegten sozialmedizinischen Gutachtens des polizeiärztlichen Diensts vom 14.10.2014 nicht feststellen. Denn zumindest wird eine anderweitige Verwendung außerhalb des Polizeivollzugsdiensts in der Laufbahn des allgemeinen Verwaltungsdiensts des Bundes (vgl. § 44 Abs. 2 Satz 1 BBG) als möglich angesehen. Dem Kläger wird hierfür eine, wenn auch eingeschränkte, gesundheitliche Eignung attestiert. Ebenfalls wird eine gesundheitsfördernde Wirkung einer solchen Verwendung zumindest in den Raum gestellt. Freilich weist das Gutachten auch auf die Notwendigkeit einer schonenden Wiedereingliederung hin und lässt damit verbundene Zweifel am Erfolg der Wiedereingliederung zu; diesen Aspekt hat die Beklagtenvertreterin in der mündlichen Verhandlung unter Hinweis auf den medizinischen Teil des Gutachtens (Bl. 195 der Behördenakte) thematisiert. Schließlich führt das Gutachten auch aus, dass noch nicht absehbar sei, ob eine heimatferne Verwendung des Klägers auch für eine für den Wechsel in den allgemeinen Verwaltungsdienst erforderliche „Umschulung“ in den nächsten zwölf Monaten erfolgen könne. Dabei ist aber zu beachten, dass sich diese Prognose für zwölf Monate auf den Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens am 14.10.2014 bezieht und daher sich nur auf den Zeitraum bis Oktober 2015 erstreckt.
Im Ergebnis lässt sich jedenfalls aus den Aussagen des Gutachtens nicht der Schluss ableiten, dass im Zeitpunkt des Ergehens der Zurruhesetzungsverfügung am 09.12.2015 und des entsprechenden Widerspruchsbescheids am 03.03.2016 auf Grund des körperlichen Zustands oder aus gesundheitlichen Gründen eine dauernde Unfähigkeit des Klägers festgestellt war, die Dienstpflichten im Rahmen einer anderweitigen Verwendung in der Laufbahn des allgemeinen Verwaltungsdiensts des Bundes erfüllen zu können. Vielmehr weist das Gutachten deutlich darauf hin, dass mit fortschreitender Zeit eine gesundheitliche Genesung des Klägers zu erwarten ist, die eine Verwendung des Klägers im allgemeinen Verwaltungsdienst dem Grunde nach ermöglichen würde.
b) Auch eine Dienstunfähigkeit des Klägers im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG kann zum maßgeblichen Zeitpunkt des 03.03.2016 nicht festgestellt werden. Zwar war der Kläger zum Ende seiner aktiven Dienstzeit am 31.12.2015 bereits seit über vier Jahren krankgeschrieben, was die von § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG normierte Tatbestandsvoraussetzung einer mindestens dreimonatigen Erkrankung innerhalb der letzten sechs Monate vor der Ruhestandsversetzung bei Weitem übertrifft.
Das Gesetz verlangt jedoch als weitere Tatbestandsvoraussetzung eine zum Zeitpunkt des Erlasses der Zurruhesetzungsverfügung in die Zukunft gerichtete Prognose, dass keine Aussicht auf volle Wiederherstellung der Dienstfähigkeit des Beamten innerhalb der kommenden sechs Monate besteht. Dies kann hier aber nicht angenommen werden. Das sozialmedizinische Gutachten des polizeilichen Dienstes vom 14.10.2014 trifft nur eine Aussage zu den nächsten zwölf Monaten ab seiner Erstellung. Damit ist nicht dargelegt, dass im Zeitpunkt des Erlasses der Zurruhesetzungsverfügung am 09.12.2015 und erst recht bei Erlass des Widerspruchsbescheids am 03.03.2016 eine derartige Negativprognose für die künftige gesundheitliche Entwicklung des Klägers gestellt werden konnte. Gegen das Vorliegen einer solchen „Negativprognose“ spricht zudem die vom Kläger im Rahmen des Widerspruchsverfahrens vorgelegte privatärztliche Stellungnahme der Sozialstiftung … vom 23.12.2015. Auch wenn einer privatärztlichen Stellungnahme regelmäßig nicht der Beweiswert einer amtsärztlichen Begutachtung zugemessen wird, bestätigt diese jedoch die bereits dem sozialmedizinischen Gutachten des polizeiärztlichen Dienstes vom 14.10.2014 zu entnehmende Erwartung einer sich entwickelnden gesundheitlichen Besserung beim Kläger. Insoweit decken sich das polizeiärztliche Gutachten und die privatärztliche Stellungnahme, wobei letztere außerdem die zusätzliche Aussage enthält, der Kläger sei ab dem Jahr 2016 wieder gesundheitlich für die „Umschulung“ in den allgemeinen Verwaltungsdienst in der Lage. Dies steht aber nicht im Widerspruch zum polizeiärztlichen Gutachten, das lediglich Zweifel für den Zeitraum bis Oktober 2015 an einer gesundheitlichen Genesung des Klägers für die „Umschulung“ angeführt hat, so dass die privatärztliche Stellungnahme eine durchaus plausible Aussage trifft.
Angesichts des bereits oben erwähnten Leitgedankens der Regelungen des BBG über die vorzeitige Ruhestandsversetzung aus gesundheitlichen Gründen – Rehabilitation vor Versorgung – kann auch die hier vorliegende sehr lange andauernde Erkrankung des Klägers vor dem Erlass der Zurruhesetzungsverfügung nicht dazu führen, dass die Notwendigkeit einer Prognose für die gesundheitliche Entwicklung in den ersten sechs Monaten nach der Ruhestandsversetzung entfallen oder auch nur verkürzt werden könnte. Denn es ist der Sinn und Zweck dieser Regelung, nur diejenigen Beamten in den Ruhestand zu versetzen, bei denen für eine Rehabilitation und Rückkehr in den aktiven Dienst innerhalb des absehbaren Zeitraums von sechs Monaten keine Aussicht auf Erfolg besteht. Aus dem Umstand einer länger andauernden Krankheitsphase alleine kann aber noch keine tragfähige Aussage darüber getroffen werden, wie die gesundheitliche Entwicklung bei einem Betroffenen innerhalb der nächsten sechs Monate sein wird, da es immer möglich ist, dass auch nach langer Krankheitsdauer eine Genesung erfolgt oder absehbar ist (vgl. BeckOK, BBG, § 44 Rn. 11). Der Dienstherr wird durch diese Regelung einer stets vorzunehmenden Prognose der gesundheitlichen Entwicklung des Beamten auch nicht unangemessen belastet oder hat langandauernde Erkrankungen tatenlos hinzunehmen. Vielmehr ist der Dienstherr gehalten, bei vermutlich länger andauernden Erkrankungen zeitnah – ggf. schon nach Ablauf der gesetzlichen Mindestfrist von drei Monaten – zu prüfen, ob eine Aussicht für eine Wiederherstellung der Dienstfähigkeit des Beamten innerhalb des Prognosezeitraums von sechs Monaten besteht. Sofern dies nicht der Fall ist, ist der Dienstherr gehalten, zeitnah nach pflichtgemäßem Ermessen über die Ruhestandsversetzung des Beamten zu entscheiden, so dass im Zeitpunkt des Erlasses der Zurruhesetzungsverfügung die durchgeführte medizinische Begutachtung noch eine ausreichende Prognose für die künftige gesundheitliche Entwicklung des Beamten ermöglicht.
c) Die Ruhestandsversetzung des Klägers muss jedenfalls als ermessensfehlerhaft angesehen werden, so dass sie sich auch alleine aus diesem Grund als rechtswidrig erweist. Wegen der auszuschließenden dauernden Dienstunfähigkeit des Klägers im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG könnte sich die Zurruhesetzungsverfügung allenfalls auf den Dienstunfähigkeitsbegriff des § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG stützen. Will ein Dienstherr aber letzteren einer Ruhestandsversetzung zu Grunde legen, hat er insoweit nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob er eine Dienstunfähigkeit annimmt und eine Zurruhesetzungsverfügung ausspricht (vgl. Battis, Kommentar zum BBG, § 44 Rn. 7). Hier hätte die Beklagte dann aber jedenfalls alle Belange, d.h. auch die für den Kläger günstigen Umstände (vgl. § 24 Abs. 2 VwVfG) bei der Ermessensentscheidung berücksichtigen müssen. Auf Grund des vom Kläger vorgelegten Attests der Sozialstiftung … vom 23.12.2015 wäre die Beklagte gehalten gewesen, der Frage der wiedergewonnenen Dienstfähigkeit des Klägers für die Durchführung der „Umschulung“ in den allgemeinen Verwaltungsdienst näher nachzugehen und ggf. eine erneute polizeiärztliche Begutachtung durchzuführen, zumal im vorliegenden polizeiärztlichen Gutachten vom 14.10.2014 hierfür nur für den Zeitraum bis Oktober 2015 eine Aussage enthalten war. Da diesem Umstand von der Beklagten aber nicht nachgegangen wurde, entspricht das von der Beklagten ausgeübte Ermessen nicht den gesetzlichen Anforderungen an eine Ermessensausübung (§ 40 VwVfG).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als unterliegende Beteiligte hat die Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Die Zuziehung des Bevollmächtigten des Klägers zum Widerspruchsverfahren war gem. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig zu erklären. Angesichts der Bedeutung der Sache für den Kläger – Ausscheiden aus dem aktiven Dienst und „zwangsweise“ Eintritt in den Ruhestand – konnte der Kläger auch bereits im Widerspruchsverfahren die Unterstützung durch einen Rechtsanwalt in Anspruch nehmen. Bei Angelegenheiten dieser Tragweite für die eigene Lebensgestaltung kann einem Betroffenen nicht zugemutet werden, ein Widerspruchsverfahren ohne professionelle Hilfe zu führen.
4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 Sätze 1 und 2, § 709 Satz 2 ZPO.