Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf vorläufige Zulassung zum Studiengang Humanmedizin

Aktenzeichen  M 3 E 16.18127

Datum:
14.2.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 143537
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
HZV Nr. 2
VwGO § 123
HZV § 51 Abs. 2 Nr. 4, § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1

 

Leitsatz

1 Im Hinblick auf die Ausschöpfung der Ausbildungskapazität ist es unerheblich, wenn abweichend von den einzelnen Zulassungszahlen im Wintersemester und im Sommersemester jeweils eine gegenüber der festgesetzten Zulassungszahl erhöhte bzw. verringerte Zahl von Studierenden immatrikuliert werden. Denn für die Ausschöpfung der Ausbildungskapazität ist allein maßgebend, dass in der Summe beider Vergabetermine die Gesamtzulassungszahl der Studienplätze an Studierende vergeben wird (ebenso BayVGH BeckRS 2015, 56217). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Wird von der Antragspartei kein konkreter Einwand gegen einzelne, in die Kapazitätsberechnung eingestellte Werte erhoben, ist das Gericht auch unter dem Gesichtspunkt der Gewährung eines dem Art. 19 Abs. 4 GG genügenden Rechtsschutzes nicht zu einer umfassenden Überprüfung der der Festsetzung der Zulassungszahl zu Grunde liegenden Kapazitätsberechnung verpflichtet. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragspartei hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragspartei beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, sie vorläufig im Studiengang Humanmedizin, 1. klinisches Fachsemester, an der …Universität (…) gemäß der Sach- und Rechtslage des Wintersemesters 2016/17 zuzulassen.
Zur Begründung lässt sie vortragen, die … habe die vorhandene Kapazität nicht ausgeschöpft.
Der Antragsgegner hat mit Schreiben vom 13. Dezember 2016 beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Es sei kein Zulassungsanspruch glaubhaft gemacht worden. Die Kapazität im Studiengang Medizin, 2. Studienabschnitt, sei überbucht.
Die … hat in § 1 Abs. 1 ihrer Satzung über die Festsetzung von Zulassungszahlen für die im Studienjahr 2016/17 als Studienanfängerinnen und Studienanfänger sowie in höhere Fachsemester aufzunehmenden Bewerberinnen und Bewerber (Zulassungszahlsatzung 2016/17) vom 14. Juli 2016 in Verbindung mit der Anlage für das 1. Fachsemester des Studiengangs Medizin, 2. Studienabschnitt, 217 Studienplätze für das Wintersemester 2016/17 und 216 Studienplätze für das Sommersemester 2017 festgesetzt.
Nach der Studierendenstatistik, Stand 13. Dezember 2016, sind im Wintersemester 2016/17 im 1. Fachsemester des Studiengangs Medizin, 2. Studienabschnitt, 382 Studierende immatrikuliert.
Das Gericht hat der Antragspartei die Stellungnahme der … vom 13. Dezember 2016 übersandt, die den Link zu der im Internet bereitgestellten Kapazitätsberechnung für den Studiengang Medizin (2. Studienabschnitt) enthält. Das Gericht gab der Antragspartei Gelegenheit, Stellung zu nehmen und insbesondere darzulegen, weshalb noch ein freier Studienplatz, an dessen Verteilung die Antragspartei zu beteiligen wäre, vorhanden sein sollte. Die Antragspartei äußerte sich innerhalb der vom Gericht hierfür eingeräumten Frist nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, insbesondere den vom Bayerischen Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst überprüften Datensatz für das Studienjahr 2016/17 Bezug genommen.
II.
Der gestellte Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO hat keinen Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert würde. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist eine Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn glaubhaft gemacht wird, dass die Regelung nötig erscheint, um den Antragsteller vor bestimmten Nachteilen zu bewahren. Der Antrag ist somit begründet, wenn insbesondere der prozessuale Anspruch auf Sicherung des Hauptsacheanspruchs besteht. Das ist der Fall, wenn der zu sichernde Anspruch des Antragstellers nach den Vorschriften des materiellen Rechts besteht (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO) gemacht wird. Trotzdem gilt auch in Verfahren nach § 123 VwGO der Amtsermittlungsgrundsatz; dieser kann die Anforderungen an die Glaubhaftmachung reduzieren, wenn sich nach den dem Gericht vorliegenden Unterlagen ein Anordnungsanspruch aufdrängt (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Auflage, § 123 Rn. 24).
Für das Vorliegen eines Anordnungsgrunds ist grundsätzlich Voraussetzung, dass dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Personen, ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung nicht zumutbar ist (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 123 Rn. 26). Hinsichtlich der Frage des Vorliegens eines Anordnungsanspruchs hat das Gericht die widerstreitenden privaten und öffentlichen Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen. Für diese Abwägung ist in erster Linie entscheidend, ob die Antragspartei mit einem Erfolg in einem Hauptsacheverfahren rechnen könnte. Insbesondere dann, wenn mit einer – sei es auch nur befristeten – Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Hauptsache bereits vorweggenommen würde, muss der Erfolg in der Hauptsache jedoch nicht nur wahrscheinlich sein, sondern bejaht werden können.
Die Antragspartei hat zwar einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, d.h. die Dringlichkeit des Begehrens, bereits vor Abschluss eines Hauptsacheverfahrens wenigstens vorläufig zum nächstmöglichen Termin zum Studiengang Medizin (Klinik) an der … nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2016/17 zugelassen zu werden.
Die Antragspartei hat jedoch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Kammer sieht es – nach der im gebotenen Rahmen vorgenommenen Überprüfung der Kapazitätsberechnung von Amts wegen – nicht als überwiegend wahrscheinlich an, dass an der … im 1. Fachsemester des 2. Studienabschnitts des Studiengangs Medizin im Wintersemester 2016/17 noch ein weiterer Studienplatz vorhanden ist, der von der Antragspartei in Anspruch genommen werden könnte.
Das Gericht hat im Rahmen der von ihm von Amts wegen vorgenommenen Überprüfung für das Studienjahr 2016/17 keine höhere als die festgesetzte Kapazität von insgesamt 433 Studienplätzen festgestellt. Diese jährliche Aufnahmekapazität ist nach der Praxis der … auf beide Termine des Studienbeginns gleichmäßig aufzuteilen, wobei ein ungerader Studienplatz regelmäßig dem Wintersemester zugeordnet wird. Die danach auf das Wintersemester 2016/17 entfallende Aufnahmekapazität von 217 Studienplätzen ist mit den bereits immatrikuliert 382 Studierenden bereits vollständig erschöpft und sogar weit überbucht.
Einwände gegen die Annahme der kapazitätsdeckenden Vergabe der 382 Studienplätze im Wintersemester 2016/17 wurden nicht erhoben. Im Hinblick auf die Ausschöpfung der Ausbildungskapazität ist es unerheblich, wenn die … abweichend von den einzelnen Zulassungszahlen im Wintersemester und im Sommersemester jeweils eine gegenüber der festgesetzten Zulassungszahl erhöhte bzw. verringerte Zahl von Studierenden im 1. klinischen Fachsemester immatrikuliert hat. Denn für die Ausschöpfung der Ausbildungskapazität ist allein maßgebend, dass in der Summe beider Vergabetermine die Gesamtzulassungszahl der Studienplätze an Studierende vergeben wird (BayVGH, B.v. 5.11.2015 – 7 CE 15.10362 u.a. – juris Rn. 12).
Das Gericht hat im Rahmen seiner – auch in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bestehenden – Amtsermittlungspflicht (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO) die der Festsetzung der Zulassungszahl zugrunde liegende Kapazitätsberechnung angefordert und der Antragspartei – nebst der von der … hierzu abgegebenen Stellungnahme – zugänglich gemacht. Einen konkreten Einwand gegen einzelne in die Kapazitätsberechnung eingestellte Werte hat die Antragspartei nicht erhoben; erst recht wurde nicht in rechnerisch nachvollziehbarer Weise vorgetragen, weshalb noch ein weiterer Studienplatz vorhanden sein sollte, an dessen Verteilung – nach den vom Gericht hierfür anzuwendenden Kriterien – die Antragspartei zu beteiligen wäre.
Das Gericht würde nur dann seine Aufklärungspflicht verletzen, wenn die Antrags- oder Klagepartei auf die Vornahme einer bestimmten Sachverhaltsaufklärung hingewirkt hätte, das Gericht sie aber gleichwohl unterlassen hätte, oder aber, wenn das Gericht eine weitere Sachaufklärung unterlassen hätte, obwohl sie sich ihm auch ohne Hinwirken der Partei hätte aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, B.v.6.3.2015 – 6 B 41/14 – juris Rn. 26). Hingegen gibt es keine fallübergreifende, allgemeingültige Antwort auf die Frage, welchen Vortrag das Verwaltungsgericht vom Studienplatzkläger erwarten darf, bis es in eine Amtsprüfung eintritt oder die Darlegungslast der Hochschule auferlegt; dies hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab (BVerwG, B.v.6.3.2015 – 6 B 41/14 – juris Rn. 30). Zu einer umfassenden Überprüfung der der Festsetzung der Zulassungszahl zu Grunde liegenden Kapazitätsberechnung ist das Gericht daher auch unter dem Gesichtspunkt der Gewährung eines dem Art. 19 Abs. 4 GG genügenden Rechtsschutzes nicht verpflichtet. Hinsichtlich der inhaltlichen Nachprüfung von Kapazitätsberechnungen ist es vielmehr verfassungsrechtlich (nur) geboten, dass das Gericht auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes von seinem Erkenntnis- und Erfahrungsstand ausgehend die gegebenen Begründungen nachvollzieht, Streitpunkten entsprechend dem Stand der Rechtsprechung und öffentlichen Diskussion nachgeht sowie die Einwände der Prozessbeteiligten würdigt. Das Gericht muss daher die Kapazitätsunterlagen anfordern und der Antragspartei zugänglich machen sowie konkreten Hinweisen der Antragspartei auf eine zu gering berechnete Kapazität nachgehen (vgl. BVerfG, B.v. 31.3.2004 – 1 BvR 356 – BayVBl 2005, 240 Rn. 6). Derartige Einwände hat die Antragspartei jedoch nicht erhoben.
Das Gericht hat auch bei seiner von Amts wegen vorgenommenen Überprüfung keine Rechtsfehler der Kapazitätsberechnung festgestellt.
Im vorliegenden Berechnungszeitraum hat sich die Ausbildungskapazität des streitgegenständlichen Studiengangs gegenüber dem vorangegangenen Berechnungszeitraum zwar um 45 Studienplätze verringert. Diese Verringerung beruht jedoch nicht auf kapazitätsvernichtenden Entscheidungen der …, sondern auf dem Auslaufen der Zielvereinbarung zur vorübergehenden Erhöhung der Studienanfängerzahlen Humanmedizin für die Absolventen der doppelten Abiturjahrgänge zwischen dem Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, der … sowie der Technischen Universität München (TUM), wonach die … exklusiv für die drei Kohorten in den Studienjahren 2013, 2014 und 2015 (Wintersemester und darauffolgendes Sommersemester) 45 Studierende in den 2. Studienabschnitt aufzunehmen hatte.
Tatsächlich hätte sich nach der (regelmäßig maßgeblichen) patientenbezogenen Kapazität (§ 51 Abs. 2 Nr. 4, § 54 Abs. 2 HZV) nur eine Zahl von 423 Studienplätzen ergeben. Diese Zahl wurde jedoch an die patientenbezogenen Kapazität für das vorangegangene Studienjahr (433 Studienplätze) angeglichen und somit um 10 Studienplätze angehoben.
Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit der von der … bei der Berechnung der patientenbezogenen Kapazität zugrunde gelegten Zahlen sind nicht ersichtlich oder geltend gemacht worden. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in aktuellen Entscheidungen erneut bestätigt, dass die Regelung der patientenbezogenen Einflussfaktoren bei der Berechnung der Aufnahmekapazität für den klinischen Teil des Studiengangs Medizin unverändert sachgerecht ist (BayVGH, B.v. 26.7.2016 – 7 CE 16.10143 u.a. – juris Rn. 8 unter Bezugnahme auf BayVGH, B.v. 28.7.2014 – 7 CE 14.10038 u.a. – juris Rn. 15 f).
Das Gericht hat auch keinen Anlass für die Annahme, dass über die von der … in die Berechnung einbezogenen außeruniversitären Krankenanstalten auch in anderen Krankenhäusern Lehrveranstaltungen für den 2. Studienabschnitt auf Dauer durchgeführt würden.
Angesichts dieser bereits über der vorhandenen Kapazität festgesetzten Zulassungszahl, die im streitgegenständlichen Wintersemester 2016/17 erheblich überbucht ist, bestand für das Gericht im Rahmen des vorliegenden Verfahrens kein Anlass zu einer weiteren Überprüfung einzelner, der Kapazitätsberechnung zu Grunde liegender Parameter.
Der Antrag auf vorläufige Zulassung zum Studiengang Humanmedizin, 2. Studienabschnitt, außerhalb der festgesetzten Kapazität war daher abzulehnen.
Ob die Antragspartei des vorliegenden Verfahrens – sei es im Hauptantrag, sei es im Hilfsantrag – neben der vorläufigen Zulassung außerhalb der festgesetzten Kapazität auch die vorläufige Zulassung innerhalb der festgesetzten Kapazität beantragt hat, wirkt sich nicht entscheidungserheblich aus, da die festgesetzte Kapazität von 217 Studienplätzen mit 382 im regulären Vergabeverfahren zugelassenen und immatrikulierten Studierenden weit überbucht wurde.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO;
Streitwert: §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG, wobei eine etwa ergänzend beantragte auch innerkapazitäre Zulassung nach der ständigen Spruchpraxis des erkennenden Gerichts den Streitwert unverändert lässt, da es sich wirtschaftlich gesehen um ein- und denselben Streitgegenstand, nämlich die vorläufige Zulassung zum Studium der Zahnmedizin im Wintersemester 2016/17, handelt.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen