Aktenzeichen 10 ZB 16.1049
RL 2003/109/EG Art. 4 Abs. 1, Art. 7 Abs. 3
AufenthG § 25 Abs. 5, § 38a
Leitsatz
1. Aufgeworfene Fragen zum Umfang der sich aus § 86 Abs. 1 VwGO ergebenden gerichtlichen Ermittlungspflichten stellen keinen Zulassungsgrund zur Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO dar, wenn sie zum einen einer fallübergreifenden, rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich sind und zum anderen die Rechtsprechung bereits ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung dieser Fragen gibt. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Rüge, das Verwaltungsgericht habe den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt und damit gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) verstoßen, greift schon deswegen nicht als Rüge eines Verfahrensmangels iSv § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO durch, weil eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht grundsätzlich nicht geltend gemacht werden kann, wenn ein anwaltlich vertretener Kläger es in der mündlichen Verhandlung unterlassen hat, einen Beweisantrag zu stellen. (redaktioneller Leitsatz)
3. Selbst wenn es noch nicht der Fall gewesen sein sollte, dass in Griechenland bis zum Jahr 2011 überhaupt ein Daueraufenthaltsrecht-EG entsprechend Art. 7 Abs. 3 RL 2003/109/EG zuerkannt wurde, wäre der Tatbestand von § 38a AufenthG nicht schon deshalb als erfüllt anzusehen, da die Kläger zunächst aufgrund des ihnen nach der Daueraufenthalts-Richtlinie zustehenden unionsrechtlichen Anspruchs gegen den EU-Mitgliedsstaat, in dem diese Rechtsstellung erworben werden soll (hier: Griechenland), eine entsprechende positive Feststellung über ihre Rechtsstellung als langfristig Aufenthaltsberechtigte durch eine griechische Behörde hätten erwirken müssen. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 24 K 14.1817 2016-02-25 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.
Gründe
Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgen die Kläger, nigerianische Staatsangehörige, ihre in erster Instanz erfolglose Klage auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 38a AufenthG, hilfsweise nach § 25 Abs. 5 AufenthG weiter.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem Vortrag der Kläger, mit dem ohne ausdrückliche Bezugnahme auf einen der Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO geltend gemacht wird, im vorliegenden Fall stellten sich drei Fragen „von grundsätzlicher Bedeutung“, ergibt sich jedenfalls die Berufung auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. Nr. 3 VwGO). Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils werden dagegen nicht geltend gemacht. Das Zulassungsbegehren ist bezogen auf die nach § 38a AufenthG begehrten Aufenthaltstitel vor allem vor dem Hintergrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (1.) zu prüfen, während im Hinblick auf § 25 Abs. 5 AufenthG eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO; 2.) geltend gemacht wird. Keiner dieser Zulassungsgründe liegt vor.
Das Verwaltungsgericht hat einen Anspruch aus § 38a AufenthG für die im Jahr 2011 aus Griechenland in das Bundesgebiet eingereisten Kläger verneint, weil sich beide nur im Besitz nationaler griechischer Aufenthaltstitel befänden, die Klägerin zu 1 als Inhaberin eines unbefristeten und der Kläger zu 2, ihr am 25. November 1998 in Athen geborener Sohn, als Inhaber eines bis 25. November 2016 geltenden Aufenthaltstitels. Den Status von langfristig Aufenthaltsberechtigten-EG hätten sie nicht inne gehabt, wie sich aus der eindeutigen Aussage ergebe, die die beim griechischen Innenministerium angesiedelte Kontaktstelle per E-Mail am 22. September und 2. Oktober 2014 gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf dessen Anfrage hin gemacht habe. Die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG lägen nicht vor, weil keine Anhaltspunkte für eine tatsächliche oder rechtliche Unmöglichkeit der Rückkehr der Kläger nach Griechenland bestünden.
Die Kläger machen mit ihrem Zulassungsantrag geltend, es stellten sich drei Fragen von grundsätzlicher Bedeutung: die erste sei die nach der Reichweite der behördlichen Aufklärungspflicht in Fällen, in denen der Ausländer eine für ihn günstige Rechtsstellung behaupte, sie aber nicht belegen könne, und dies vor dem Hintergrund der erst 2011 vorgenommenen Aktualisierung der Liste der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“. Zum zweiten sei zu fragen, ob ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs vorliege, wenn das Verwaltungsgericht den behördlichen Vortrag übernehme. Drittens sei zu klären, ob das Gericht seine Aufklärungspflicht erfülle, wenn es lediglich auf den nationalen griechischen Aufenthaltstitel abstelle, ohne auf die im stattgebenden Eilbeschluss des Senats (v. 11.9.2014 – 10 CS 14.1581 – BA, S. 9) geäußerten Bedenken hinsichtlich der griechischen Vergabepraxis von Aufenthaltsberechtigungen-EU bis zum Jahr 2011 einzugehen.
1. Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) erfordert, dass der Rechtsmittelführer eine für die erstrebte Berufungsentscheidung erhebliche konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufzeigt, weshalb diese Frage entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist und der Frage eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt. Hierfür ist erforderlich, dass sich der Zulassungsantrag mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von (angeblich) grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert, also in einer Weise auseinandersetzt, die verdeutlicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts dem Klärungsbedarf nicht gerecht wird (vgl. BayVGH, B.v. 21.6.2016 – 10 ZB 16.444 – juris Rn. 3; zum Zulassungsgrund des § 132 Abs. 1 Nr. 1 VwGO vgl. BVerwG, B.v. 1.3.2016 – 5 BN 1.15 – juris Rn. 2; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72 m.w.N.). Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
Die aufgeworfenen Fragen zum Umfang der sich aus § 86 Abs. 1 VwGO ergebenden gerichtlichen Ermittlungspflichten sind zum einen einer fallübergreifenden, rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich. Das Maß der erforderlichen gerichtlichen Ermittlungen richtet sich danach, was das Gericht für seine Überzeugungsbildung im konkreten Einzelfall als vernünftigerweise geboten ansehen muss, ohne dass dabei jeder noch so entfernt liegender Umstand aufgeklärt oder jedem noch so geringfügigen Zweifel nachgegangen werden muss (Geiger in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 86 Rn. 11); eine Beschränkung der Pflicht zur Amtsermittlung kann sich in tatsächlicher Hinsicht auch aus der Mitwirkungspflicht der Beteiligten ergeben (Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 86 Rn. 5, 11 f.).
Zum anderen gibt die vorliegende Rechtsprechung bereits ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der hier von der Klägerseite als rechtsgrundsätzlich aufgeworfenen Fragen. Drittstaatsangehörigen Ausländern, die sich – wie die Kläger als nigerianische Staatsangehörige – auf einen Anspruch aus § 38a AufenthG berufen, muss in einem anderen EU-Staat die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zuerkannt worden sein (vgl. Art. 7 Abs. 3 i.V.m. Art. 4, 5 RL 2003/109/EG des Rates v. 25.11.2003); dazu muss er sich u.a. in diesem Staat fünf Jahre lang ununterbrochen rechtmäßig aufgehalten haben und der Aufenthaltstitel die Bezeichnung „Daueraufenthalt-EG“ enthalten (Art. 8 Abs. 3 RL 2003/109/EG). Trägt er – wie im vorliegenden Fall – diese Bezeichnung nicht, kann der Nachweis der behaupteten Rechtsstellung in einem anderen EU-Staat gleichwohl durch eine entsprechende schriftliche Bestätigung einer zuständigen Behörde dieses Mitgliedstaats, ggf. auch der hiesigen Auslandsvertretung erbracht werden (BayVGH, U.v. 24.7.2014 – 19 B 13.1293 – juris Rn. 40; B.v. 15.11.2012 – 19 CS 12.1851 – juris; B.v. 11.9.2014 – 10 CS 14.1581 – juris Rn. 23, 25; vgl. a. AVwV-AufenthG Nr. 2.7.4)). Dass dieser Nachweis hier infolge der eindeutigen, wenn auch in Englisch abgefassten, für die Kläger negativen Auskünfte der Kontaktstelle beim griechischen Innenministerium nicht geführt werden konnte, verleiht der Streitsache keine grundsätzliche Bedeutung.
Selbst wenn man zu Gunsten der Kläger ihren zum Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemachten Vortrag im Hinblick auf die ihrer Meinung nach unzureichende Aufklärung des Sachverhalts zugleich als Rüge eines Verfahrensmangels im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO ansehen wollte, führt dies nicht zur Zulassung der Berufung. Die Rüge, das Verwaltungsgericht habe den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt und damit gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) verstoßen, greift schon deswegen nicht durch, weil eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht grundsätzlich nicht geltend gemacht werden kann, wenn ein anwaltlich vertretener Kläger es in der mündlichen Verhandlung unterlassen hat, einen Beweisantrag zu stellen (vgl. etwa BVerwG, B.v. 20.12.2012 – 4 B 20.12 – juris Rn. 6). Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung wurde kein Beweisantrag gestellt. Mit der Aufklärungsrüge können Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten, vor allem unterbliebene Beweisanträge in der mündlichen Verhandlung, nicht kompensiert werden (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 75).
Das Verwaltungsgericht durfte seiner Entscheidung die eindeutigen Ergebnisse der von der Beklagten (nach Ergehen des Eilbeschlusses vom 11. September 2014, a.a.O.) veranlassten Ermittlungen vom September/Oktober 2014 zu Grunde legen, ohne dass weiterer Aufklärungsbedarf bestand. Es bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit der von der Kontaktstelle des griechischen Innenministeriums gemachten Aussage, die Kläger hätten keine Rechtsstellung im Sinne der Daueraufenthalts-Richtlinie inne gehabt („not a long term resident in the sense of Directive 2003/109/EC“). Auch das Zulassungsvorbringen zeigt keine konkreten Möglichkeiten einer weiteren Ermittlung in dieser Richtung auf. Im Übrigen ist es auch der Bevollmächtigten der Kläger trotz erheblicher Anstrengungen – offenbar sogar vor Ort in Athen – nicht gelungen, einen Nachweis über die Erlangung der Rechtsstellung von langfristig Aufenthaltsberechtigten von den zuständigen griechischen Behörden zu erhalten. Sonstige Anhaltspunkte, wegen derer sich dem Verwaltungsgericht auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag eine weitere Sachverhaltsermittlung hätte aufdrängen müssen, liegen nicht vor.
Das Verwaltungsgericht musste schließlich nicht weiter aufklären, ob in Griechenland bis zum Jahr 2011 überhaupt ein Daueraufenthaltsrecht-EG entsprechend Art. 7 Abs. 3 RL 2003/109/EG zuerkannt wurde; in der Ausländerakte befindet sich eine Bestätigung des griechischen Generalkonsulats in München mit E-Mail vom 24. April 2012, in der allgemein bestätigt wird, dass die zuständigen Behörden in Griechenland einen Aufenthaltstitel des Typs „Daueraufenthalt-EG“ ausstellen. Selbst wenn dies 2011 noch nicht der Fall gewesen sein sollte, folgt hieraus nicht, dass im vorliegenden Fall der Tatbestand von § 38a AufenthG als erfüllt anzusehen wäre. Vielmehr hätten die Kläger in dieser Situation zunächst eine entsprechende positive Feststellung über ihre Rechtsstellung als langfristig Aufenthaltsberechtigte durch eine griechische Behörde erwirken müssen, weil nur ihnen ein etwaiger entsprechender unionsrechtlicher Anspruch nach der Daueraufenthalts-Richtlinie zusteht, der sich gegen den EU-Mitgliedstaat richtet, in dem die Rechtsstellung erworben worden sein soll (hier: Griechenland), nicht aber gegen die Beklagte.
Schließlich sei noch – ohne dass es hierauf entscheidungserheblich ankäme – darauf verwiesen, dass sich die Kläger laut einer in der Ausländerakte enthaltenen Bestätigung des Griechischen Generalkonsulats in München vom 27. Juli 2011 erst „seit dem Jahr 2008 legal in Griechenland“ aufhalten. Damit bestehen schon erhebliche Zweifel, ob die Kläger den für das Daueraufenthaltsrecht-EG notwendigen, fünf Jahre ununterbrochen rechtmäßig andauernden Aufenthalt (vgl. Art. 4 Abs. 1 RL 2003/109/EG) in Griechenland zurückgelegt haben, auch wenn sie sich offenbar schon wesentlich länger in Griechenland aufgehalten haben, worauf nicht zuletzt das Geburtsjahr (1998) des Klägers zu 2 hindeutet.
2. Die Berufung ist auch nicht zuzulassen, soweit das angefochtene Urteil die Verpflichtung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG ablehnt. Der insoweit geltend gemachte Verfahrensfehler (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) in Form eines Verstoßes gegen das rechtliche Gehör der Kläger, weil über ihre Anträge auf Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG „nach wie vor nicht entschieden“ worden sei, liegt nicht vor. Das angefochtene Urteil (UA, S. 8, 3.) befasst sich vielmehr mit dieser Anspruchsgrundlage, verneint jedoch ihre tatbestandlichen Voraussetzungen wegen der fehlenden tatsächlichen oder rechtlichen Unzumutbarkeit der Ausreise der Kläger nach Griechenland.
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren war abzulehnen, weil die Voraussetzungen hierfür nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht vorliegen. Denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungs- und Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags (vgl. BayVGH, B.v. 10.2.2016 – 10 C 15.849 – juris Rn. 3) aus den dargestellten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Die Kostenentscheidung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Eine Kostenentscheidung für das Prozesskostenhilfeverfahren ist entbehr-lich. Das Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist gerichtsgebührenfrei; die im Prozesskostenhilfeverfahren entstandenen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO)
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2, § 39 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Einer Streitwertfestsetzung für das Prozesskostenhilfeverfahren bedarf es nicht.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des An-trags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
Senftl Dihm Katzer