Aktenzeichen 5 Ws 43/16 (R)
BayMRVG Art. 6 Abs. 4 S. 2, Art. 41 Nr. 3
StPO § 126a
Leitsatz
1. Für die gerichtliche Genehmigung einer Zwangsmedikation im Rahmen der einstweiligen Unterbringung nach § 126a StPO ist in Bayern nicht die Strafvollstreckungskammer, sondern das Haftgericht zuständig (Anschluss an OLG Nürnberg, Beschluss vom 24. August 2016, 2 Ws 449/16). (amtlicher Leitsatz)
2. Die gerichtliche Genehmigung einer Zwangsmedikation muss mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden, wenn der Betroffene die Medikamente nunmehr freiwillig einnimmt und seine Einwilligungsfähigkeit gegeben ist. (amtlicher Leitsatz)
Tenor
I.
Auf die Beschwerde des Untergebrachten wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Memmingen vom 5. Dezember 2016 aufgehoben.
II.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Staatskasse zur Last. Seine notwendigen Auslagen trägt der Beschwerdeführer jedoch selbst.
III.
Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 3.000 € festgesetzt.
Gründe
I. 1. Das Amtsgericht Memmingen ordnete mit Beschluss vom 6. Oktober 2016 gemäß § 126a StPO die einstweilige Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Hintergrund war der dringende Verdacht von diversen Straftaten, die der Beschwerdeführer mutmaßlich im Zustand der mindestens verminderten Schuldfähigkeit begangen hat. Dieser Beschluss wird derzeit im Bezirkskrankenhaus Günzburg (BKH) vollzogen.
2. Unter dem 18. Oktober 2016 stellte das Klinikum Antrag auf Genehmigung einer Zwangsmedikation des Beschwerdeführers für einen Zeitraum von mindestens 12 Wochen, weil dieser die notwendigen Medikamente nicht freiwillig nehme und Fremdgefährdung bestehe. Der zunächst beim zuständigen Ermittlungsrichter eingereichte Antrag wurde am 28. Oktober 2016 von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Memmingen (nachfolgend StVK) zuständigkeitshalber übernommen. Diese erholte ergänzende Stellungnahmen des BKH und bestellte durch Beschluss vom 8. November 2016 Rechtsanwalt B. zum Pflichtverteidiger. Ohne vorherige Anhörung des Beschwerdeführers genehmigte die StVK mit Beschluss vom 5. Dezember 2016 die Behandlung mit Zuclopenthixol und Olanzipin für die Dauer von höchstens 12 Wochen. Die Zustellung des Beschlusses an den Pflichtverteidiger erfolgte spätestens am 12. Dezember 2016. Dieser erhob unter dem 12. Dezember 2016, Eingang bei Gericht am 13. Dezember 2016, Rechtsbeschwerde, und machte geltend, dass die Zwangsmedikamentierung ein nicht verhältnismäßiger Eingriff sei.
Mit Schreiben vom 6. Dezember 2016, beim Amtsgericht Memmingen eingegangen am 7. Dezember 2016, teile das BKH mit, dass der Beschwerdeführer nunmehr antipsychotisch wirkende Medikamente auf freiwilliger Basis einnehme und sich die Notwendigkeit einer Zwangsmedikation erledigt habe. Auf Anfrage des Senates bestätigte das BKH mit Schreiben vom 24. Januar 2017, dass beim Beschwerdeführer derzeit die diesbezügliche Einwilligungsfähigkeit aus medizinischer Sicht gegeben sei. Außerdem werde der Beschwerdeführer wegen der geringeren Nebenwirkungen nunmehr mit Zyprexa behandelt. Die Verfahrensbeteiligten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu.
3. Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragte mit Antragsschrift vom 23. Dezember 2016, die Rechtsbeschwerde kostenfällig als unzulässig zu verwerfen und den Geschäftswert auf 3.000 € festzusetzen. Sie hält die Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG nicht für gegeben und meint außerdem, dass die gerichtliche Genehmigung auch nicht durch die nunmehr freiwillige Einnahme von Medikamenten erledigt sei, weil der Beschwerdeführer seine Einwilligung jederzeit widerrufen könne.
Der Pflichtverteidiger hat hierzu mit Schriftsatz vom 16. Januar 2017 Stellung genommen und insbesondere ausgeführt, dass eine Zwangsmedikamentierung bei einer Einwilligung des Betroffenen zur Medikamentierung nicht durchgeführt werden dürfe.
II. Das im Ergebnis zulässige Rechtsmittel hat insoweit Erfolg, als der angefochtene Beschluss mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben war.
1. Das Rechtsmittel ist trotz seiner Bezeichnung als Rechtsbeschwerde als einfache Beschwerde nach §§ 304 Abs. 1, 306 Abs. 1 StPO statthaft und als solche durch Schriftsatz vom 12. Dezember 2016 auch zulässig eingelegt.
Zwar hat vorliegend die StVK des Landgerichts Memmingen entschieden, so dass nach Art. 6 Abs. 4 S. 2 des Bayerischen Maßregelvollzugsgesetzes (BayMRVG) i. V. m. § 116 StVollzG an sich die Rechtsbeschwerde das statthafte Rechtsmittel wäre. Nach Auffassung des Senates hat die StVK ihre Zuständigkeit jedoch zu Unrecht angenommen.
a) Teilweise wird angenommenen, auch in Fällen der einstweiligen Unterbringung nach § 126a StPO wie vorliegend sei wegen der umfassenden Verweisung in Art. 41 Nr. 3 BayMRVG auf Art. 6 BayMRVG auch Art. 6 Abs. 4 S. 2 BayMRVG anwendbar, der die Zuständigkeit der StVK begründe (1. Strafsenat des OLG München, Beschluss vom 15.02.2016, 1 Ws 124/16, n. v.). Die gesetzlichen Bestimmungen seien weder auslegungsfähig noch auslegungsbedürftig.
b) Dieser Auffassung vermag sich der Senat jedoch nicht anzuschließen, da die nach dem Wortlaut des Art. 41 Nr. 3 BayMRVG in Betracht kommende Gesamtverweisung auf Art. 6 BayMRVG nach ihrem Sinn und Zweck einschränkend auszulegen ist.
aa) (Auch) Bei der Auslegung von Gesetzen sind nicht nur der Wortlaut der Vorschrift und seine Entstehungsgeschichte, sondern auch der systematische Gesamtzusammenhang und der Zweck zu berücksichtigen. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Rechtsprechung auch in anderen Fällen eine Beschränkung von Gesamtverweisungen in einer gesetzlichen Vorschrift vorgenommen (vgl. etwa Art. 21 KSÜ (Palandt/Thorn, BGB, 75. Aufl., Anh. Art. 24 EGBGB Rdn. 26) und §§ 155 Abs. 4 S. 9, 164 Abs. 4 S. 1 SGB V (LAG Hamburg, Urteil vom 28.06.2012, 8 Sa 16/12, zitiert nach juris, Rdn. 31ff.).
bb) Vorliegend schließt der Senat schon aus dem Wortlaut des Art. 41 BayMRVG („Unter Berücksichtigung des Ziels und der Grundsätze der einstweiligen Unterbringung gelten entsprechend …“) und der Stellung im Gesetz nach Art. 40 BayMRVG, der das BayStVollzG erst nach Rechtskraft des Urteils für anwendbar erklärt, dass die Verweisung auf Art. 6 BayMRVG nur den materiell-rechtlichen Teil dieser Regelung (Abs. 1-3) in Bezug nehmen will, hingegen nichts an der grundsätzlichen Zuständigkeit des Ermittlungsrichters für die Ausgestaltung der einstweiligen Unterbringung nach § 126a StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 126a Rdn. 10) ändern soll. Ergänzend wird zur Begründung dieses Auslegungsergebnisses auf die umfassenden und zutreffenden Ausführungen des OLG Nürnberg (Beschluss vom 24.08.2016, 2 Ws 449/16, zitiert nach juris, dort Rdn. 14ff.) Bezug genommen, wo insbesondere darauf hingewiesen wird (a. a. O. Rdn. 20), dass eine Zuständigkeit der StVK vor Rechtskraft der strafgerichtlichen Entscheidung mit den sonstigen Zuständigkeitsbestimmungen nicht in Einklang zu bringen ist, so dass mangels einer ausdrücklichen entsprechenden Äußerung des Gesetzgebers in den Gesetzesmaterialen (vgl. LT-Drs. 17/4944 S. 59/60) nicht von einer derart systemwidrigen Regelungsabsicht ausgegangen werden kann.
c) Entscheidet die StVK durch Beschluss gemäß § 115 StVollzG, obwohl eine Zuständigkeit des Haftgerichts besteht, ist hiergegen die einfache Beschwerde statthaft (OLG Nürnberg a. a. O. Rdn. 22; OLG Stuttgart, Beschluss vom 14.02.2011, 4 Ws 10/11, zitiert nach juris). In eine solche ist die Rechtsbeschwerde vom 12. Dezember 2016 daher auch hier umzudeuten. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der §§ 304 Abs. 1, 306 Abs. 1 StPO sind erfüllt.
2. Die Beschwerde ist auch insoweit begründet, als der Beschluss der StVK vom 5. Dezember 2016 mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben ist (§ 309 Abs. 2 StPO).
a) Zwar lagen die Anordnungsvoraussetzungen für die Zwangsmedikation nach Art. 41 Nr. 3, 6 Abs. 3 und 4 BayMRVG zum Beschlusszeitpunkt vor, was auch von der Beschwerde nicht ernsthaft in Zweifel gezogen wird.
b) Aufgrund der Stellungnahmen des BKH vom 6. Dezember 2016 und 24. Januar 2017 ist jedoch davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer die zur Behandlung notwendigen Medikamente nunmehr freiwillig einnimmt und auch die notwendige Einwilligungsfähigkeit vorliegt. Damit ist eine gerichtliche Anordnung nach Art. 6 Abs. 4 BayMRVG jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr erforderlich (vgl. auch Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 3a BayMRVG). Ebenso wie bei Zwangsbehandlungen im Rahmen der zivilrechtlichen Unterbringung nach § 1906 BGB muss daher die gerichtliche Genehmigung durch den angefochtenen Beschluss mit Wirkung ex nunc aufgehoben werden, weil es eines solchen Eingriffs als ultima ratio nicht mehr bedarf (vgl. Beschluss des BayObLG vom 14.02.1996, 3Z BR 15/96, und Palandt/Götz a. a. O. § 1906 Rdn. 6, 26 und 37 für Zwangsmaßnahmen im Rahmen der zivilrechtlichen Unterbringung; Beschluss des BVerfG vom 28.11.2013, 2 BvR 2784/12, zitiert nach juris, dort Rdn. 23 für eine medizinische Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug; Beschluss des OLG Karlsruhe vom 05.04.2016, 2 Ws 90/16, zitiert nach juris, dort Rdn. 25). Entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft kann die gerichtliche Anordnung auch nicht „vorsorglich“ aufrechterhalten werden, da hierfür eine Rechtsgrundlage fehlt und auch keine Behandlungslücken drohen, weil bei Gefahr im Verzug vorläufige Maßnahmen des BKH nach Art. 6 Abs. 5 BayMRVG getroffen werden können.
c) Es bedarf daher keiner Entscheidung mehr, ob eine Aufhebung des angefochtenen Beschlusses wegen der fehlenden Zuständigkeit der StVK geboten gewesen wäre (vgl. dazu OLG Stuttgart a. a. O. Rdn. 24ff.).
III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464, 467 Abs. 3, 473 StPO. Die Gerichtskosten der erfolgreichen Beschwerde trägt die Staatskasse (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt a. a. O. § 473 Rdn. 2). Seine notwendigen Auslagen hat der Beschwerdeführer hingegen entsprechend § 467 Abs. 3 StPO selbst zu tragen, weil die Voraussetzungen für die gerichtliche Anordnung zunächst vorlagen und die Beschwerde nur aufgrund der nachträglich erklärten Einwilligung zur Medikation Erfolg hat.
IV. Die Festsetzung des Geschäftswertes für das Rechtsbeschwerdeverfahren beruht unter Berücksichtigung des Interesses des Beschwerdeführers an der Entscheidung des Senats auf §§ 60, 52 Abs. 1 GKG.