IT- und Medienrecht

Keine Arglistanfechtung gegenüber Vertragshändler wegen Verwendung einer Abschaltsteuerung durch den Hersteller

Aktenzeichen  22 O 38/16

Datum:
20.1.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 155548
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Aschaffenburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 123, § 166, § 278, § 433

 

Leitsatz

Ein selbstständiger KFZ-Vertragshändler, der sein Geschäft auf eigene Rechnung betreibt, muss sich die Täuschung des Herstellers über die Verwendung einer illegalen Abschaltsteuerung in der Motorsteuerung seiner Diesel-Fahrzeuge nicht zuzurechnen lassen. (Rn. 14 – 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 52.463,71 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Ein Anspruch des Klägers auf Rückabwicklung des Kaufvertrages aufgrund einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gem. §§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, 142 Abs. 1 i.V.m. 123 Abs. 2 BGB besteht nicht.
I.
1. Dem Kläger steht kein Recht zur Anfechtung des Kaufvertrages unter dem Gesichtspunkt der arglistigen Täuschung gem. § 123 BGB gegenüber der Beklagten zu.
a. Zunächst kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass das streitgegenständliche Fahrzeug mit einer nicht gesetzeskonformen Abschalteinrichtung ausgestattet ist und sich aufgrund einer Softwaremanipulation entsprechend nachteilige Abgaswerte zwischen Testbetrieb und regulärem Straßenbetrieb hinsichtlich des Ausstoßes von Kohlendioxid (CO2) und Stickoxiden (NOx) ergeben. Das Fahrzeug ist unstreitig mit einem Dieselmotor EA 189 EU5, 2,0 Liter Hubraum ausgerüstet, bei denen durch die Audi AG eine technische Überarbeitung jedenfalls in Form eines Software-Updates durchgeführt werden soll.
b. Es liegt aber keine arglistige Täuschung i.S.d. § 123 BGB vor. Zunächst hat die Beklagte selbst keine Erklärungen abgegeben, die als arglistige Täuschung gewertet werden könnten.
aa. Eine insofern allein in Betracht kommende Täuschung des Herstellers muss sich die Beklagte nicht gem. § 123 Abs. 2 BGB zuzurechnen lassen. Nach dieser Vorschrift ist bei Täuschung durch einen Dritten eine Erklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben war, nur dann anfechtbar, wenn dieser die Täuschung kannte oder kennen musste. Kennt der der Anfechtungsgegner die Täuschung hingegen nicht und musste er sie auch nicht kennen, d.h. liegt ihm insoweit keinerlei Fahrlässigkeit zur Last, § 122 Abs. 2 BGB, bleibt die Täuschung eines außenstehenden Dritten mit Blick auf die Arglistanfechtung im Verhältnis zwischen den Vertragspartnern folgenlos. § 123 Abs. 2 BGB schränkt das Anfechtungsrecht bei Täuschungen daher letztlich ein. Unterfällt der Täuschende hingegen nicht dem Begriff des Dritten i.S.d. § 123 Abs. 2 BGB, sondern steht er vielmehr im „Lager“ des Anfechtungsgegners wird diesem die entsprechende Kenntnis zugerechnet und eine Arglistanfechtung ist möglich. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein am Zustandekommen eines Vertrages Beteiligter dann nicht als Dritter im Sinne des § 123 BGB anzusehen, wenn sein Verhalten dem des Anfechtungsgegners gleichzusetzen ist (BGH v. 20.11.1995, Az. II ZR 209/94, NJW 1996, 1051). Dies ist über den Bereich der gesetzlichen oder rechtsgeschäftlichen Stellvertretung hinaus auch bejaht worden bei einem vom Erklärungsempfänger beauftragten Verhandlungsführer oder -gehilfen sowie bei einem Beteiligten, dessen Verhalten dem Erklärungsempfänger wegen besonders enger Beziehungen zwischen beiden oder wegen sonstiger besonderer Umstände billigerweise zugerechnet werden muss (BGH, a.a.O.). Dritte sind hingegen diejenigen, die unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt dem Kreis des Erklärungsempfängers zuzurechnen sind.
bb. Nach dem Vortrag der Parteien bestand keine Kenntnis der Beklagten zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses am 04.01.2013 hinsichtlich der Abweichungen bei Abgaswerten aufgrund einer Softwaremanipulation beim streitgegenständlichen Fahrzeug. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Beklagte den Einsatz dieser Software hätte kennen müssen. Insofern kommt es darauf an, ob die Audi AG als Hersteller des Fahrzeugs im Verhältnis zur Beklagten als Dritter i.S.d. § 123 Abs. 2 BGB gilt oder nicht. Bei Anwendung der oben angeführten Grundsätze ist die die Audi AG ist im Verhältnis zur Beklagten als selbstständige Vertragshändlerin insoweit als Dritter einzustufen, d.h. ihr Verhalten ist nicht dem der Beklagten gleichzusetzen. Die Beklagte betreibt ihr Geschäft auf eigene Rechnung. Im Verhältnis zur Beklagten ist die Audi AG als Hersteller nicht deren Erfüllungsgehilfe, § 278 BGB (vgl. BGH v. 02.04.2014, Az. VIII ZR 46/13, NJW 2014, 2183). Ein gleichgerichtetes – wirtschaftliches – Absatzinteresse führt nicht zu einer rechtlichen Einordnung dahingehend, dass jeder Vertragshändler im Lager des Herstellers stünde. Eine Zurechnung scheidet daher aus. Soweit von Klägerseite angeführt wird, dass eine Zurechnung erfolgen müsse, weil die Beklagte in den „Machtbereich“ der Audi AG einbezogen sei, ist dies kein rechtlich taugliches Kriterium. Möglicherweise bestehende wirtschaftliche Einflussmöglichkeiten bzw. Abhängigkeiten begründen insoweit keine Zurechnung. Rechtliche Gesichtspunkte, die für eine Zurechnung sprechen, liegen demnach nicht vor.
cc. Da weder die Audi AG noch die Volkswagen AG an der Beklagten beteiligt sind – was insoweit unstreitig geblieben ist -, liegen auch keine besonderen engen Beziehungen vor, die eine Zurechnung ausnahmsweise gerechtfertigt erscheinen lassen (vgl. zu einer solchen Sonderkonstellation LG München I v. 14.04.2016, 23 O 23033/15, BeckRS 2016, 10952). Eine durchgehende und entsprechend in der Außendarstellung beworbene Beteiligungskette ist vorliegend nicht gegeben. Damit bleibt es dabei dass sich ein selbstständiger Vertragshändler das Wissen eines Herstellers grundsätzlich nicht zurechnen lassen muss (OLG Celle v. 30.06.2016, Az. 7 W 26/16, juris). Eine Arglistanfechtung greift letztlich nicht durch.
c. Eine Wissenszurechnung über § 166 BGB scheidet beim selbstständigen Vertragshändler ebenso aus (BGH v. 02.02.1996, Az. V ZR 239/94, NJW 1996, 1339). Die Voraussetzungen für das Eingreifen der Repräsentantenhaftung nach § 31 BGB liegen ebenfalls mangels enger Verflechtung der Beklagten mit der Audi AG nicht vor (vgl. Münchner Kommentar zum BGB/Arnold, 7. Aufl. 2015, § 31 Rn. 22).
2. Überdies hat der Kläger auch keinen Nachweis dahingehend führen können, dass die behauptete Täuschung über Abgaswerte und ökologischer Aspekte für die Abgabe seiner Willenserklärung zum Abschluss des Kaufvertrages zumindest mitursächlich war. Die Anhörung des Klägers hat insoweit keine weitere Aufklärung gebracht. Die Ehefrau des Klägers hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Die Zeugin … hat hingegen schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass während der von ihr als sehr intensiv wahrgenommenen Beratungsgespräche diese Themen nicht angesprochen wurden und es vor allem um Farbe und Ausstattung des Fahrzeuges ging. Das Gericht hält die Zeugin … auch für glaubwürdig, weil sie den Umstand, dass der Kläger zunächst nach einem Elektroauto fragte ohne Zögern bejahte und somit kein einseitiges Aussageverhalten an den Tag legte. Diese Frage zu Beginn der Beratung bewertet das Gericht bei Betrachtung der gesamten Verkaufsgespräche und dem letztlichen Entschluss für das streitgegenständliche Modell aber noch nicht als ausreichend für einen Nachweis, dass ökologische Aspekte und Abgaswerte für die konkrete Kaufentscheidung mitursächlich gewesen sind.
3. Die Anfechtung war daher mangels Anfechtungsgrund nicht wirksam. Dem Kläger steht kein bereicherungsrechtlicher Anspruch gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zu. Die Klage war daher abzuweisen.
4. Mangels Hauptsacheanspruch war auch der Nebenanspruch abzuweisen.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 2 ZPO.
Der Streitwert wurde gem. §§ 39, 48 GKG i.V.m. § 3 ZPO festgesetzt.
  Verkündet am 20.01.2017

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