Aktenzeichen Au 1 S 16.32970
Leitsatz
Es bestehen keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsandrohung nach Afghanistan, wenn im Asylfolgeverfahren keine Änderung der Sach- und Rechtslage eingetreten ist, weil eine Verfolgung durch die Taliban nach wie vor nicht zu fürchten ist und der Antragsteller gefahrlos nach Kabul zurückkehren kann. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für dieses Verfahren wird abgelehnt.
Gründe
I.
Der Antragsteller, ein afghanischer Staatsangehöriger, wendet sich im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes gegen eine Androhung der Abschiebung.
Er reiste im Jahr 2010 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte die Anerkennung als Asylberechtigter. Dabei machte er geltend, er habe sich nach seinem Schulabschluss zur Aufnahmeprüfung bei der Militärakademie beworben. Im Radio sei bekannt gegeben worden, dass er die Prüfung bestanden habe. Die Taliban hätten davon Kenntnis erhalten und ihm ein Schreiben geschickt. In diesem sei gestanden, dass er sich bei ihnen melden solle. Aus Angst vor den Taliban sei er ausgereist. Den Asylerstantrag lehnte das Bundesamt … mit Bescheid vom 29. März 2011 ab, dem Antragsteller wurde die Abschiebung nach Afghanistan angedroht. Die hiergegen gerichtete Klage blieb erfolglos (Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 29. September 2011 im Verfahren Au 6 K 11.30184).
Am 17. August 2015 stellte der Antragsteller einen Folgeantrag. Er trug vor, die Sicherheitslage in seiner Provinz habe sich verschlechtert. Es drohe ihm Lebensgefahr von zwei Seiten aus, nämlich von den Taliban und den Daischs (IS). Mit Schriftsatz vom 7. August 2015 legte der Bevollmächtigte des Antragstellers zwei Dokumente vor, einerseits einen Antrag an die Stadtverwaltung … auf Bestätigung, dass der Antragsteller bedroht gewesen sei, andererseits die hierauf erteilte Antwort der Stadtverwaltung vom 22. Juni 2015. Bei seiner Anhörung am 29. November 2016 gab der Antragsteller an, er habe sich bis zu seiner Ausreise in der Provinz … aufgehalten. Er habe dort zusammen mit seinen Eltern im eigenen Haus gelebt. Dort sei jetzt die ISIS. Er habe zwölf Jahre die Schule besucht und diese abgeschlossen. Einen Beruf habe er nicht erlernt, er habe mit seinem Vater in der Landwirtschaft gearbeitet. Die finanzielle Situation sei sehr gut gewesen. Er sei vor seiner Ausreise aber von den Taliban bedroht worden und mittlerweile hätten sich diese Taliban dem IS angeschlossen. Er sei nur einmal bedroht worden, das sei im Jahr 2010 gewesen. Er habe damals vorgehabt, eine vierjährige Ausbildung bei der afghanischen Armee zu absolvieren. Als die Taliban davon erfahren hätten, hätten sie ihm einen Drohbrief geschickt. Im Dezember 2010 sei er deshalb ausgereist. Die Bedrohung sei zwei bis drei Monate vor der Ausreise gewesen, es könnten auch mehrere Monate gewesen sein. Nach Erhalt des Drohbriefs habe er sich in … aufgehalten. Der Drohbrief sei die einzige Handlung seiner Verfolger gewesen. Im Heimatdorf sei jetzt die ISIS, sie habe alle Gärten und Grundstücke erobert.
Mit Bescheid vom 9. Dezember 2016 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab, weiter lehnte es den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 29. März 2011 bezüglich der Feststellungen zu § 60 Abs. 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes ab. Dem Kläger wurde die Abschiebung nach Afghanistan angedroht. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate befristet. In den Gründen ist ausgeführt, ein Wiederaufgreifensgrund der Sachlagenänderung sei nicht gegeben. Der Vortrag des Antragstellers, dass die Bedrohung nun vom IS und nicht mehr von den Taliban ausgehe, führe nicht zu einer Änderung der Sachlage. Auch der Wiederaufgreifensgrund des neuen Beweismittels liege nicht vor, da hierzu das neue Beweismittel tatsächlich eine für den Betroffenen günstigere Entscheidung hätte herbeiführen müssen. Auch die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens seien nicht gegeben.
Hiergegen ließ der Antragsteller am 21. Dezember 2016 Klage erheben, über die noch nicht entschieden ist (Au 1 K 16.32968). Mit Antrag vom selben Tag begehrt er einstweiligen Rechtschutz gegen die (erneute) Abschiebungsandrohung. Zur Begründung macht sein Bevollmächtigter geltend, unter den gegebenen Umständen hätte das Bundesamt ein weiteres Verfahren durchführen müssen. Hierzu werde Bezug genommen auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Dezember 2016. Für dieses Verfahren begehrt der Antragsteller die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
Der Antragsteller beantragt,
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ziffer 3 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 9. Dezember 2016 wird angeordnet.
Das Bundesamt hat am 28. Dezember 2016 die Behördenakte vorgelegt, sich darüber hinaus aber nicht geäußert.
Ergänzend wird Bezug genommen auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakte sowie der Gerichtsakte (auch im Verfahren Au 6 K 11.30184).
II.
Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Gegenstand des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO ist die Abschiebungsandrohung in der Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamts vom 9. Dezember 2016, die als Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung von Gesetzes wegen sofort vollziehbar ist (§ 75 Satz 1 AsylG).
2. Der Antrag ist unbegründet, da überwiegende Interessen des Antragstellers nach Auffassung des Gerichts nicht gegeben sind.
Das Gericht trifft im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene, originäre Entscheidung über die Aussetzung bzw. die Aufhebung der Vollziehung aufgrund der sich ihm im Zeitpunkt seiner Entscheidung darbietenden Sach- und Rechtslage. Das Gericht hat dabei die Interessen des Antragstellers und das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung gegeneinander abzuwägen. Besondere Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu, soweit sie im Rahmen der hier nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung bereits beurteilt werden können. Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG, der hier gemäß § 71 Abs. 4 AsylG entsprechend gilt, darf dabei die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen.
Gemessen an diesen Grundsätzen fällt die vom Gericht anzustellende Interessenabwägung vorliegend zu Ungunsten des Antragstellers aus. Nach derzeitigem 13 Kenntnisstand bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung. Die diesbezüglich in der Hauptsache erhobene Klage wird voraussichtlich erfolglos sein. Überwiegende Interessen des Antragstellers, die gleichwohl eine Entscheidung zu seinen Gunsten rechtfertigen könnten, sind nicht erkennbar.
a) Grundlage der Abschiebungsandrohung ist § 71 Abs. 4 AsylG i.V.m. § 34 Abs. 1 AsylG. Danach sind, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) nicht vorliegen, die §§ 34, 35 und 36 AsylG entsprechend anzuwenden. Nach § 34 Abs. 1 AsylG erlässt das Bundesamt in diesem Fall eine schriftliche Abschiebungsandrohung nach den §§ 59 und 60 Abs. 10 des AufenthG. Die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist beträgt dabei gemäß § 36 Abs. 1 AsylG eine Woche.
b) Die Voraussetzungen hierfür sind erfüllt, da keiner der in § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG genannten Fälle gegeben ist.
(1) Gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- und Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat.
Hiervon kann im Fall des Antragstellers nicht ausgegangen werden.
Das Asylerstverfahren wurde mit Urteil vom 27. September 2011 (Au 6 K 11.30184) rechtskräftig negativ verbeschieden. Darin ist ausgeführt, dass eine politisch motivierte Verfolgung durch den afghanischen Staat weder vorgetragen noch sonst ersichtlich sei. Der Antragsteller habe als Asylgrund vorgetragen, dass er von den Taliban wegen seiner Bewerbung zur Militärakademie verfolgt worden sei. Hierin sei aber weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Verfolgung durch Mitglieder oder Stellen des afghanischen Staates zu erkennen. Eine staatliche bzw. staatlich zurechenbare Verfolgung im Sinne von Art. 16a GG sei daher nicht gegeben. Im Falle einer Rückführung nach Kabul habe der Antragsteller nicht mit politischer Verfolgung wegen seiner angeblichen Absicht, die 18 Militärakademie zu besuchen, zu rechnen. In Kabul habe der Kläger keine politische Verfolgung erlitten, Verfolgungsmaßnahmen durch die Taliban in Kabul seien mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen. Auch eine gänzlich neue, andersartige Verfolgung, die in keinem Zusammenhang mit der früheren mehr stehen würde, sei für den Kläger in Kabul nicht zu befürchten.
An dieser Sachlage hat sich – auch nach dem Vortrag des Antragstellers – nichts geändert. Der Antragsteller selbst trägt zunächst vor, in seiner Heimatprovinz sei die Sicherheitslage sehr schlecht. Hierauf kommt es aber, wie im Urteil vom September 2011 ausgeführt, nicht an. Abgestellt wird darauf, ob der Antragsteller gefahrlos nach Kabul zurückkehren kann. Dies hat er im gesamten Folgeverfahren nicht in Frage gestellt. Daneben macht der Antragsteller geltend, die Taliban, die ihn vor seiner Ausreise bedroht hätten, hätten sich mittlerweile dem IS angeschlossen. Damit ist für ihn aber keine neue Situation eingetreten. Er wird nach seinem eigenen Vortrag immer noch von denselben Personen bedroht, neue Gesichtspunkte sind nicht hinzugekommen. Maßgebender Anknüpfungspunkt ist weiterhin die Tatsache, dass er zur afghanischen Armee gewollt habe. Deshalb sei er einmal von eben diesen Personen bedroht worden. Dieser singuläre Sachverhalt liegt nach wie vor unverändert vor, ohne dass irgendwelche relevanten Gesichtspunkte hinzugekommen wären.
Von einer Änderung der Sachlage zugunsten des Antragstellers kann damit nicht ausgegangen werden. Eine solche lässt sich weder seinem eigenen Vortrag beim Bundesamt noch dem Vorbringen im gerichtlichen Verfahren entnehmen.
(2) Nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG hat die Behörde neu zu entscheiden, wenn neue Beweismittel vorliegen, die eine den Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden.
Auch hierauf kann sich der Antragsteller nicht mit Erfolg berufen.
Dabei kann für das vorliegende Verfahren noch unterstellt werden, dass die beiden im August 2015 vorgelegten Schreiben neue Beweismittel darstellen. Sie sind aber nicht geeignet, eine für den Antragsteller günstigere Entscheidung herbeizuführen. Sie bestätigen nur, dass der Antragsteller in seiner Heimatstadt bedroht wurde und diese verlassen musste. Bei Zurückstellung aller Zweifel an der Glaubwürdigkeit und Aussagekraft der Schreiben kann davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller von oppositionellen Stellen in irgendeiner Weise bedroht wurde. Dies deckt sich mit seinen Angaben im Erstverfahren. Neue Erkenntnisse enthalten die Schreiben aber nicht. Sie sind insbesondere nicht geeignet, die im Urteil vom September 2011 (Au 6 K 11.30184) dargelegte Sicherheit vor Verfolgung durch staatliche Stellen in Kabul in irgendeiner Weise in Zweifel zu ziehen.
c) Es spricht auch nichts für die Annahme, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bis 7 AufenthG beim Antragsteller gegeben und damit die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens insoweit erfüllt sind.
Auch insoweit gilt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 VwVfG nicht erfüllt sind. Anhaltspunkte, die darüber hinaus das Bundesamt hätten veranlassen können, eine erneute, anders lautende Entscheidung zu § 60 Abs. 5 bis 7 AufenthG zu treffen, sind nicht ersichtlich und wurden auch vom Antragsteller weder im behördlichen Verfahren noch im gerichtlichen Verfahren vorgetragen.
3. Die Kostenentscheidung für das gerichtliche Verfahren folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als unterlegener Teil hat der Antragsteller die Kosten des Verfahrens zu tragen.
4. Dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe konnte nicht entsprochen werden.
Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Diese Voraussetzungen sind, wie oben ausgeführt, nicht erfüllt.
5. Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylG unanfechtbar.