Aktenzeichen 22 ZB 16.2286
Leitsatz
1. Im Rahmen der Darlegung von Zulassungsgründen (§ 124a Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 2 VwGO) kommt pauschalen Verweisungen auf nicht konkret und genau lokalisiertes erstinstanzliches Vorbringen keine Bedeutung zu. (redaktioneller Leitsatz)
2. Für einen engen Zusammenhang im Sinne von § 3b Abs. 2 S. 1 und S. 2 UVPG (kumulierende Vorhaben) genügt es nicht, dass sich die Umweltauswirkungen der betreffenden Anlagen zum Teil überschneiden, sondern es ist eine Verbindung mit gemeinsamen betrieblichen oder baulichen Einrichtungen erforderlich, was einen funktionalen und wirtschaftlichen Bezug der einzelnen Anlagen aufeinander erfordert. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
RO 7 K 15.1541 2016-10-04 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg
Tenor
I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 60.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger wendet sich als Standortgemeinde gegen einen Bescheid des Landratsamts T. vom 13. August 2015. Mit diesem Bescheid erteilte das Landratsamt unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens des Klägers die Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb von zwei Windkraftanlagen auf den Grundstücken FlNrn. 659/650 (Windkraftanlage 1) und 662/659 (Windkraftanlage 2), jeweils Gemarkung G. Die Beigeladene hatte ursprünglich die Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb von sechs Windkraftanlagen in dieser Gemarkung beantragt, aber nur hinsichtlich der beiden oben Genannten die begehrte Genehmigung erlangt. Was die übrigen zur Genehmigung gestellten Windkraftanlagen angeht, nahm die Beigeladene die Genehmigungsanträge später wieder zurück.
Der Kläger erhob gegen den Bescheid vom 13. August 2015 Anfechtungsklage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg. Die Klage wurde abgewiesen (Urteil vom 4.10.2016). Der Kläger hat Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Der Kläger beschreibt einzelne Fehler, die nach seiner Ansicht dem angefochtenen Urteil anhaften, ohne dass er diese einem bestimmten Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO zuordnet; darin kann die Darlegung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils gesehen werden (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Eine Darlegung i. S. d. § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO verlangt zwar nicht die Benennung eines konkreten Zulassungstatbestands; vielmehr können ein Zulassungsantrag und dessen Begründung vom Verwaltungsgerichtshof ausgelegt werden. Es reicht aus, dass auf diesem Weg erkennbar ist, auf welchen der gesetzlichen Tatbestände das Vorbringen der Sache nach zielt. Allerdings erfordert die gebotene Darlegung eines Zulassungsgrundes die substantiierte Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung, d. h. eine Darlegung, durch die der Streitstoff entsprechend durchdrungen oder aufbereitet wird. „Darlegen“ bedeutet insoweit „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (vgl. z. B. BayVGH, B. v. 9.3.2016 – 22 ZB 16.283 – Rn. 6 m. w. N.). Pauschalen Verweisungen auf nicht konkret und genau lokalisiertes erstinstanzliches Vorbringen kommt insofern keine Bedeutung zu (vgl. zuletzt BayVGH, B. v. 8.12.2016 – 22 ZB 16.1180 -Rn. 4 m. w. N.). Aus der Begründung des vom Kläger gestellten Zulassungsantrags ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils.
1. Der Kläger meint, eine Vorprüfung des Einzelfalls nach § 3c UVPG wäre hinsichtlich der beiden streitgegenständlichen Windkraftanlagen schon deshalb erforderlich gewesen, weil die Beigeladene ursprünglich die Genehmigung für vier weitere Windkraftanlagen beantragt und diese Anträge erst viel später, in drei Fällen erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht, zurückgenommen habe. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Klärung der Frage der Erforderlichkeit einer derartigen Vorprüfung des Einzelfalls sei aber der Beginn des Verwaltungsverfahrens. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (B. v. 12.9.2016 – 22 ZB 16.785 – Rn. 12), der das Verwaltungsgericht gefolgt ist, trifft diese Schlussfolgerung nicht zu. Der Kläger bekämpft eine Genehmigung für zwei Windkraftanlagen; es gelten hierfür die verfahrensrechtlichen und materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Genehmigung von zwei Windkraftanlagen; eine Vorprüfung des Einzelfalls nach § 3c UVPG gehört dazu nicht (vgl. Nr. 1.6 der Anlage 1 zum UVPG). Ein Vorhaben mit ursprünglich sechs, dann fünf Windkraftanlagen, wie es Gegenstand des Genehmigungsverfahrens gewesen ist und dessen Vorprüfung nach § 3c UVPG erforderlich gewesen wäre, steht nach der Rücknahme der Genehmigungsanträge für vier Windkraftanlagen (drei Rücknahmen erfolgten erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht) nicht mehr zur Debatte.
2. Der Kläger meint weiter, eine Vorprüfung des Einzelfalls wäre im Hinblick auf eine sog. nachträgliche Kumulation entsprechend § 3b UVPG erforderlich gewesen; die Anlagen der Windparke A. und E./A. hätten nicht ausgeblendet werden dürfen.
Das Verwaltungsgericht ist insofern der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs gefolgt, wonach eine derartige nachträgliche Kumulation einen engen Zusammenhang i. S. v. § 3b Abs. 2 Sätze 1 und 2 UVPG voraussetzt. Hierfür genügt es nicht, dass sich die Umweltauswirkungen der betreffenden Anlagen zum Teil überschneiden, sondern es ist eine Verbindung mit gemeinsamen betrieblichen oder baulichen Einrichtungen erforderlich, was einen funktionalen und wirtschaftlichen Bezug der einzelnen Anlagen aufeinander erfordert. Insoweit käme in Betracht, dass sie technisch miteinander verknüpft sind oder wirtschaftlich in einer Weise verbunden sind, dass der von ihren Betreibern verfolgte Zweck nur mit Rücksicht auf den Bestand und den Betrieb der jeweils anderen Anlagen sinnvoll verwirklicht werden kann (vgl. BayVGH, B. v. 10.12.2015 -22 CS 15.2247 – Rn. 36 und 37). Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Voraussetzung im Urteil vom 17. Dezember 2015 – 4 C 7/14 – NVwZ 2016, 701 Rn. 18 dahingehend weiter entwickelt, dass ein planvolles Vorgehen des/der Vorhabenträger erforderlich ist, aufgrund dessen von einem zufälligen Zusammentreffen der Vorhaben derselben Art nicht mehr gesprochen werden kann. Hierfür genügen Umstände, aus denen sich ein die Vorhaben koordinierendes und dem Betreiber/den Betreibern zurechenbares Verhalten hinreichend verlässlich ableiten lässt. Das Verwaltungsgericht hat dazu festgestellt, dass die vom Kläger genannten Anlagen unabhängig voneinander von verschiedenen Betreibern geplant bzw. errichtet worden seien. Diesbezüglich hat der Kläger nichts Gegenteiliges vorgetragen, so dass von diesen Feststellungen auszugehen ist und demgemäß die Voraussetzungen für eine sog. nachträgliche Kumulation nicht erfüllt sind.
Der Kläger bezweifelt in der Begründung seines Zulassungsantrags, dass ein enger räumlicher Zusammenhang für die Annahme einer sog. nachträglichen Kumulation nicht genügen solle, legt hierzu aber nichts Weiteres dar. Er kommt dann auf § 3b Abs. 3 UVPG zu sprechen, den er anscheinend im vorliegenden Fall für anwendbar hält. Dies trifft indes nicht zu. Von der Änderung oder Erweiterung eines bestehenden Vorhabens kann nicht gesprochen werden, wenn es sich um die Neuerrichtung eines Objekts handelt, das – wie dies bei einer Windkraftanlage der Fall ist – bereits für sich genommen eine Anlage i. S. v. § 3 Abs. 5 BImSchG darstellt, ohne betriebsnotwendiger Teil einer anderen Anlage i. S. v. § 1 Abs. 2 Nr. 1 der 4. BImSchV oder Nebeneinrichtung i. S. v. § 1 Abs. 2 Nr. 2 der 4. BImSchV zu sein. Anders verhält es sich nur dann, wenn eine gemeinsame Anlage i. S. v. § 1 Abs. 3 der 4. BImSchV vorliegt (vgl. hierzu BayVGH, B. v. 4.7.2016 – 22 CS 16.1078 – Rn. 20 m. w. N.). Hierzu hat der Kläger nichts vorgetragen. Soweit der Kläger unabhängig von § 3b Abs. 3 UVPG annimmt, die Kumulation müsse für Vorhaben unterschiedlicher Träger geöffnet werden und auch die zeitlich versetzte Verwirklichung von Teilprojekten erfassen, rennt er gleichsam „offene Türen“ ein. Bundesverwaltungsgericht und Verwaltungsgerichtshof teilen diese Rechtsauffassung; das Verwaltungsgericht hat sich dazu nicht in Widerspruch gesetzt. Dasselbe gilt für die Auffassung des Klägers, dass der für eine nachträgliche Kumulation von Windkraftanlagen erforderliche räumliche Zusammenhang zu bejahen ist, wenn sich die Umweltauswirkungen überlagern. Das im vorliegenden Fall entscheidende Argument gegen eine nachträgliche Kumulation, dass kein den Zufall ausschließendes planvolles, koordinierendes, den Betreibern zurechenbares Verhalten festgestellt werden kann, macht der Kläger nicht zum Thema, geschweige denn zum Gegenstand substantiierter Angriffe.
3. Auf die Frage der Nachholbarkeit einer unterlassenen Vorprüfung des Einzelfalls kommt es nach den vorstehenden Ausführungen nicht mehr entscheidungserheblich an.
4. Der Kläger meint, das strittige Vorhaben sei nicht nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB privilegiert, weil am 4. Februar 2014 kein vollständiger Genehmigungsantrag vorgelegen habe, so dass Art. 82 BayBO anwendbar sei.
Das Verwaltungsgericht hat dazu ausgeführt, dass über die Vollständigkeit der Unterlagen abschließend allein die Genehmigungsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden habe. Von dieser Rechtsauffassung ist im vorliegenden Fall auszugehen, weil der Kläger hiergegen keine Einwände erhoben hat. Weitere Erörterungen erübrigen sich insofern (vgl. dazu BayVGH, B. v. 16.9.2016 -22 ZB 16.304 – Rn. 7). Das Verwaltungsgericht hat dazu festgestellt, dass nach Auffassung der Genehmigungsbehörde am 4. Februar 2014 die für die Durchführung des Genehmigungsverfahrens erforderlichen Unterlagen vorlagen. Der Kläger führt hierzu aus, dass die artenschutzrechtliche Prüfung/Umweltgutachten derart unvollständig gewesen seien, dass von der Vorlage vollständiger Unterlagen nicht auszugehen sei. Die Genehmigungsbehörde ebenso wie die Untere Naturschutzbehörde hätten grundlegende Nachforderungen gestellt. Mit diesen Ausführungen wird das Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO nicht erfüllt. Es hat zwar nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts Nachforderungen von Unterlagen gegeben; diesen wurde aber im Wesentlichen im Lauf des Jahres 2013 entsprochen. All dies geschah vor dem Stichtag des 4. Februar 2014, den Art. 83 Abs. 1 BayBO festgelegt hat. Was zu diesem Zeitpunkt an für die behördliche Prüfung erforderlichen Unterlagen noch gefehlt haben soll, legt der Kläger nicht dar. Dies genügt nicht.
5. Der Kläger meint, es stünden öffentliche Belange des Natur- und Artenschutzes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) dem strittigen Vorhaben entgegen. Es lägen hinsichtlich der von der Beigeladenen vorgelegten artenschutzrechtlichen Prüfungen erhebliche Mängel vor, und zwar hinsichtlich Methodik, Erfassung und letztlich auch Bewertung eines signifikanten Tötungsrisikos geschützter windkraftempfindlicher Arten. Mit diesem Einwand wird das Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO ebenfalls nicht erfüllt. Es wird keine einzige Vogelart benannt, die einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG) ausgesetzt sein soll. Es wird kein einziges Ermittlungsdefizit benannt, das nach Eingang der von der Genehmigungsbehörde angeforderten ergänzenden Unterlagen noch bestanden haben soll. Dass die Genehmigungsbehörde bei drei ursprünglich geplanten, nun aber nicht mehr zur Genehmigung gestellten Windkraftanlagen entgegen der vorgelegten speziellen artenschutzrechtlichen Prüfung artenschutzrechtliche Bedenken gehabt haben soll, besagt nicht, dass es auch bei den verfahrensgegenständlichen Anlagen Bedenken dieser Art geben müsste. Insofern muss jeder Anlagenstandort für sich betrachtet werden. Die vom Kläger geforderte Sachverhaltsaufklärung und Sachverhaltsbewertung durch gerichtliche Sachverständige wäre mit der artenschutzrechtlichen Einschätzungsprärogative hinsichtlich Ermittlung und Bewertung des Tötungsrisikos, die der Naturschutzbehörde zukommt, nicht vereinbar (vgl. dazu BayVGH, U. v. 18.6.2014 -22 B 13.1358 – Rn. 43).
Kosten: § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Streitwert: § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG – wie Vorinstanz.