Baurecht

Keine Verletzung des Rücksichtnahmegebots durch Einsichtsmöglichkeit in Nachbargrundstück aufgrund angebauter Außentreppe

Aktenzeichen  W 5 S 16.1233

Datum:
14.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 59 S. 1, Art. 68 Abs. 1 S. 1
BauNVO BauNVO § 15 Abs. 1
BauGB BauGB § 34 Abs. 1

 

Leitsatz

Das Gebot der Rücksichtnahme bietet in aller Regel keinen Schutz vor Einsichtsmöglichkeiten auf Grundstücke (hier infolge des Anbaus einer Außentreppe). Ein Anspruch des Grundstücksnachbarn auf Erhaltung eines „Gepräges mit Verhinderung jeglicher Einsichtsmöglichkeit” lässt sich weder dem Gebot der Rücksichtnahme noch dem sog. Gebietsbewahrungsanspruch entnehmen. Etwas anderes kann nur unter besonders gravierenden Umständen gelten, etwa, wenn durch das neue Bauvorhaben unmittelbare Einsichtsmöglichkeiten aus kurzer Entfernung in Wohnräume geschaffen werden.  (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich als Eigentümerin des mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks Fl. Nr. …5 der Gemarkung W., …-weg … in W., gegen die dem Beigeladenen mit Bescheid vom 23. November 2016 erteilte Baugenehmigung zum Neubau einer Außentreppe aus Stahl („1. Planänderung Ausführung als Wendeltreppe“) am bestehenden Wohnhaus auf dem Grundstück Fl.Nr. …1 der Gemarkung W., …-weg … in W. (Baugrundstück).
1. Das Baugrundstück befindet sich im Geltungsbereich des einfachen Bebauungsplans „Für das Gebiet zwischen S. Straße – P. – L. und K. Straße“, wobei die Festsetzung der Baulinien genehmigt wurde mit RB vom 15. Oktober 1953, i.d.F. der vereinfachten Änderung vom 31. März 1971. Dieser setzt ein reines Wohngebiet fest. Das Grundstück der Antragstellerin befindet sich nordöstlich hiervon, getrennt durch den sog. P., im Geltungsbereich des Bebauungsplans „König-Ludwig-Haus“, in Kraft getreten am 26. September 1978. Beide Grundstücke sind mit einem Wohnhaus bebaut.
2. Mit Bescheid vom 10. Oktober 2010 erteilte die Antragsgegnerin dem Beigeladenen die Baugenehmigung zum Umbau des ursprünglich 1953 genehmigten Wohnhauses. Hierbei wurde auch eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans hinsichtlich der festgesetzten Geschosszahl bergseits erteilt. Mit weiterem Bescheid vom 24. Juli 2014 erteilte die Antragsgegnerin dem Beigeladenen u.a. die Genehmigung zu einer Geländeauffüllung nordwestlich der Terrasse. Beide Genehmigungen sind bestandskräftig.
Mit Bauantrag vom 18. November 2015, eingegangen bei der Antragsgegnerin am 11. Januar 2016, beantragte der Beigeladene die Errichtung einer Stahltreppe an dem bestehenden Wohnhaus. Ausweislich der Planzeichnungen soll die Stahltreppe an der Nordost-Fassade des bestehenden Wohnhauses angebracht werden und von der Terrasse des Erdgeschosses zum Balkon des Obergeschosses führen. Die Treppenanlage weist eine Höhe von 4,24 m auf bei einem Grundmaß von 1,51 m auf 3,82 m.
Mit Bescheid vom 16. Juni 2016 erteilte die Stadt Würzburg dem Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung nach den Plänen vom Februar 2016. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Baugenehmigung sei zu erteilen gewesen (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO), da dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstünden, die im vereinfachten Genehmigungsverfahren zu prüfen seien (Art. 59 BayBO). Die vom Anwalt der Eigentümerin des Nachbargrundstücks Fl.Nr. …5 vorgebrachten Einwendungen hinsichtlich der Abstandsflächen und des Rücksichtnahmegebots seien nicht ausreichend, eine Versagung der Baugenehmigung zu begründen, da nachbarschützende Vorschriften nicht verletzt seien. Die Abstandsfläche der Stahltreppe komme weit vor der Mitte des P.es zu liegen. Dadurch seien Nachbarrechte der Antragstellerin nicht verletzt. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot liege überdies nicht vor, da diese Treppe nicht dem dauerhaften Aufenthalt diene. Zudem könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Treppenplattform eine Erhöhung gegenüber dem bestehenden Balkon des Bauherrn darstelle. Eine behauptete Einsichtsmöglichkeit werde auch noch durch den öffentlichen Weg „P.“, der zwischen den beiden Grundstücken liege, erschwert.
Gegen den Bescheid vom 16. Juni 2016 ließ die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten am 15. Juli 2016 Klage (W 5 K 16.726) erheben und ließ am 26. Juli 2016 im Verfahren W 5 S. 16.761 den Antrag stellen, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 16. Juni 2016 anzuordnen.
Mit Beschluss vom 16. August 2016 lehnte die Kammer den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 26. Juli 2016 ab. Die von Antragstellerseite eingelegte Beschwerde (9 CS 16.1822) wurde mit Beschluss des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs vom 7. Dezember 2016 zurückgewiesen. Wegen der Begründung wird auf vg. Beschlüsse Bezug genommen.
3. Mit Schreiben vom 25. Oktober 2016, eingegangen bei der Antragsgegnerin am nächsten Tag, ließ der Beigeladene einen „Antrag auf Baugenehmigung einer Außentreppe“ stellen. Die Eingabepläne zeigen eine Wendeltreppe (mit einem Durchmesser von 1,60 m), die von der Terrasse des Erdgeschosses zum Balkon des Obergeschosses führt (Höhe bis zur Plattform: 3,40 m) und maximal 1,46 m von der Außenwand vorspringt. Der Durchgang von der Treppe zum Balkon soll durch eine Tür geschlossen werden.
Mit Bescheid vom 23. November 2016 erteilte die Stadt Würzburg unter dem Betreff „Neubau einer Stahltreppe an bestehendem Wohnhaus hier: 1. Planänderung Ausführung als Wendeltreppe“ nach den Plänen vom September 2016 dem Beigeladenen die Baugenehmigung.
Zur Begründung wurde ausgeführt, die Baugenehmigung sei zu erteilen gewesen (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO), da dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstünden, die im vereinfachten Genehmigungsverfahren zu prüfen gewesen seien (Art. 59 BayBO). Die von der Eigentümerin des Nachbargrundstücks Fl.Nr. …5 vorgebrachten Einwendungen seien nicht ausreichend, eine Versagung der Baugenehmigung zu begründen, da nachbarschützende Vorschriften nicht verletzt seien. Durch die Errichtung der Außentreppe am Wohnhaus entstehe keine „gebietsfremde Nutzung“ bzw. „schleichende Umwandlung des Gebiets“, da durch die Genehmigung nichts an der Art der bisherigen Nutzung (Wohnnutzung) geändert werde, sondern nur eine Änderungsgenehmigung zu dem bereits genehmigten Umbau des Hauses ausgesprochen werde. Ein Verstoß gegen den Gebietsbewahrungsanspruch sei daher nicht gegeben. Die Möglichkeit der Einsichtnahme sei hinzunehmen, da das öffentliche Baurecht und auch das Gebot der Rücksichtnahme keinen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken vermittele. Eine behauptete Einsichtsmöglichkeit werde auch noch durch den öffentlichen Weg, der zwischen den beiden Grundstücken liege, erschwert. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot liege nicht vor, da diese Treppe nicht dem dauerhaften Aufenthalt diene. Die nun beantragte Stahltreppe sei gegenüber der bereits genehmigten Treppe von den Abmessungen her kleiner und trete weniger als 1,50 m vor die Außenwand.
4. Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 29. November 2016, eingegangen bei Gericht am nächsten Tag (W 5 K 16.1232), ließ die Antragstellerin die Aufhebung der Baugenehmigung vom 23. November 2016 beantragen und am 30. November 2016 den Antrag stellen,
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage „hinsichtlich des Bescheides der Antragsgegnerin vom 23.11.2016 bezüglich des Neubaus einer Stahltreppe“ anzuordnen.
Zur Begründung wurde vorgetragen: Seitens der Antragstellerin werde die Herstellung der aufschiebenden Wirkung begehrt. Der Antrag sei zulässig, die Statthaftigkeit ergebe sich aus § 80 Abs. 5 VwGO. Der Antrag sei begründet, da der angegriffene Bescheid rechtswidrig sei. Dies ergebe sich sowohl aus bauplanungsrechtlichen als auch aus bauordnungsrechtlichen Gesichtspunkten. Wenn die Antragsgegnerin ausführe, dass die Außentreppe weniger als 1,50 m vor die Außenwand vortrete, greife dies zu kurz. Sie hätte in ihre Abwägung miteinbeziehen müssen, dass die streitgegenständliche Bautreppe aufgrund der fehlerhaften Genehmigung der Abweichung eines zweigeschossigen Wohnhauses eine Höhe erreiche, die es nicht hätte erreichen dürfen. Es liege ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot vor. Dieser Verstoß sei bereits außergerichtlich dargestellt worden und habe von der Antragsgegnerin im Bescheid nicht entkräftet werden können. Jedenfalls füge sich das streitgegenständliche Objekt in die nähere Umgebung nicht ein. Außentreppen aus Stahl an Gebäuden existierten in der näheren Umgebung nicht. Erst durch die streitgegenständliche Baumaßnahme erhalte der Bauherr die Möglichkeit, Einsicht in den kompletten Balkon-, Terrassen- und Gartenbereich der Antragstellerin zu nehmen. Soweit die Antragsgegnerin im Bescheid darlege, dass das öffentliche Baurecht generell keinen Schutz vor unerwünschten Einblicken biete, sei zu erwidern, dass die rechtstheoretischen Ausführungen zwar im Regelfall zutreffen mögen, hier jedoch erhebliche Besonderheiten bestünden. Insoweit werde auf die Entscheidung des OVG Thüringen 1 E 672/94 verwiesen, die einen solchen Ausnahmefall zitiere. Soweit ausgeführt werde, dass die Treppe nicht zum dauernden Aufenthalt von Personen bestimmt sei, greife auch dies zu kurz. Denn es bestehe die Möglichkeit, die Plattform zu überdachen und so einen weiteren Aufenthaltsraum zu schaffen. Auch bestehe von dem Raum, der sich hinter dem Mauerdurchbruch befinde, die Möglichkeit, den kompletten Außenbereich des Grundstücks der Antragstellerin einzusehen. Bezüglich der Frage des Rücksichtnahmegebots werde übersehen, dass dieses einen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten solle, was vorliegend nicht geschehen sei. Es seien noch nicht einmal Tatsachen zur Kenntnis genommen worden, die die Interessen der Antragstellerin auch nur annähernd berücksichtigten.
5. Die Antragsgegnerin beantragte,
den Antrag abzuweisen.
Zur Begründung wurde vorgetragen: Der Antrag sei unbegründet, da die erhobene Anfechtungsklage gegen den Baugenehmigungsbescheid vom 23. November 2016 mit erheblicher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben werde. Die Baugenehmigung sei rechtsfehlerfrei im vereinfachten Verfahren ergangen. Vorschriften, die die subjektiv-öffentlichen Rechte im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO der Antragstellerin schützten, würden durch den Bescheid nicht verletzt. Die Einwendungen der Antragstellerin seien bereits im Genehmigungsverfahren gewürdigt worden und es sei auch in den Gründen des Bescheids dargelegt worden, weshalb sie nicht zur Versagung der Genehmigung geführt hätten.
6. Der Beigeladene äußerte sich nicht zur Sache und stellte keinen Antrag.
7. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag ist zulässig.
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin (§ 80 Abs. 1 VwGO) entfällt vorliegend, weil sie sich gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens wendet (§ 212a BauBG). In einem solchen Fall kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs ganz oder teilweise anordnen (§ 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO). Ein derartiger Antrag kann unmittelbar bei Gericht gestellt werden.
Die Antragstellerseite hat vorliegend (zutreffender Weise) nicht einen Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO, sondern einen solchen nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt. Es spricht hier vieles dafür, dass es sich bei dem von der Antragsgegnerin erteilten Bescheid vom 23. November 2016 nicht lediglich um eine Tekturgenehmigung zu der Baugenehmigung vom 16. Juni 2016 handelt, sondern um eine eigenständige Baugenehmigung. So ist zwar – etwas missverständlich – im Betreff des Bescheids von einer „1. Planänderung“ die Rede. Allerdings geht der Tenor des Bescheids eindeutig von einer „Baugenehmigung“ und nicht von einer Änderungs- oder Tekturgenehmigung aus. Als Genehmigungsinhalt sind auch lediglich die Pläne vom September 2016 genannt und nicht auch die früheren Eingabepläne. Auch sonst findet sich im Bescheid vom 23. November 2016 kein Hinweis darauf, dass die Baugenehmigung weiterhin im Rahmen des nun erteilten Bescheides weiter Geltung beanspruchen solle. Auch die Gründe des Bescheids machen deutlich, dass eine eigenständige Baugenehmigung und nicht lediglich eine Änderungsgenehmigung erteilt werden soll, wenn insoweit eine vollständig neue Prüfung durchgeführt werden soll.
Letztlich kann auch offenbleiben, ob es sich vorliegend um einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO oder nach § 80 Abs. 7 VwGO handelt, da die Kammer – als Gericht der Hauptsache i.S.d. § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO – auch für einen solchen Antrag zuständig wäre und die Entscheidung nach den gleichen Grundsätzen zu treffen ist, wie sie für das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO maßgebend sind (vgl. Eyermann, VwGO, § 80 Rn. 108 m.w.N.).
2. Der Antrag ist unbegründet.
Im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO normierten Kriterien. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage bzw. seines Widerspruchs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung des Antragstellers auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bei seiner Entscheidung mit zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen (vgl. BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – NVwZ 2009, 581; BayVGH, B.v. 17.9.1987 – 26 CS 87.01144 – BayVBl. 1988, 369; Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 68 und 73 ff.). Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vollkommen offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
Die Baugenehmigung ist nur dann aufzuheben, wenn sie rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Nachbar eines Vorhabens kann eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt sind, die auch seinem Schutz dienen, oder wenn es das Vorhaben an der gebotenen Rücksichtnahme auf seine Umgebung fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt.
Vorliegend lässt sich nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung anhand der Akten feststellen, dass die Anfechtungsklage der Antragstellerin gegen die Baugenehmigung der Stadt Würzburg vom 23. November 2016 mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben wird, da der angefochtene Bescheid die Antragstellerin nicht in nachbarschützenden Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Nach Art. 59 BayBO ist im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren der Prüfungsrahmen beschränkt. Die Übereinstimmung des Vorhabens mit den Vorschriften der Bayerischen Bauordnung wird grundsätzlich nicht mehr geprüft. Nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO hat die Bauaufsichtsbehörde aber die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die baulichen Anlagen nach § 29 bis 38 BauGB zu prüfen. Aus bauplanungsrechtlichen Gründen spricht nach summarischer Prüfung wenig für einen Erfolg der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren.
2.1. Bauplanungsrechtlich beurteilt sich das Vorhaben des Beigeladenen nach § 30 Abs. 3 BauGB, da hierfür ein einfacher Bebauungsplan gegeben ist, und im Übrigen – also soweit in diesem Bebauungsplan keine Festsetzungen getroffen wurden – nach § 34 BauGB.
Das Baugrundstück befindet sich im Geltungsbereich des Baulinienplans (einfacher Bebauungsplan) „Für das Gebiet zwischen S. Straße –P.– L. und K. Straße“, genehmigt mit RB vom 15. Oktober 1953, i.d.F. der vereinfachten Änderung vom 31. März 1971, der ein reines Wohngebiet festsetzt.
Bei Vorliegen eines einfachen Bebauungsplans i.S.d. § 30 Abs. 3 BauGB ist das Vorhaben – wie auch bei einem qualifizierten Bebauungsplan nach § 30 Abs. 1 BauGB – nur dann zulässig, wenn es dessen Festsetzungen nicht widerspricht (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Mai 2016, BauGB, § 30 Rn. 32). Dies ist hier der Fall. Bei dem Vorhaben auf Errichtung eine Außentreppe (hier in der Form einer Wendeltreppe) zwischen Terrasse im Erdgeschoss und Balkon im Obergeschoss handelt es sich seiner Art nach um ein Vorhaben i.S.v. § 3 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO, nämlich um eine bauliche Änderung an einem Wohngebäude. Dass eine Außentreppe an einem bestehenden Wohngebäude, die dazu dient von der Terrasse des Erdgeschosses zum Balkon des Obergeschosses – und umgekehrt – zu gelangen, seiner Art nach als bauliche Änderung an einem Wohngebäude zulässig ist, bedarf aus Sicht der Kammer keiner weiteren Begründung. Mithin kommt es nicht darauf an, ob Außentreppen in der näheren Umgebung vorhanden sind. Enthält nämlich der einfache Bebauungsplan Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung, wie dies hier mit der Festsetzung des reinen Wohngebiets i.V.m. § 3 Abs. 2 BauNVO der Fall ist, trifft der Bebauungsplan insoweit eine abschließende Regelung. Nur bzgl. der anderen Merkmale ist § 34 Abs. 1 BauGB noch zu prüfen (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 30 Rn. 35). Nicht aber ist das Einfügungsgebot des § 34 Abs. 1 BauGB in einem solchen Fall bzgl. der Art der baulichen Nutzung zu prüfen.
2.2. Der von Antragstellerseite gerügte Verstoß gegen den sog. Gebietsbewahrungs- oder Gebietserhaltungsanspruch scheidet ebenfalls aus. Auch mit dem Vortrag, dass die Antragsgegnerin in ihre Abwägung hätte miteinbeziehen müssen, dass die streitgegenständliche Bautreppe aufgrund der fehlerhaften Genehmigung der Abweichung eines zweigeschossigen Wohnhauses eine Höhe erreiche, die es nicht hätte erreichen dürfen, kann die Antragstellerin nicht durchdringen.
Insoweit wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf den Beschluss der Kammer vom 16. August 2016 im Verfahren W 5 S. 16.761, S. 11 f. des amtlichen Umdrucks Bezug genommen. Darüber hinaus hat der Bayer. Verwaltungsgerichtshof im Beschluss vom 7. Dezember 2016 im Verfahren 9 CS 16.1822 die folgenden Ausführungen gemacht, denen sich die Kammer anschließt und die auch im hiesigen Verfahren Geltung beanspruchen:
„Die Antragstellerin kann sich nicht auf einen Gebietserhaltungsanspruch berufen. Der Gebietserhaltungsanspruch gibt Eigentümern von Grundstücken, die in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiet liegen, unabhängig von konkreten Beeinträchtigungen das Recht, sich gegen Vorhaben zur Wehr zu setzen, die in dem Gebiet hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht zulässig sind (BayVGH, U.v.25.3.2013 – 14 B 12.169 – juris Rn. 19). Dieser bauplanungsrechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.2007 – 4 B 55.07 – juris Rn. 5). Die Antragstellerin wohnt jedoch außerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplans „Für das Gebiet zwischen S. Straße – P. – L. und K. Straße“, in dem das geplante Bauvorhaben liegt. Ein gebietsübergreifender Schutz der Nachbarn vor (behaupteten) gebietsfremden Nutzungen im lediglich angrenzenden Plangebiet unabhängig von konkreten Beeinträchtigungen besteht grundsätzlich nicht (vgl. BayVGH, B.v. 2.5.2016 – 9 ZB 13.2048 – juris Rn. 14). Anhaltspunkte für einen ausnahmsweise gebietsübergreifenden Nachbarschutz aufgrund der gemeindlichen Zwecksetzung im Bauleitplanverfahren sind hier aus dem Vorbringen der Antragstellerin nicht ersichtlich. Der von ihr angeführte gebietsprägende Schutz der jeweiligen Grundstückseigentümer vor vollständigem Einblick ihrer Nachbarschaft in die gesamte Grundstücksfläche lässt sich weder der Begründung zum Bebauungsplan noch den vorgelegten Planaufstellungsakten oder den Festsetzungen entnehmen. Die Antragstellerin übersieht, dass die Geschossigkeit im Bebauungsplan berg- und talseitig unterschiedlich festgesetzt ist und talseitig zwei Vollgeschosse zulässig sind. Damit ist bereits planungsrechtlich talseitig eine erhöhte Aussicht und Einsichtnahmemöglichkeit nicht ausgeschlossen. Hiervon weicht die Erteilung der Baugenehmigung für den Neubau der Treppe von der Terrasse zum Balkon des Obergeschosses seitlich zur Talseite des bestehenden Wohngebäudes auch nicht ab.“
2.3 Nach summarischer Prüfung geht die Kammer – wie auch im Verfahren W 5 S. 16.761 – davon aus, dass die streitgegenständliche Treppenanlage des Beigeladenen nicht gegen das sowohl in § 15 Abs. 1 BauNVO als auch in § 34 Abs. 1 BauGB verankerte und nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme verstößt. Insbesondere kann der Antrag keinen Erfolg haben, soweit die Antragstellerin eine Rücksichtslosigkeit des Vorhabens wegen Einsichtnahmemöglichkeit in ihr Grundstück geltend macht.
Insoweit hat die Kammer im Beschluss vom 16. August 2016 im Verfahren W 5 S. 16.761 Folgendes ausgeführt:
„Auch die Möglichkeit der Einsichtnahme in ihr Grundstück muss die Antragstellerin hinnehmen. Das öffentliche Baurecht vermittelt keinen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken (vgl. Dirnberger in Simon/Busse, BayBO Art. 66 Rn. 440). Das bauplanungsrechtliche Gebot des Einfügens bezieht sich nur auf die in § 34 Abs. 1 BauGB genannten städtebaulichen Merkmale der Art der baulichen Nutzung, des Maßes der baulichen Nutzung, der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche. Die Möglichkeit der Einsichtnahme ist – als nicht städtebaulich relevant – davon nicht angesprochen (vgl. BVerwG, B.v. 24.4.1989 – 4 B 72.89 – NVwZ 1989, 1060 und B.v. 3.1.1983 – 4 B 224.82; BayVGH, B.v. 9.10.2012 – 15 CS 12.1852; alle juris). Das Gebot der Rücksichtnahme bietet in aller Regel keinen Schutz vor Einsichtsmöglichkeiten auf Grundstücke (vgl. BayVGH, B.v. 6.8.2010 – 15 CS 09.3006, m.w.N.; OVG Schleswig, B.v. 16.10.2009 – 1 LA 42/09; VGH Mannheim, B.v. 3.3.2008 – 8 S 2165/07; OVG Münster, U.v. 12.9.2006 – 10 A 2980/05; alle juris). Ein Anspruch des Grundstücksnachbarn auf Erhaltung eines „Gepräges mit Verhinderung jeglicher Einsichtsmöglichkeit“, wie der Antragstellerbevollmächtigte meint, lässt sich mithin weder dem Gebot der Rücksichtnahme noch dem sog. Gebietsbewahrungsanspruch entnehmen.
Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall, in dem Einblicksmöglichkeiten in das Nachbargrundstück, die durch ein neues Bauvorhaben geschaffen werden, unter besonders gravierenden Umständen als Verletzung des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme angesehen werden, sind hier nicht ersichtlich. Dies könnte etwa der Fall sein, wenn durch das neue Bauvorhaben unmittelbare Einsichtsmöglichkeiten aus kurzer Entfernung in Wohnräume geschaffen werden, zumal in rückwärtig gelegene Räume, die sich wegen ihrer Lage besonders zur Nutzung als Schlafräume anbieten (so OVG Thüringen, B.v. 11.5.1995 – 1 EO 486/94 und OVG Bremen, B.v. 14.5.2012 – 1 B 65/12 – beide juris) oder wenn eine Dachterrasse aus kurzer Entfernung Einsichtsmöglichkeiten nicht nur in einen Innenhof, sondern auch in die Fenster eines Nachbargebäudes eröffnet (vgl. OVG Magdeburg, B.v. 12.12.2011 – 2 M 162/11 – juris).
Die mit der Nutzung der streitgegenständlichen Treppe verbundenen Einsichtsmöglichkeiten auf das Grundstück der Antragstellerin, das auch noch durch einen öffentlichen Weg vom Baugrundstück getrennt ist, erreichen vorliegend nicht das Ausmaß einer unzumutbaren Beeinträchtigung. Im vorliegenden Fall ist nichts dafür vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich, dass aus kurzer Entfernung von der streitgegenständlichen Außentreppe des Beigeladenen Einblick in (besonders schutzwürdige) Räume des Wohngebäudes der Antragstellerin genommen werden könnte. Der Abstand zwischen der Außentreppe und der Außenwand des Wohngebäudes der Antragstellerin beträgt immerhin 23 m. Darüber hinaus besteht bereits jetzt die Möglichkeit, von den in der Nordost-Fassade des Wohnhauses der Beigeladenen vorhandenen Fenstern Einblick in einige Bereiche des Gartens der Antragstellerin zu nehmen, wie auch umgekehrt die Möglichkeit besteht, vom Balkon des Wohnhauses der Antragstellerin Einblick in den Gartenbereich des Beigeladenen zu nehmen. Von einer Bebauung mit „Verhinderung jeglicher Einsichtsmöglichkeit“ – wie die Antragstellerseite meint – kann hier schon jetzt nicht gesprochen werden. Rechtliche Hinderungsgründe, dass die Mauerscheibe, also die den Balkon Richtung P. abschließende Außenwand nicht durchbrochen oder entfernt werden dürfte, sind für die Kammer jedenfalls nach dem Stand des summarischen Verfahrens nicht erkennbar.
Anders als die Antragstellerseite meint besteht auch nicht die Gefahr, dass von der Außentreppe des Beigeladenen nicht nur vorübergehend auf das Grundstück der Antragstellerin Einsicht genommen wird. Die Treppe ist nicht zum länger dauernden Aufenthalt von Personen bestimmt, sondern allein der zusätzlichen Erschließung des vorhandenen Balkons. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass sich Personen über einen längeren Zeitraum – anders als etwa auf einem Balkon oder einer Terrasse – auf der Treppe aufhalten und die Antragstellerin deshalb für eine mehr als geringfügige Zeitspanne mit der Einsicht auf den Gartenbereich ihres Grundstück rechnen muss. Des Weiteren beschränkt sich der Kreis der Nutzer der Treppe im Wesentlichen auf die Bewohner des Einfamilienhauses des Beigeladenen und deren Besucher und damit auf einen überschaubaren Personenkreis. Die Möglichkeit der Einsichtnahme von der Außentreppe aus führt auch nicht dazu, dass der Antragstellerin keine Rückzugsmöglichkeit auf ihrem Grundstück mehr verbliebe. Im Übrigen kann die Einsichtnahmemöglichkeit jedenfalls teilweise durch den vorhandenen bzw. eventuell neuen Bewuchs auf dem Grundstück der Antragstellerin gemindert werden.“
Diese Ausführungen beanspruchen auch hinsichtlich des streitgegenständlichen Bescheids vom 23. November 2016 Geltung, da sich insoweit keinerlei Änderungen durch die Ausführung der Außentreppe in Form einer Wendeltreppe ergeben haben. Dass nun in die Öffnung der Mauerscheibe am oberen Treppenausgang eine Tür eingebaut werden soll, führt jedenfalls zu keiner Verschlechterung aus Sicht des Nachbarschutzes.
Die vom Bevollmächtigten der Antragstellerin angeführte Möglichkeit der Überdachung der Plattform und der Schaffung eines „weiteren Aufenthaltsraums“ ist schon nicht Gegenstand der angefochtenen Baugenehmigung.
2.4. Soweit in der Rechtsprechung zudem anerkannt ist, dass eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots auch dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft z.B. befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78; B.v. 20.9.1984 – 4 B 181/84; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85 – alle juris), kann dies im vorliegenden Fall der Antragstellerin ebenfalls nicht zum Erfolg verhelfen. Denn die „Masse“ des Vorhabens entfaltet vorliegend keine erdrückende Wirkung.
3. Nachdem die Klage der Antragstellerin nach allem mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben wird, überwiegt das Interesse des Beigeladenen an einer baldigen Ausnutzung der Baugenehmigung das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage. Somit konnte der Antrag keinen Erfolg haben und war mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO abzuweisen. Da sich der Beigeladene nicht durch eigene Antragstellung am Prozesskostenrisiko beteiligt hat, entsprach es nicht der Billigkeit, seine eventuell entstandenen außergerichtlichen Aufwendungen der Antragstellerin aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO).
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2 und § 63 Abs. 2 GKG. Nachbarklagen werden nach Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 mit 7.500,00 EUR bis 15.000,00 EUR im Hauptsacheverfahren bewertet. Die Kammer hält im vorliegenden Fall in der Hauptsache einen Streitwert von 7.500,00 EUR als angemessen, der für das vorliegende Sofortverfahren zu halbieren ist (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs).

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