Aktenzeichen M 9 K 16.50073
VwGO VwGO § 57 Abs. 2, § 60 Abs. 1, § 80 Abs. 5, § 101 Abs. 2, § 102 Abs. 1
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 29 Abs. 1
ZPO ZPO § 222
BGB BGB § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2
Leitsatz
1 Kann eine Sendung dem Asylbewerber nicht zugestellt werden, so gilt die Zustellung gemäß § 10 Abs. 2 S. 4 AsylG mit der Aufgabe zur Post bewirkt, selbst wenn die Sendung als unzustellbar zurückkommt. (redaktioneller Leitsatz)
2 Von fehlendem Verschulden im Sinne des § 60 VwGO kann nicht ausgegangen werden, wenn der Asylantragsteller seiner Pflicht zur Mitteilung des Wohnsitzwechsels nicht nachkommt und auch an seinem bisherigen Wohnsitz keine Maßnahmen trifft, um die zu erwartende Zustellung eines Bescheids sicherzustellen. (redaktioneller Leitsatz)
3 Der mittlerweile eingetretene Ablauf der Überstellungsfrist ändert nichts an der Unzulässigkeit der Klage, denn auf eine unzulässige Klage hin kann der Bescheid nicht aufgehoben werden, auch wenn er mittlerweile rechtswidrig geworden wäre. (redaktioneller Leitsatz)
4 Ist die Versäumung der Klagefrist auf den ersten Blick zu greifen und der Wiedereinsetzungsantrag unter keinem denkbaren Gesichtspunkt stattgabefähig, ist die Unzulässigkeit der Klage für das Gericht offensichtlich im Sinn des § 78 Abs. 1 S. 1 AsylG. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Klage wird als offensichtlich unzulässig abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Das Gericht kann entscheiden, obwohl keiner der Beteiligten zur mündlichen Verhandlung erschienen ist. Die Beteiligten wurden unter Hinweis auf diese Möglichkeit ordnungsgemäß geladen (vgl. § 102 Abs. 1 VwGO). Daran ändert auch das Schreiben der Klägerbevollmächtigten, das am späten Nachmittag des 8. Dezember 2016 per Telefax bei Gericht einging und in dem beantragt wird, im schriftlichen Verfahren zu entscheiden, nichts. Das erklärte Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, § 101 Abs. 2 VwGO, bindet das Gericht nicht; das Gericht kann trotz auch übereinstimmender Verzichtserklärungen der Beteiligten aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden, wovon das Gericht hier Gebrauch macht. Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 101 Abs. 2 VwGO („kann“) und entspricht der allgemeinen Meinung (vgl. nur Geiger in: Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 101 Rn. 10 m. w. N.).
Die Klage ist unzulässig. Die Klagefrist (§ 74 Abs. 1 AsylG) war zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits abgelaufen.
Der Kläger hat die Klage nicht innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des angegriffenen Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom … Dezember 2015 und damit nicht fristgerecht im Sinne von § 74 Abs. 1 Hs. 2 AsylG i. V. m. § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG erhoben. Wiedereinsetzung in die Wochenfrist ist nicht zu gewähren.
Der streitgegenständliche Bescheid gilt spätestens am 4. Dezember 2015 als zugestellt. Die Klagefrist endete folglich spätestens mit Ablauf des 11. Dezember 2015 (vgl. § 57 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 222 Abs. 1 ZPO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB). Im Zeitpunkt des Eingangs der Klage bei Gericht am 3. Februar 2016 war die Klagefrist somit längst abgelaufen.
Nach § 10 Abs. 1 AsylG hat der Ausländer während der Dauer des Asylverfahrens vorzusorgen, dass ihn Mitteilungen des Bundesamtes, der zuständigen Ausländerbehörde und der angerufenen Gerichte stets erreichen können. Insbesondere hat er jeden Wechsel seiner Anschrift den genannten Stellen unverzüglich anzuzeigen.
Gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 und 2 AsylG muss der Ausländer Zustellungen und formlose Mitteilungen unter der letzten Anschrift, die der jeweiligen Stelle aufgrund seines Asylantrags oder seiner Mitteilung bekannt ist, gegen sich gelten lassen, wenn er für das Verfahren weder einen Bevollmächtigten bestellt noch einen Empfangsberechtigten benannt hat oder diesen nicht zugestellt werden kann. Das Gleiche gilt, wenn die letzte bekannte Anschrift, unter der der Ausländer wohnt oder zu wohnen verpflichtet ist, durch eine öffentliche Stelle mitgeteilt worden ist.
Im vorliegenden Fall wurde dem Bundesamt die Anschrift „…-Str. 76, …“ mitgeteilt (Bl. 28, 76 der Behördenakte). Das war die Adresse des Klägers im Zeitpunkt der Asylantragstellung. An diese Anschrift ist der streitgegenständliche Bescheid auch adressiert worden. Es ist weder aus den Akten ersichtlich noch glaubhaft vom Kläger vorgetragen, dass die Adressänderung zum 9. November 2015 dem Bundesamt zur Kenntnis gebracht wurde. Hierüber existiert weder ein Vermerk noch eine schriftliche Mitteilung. Der Kläger hat in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 3. Februar 2016 lediglich behauptet, er habe den neuen Wohnsitz dem Bundesamt mitgeteilt. Nachdem er weder vorträgt, wann dies geschehen sein soll noch in welcher Form eine solche Mitteilung an das Bundesamt gegangen sein soll, ist die Behauptung angesichts der eindeutigen Aktenlage nicht glaubhaft.
Der Bescheid vom … Dezember 2015 wurde dem Kläger wirksam zugestellt.
Kann eine Sendung dem Asylbewerber nicht zugestellt werden, so gilt die Zustellung gemäß § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG mit der Aufgabe zur Post als bewirkt, selbst wenn die Sendung – wie im vorliegenden Fall – als unzustellbar zurückkommt. Aufgrund dieser Bestimmung gilt der Bescheid des Bundesamtes vom … Dezember 2015 als spätestens am 4. Dezember 2015 an den Kläger zugestellt. Ausweislich der Zustellungsurkunde ist an diesem Tag ein erfolgloser Zustellversuch erfolgt, weil der Kläger unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln war.
Der Kläger ist ausweislich des Verwaltungsvorgangs des Bundesamtes auch hinreichend über seine Mitwirkungspflichten, insbesondere darüber belehrt worden, dem Bundesamt, der Ausländerbehörde und im Falle eines Gerichtsverfahrens auch dem Verwaltungsgericht jeden Wohnungswechsel umgehend mitzuteilen. Der Kläger hat anlässlich der Asylantragstellung am 23. Juli 2015 den Gesetzestext u. a. des § 10 AsylG sowie eine ausführliche schriftliche Erläuterung sowohl in deutscher Sprache als auch in englischer Sprache erhalten. Damit ist er ordnungsgemäß im Sinne von § 10 Abs. 7 AsylG auf seine Obliegenheiten im Asylverfahren hingewiesen worden. Die Belehrung ist in verständlicher Sprache abgefasst und weist ausdrücklich auf die Pflicht hin, Adressänderungen – auch bei behördlich veranlasstem Umzug – mitzuteilen. Auch die Möglichkeit der Zustellung an die zuletzt mitgeteilte Adresse wird erwähnt.
Die hilfsweise beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht zu gewähren. Dies würde gem. § 60 Abs. 1 VwGO voraussetzen, dass der Kläger ohne Verschulden gehindert war, die Klagefrist einzuhalten. Von fehlendem Verschulden kann dann nicht ausgegangen werden, wenn der Asylantragsteller seiner Pflicht zur Mitteilung des Wohnsitzwechsels nicht nachkommt und auch an seinem bisherigen Wohnsitz keine Maßnahmen trifft, um die zu erwartende Zustellung eines Bescheid sicherzustellen (VG München, U. v.09.08.2007 – M 24 K 07.50513 -, juris Rn. 22). Dies ist hier nicht erfolgt. Wie bereits ausgeführt ist die Behauptung, der Wohnsitzwechsel sei dem Bundesamt mitgeteilt worden, nicht glaubhaft dargelegt.
Die von der Klägerbevollmächtigten in ihrem Schreiben vom 8. Dezember 2016 mitgeteilte Auffassung, dass mittlerweile die sog. Überstellungsfrist, Art. 29 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO abgelaufen sei, ändert nichts an der Entscheidung. Denn auf eine unzulässige Klage hin kann der streitgegenständliche Bescheid ohnehin nicht aufgehoben werden, auch wenn er mittlerweile rechtswidrig geworden wäre. Unabhängig davon trifft es gar nicht zu, dass die Überstellungsfrist bereits abgelaufen wäre; die Überstellungsfrist läuft vielmehr erst mit dem Ablauf des 7. Januar 2017 ab. Die sechsmonatige Frist beginnt nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO grundsätzlich mit der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat. Vor Ablauf der Überstellungsfrist hat der Kläger aber Klage erhoben und gleichzeitig einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gestellt. Den Antrag hat das Gericht mit Beschluss vom 23. Juni 2016 abgelehnt und diesen Beschluss der Prozessbevollmächtigten des Klägers und dem Bundesamt mit Empfangsbekenntnis zugestellt und zwar der Prozessbevollmächtigten am 1. Juli 2016 und dem Bundesamt am 7. Juli 2016. Dies hatte den neuen Beginn der Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO zur Folge, denn die Überstellungsfrist wird nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts durch den vor ihrem Ablauf gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung unterbrochen und mit einer ablehnenden Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes neu in Lauf gesetzt (vgl. nur BVerwG, U. v.27.04.2016 – 1 C 24.15 -, juris Rn. 18).
Auch der Umstand, dass mittlerweile – ausgehend von der Vorlage einer Aufenthaltsgestattung für den Kläger – offenbar die Behörden der Beklagten davon ausgehen, dass sie für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig sind, ändert nichts am Ergebnis, da sich auch dieser Umstand nicht auf die Unzulässigkeit der Klage und dem daraus folgenden Verbot, die Begründetheit der Klage zu prüfen, auswirkt.
Die vorgenommene qualifizierte Klageabweisung gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 AsylG setzt voraus, dass im Entscheidungszeitpunkt an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung – nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre – sich die Klageabweisung geradezu aufdrängt (BVerfG, Kammerb. v.20.09.2001 – 2 BvR 1392/00 -, juris Rn. 17). Die Unzulässigkeit der Klage ist für das Gericht offensichtlich in diesem Sinne; die Versäumung der Klagefrist ist auf den ersten Blick zu greifen und der Wiedereinsetzungsantrag ist unter keinem denkbaren Gesichtspunkt stattgabefähig.
Nach alledem ist die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708ff. ZPO.
Das Urteil ist unanfechtbar (§ 78 Abs. 1 Satz 1 AsylG).