Aktenzeichen 8 Ca 4086/15
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10
Leitsatz
Sieht ein Ergänzungstarifvertrag (ErgTV, hier: Ergänzungstarifvertrag zur langfristigen und nachhaltigen Sicherung des Werkes … und der dort bestehenden Arbeitsplätze) die Umwandlung eines Teiles des tariflichen Monatsentgelts ausschließlich aus dem leistungsabhängigen Anteil des Monatsentgelts in eine übertarifliche Zulage (sog. RoSi-Zulage) und deren Verrechnung mit tabellenwirksamen Tariferhöhungen vor, wird nach Beendigung des ErgTV ohne Nachwirkung der noch nicht durch Anrechnung verbrauchte Teil der Zulage nicht wieder Bestandteil des tariflichen Monatsentgelts. Die Zulage kann auch nach Ablauf des ErgTV ohne Nachwirkung mit künftigen Tariflohnerhöhungen verrechnet werden. (Rn. 23 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.604,00 festgesetzt.
4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.
Gründe
Die Klage ist zulässig.
Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist eröffnet und das Arbeitsgericht Nürnberg – Gerichtstag Ansbach – im Urteilsverfahren örtlich zuständig (§§ 2 Abs. 1 Nr. 3 a, 46 Abs. 2 ArbGG, 17 ZPO).
Gegen den auf Feststellung des Anspruchs auf weitere Zahlung der RoSi-Zulage über den 31.12.2013 hinaus gerichteten Klageantrag bestehen keine rechtlichen Bedenken. Ein dahingehendes als allgemeine Sachurteilsvoraussetzung notwendiges Feststellungsinteresse (§ 256 ZPO) der Klägerin ist vorliegend zu bejahen, weil die Beklagte sich zwar des Anspruchs auf künftige Anrechnung der Zulage bis zur endgültigen Abschmelzung berühmt, das erstrebte Urteil jedoch geeignet ist, die gegenwärtige Gefahr der Rechtsunsicherheit zu beseitigen und trotz möglicher Leistungsklage zu erwarten ist, dass die Beklagte auf ein Feststellungsurteil hin leisten werde (Zöller, ZPO, 31. Aufl.,§ 256, Rn. 7 ff.).
Die Klage ist unbegründet.
Unstreitig wurde bei der Beklagten am 29.07.2008 der ErgTV zwischen dem Verband der bayerischen Metall- und Elektroindustrie e.V. und der IG-Metall abgeschlossen. Dieser Tarifvertrag ist für das vorliegende Arbeitsverhältnis kraft beiderseitiger Tarifbindung anzuwenden (§ 3 Abs. 1 TVG i.V.m. § 1 ErgTV).
Die Klägerin steht der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Zahlung des behaupteten weiterhin bestehenden Gehaltsbestandteils in Form der sog. RoSi-Zulage in Höhe von monatlich 62,00 € brutto für die Monate Juli mit Dezember 2013 sowie Januar 2014 und darüber hinaus aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Die Beklagte durfte in zulässiger Weise eine Anrechnung des tariflichen Entgelts zum 01.07.2013 auf die übertarifliche Zulage (RoSi-Zulage) vornehmen.
Nach dem Willen der Tarifvertragsparteien des ErgTV ist ein Teil des Tarifentgelts in eine übertarifliche Zulage (RoSi-Zulage) zulässigerweise umgewandelt worden.
Bei der Anrechnung übertariflicher Lohnbestandteile auf Tariferhöhungen muss die individualrechtliche von der kollektivrechtlichen Zulässigkeit unterschieden werden. Die von der Beklagten vorgenommene weitere Anrechnung der RoSi-Zulage ist nicht bereits wegen Nichtbeachtung eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG unwirksam und verstößt somit nicht gegen kollektivrechtliche Bestimmungen, mit der Folge der individualrechtlichen Unwirksamkeit der Anrechnung. Bei voller und gleichmäßiger Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf die Zulage aller Arbeitnehmer besteht kein Mitbestimmungsrecht. Gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hat der Betriebsrat in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung ein Mitbestimmungsrecht. Das Mitbestimmungsrecht soll die Arbeitnehmer vor einer einseitig an den Interessen des Arbeitgebers orientierten oder willkürlichen Lohngestaltung schützen. Es soll die Angemessenheit und Durchsichtigkeit des innerbetrieblichen Lohngefüges und die innerbetriebliche Lohngerechtigkeit sichern. Um diesem Zweck gerecht zu werden, ist der Begriff „Lohn“ im weitesten Sinne zu verstehen (ErfKo, Kania, 17. Auflage, 210 BetrVG, § 87 BetrVG Rn. 96). Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anrechnung einer Tariferhöhung auf übertarifliche Zulagen besteht in diesem Zusammenhang dann, wenn sich dadurch die bisher bestehenden Verteilungsrelationen ändern, also die verschiedenen Zulagenbeträge im Verhältnis zueinander. Weitere Voraussetzung ist, dass für die Neuregelung innerhalb des vom Arbeitgeber mitbestimmungsfrei vorgegebenen Dotierungsrahmens ein Gestaltungsspielraum besteht. Deshalb ist die Anrechnung mitbestimmungsfrei, wenn sie das Zulagenvolumen völlig aufzehrt. Dasselbe gilt, wenn die Tariferhöhung im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen vollständig und gleichmäßig auf die übertariflichen Zulagen angerechnet wird (BAG GS v. 03.12.1991 – GS 1/90). Dies trifft hier zu. Die Tariflohnerhöhung vom 01.07.2013 wurde unbestritten (§ 138 Abs. 2 ZPO) bei allen Mitarbeitern ausschließlich mit der RoSi-Zulage – bei keinem Mitarbeiter mit einer anderen, insbesondere der Überschreiter- oder der Ausgleichszulage – verrechnet. In Übereinstimmung mit der Beklagten ist somit zutreffend davon auszugehen, dass vorliegend ein Mitbestimmungsrecht nicht besteht und nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zwar die Beschränkung der Anrechnungsmöglichkeit mit dem Ende der Laufzeit entfallen ist, nicht aber die Möglichkeit der Anrechnung selbst (BAG, Urteil vom 25.06.2002, Az.: 3 AZR 167/01 = NZA 2002, 1216).
Nach dem im Tarifvertragsrecht geltenden Ablösungsprinzip verdrängt ein von den Tarifvertragsparteien neu abgeschlossenes Tarifwerk ein altes, tritt an die Stelle des vorhergehenden und löst dieses – wenn nichts anderes vereinbart ist – in Gänze ab, unabhängig davon, ob die frühere tarifliche Ordnung günstiger war (Wiedemann, TVG, 7. Aufl., § 4 Rn. 261f., 641). Damit haben die Tarifvertragsparteien mit Einführung des ERATV, insbesondere in den §§ 6 ff. des ERATV zum leistungsabhängigen Entgelt das bis dahin geltende Tarifgefüge auf eine neue Grundlage gestellt, mit der Folge, dass auch die aus dem alten Tarifsystem entstandene übertarifliche Zulage, soweit sie noch bestanden haben sollte, in Wegfall geraten bzw. durch die Neuregelung ersetzt worden ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 6 Ziffer 3 (II) ErgTV : „Im Vorgriff auf die ERAEinführung …“. Mit der Einführung des ERATV wurde das gesamte bis zu diesem Zeitpunkt geltende Tarifsystem einschließlich des ErgTV durch die tarifliche Neuregelung abgelöst. Somit erübrigt sich bereits aus diesem Grund die Frage, ob ein etwa noch bestehender, nicht durch die bis dahin jährlich jeweils maximal in Höhe von 2% des angerechneten Monatsentgelts aus dem leistungsabhängigen Anteil nicht verbrauchter Teil der sog RoSi-Zulage aus dem im ErgTV maximal in Höhe von 10% bestehender Rest, als wieder (rück-) umgewandeltes Tarifentgelt aus dem ehemaligen Leistungsentgelt künftig mit Ablauf des 31.12.2012 wieder ein anrechnungsfester Entgeltbestandteil zusätzlich zum (neuen) tariflichen Monatsentgelts geworden und künftig als Kompensation für entfallenes leistungsabhängiges Entgelt uneingeschränkt geschuldet ist. Ein solcher dahingehender Wille der TV Parteien ist nicht erkennbar, auch eine Auslegung des ErgTV spricht nicht hierfür. Der Beklagten ist daher beizupflichten, dass die Anrechnungsmöglichkeit nicht mit dem Ende der Laufzeit weggefallen ist. Der ErgTV schränkt die Möglichkeit einer Anrechnung lediglich ein. Mit dem Ende der Laufzeit ist allein diese Beschränkung entfallen. Seitdem gelten, nachdem in der Zwischenzeit Zeitentgelt mit der Methode Leistungsbeurteilung für alle Fertigungsmitarbeiter der Beklagten als leistungsabhängiges Entgelt festgelegt worden ist, wieder uneingeschränkt die §§ 6 ff. ERATV zum leistungsabhängigen Entgelt, mit der Folge, dass sich, von der Klägerin unbestritten, keinerlei Einschränkungen mehr zu ihren Lasten beim tariflichen Entgelt, auch nicht beim leistungsabhängigen Entgelt, ergeben.
Unabhängig davon vermochte die Klägerin auch keinen tarifvertraglich weiterhin nach dem ErgTV geltenden Anspruch in ansonsten rechnerisch unstreitiger Höhe zu begründen. Sie leitet aus der der Beendigung des ErgTV ohne Nachwirkung unzutreffend die Rechtsfolge ab, dass „der noch nicht durch Anrechnung verbrauchte Teil der RoSi-Zulage wieder Bestandteil des tariflichen Monatsentgelts“ werden sollte. Ein solcher Wille der TV-Parteien hätte ausdrücklich kundgetan werden müssen. Die Auslegung des ErgTV spricht jedenfalls nicht dafür. Die Beweislast hierfür liegt bei der Klägerin. Gegen die automatische Rückwirkung als Monatsentgelt spricht, dass der ErgTV die Sicherung des Standortes der Beklagten bewirken soll (siehe Präambel) und auch der langfristigen und nachhaltigen Sicherung der Arbeitsplätze dient. Mit Ablauf des 31.12.2012 ist die im ErgTV vereinbarte Anrechnungsmöglichkeit in Höhe von 2%(jährliche) Anrechnungsgrenze entfallen. Nicht entfallen ist jedoch die Möglichkeit der Anrechnung als solche, weil es sich auch weiterhin um eine umgewandelte übertarifliche Zulage handelt. Eine Zurückumwandlung ist jedoch nicht vereinbart und wohl auch erkennbar nicht gewollt. Vereinbart wurde im ErgTV eine Begrenzung der Anrechnungshöhe bis 31.12.2012, danach steht es dem Arbeitgeber nach allgemeinen Grundsätzen frei zu entscheiden, ob, wann, in welcher Höhe und wie er anrechnet.
Nicht zu folgen ist der Meinung der Klägerin, die Tarifvertragsparteien hätten mit dem Wegfall der Anrechnungsmöglichkeit ohne Nachwirkung zeitgleich mit der Beendigung des ErgTV gerade bewusst das Risiko in Kauf genommen, dass eine Anrechnung der RoSi-Zulage in dem Zeitraum vom 01.06.2008 bis zum 31.12.2012 nicht in vollem Umfang erfolgen könnte und ihnen klar gewesen wäre, dass dieses Risiko zu Lasten der Beklagten gehe. Auch hiervon kann ohne weiteren substanziierten Sachvortrag ebenso wenig ausgegangen werden, wie von den schlagwortartigen Behauptungen, „dies sei vom Geschäftsführer V in zahlreichen Gesprächen und Verhandlungen so kommuniziert worden“, dies sei dann Sache des Arbeitgebers“ oder sinngemäß „dass er das dann auf seine Kappe nehme“. Eine vom GF bindende unabhängige konstitutive Zusage der Weiterzahlung des alten Tarifentgelts in Höhe des nicht durch Anrechnung verbrauchten Teils der RoSi-Zulage bei jedem Tarifbeschäftigten mit Ablauf des 31.12.2012 und damit wieder einem Bestandteil des tariflichen Monatsentgelts ist dem nicht zwingend zu entnehmen. Allein die behaupteten sinngemäßen Aussage des GF V vermögen die Annahme eines eigenständigen von den tariflichen Regelungen losgelösten Bindungswillens ebenso wenig zu rechtfertigen wie die von der Klägerin aufgezeigte Historie der Textierung.
Von einer gewollten „Rück“-Umwandlung“ kann nach Ansicht der Kammer nicht ausgegangen werden. Letztlich handelte es sich um einen Sanierungsbeitrag der Arbeitnehmer. Die Tarifvertragsparteien haben allein das Volumen des leistungsabhängigen Tarifanteils, nicht jedoch den Grundlohn in zulässiger Weise reduziert. Sinn und Zweck der Regelung war demnach erkennbar eine anzurechnende für den Arbeitgeber am Ende der Laufzeit kostenneutrale und für die Arbeitnehmer zumutbare Sonderleistung der Arbeitnehmer auf 5 Jahre verteilt aus der Zulage, jedoch nicht in einem Umfang. Dies ergibt sich aus der Kombination der Laufzeit des Tarifvertrags und der Verrechnungsmöglichkeit von jeweils 2% jährlich. Indiz hierfür ist gerade die 2% ige Anrechnungsmöglichkeit, die bei einer 5- jährigen Laufzeit dem maximalen 10% igen Sanierungsbeitrag der Arbeitnehmer entspricht. Zwischen den Parteien ist nicht streitig, dass die Tarifvertragsparteien selbst davon ausgegangen sind, dass bereits durch die vereinbarte Regelung unter normalen Umständen eine vollständige Anrechnung des Solidarbeitrags rechnerisch eintreten werde und es keine Rolle spielen sollte, ob letztlich ein nicht abgeschmolzener Teil der in Anrechnung kommenden Zulage nach Ablauf der Laufzeit des ErgTV verbleibt. In Übereinstimmung mit der Beklagten ist bei Abschluss des ErgTV der Regelung der Wille der Tarifvertragsparteien der vollständigen Verrechnung der RoSi-Zulage zu entnehmen. Dass die Erwartungen der Tarifvertragsparteien nicht eingetreten sind, lag letztlich allein daran, dass es im Jahr 2010 zu keiner Tariferhöhung für die bayerische Metall- und Elektroindustrie gekommen ist. Da es sich bei der RoSi-Zulage unstreitig um eine übertarifliche Zulage handelt, war es der Beklagten somit unbenommen, in Einklang mit der zitierten Rechtsprechung des BAG (BAG a.a.O., Az.: 3 AZR 167/01), die verbleibende Zulage ab 01.07.2012 in Ermangelung einer ausdrücklichen anderweitigen Zusage als vertraglich selbstständiger Entgeltbestandteil neben dem tariflichen Entgelt, auf künftige übertarifliche Zulagen bis zur vollständigen Abschmelzung anzurechnen. Eine solche ausdrückliche anderweitige vertragliche Zusage vermochte die hierfür darlegungs- und beweispflichtige Klägerin nicht vorzutragen.
Auf die Frage, ob das Verhandlungsergebnis vom 26.09.2007 (Ziffer 3 c) lediglich als unverbindlicher Vorvertrag zum ErgTV zu qualifizieren ist, kommt es entscheidungserheblich nicht an, weil die Reglung der Ziffer 3 c im abgeschlossenen ErgTV keinen Niederschlag gefunden hat und letztlich zutreffender Weise noch nicht den Ergänzungstarifvertrag darstellte. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Verhandlungsergebnisses (Grundsatz Abs. 2). Dort heißt es:
„Auf der Grundlage und zur Umsetzung diese Verhandlungsergebnisses wird bis spätestens Ende November 2007 ein Tarifvertrag vereinbart, der die gleiche Erklärungsfrist wie dieses Verhandlungsergebnis enthält“.
Durch die Unterzeichnung des ErgTV am 29.07.2008 wurde der das Verhandlungsergebnis rückwirkend zum 01.10.2007 abgelöst. Das Verhandlungsergebnis könnte daher lediglich als zusätzliches Indiz für eine etwa gewollte Anrechnung bis zur vollständigen Abschmelzung herangezogen werden.
Nach alldem war die Klage als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Klägerin hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreites zu tragen.
Der Streitwert war entsprechend dem Wert der eingeklagten Forderungen festzusetzen und folgt im Übrigen aus §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG, 495, 3ff. ZPO.
Gründe, die Berufung gesondert zuzulassen liegen nicht vor. Im Übrigen wird auf die Rechtsmittelbelehrungverwiesen.