Verwaltungsrecht

Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen eine Abschiebungsandrohung und die Versagung der Verlängerung eines Aufenthaltstitels

Aktenzeichen  B 4 S 16.705

Datum:
15.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 5 Abs. 1, § 18 Abs. 2, § 39, § 81 Abs. 4, § 84 Abs. 1
BeschV BeschV § 26 Abs. 1, § 99
VwGO VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

1 Eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung nach § 18 Abs. 2 AufenthG darf nur erteilt werden, wenn dies eine zwischenstaatliche Vereinbarung vorsieht oder wenn auf Grund einer Rechtsverordnung nach § 42 AufenthG die Erteilung der Zustimmung zur Beschäftigung zulässig ist. Diesbezüglich eröffnet § 26 Abs. 1 BeschV der Bundesagentur für Arbeit die Möglichkeit, für Staatsangehörige der Vereinigten Staaten die Zustimmung zur Ausübung jeder Beschäftigung unabhängig vom Sitz des Arbeitgebers zu erteilen. (red. LS Clemens Kurzidem)
2 § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG und § 2 Abs. 3 AufenthG erfordern für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis als eines nach § 7 Abs. 1 S. 1 AufenthG befristeten Aufenthaltstitels kein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis. (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Für die Berücksichtigung eines Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG im Rahmen von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist es unbeachtlich, ob zugleich nach § 55 AufenthG auch Bleibeinteressen des betroffenen Ausländers bestehen (vgl. VGH München BeckRS 2016, 51505). (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Aus der Verwirklichung einer der in § 54 AufenthG genannten Tatbestände kann nur dann ein Ausweisungsinteresse abgeleitet werden, wenn von dem Betroffenen eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht. Umgekehrt ist ein Ausweisungsinteresse dann nicht mehr erheblich, wenn ohne vernünftigen Zweifel feststeht, dass die Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die mit dem Ausweisungsinteresse zusammenhängt, nicht mehr vorliegt. (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Ein Ausnahmefall von den Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG liegt dann vor, wenn ein atypischer Fall gegeben ist, der so weit vom Regelfall abweicht, dass die Versagung des Aufenthaltstitels mit der Systematik des Aufenthaltsrechts oder den grundlegenden Entscheidungen des Gesetzgebers nicht mehr vereinbar wäre. Ein derartiger Ausnahmefall liegt insbesondere dann vor, wenn die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen höherrangigen Rechts wie etwa Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK geboten ist. (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 16.09.2016 wird angeordnet.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der am …1984 geborene Antragsteller ist Staatsangehöriger der Vereinigten Staaten von Amerika und war seit 10.12.2003 in der Bundesrepublik Deutschland mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet. Nach seinem Ausscheiden aus der US-Army am 09.07.2007 hielt er sich weiter im Bundesgebiet auf und beantragte erstmals am 25.11.2008 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Diesen Antrag lehnte die Ausländerbehörde mit Bescheid vom 19.03.2009 ab, weil zwischen dem Antragsteller und seiner Ehefrau seit Februar 2008 keine eheliche Lebensgemeinschaft mehr bestand. Mit Strafbefehlt vom 23.04.2009 verhängte das Amtsgericht Bamberg gegen den Antragsteller eine Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen (insgesamt 900,00 EUR) wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung seiner getrennt lebenden Ehefrau. Am 31.10.2009 wurde die Ehe geschieden.
Mit Unterbrechungen vom 16.04. bis 22.04., 05.08. bis 07.08. und 15.11. bis 23.11.2009 hielt sich der Antragsteller weiter im Bundesgebiet auf, heiratete am 16.04.2010 erneut eine deutsche Staatsangehörige und erhielt eine bis 31.05.2011 gültige Aufenthaltserlaubnis, die bis 31.05.2012 verlängert wurde. Nach der Ehescheidung am 05.10.2012 erhielt der Antragsteller am 30.11.2012 eine bis 31.05.2013 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 18 Abs. 3 AufenthG. Seinen Verlängerungsantrag vom 07.06.2013 lehnte die Ausländerbehörde mit Bescheid vom 25.06.2013 ab.
Nach erneuter Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen am 16.06.2014 erhielt der Antragsteller auf seinen Antrag vom 18.06.2014 eine bis 17.06.2015 gültige Aufenthaltserlaubnis, deren Verlängerung er am 18.06.2015 beantragte. Nachdem der Antragsteller am 14.10.2015 aus der ehelichen Wohnung ausgezogen war, kündigte seine Ehefrau mit E-Mail vom 19.10.2015 und 11.01.2016 gegenüber der Ausländerbehörde an, sie werde sich scheiden lassen, weil der Antragsteller sie nur geheiratet habe, um der Abschiebung zu entgehen.
Am 17.02.2016 stellte die Ausländerbehörde dem Antragsteller eine Fiktionsbescheinigung aus.
Nach tätlichen Auseinandersetzungen mit seiner Ehefrau und deren Vater am 18.09.2015 und 14.10.2015 verurteilte das Amtsgericht … den Antragsteller mit Urteil vom 06.07.2016 wegen gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit fahrlässiger Körperverletzung in Tatmehrheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Ehe wurde zwischenzeitlich geschieden.
Nach entsprechender Anhörung wurden mit Bescheid vom 16.09.2016 der Verlängerungsantrag vom 18.06.2015 abgelehnt (Ziffer 1), der Antragsteller unter Fristsetzung von einem Monat ab Zustellung bzw. Eintritt der Vollziehbarkeit des Bescheides und Abschiebungsandrohung in die Vereinigten Staaten von Amerika oder einen anderen aufnahmebereiten Staat zur Ausreise aus dem Bundesgebiet aufgefordert (Ziffern 2 bis 4) und die Wohnsitznahme auf den Landkreis Bamberg beschränkt (Ziffer 5). Der Antragsteller habe nach der häuslichen Trennung von seiner Ehefrau keinen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis. Es bestehe ein Ausweisungsinteresse im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, weil der Antragsteller Fallgestaltungen des § 54 AufenthG verwirklicht habe. Er sei bisher mehrfach und erheblich strafrechtlich in Erscheinung getreten. Das Bayerische Landeskriminalamt habe zahlreiche einschlägige Straftaten aufgelistet. Ferner sei der Lebensunterhalt des Antragstellers nicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gesichert, weil er zwar in den Jahren 2014 bis 2016 im Rahmen zeitlich befristeter Arbeitsverträge erwerbstätig gewesen sei und zuletzt einen bis 31.07.2017 befristeten Jahresarbeitsvertrag vorgelegt habe, aber keine berufliche Qualifikation besitze und bis heute keine Festanstellung habe erreichen können, obwohl er seit 2008 durchgehend im Besitz arbeitsrechtlicher Erlaubnisse gewesen sei.
Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 14.10.2016, beim Verwaltungsgericht Bayreuth an diesem Tag auch eingegangen, hat der Antragsteller Klage erhoben und die Aufhebung des Bescheides vom 16.09.2016 beantragt (B 4 K 16.706). Gleichzeitig hat er beantragt,
die aufschiebende Wirkung gegen die Ausweisungsverfügung vom 16.09.2016 wiederherzustellen.
Zur Begründung wird geltend gemacht, der Antragsteller könne seinen Lebensunterhalt bestreiten, nachdem er vom 19.11.2014 bis 31.07.2016 bei einer UPS-Filiale als Transportfahrer für ein monatliches Bruttogehalt von 1.760,00 EUR gearbeitet habe und nunmehr von der … GmbH, …, ab dem 16.08.2016 bis zum 31.07.2017 als Mitarbeiter im Bereich Logistik eingestellt worden sei, wo er inklusive Zulagen durchschnittlich 2.000,00 EUR brutto monatlich verdiene. Damit bestehe grundsätzlich die Möglichkeit, dem Antragsteller trotz Trennung bzw. Scheidung von seiner damaligen Ehefrau eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen bzw. zu verlängern. Ein Ausweisungsinteresse sei nicht ersichtlich. Entgegen der Behauptung des Antragsgegners, der Antragsteller sei mehrfach und erheblich strafrechtlich in Erscheinung getreten, habe er in dem der Strafakte beigefügten Auszug aus dem Bundeszentralregister vom 10.12.2015 keine Eintragung. Hinsichtlich der Verurteilung vom 06.07.2016 sei zu bedenken, dass diese im Wesentlichen auf Anzeigen der zwischenzeitlich geschiedenen Ehefrau beruht habe, die dem Antragsteller aufgrund der Trennung habe schaden wollen. Noch während des Ermittlungsverfahrens und nach der Scheidung am 06.04.2015 habe sie den Strafantrag gegenüber der Staatsanwaltschaft zurücknehmen wollen. Die Beiziehung der Strafakte Az. 2103 Js 15971/15 werde beantragt. Aus ihr ergebe sich, dass die Exfrau den Antragsteller aufgrund seines ausländerrechtlichen Aufenthaltsstatus durch Beiziehung der Polizei bzw. Strafanzeige habe unter Druck setzen wollen, damit dieser die Beziehung weiter aufrechterhalte. Der Antragsteller spreche mittlerweile fließend Deutsch und habe jeglichen Bezug zu seiner Heimat verloren. Er habe sich in den vergangenen 13 Jahren gut in die hiesige Gesellschaft integriert und sei durchaus in der Lage, seine Existenz wirtschaftlich abzusichern. Die Nichtverlängerung der Aufenthaltserlaubnis stelle für den Antragsteller eine existenzielle Bedrohung dar, da er, wie gesagt, keinerlei Bezug zu seinem Heimatland habe. Insoweit habe der Antragsgegner sein Ermessen unzureichend ausgeübt. Der Antragsteller habe Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis.
Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 27.10.2016 beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antrag sei unbegründet, weil die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und die damit verbundene Ausreiseverpflichtung des Antragstellers aus dem Bundesgebiet rechtmäßig seien. Auf die Begründung des Bescheides vom 16.09.2016 werde vollumfänglich verwiesen. Dass, wie von der dritten (zwischenzeitlich geschiedenen) Ehefrau des Antragstellers angegeben, dieser sie nur geheiratet habe, um seiner Abschiebung zu entgehen, werde nunmehr erneut dadurch bestätigt, dass er mit seiner zukünftigen vierten Ehefrau bereits beim Standesamt vorgesprochen habe. Im Rahmen der Prüfung des Verlängerungsantrags sei eine Auskunft gemäß § 73 Abs. 2 und 3 AufenthG angefordert worden. Aus der Auflistung des Landeskriminalamtes ergäben sich eindeutig Gründe, die das Ausweisungsinteresse belegten und damit die Ablehnung des Antrags rechtfertigten (§ 5 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 AufenthG). Da der Antragsteller von 2003 bis 2007 als Angehöriger der US-Army unter das NATO-Truppenstatut gefallen sei und sich nach seiner Entlassung zunächst über 18 Monate illegal im Bundesgebiet aufgehalten habe, unterliege er erst seit der Anmeldung beim Meldeamt am 18.08.2008 dem Aufenthaltsgesetz. Insofern sei von einem achtjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet auszugehen. Eine Rückkehr in die USA sei zumutbar, da der Antragsteller den Großteil seines Lebens – unter Einberechnung seiner Zeit in der US-Army – dort verbracht habe. Was die wirtschaftliche Sicherung des Antragstellers angehe, sei bereits im Bescheid vom 25.06.2013 dargestellt worden, dass der Antragsteller während seines bisherigen Aufenthaltes im Bundesgebiet seit 2008 nicht in der Lage gewesen sei, seine wirtschaftliche Sicherung zu erreichen. Bereits damals sei prognostiziert worden, dass dies ohne eine berufliche Qualifikation auch in Zukunft nur schwer möglich sein werde. Trotz durchgehender Arbeitserlaubnis sei der Antragsteller über befristete Arbeitsverträge nicht hinausgekommen. Bei der Abwägung zwischen den für eine Nichtverlängerung der Aufenthaltserlaubnis sprechenden öffentlichen Belange und dem privaten Bleibeinteresse des Antragstellers müsse Letzteres zurücktreten.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akten des Landratsamtes Bamberg Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 14.10.2016 gegen den Bescheid vom 16.09.2016 ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zulässig und begründet.
1.1 Im wohlverstandenen Interesse des Antragstellers geht das Gericht davon aus, dass er mit seiner Klage trotz unvollständiger Antragstellung neben der Aufhebung des Bescheides vom 16.09.2016 die Verpflichtung des Antragsgegners zur Verlängerung bzw. Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bzw. zur erneuten Bescheidung des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (§ 113 Abs. 5 VwGO) und dementsprechend die Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage nicht nur hinsichtlich der Abschiebungsandrohung (Ziffern 2 bis 4 des Bescheides vom 16.09.2016), sondern auch hinsichtlich der Ablehnung des Verlängerungsantrages (Ziffer 1 des Bescheides vom 16.09.2016) begehrt. Eine Ausweisungsverfügung, wie im Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz erwähnt, enthält der Bescheid vom 16.09.2016 nicht.
1.2 Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist nicht nur hinsichtlich der Abschiebungsandrohung gemäß § 80 Abs. 5 und Abs. 2 Satz 2 VwGO in Verbindung mit Art. 21a VwZVG, sondern auch hinsichtlich der Ablehnung des Verlängerungsantrags gemäß § 80 Abs. 5 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG statthaft.
Gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG gilt der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend, wenn ein Ausländer vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels beantragt. Wurde der Antrag auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels verspätet gestellt, kann die Ausländerbehörde gemäß § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG zur Vermeidung einer unbilligen Härte die Fortgeltungswirkung anordnen.
Nachdem die Ausländerbehörde durch Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung gemäß § 81 Abs. 5 AufenthG die Fortgeltungswirkung des einen Tag zu spät gestellten Verlängerungsantrags vom 18.06.2015 angeordnet hat, war dieser Antrag geeignet, die Fiktion des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG auszulösen. Gegen den Verlust der mit der Antragsablehnung vom 16.09.2016 endenden verfahrensrechtlichen Fiktion kann der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO in Anspruch nehmen, da gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG die Klage gegen die Antragsablehnung keine aufschiebende Wirkung hat mit der Folge, dass der Antragsteller gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig geworden ist.
1.3 Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffer 1 des Bescheides der Ausländerbehörde vom 16.09.2016 ist begründet.
Auch wenn die Verpflichtungsklage auf Verlängerung der dem Antragsteller bis 17.06.2015 erteilten ehebedingten Aufenthaltserlaubnis (§ 27 Abs. 1, § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 12.07.2016 – 1 C 23/15, juris Rn. 8) keine Aussicht auf Erfolg hat, weil die eheliche Lebensgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und seiner – zwischenzeitlich geschiedenen – dritten Ehefrau jedenfalls mit seinem Auszug aus der ehelichen Wohnung am 14.10.2015 endete, kommt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung gemäß § 18 Abs. 2 und 3 AufenthG in Betracht. Von einer entsprechenden formlosen Antragstellung des Antragstellers ist auszugehen, nachdem die Ausländerbehörde nach seiner Vorsprache am 17.02.2016 diese Möglichkeit geprüft hat (vgl. handschriftlicher Aktenvermerk vom 17.02.2016, Bl. 500 der Ausländerakte). Zwar lassen sich insoweit die Erfolgsaussichten der Verpflichtungsklage zum derzeitigen Zeitpunkt nicht hinreichend sicher beurteilen, sondern sind sowohl hinsichtlich der speziellen (1.3.1) als auch hinsichtlich der allgemeinen (1.3.2) Erteilungsvoraussetzungen als offen anzusehen. Jedoch führt die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu treffende Abwägungsentscheidung zu dem Ergebnis, dass die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen Ziffer 1 des Bescheides der Ausländerbehörde vom 16.09.2016 anzuordnen ist, weil im Rahmen der gebotenen Abwägung das Interesse des Antragstellers, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen, das öffentliche Interesse an der gesetzlich bestimmten (§ 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) sofortigen Vollziehung der Ablehnung des Antrags auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis und damit der Aufenthaltsbeendigung des Antragstellers überwiegt (1.3.3).
1.3.1 Gemäß § 18 Abs. 2 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer ein Aufenthaltstitel zur Ausübung einer Beschäftigung erteilt werden, wenn die Bundesagentur für Arbeit nach § 39 AufenthG zugestimmt hat oder durch Rechtsverordnung nach § 42 AufenthG oder zwischenstaatliche Vereinbarung bestimmt ist, dass die Ausübung der Beschäftigung ohne Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit zulässig ist. Eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung nach Absatz 2, die – wie die Beschäftigung des Antragstellers als Mitarbeiter im Bereich Logistik bei der … GmbH – keine qualifizierte Berufsausbildung voraussetzt, darf nur erteilt werden, wenn dies durch zwischenstaatliche Vereinbarung bestimmt ist oder wenn auf Grund einer Rechtsverordnung nach § 42 AufenthG die Erteilung der Zustimmung zu einer Aufenthaltserlaubnis für diese Beschäftigung zulässig ist. Insoweit regelt § 26 Abs. 1 BeschV unter anderem für Staatsangehörige der Vereinigten Staaten von Amerika, dass die Zustimmung zur Ausübung jeder Beschäftigung unabhängig vom Sitz des Arbeitgebers erteilt werden kann.
§ 9 BeschV, dessen Anwendung die Ausländerbehörde in Betracht gezogen hat (vgl. handschriftlicher Aktenvermerk vom 17.02.2016, Bl. 500 der Ausländerakte), ist nicht einschlägig. Nach dieser Vorschrift bedarf die Ausübung einer Beschäftigung bei Ausländern, die eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis besitzen, unter bestimmten Voraussetzungen keiner Zustimmung. Ungeachtet der Erfüllung dieser Voraussetzungen besitzt der Antragsteller aber seit dem 18.06.2015 keine Aufenthaltserlaubnis.
Ob die demnach gemäß § 18 Abs. 2 AufenthG erforderliche Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit im Rahmen fehlerfreier Ermessensausübung nach § 39 AufenthG erteilt werden kann, ist in dem die Verpflichtungsklage des Antragstellers auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis betreffenden Hauptsacheverfahren zu klären. Im Rahmen der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung muss hingegen offenbleiben, ob die Voraussetzungen des § 39 AufenthG für die Erteilung der Zustimmung erfüllt sind.
1.3.2 Erteilt die Bundesagentur für Arbeit ihre Zustimmung, ist die allgemeine Erteilungs-voraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erfüllt, weil der Lebensunterhalt des Antragstellers im Sinne des § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gesichert ist. Jedenfalls bis 31.07.2017 kann er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten. Ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis verlangen § 5 Abs. 1 Nr. 1 und § 2 Abs. 3 AufenthG jedenfalls für eine Aufenthaltserlaubnis als einen befristeten Aufenthaltstitel (§ 7 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) nicht.
Soweit die Ausländerbehörde den Antrag auf Verlängerung bzw. Erteilung der Aufenthaltserlaubnis mit der Begründung abgelehnt hat, dass ein Ausweisungsinteresse im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bestehe, lässt sich nach dem derzeitigen Sachstand nach summarischer Prüfung nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen, ob (noch) ein Ausweisungsinteresse besteht oder ob eine Abweichung von der Regelerteilungsvoraussetzung geboten ist.
Unter einem Ausweisungsinteresse gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist ein Tatbestand zu verstehen, der in § 54 AufenthG definiert ist. Entsprechend der Rechtslage vor dem 1. August 2015 ist keine hypothetische Ausweisungsprüfung in der Weise vorzunehmen, dass geklärt würde, ob eine Ausweisung des Antragstellers rechtmäßig wäre. Es spielt demnach keine Rolle, ob ein Bleibeinteresse nach § 55 AufenthG besteht (BayVGH, Beschluss vom 29.08.2016 – 10 AS 16.1602, juris Rn. 21). Vorliegend ist durch die Verurteilung des Antragstellers zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung der Tatbestand des § 54 Abs. 2 Nr. 1a AufenthG erfüllt.
Die Verwirklichung eines der in § 54 AufenthG genannten Tatbestände begründet allerdings nicht unmittelbar das Ausweisungsinteresse. Ein Ausweisungsinteresse besteht nur dann, wenn von dem Betroffenen eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht, der weitere Aufenthalt des Ausländers also eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt oder sonst erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Denn ein Ausweisungsinteresse ist nicht mehr erheblich, wenn ohne vernünftige Zweifel feststeht, dass die Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die mit dem Ausweisungsinteresse zusammenhängt, nicht mehr besteht (BayVGH, a.a.O. Rn. 22).
Die mit Schreiben des Bayerischen Landeskriminalamtes vom 03.03.2016 der Ausländerbehörde übermittelten polizeilichen Erkenntnisse, auf die sie sich zur Begründung des Ausweisungsinteresses beruft, rechtfertigen ohne weitere Recherchen nicht die Annahme, dass von dem Antragsteller eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht. Die tabellarische Auflistung von Delikten enthält keine Informationen über Tatumstände und Tathergang sowie über die Einleitung und den Ausgang von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Aus der Ausländerakte ergibt sich, dass mehrere Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller eingestellt wurden. Strafrechtlich geahndet wurden offensichtlich nur die dem Strafbefehl vom 23.04.2009 und Urteil vom 06.07.2016 zugrunde liegenden Vorfälle, deren Anlass in beiden Fällen Ehestreitigkeiten waren. Im Urteil vom 06.07.2016 wurde im Rahmen der Strafzumessung zu Gunsten des Antragstellers berücksichtigt, „dass die Taten in einer durch die nachhaltige Ehekrise emotional aufgeheizten Situation begangen wurden, ohne dass die Schuld hierfür allein beim Angeklagten gesucht werden könnte“. Ferner wurde berücksichtigt, „dass er bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist“. Bei dieser Sachlage bestehen zumindest Zweifel, ob der weitere Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt. Die abschließende Klärung muss dem Hauptsacheverfahren, insbesondere der mündlichen Verhandlung, vorbehalten bleiben.
Offen ist daher auch, ob im Fall des Antragstellers ein Ausnahmefall von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG anzunehmen ist. Ausnahmen von einer Regelerteilungsvoraussetzung liegen vor, wenn ein atypischer Fall gegeben ist, der so weit vom Regelfall abweicht, dass die Versagung des Aufenthaltstitels mit der Systematik oder der grundlegenden Entscheidung des Gesetzgebers nicht mehr vereinbar ist. Insbesondere liegt ein Ausnahmefall vor, wenn die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen höherrangigen Rechts wie etwa Art. 6 GG oder im Hinblick auf Art. 8 EMRK geboten ist. Weitere Kriterien für die Frage, ob ein atypischer, von der Regel abweichender Sachverhalt in Bezug auf § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG gegeben ist, konnten nach der Rechtsprechung zur vorherigen Fassung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in Bezug auf Straftaten insbesondere die Dauer des straffreien Aufenthalts im Verhältnis zur Gesamtaufenthaltsdauer und die schutzwürdigen Bindungen im Inland sein. Ob ein Ausnahmefall vorliegt, ist aufgrund einer umfassenden Abwägung aller einschlägigen öffentlichen und privaten Interessen zu entscheiden und stellt eine Rechtsentscheidung dar. Zu dieser Abwägung kommt es jedoch erst, wenn feststeht, dass eine konkrete Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG nach wie vor zu besorgen ist. Daher lässt sich derzeit nicht sicher feststellen, ob im Fall des Antragstellers eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG gegeben ist. Käme man zu dem Ergebnis, dass ein Ausweisungsinteresse vorliegt, weil die Gefahrenprognose ergibt, dass von ihm noch eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht, so ist bei der Abwägungsentscheidung, ob ein Ausnahmefall zu bejahen ist, die Dauer seines bisherigen Aufenthalts im Bundesgebiet und seine Integration, aber auch der Grad der Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller erneut Straftaten begehen wird, zu berücksichtigen. Bestünde schon kein Ausweisungsinteresse mehr, stellt sich die Frage, ob ein Ausnahmefall von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG anzunehmen ist, ohnehin nicht (BayVGH, a.a.O. Rn. 24 und 25).
1.3.3 Sind danach die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren offen, überwiegt das private Interesse des Antragstellers an seinem Verbleib im Bundesgebiet bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren das öffentliche Interesse an seiner sofortigen Ausreise. Die Gefahr, dass der Antragsteller bis zur Entscheidung in der Hauptsache erneut Straftaten im Bundesgebiet begehen wird, sieht das Gericht angesichts der Ausführungen im Strafurteil vom 06.07.2016 als relativ gering an. Demgegenüber würde eine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet seine Chance, sich beruflich zu stabilisieren, erheblich verschlechtern. Selbst wenn der Antragsteller im Hauptsacheverfahren Erfolg hätte, wäre ungewiss, ob die … GmbH ihn erneut einstellen würde.
1.4 Wird somit die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ablehnung des Verlängerungsantrags angeordnet, gilt dies auch für die Klage gegen die Abschiebungsandrohung, weil derzeit die Ausreisepflicht des Antragstellers nicht gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vollziehbar ist.
2. Nach alledem wird dem Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der Antragsgegner als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens trägt, stattgegeben.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG (halber Auffangstreitwert).

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