Aktenzeichen L 7 AS 683/16 B ER
ZPO ZPO § 121 Abs. 2, § 294, § 920 Abs. 2
SGB II SGB II § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 u. Abs. 2 S. 1, § 8 Abs. 2, § 9, § 11, § 11b, § 19, § 20, § 21 Abs. 2, § 22, § 41 Abs. 1
AufenthG AufenthG § 30, § 32, § 38a
SGB XII SGB XII § 23 Abs. 1 S. 1 u. 3, Abs. 2 u. 3 S. 1 Alt. 1 u. 2
Leitsatz
1. Ein Drittstaatsangehöriger, der im Besitz einer langfristigen Aufenthaltsberechtigung EG im Sinne von Art. 8 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25.11.2003, ABl. EG L 16 vom 23.1.2004 S. 44, ist (hier: ausgestellt von Italien) und nach Deutschland einreist, ist rechtlich nicht erwerbsfähig und hat deshalb keinen Leistungsanspruch nach § 7 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 8 Abs. 2 SGB II, solange er in Deutschland keinen Aufenthaltstitel nach § 38a AufenthG oder eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 AufenthG erwirkt. (amtlicher Leitsatz)
2. Stattdessen hat der Drittstaatsangehörige Anspruch auf Leistungen nach § 23 SGB XII gegen den notwendig beizuladenden Sozialhilfeträger nach der st. Rspr des Bundessozialgerichts (u. a. BSG vom 20.1.2016, B 14 AS 35/15 R; BSG vom 3.12.2016, B 4 AS 43/15 R). Hält sich der Drittstaatsangehörige länger als 6 Monate in Deutschland auf, ist das Ermessen auf null reduziert. Dies gilt auch für den Leistungsanspruch der Familienmitglieder. Es kommt dabei nicht darauf an, dass diese sich ebenfalls länger als 6 Monate in Deutschland aufhalten. (amtlicher Leitsatz)
3. Der Sozialhilfeträger hat sich die Kenntnis des Antragsgegners infolge des dort gestellten Leistungsantrags zurechnen zu lassen. (amtlicher Leitsatz)
4. Während der Dauer des Verfahrens zur Erlangung eines Aufenthaltstitels nach § 38a AufenthG ist der Drittstaatsangehörige nicht von Leistungen nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen, denn er hält sich nicht allein zum Zwecke der Arbeitssuche in Deutschland auf. (amtlicher Leitsatz)
Tenor
I.
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 6. September 2016 teilweise aufgehoben.
II.
Die Beigeladene zu 1 wird im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, den Antragstellern für die Zeit vom 22.7.2016 bis 24.8.2016 Leistungen nach dem SGB XII in gesetzlicher Höhe vorläufig zu bewilligen.
III.
Der Beschwerdegegner wird im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, den Antragstellern für die Zeit vom 25.8.2016 bis 31.8.2016 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 299,60 €, für September 2016 in Höhe von 867,06 €, für Oktober von 81,81 € und für November in Höhe von 146,14 € vorläufig zu bewilligen.
IV. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
V.
Die Beigeladene zu 1 übernimmt 1/3 und der Beschwerdegegner 2/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller in beiden Instanzen.
VI.
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe
I. Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Bf) begehren Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit ab 1.6.2016.
Der 1983 geb. Bf zu 1 und die 1980 geb. Bf zu 2 sind verheiratet. Die 2015 geb. Bf zu 3 ist ihre gemeinsame Tochter. Die Bf zu 2 ist schwanger. Sie sind nigerianische Staatsangehörige. Der Bf zu 1 besitzt ein von Italien erteiltes EU-Daueraufenthaltsrecht. Er ist im Oktober 2015 nach Deutschland eingereist. Er hatte nach eigenen Angaben ein konkretes Arbeitsplatzangebot bei A., das nicht zustande kam, da das Verfahren zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zu lange dauerte. Zunächst lebte er von Ersparnissen und mietete in A-Stadt eine 25 qm große Einzimmerwohnung an, für die er monatlich 450 € Miete in bar zahlte (365 € kalt, 25 € Betriebskosten, 60 € Heizungsvorauszahlung). Am 7.3.2016 stellte er erstmals beim Antrags- und Beschwerdegegner (Bg) einen Antrag auf Grundsicherungsleistungen. Dabei legte er eine bis 25.5.2016 befristete Fiktionsbescheinigung vor. Daraufhin wurden ihm mit Bescheid vom 11.3.2016 für die Zeit vom 1.3.2016 bis 31.5.2016 SGB II-Leistungen in Höhe von monatlich 820,22 € bewilligt. Von den Unterkunftskosten wurden nur 416,22 € als Bedarf anerkannt. Die Unterkunft sei zu teuer, der Bf zu 1 zur Kostensenkung jedoch nicht bereit, so dass von Anfang an nur die angemessenen Unterkunftskosten anerkannt würden.
Am 25.4.2016 beantragte der Bf zu 1 die Aufnahme der Bf zu 2 und 3 in die Bedarfsgemeinschaft. Sie seien am 2.4.2016 nach Deutschland eingereist und hätten sich bei der Meldebehörde angemeldet, seien aber wegen Probleme mit dem Pass der Bf zu 3 noch im April wieder nach Italien ausgereist. Nach ca. 2 Wochen wollten sie wieder zurück sein. Eine Entscheidung hierzu ist nicht aktenkundig.
Bereits am 28.4.2016 stellte der Bf zu 1 einen Weiterbewilligungsantrag für die Zeit ab 1.6.2016.
Am 12.5.2016 stellte der Bf zu 1 einen neuen Antrag für sich und seine Familie. Daraufhin wurden u. a. Kontoauszüge der letzten 3 Monate für das Konto der Bf zu 2 in Italien angefordert.
Aus einem Schreiben des Beigeladenen zu 1 vom 11.5.2016 geht hervor, dass die Bf zu 3 am 16.4.2016 im Klinikum A-Stadt behandelt worden ist.
Laut Telefonvermerk vom 30.5.2016 haben die Bf zu 2 einen Aufenthaltstitel nach § 30 AufentG (Ehegattennachzug) und die Bf zu 3 nach § 32 AufentG (Kindernachzug) beantragt.
Mit Bescheid vom 22.6.2016 bewilligte die Familienkasse dem Bf zu 1 Kindergeld von monatlich 190 € ab Mai 2016 für die Bf zu 3.
Ende Juni 2016 reisten die Bf zu 2 und 3 erneut nach Italien, um die erforderlichen Kontounterlagen zu beschaffen.
Mit Bescheid vom 22.7.2016 lehnte der Bg den Antrag vom 28.4.2016 ab. Dagegen legten die Bf Widerspruch ein.
Am selben Tag beantragten die Bf beim Sozialgericht einstweiligen Rechtsschutz. Sie seien mittellos und hätten Mietschulden. Er könne auch den Strom nicht bezahlen. Die Bf zu 2 und 3 säßen in Italien fest, da sie kein Geld für eine Fahrkarte zurück nach Deutschland hätten. Er habe Essensmarken beantragt, was vom Bg abgelehnt worden sei. Lebensmittel erhalte er derzeit von der Tafel.
Der Bg erwiderte, dass die zunächst nach § 38a AufenthG erteilte Aufenthaltserlaubnis für den Bf zu 1 nie wirksam geworden sei, da er die Stelle bei A. nicht angetreten habe. Der Bf zu 1 halte sich seit 17.3.2016 unerlaubt im Bundesgebiet auf. Auch die Bf zu 2 und 3 hätten keinen Aufenthaltstitel.
Mit Beschluss vom 6.9.2016 wurde der Eilantrag abgelehnt. Ein Anordnungsanspruch und -grund seien nicht glaubhaft. Unklar sei, wo sich die Bf zu 2 und 3 derzeit aufhielten. Der Bf zu 1 habe zu keinem Zeitpunkt einen gültigen Aufenthaltstitel gehabt und folglich keinen Leistungsanspruch. Außerdem sei die finanzielle Lage unübersichtlich. Die Beiladung des Sozialhilfeträgers sei nicht erforderlich gewesen, da dort kein Antrag gestellt worden sei.
Hiergegen legten die Bf beim Bayerischen Landessozialgericht Beschwerde ein und beantragten Prozesskostenhilfe. Die Bf zu 2 und 3 seien „Anfang Juni 2016“ nach Italien gereist und erst am 8.6.2016 wieder zum Bf zu 2 zurückgekommen. Ende Juni seien die Bf zu 2 und 3 erneut nach Italien gereist, um die erforderlichen Unterlagen zu beschaffen, und seien Mitte Juli wieder zurückgekehrt. Sie hätten seit Juni kein Geld vom Bg bekommen und hätten Schulden (Miete, Strom, Behandlungskosten im Klinikum A-Stadt und bei der AOK sowie bei einem Freund für die Fahrkarte seiner Frau nach Italien) aufgebaut, die sie nach und nach abtragen würden, nachdem er nunmehr Arbeit gefunden habe.
Beigeladen wurden mit Beschluss vom 4.10.2016 der örtliche Sozialhilfeträger und die Ausländerbehörde.
Letztere teilte mit Schreiben vom 7.10.2016 mit, dass der Bf zu 1 als Inhaber eines EU-Daueraufenthaltsrechts berechtigt sei, einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a AufenthG zu stellen. Seit dem 25.8.2016 sei dieser im Besitz einer bis 24.2.2017 gültigen Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Die Bf zu 2 habe einen Antrag auf Familiennachzug gestellt. Deswegen gelte auch für sie die Fiktionswirkung. Bzgl. der Bf zu 3 werde der Aufenthaltsstatus noch geklärt.
Der Bf zu 1 legte auf gerichtliche Aufforderung den Arbeitsvertrag und die Lohnabrechnungen für August und September sowie Kontoauszüge ab 1.7.2016 vor. Der Arbeitsvertrag des Bf zu 1 ist vom 17.8.2016 bis 31.12.2016 befristet. Ab November bekomme der Bf zu 1 kein Sozialticket mehr, sondern müsse 119 € für den öffentlichen Nahverkehr bezahlen, um zur Arbeitsstelle zu gelangen. Lohnzahlungen werden im Folgemonat auf das Konto des Bf zu 1 überwiesen. Entgegen der Ankündigung vom 13.10.2016 ging keine weitere Beschwerdebegründung bei Gericht ein.
Die Bf beantragen sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 6.9.2016 aufzuheben und ihnen Grundsicherungsleistungen ab 1.6.2016 nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch, hilfsweise nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch zu gewähren.
Der Bg beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.
Allenfalls ab 25.8.2016, d. h. ab Geltung der Fiktionsbescheinigung könnten Ansprüche bestehen.
Die Beigeladenen stellten keine Anträge.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akten des Sozialgerichts und des Bg Bezug genommen.
II. Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde der Bf ist im tenorierten Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.
Ungeachtet des Rubrums der erstinstanzlichen Entscheidung ist auch die Beschwerde der Bf zu 2 und 3 zulässig. Denn das Sozialgericht hat bzgl. des Antrags der Bf zu 2 und 3, wie er im Schreiben des Bf zu 1 vom 21.7.2016 zum Ausdruck kam, ebenfalls eine Entscheidung getroffen, wie dem vom Sozialgericht im Tatbestand formulierten Antrag zu entnehmen ist.
Nach § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Eine derartige Anordnung setzt sowohl einen Anordnungsanspruch im Sinne einer materiell-rechtlichen Anspruchsgrundlage, als auch einen Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen gemäß § 86b Abs. 4 Satz 4 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2 und § 294 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft sein.
Soweit die Bf sinngemäß Grundsicherungsleistungen für die Zeit ab 1.6.2016 bis 21.7.2016 im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes begehren, ist der Eilantrag unbegründet. Es fehlt ein Anordnungsgrund im Sinne einer Eilbedürftigkeit. Die Bf beantragen insoweit Leistungen für die Zeit vor Stellung des Eilantrags am 22.7.2016, damit Leistungen für die Vergangenheit. Einstweiliger Rechtsschutz dient dem Ziel, gegenwärtige oder unmittelbar bevorstehende Notlagen zu beheben bzw. zu verhindern. Einstweiliger Rechtsschutz ermöglicht es nach ständiger Rechtsprechung dagegen grundsätzlich nicht, Leistungen für die Vergangenheit zu erhalten (vgl. Bay. LSG vom 6.3.2007, L 7 B 884/06 AS ER; Bay. LSG vom 23.2.2006, L 10 B 32/06 AS ER). Es ist den Bf zuzumuten, für diesen Zeitraum den Ausgang des Widerspruchs- und Klageverfahrens in der Hauptsache abzuwarten.
Insoweit blieb die Beschwerde erfolglos und war zurückzuweisen.
Soweit die Bf sinngemäß für die Zeit ab 22.7.2016 bis 24.8.2016 vom Bg SGB II-Leistungen begehren, ist ein Anordnungsanspruch diesbezüglich nicht glaubhaft. Die Bf sind nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 1 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.
Der Bf zu 1 ist im Besitz eines von Italien erteilten Daueraufenthaltstitels -EU für langfristig Aufenthaltsberechtigte. Er hält sich seit Anfang Oktober 2015 in Deutschland auf und lebte zunächst von seinen Ersparnissen. In der Zeit vom 22.7. bis 24.8.2016 war er jedoch weder im Besitz eines Aufenthaltstitels nach § 38a AufenthG, noch einer Fiktionsbescheinigung nach § 81 AufenthG. Ein Aufenthaltstitel nach § 38a AufenthG hat konstitutive Wirkung. Allein ein Anspruch auf die Erteilung dieses Aufenthaltstitels ist nicht ausreichend, um die mit dem Titel verbundenen Rechte (s. Art. 14 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25.11.2003; ABl. EG L 16 vom 23.1.2004 S. 44) geltend machen zu können (vgl. Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 11. Auflage 2016, § 38a Rn. 7). Damit war dem Bf zu 1 für diesen Zeitraum die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt. Folglich war er gemäß § 8 Abs. 2 SGB II rechtlich nicht erwerbsfähig und somit nicht anspruchsberechtigt gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II. Die Bf zu 2, die kein Daueraufenthaltsrecht-EU besitzt, und die Bf zu 3 sind ebensowenig erwerbsfähig. Sie sind auch nicht nach § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II leistungsberechtigt, da sie zwar mit dem Bf zu 1 in einer Bedarfsgemeinschaft leben, dieser jedoch kein erwerbsfähig Leistungsberechtigter ist.
Die Bf haben jedoch einen Leistungsanspruch gegenüber der Beigeladenen zu 1 nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Danach ist Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfen zur Pflege zu leisten.
Anders als das Sozialgericht meint, ist eine Hilfegewährung nicht deswegen ausgeschlossen, weil eine Antragstellung beim Beigeladenen zu 1 fehlt. Der Beigeladene zu 1 muss sich die Kenntnis der Bedürftigkeit des Beschwerdegegners aufgrund der dort erfolgten Antragstellung vom 25.4., 28.4. und 12.5.2016 zurechnen lassen (vgl. u. a. BSG vom 3.12.2015, B 4 AS 44/15 R, Rn. 39).
Die Bf sind nicht gemäß § 23 Abs. 2 SGB XII von Leistungen ausgeschlossen. Sie sind nicht leistungsberechtigt nach § 1 Asylbewerberleistungsgesetz.
Die Bf sind auch nicht nach § 23 Abs. 3 Satz 1, 1. Alt. SGB XII ausgeschlossen. Der Bf zu 1 ist nicht eingereist, um Sozialhilfe zu erlangen, sondern Hauptmotiv war, eine Arbeitsstelle bei A. anzutreten und einen Aufenthaltstitel nach § 38a AufenthG zu erlangen. Zudem lebte er zunächst von Ersparnissen. Die Bf zu 2 und 3 sind eingereist zum Zwecke des Familiennachzugs, wie sich aus ihren Anträgen auf Aufenthaltstitel nach §§ 30, 32 AufenthG ergibt.
Ein Leistungsausschluss ergibt sich auch nicht aus § 23 Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. SGB XII, selbst wenn man annimmt, dass der Aufenthalt des Bf zu 1 im o.g. Zeitraum im Inland nur der Arbeitssuche dienen würde. Denn nach der vom BSG entwickelten und gefestigten Rechtsprechung (vgl. BSG vom 3.12.2016, B 4 AS 43/15 R und B 4 AS 44/15 R; BSG vom 16.12.2015, B 14 AS 15/14 R; BSG vom 20.1.2016, B 14 AS 35/15 R und BSG vom 17.3.2016, B 4 AS 32/15 R), der der 7.Senat uneingeschränkt folgt, ergäbe sich ein Leistungsanspruch jedenfalls aus § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII, wobei das vom Beigeladenen zu 1 auszuübende Ermessen auf null reduziert ist. Die Ermessensreduzierung auf null ist Konsequenz aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG vom 18.7.2012, 1 BvL 10/10, Rn. 62, 63), wonach das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auch ausländischen Staatsangehörigen zusteht, die sich in der Bundesrepublik aufhalten. Eine Differenzierung nach dem Aufenthaltsstatus hat es ausdrücklich abgelehnt.
Im vorliegenden Fall hat der Beigeladene zu 2 bislang keinerlei aufenthaltsbeendende Maßnahmen getroffen, noch sind solche beabsichtigt. Da der Bf zu 1 sich bereits mehr als 6 Monate in der Bundesrepublik aufhält, ist eine Ermessensreduzierung auf null eingetreten. Der Bf zu 2 und 3 haben dabei, ebenso wie der Bf zu 1, aufgrund der Ermessensreduzierung auf Null dem Grund und der Höhe nach einen Rechtsanspruch auf Leistungen des SGB XII. Dass die Bf zu 2 und 3 weniger als 6 Monate sich im Bundesgebiet aufhalten, ist dabei unbeachtlich (vgl. BSG vom 20.1.2016, B 14 AS 35/15 R Rn. 50).
Die Beigeladene zu 1 wird dabei neben Ansprüchen zur Sicherung des Lebensunterhalts und der Kosten der Unterkunft auch die Übernahme von Behandlungskosten, insbesondere der Bf zu 2 und 3 sowie evtl. Beitragszahlungen an die AOK zu übernehmen haben. Schließlich wird der Beigeladene zu 1 bei der Anspruchsprüfung auch von einem ununterbrochenen gewöhnlichen Aufenthalt der Bf zu 2 und 3 seit 2.4.2016 im Bundesgebiet im Sinne von § 30 SGB I auszugehen haben. Die Bf zu 2 und 3 sind im Wesentlichen aus behördlicher Veranlassung nach Italien ausgereist, um die notwendigen Unterlagen für einen Aufenthalt in Deutschland und Leistungsanspruch zu beschaffen. Die Abwesenheitszeiten in Italien sind vorübergehender Natur und stehen der Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland seit 2.4.2016 nicht entgegen.
Für die Zeit ab Geltung der Fiktionsbescheinigung ab 25.8.2016 bis 30.11.2016 ist ein Anordnungsanspruch gegenüber dem Bg glaubhaft. Der Bf zu 1 ist erwerbsfähig im Sinne von § 8 Abs. 2 SGB II und somit leistungsberechtigt nach § 7 Abs. 1 SGB II. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II greift insoweit nicht. Der Bf zu 1 ist nicht Arbeitsuchender, sondern hat einen Arbeitnehmerstatus erlangt. Zudem ist Zweck des Aufenthalts die Erlangung eines Aufenthaltstitels nach § 38a SGB II. Die Bf zu 2 und 3 sind leistungsberechtigt nach § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II.
Die Bf sind hilfebedürftig nach §§ 9, 19, 20, 21 Abs. 2, 22 SGB II.
Auszugehen ist zunächst von einem Gesamtbedarf von 1.473,88 € (2 x Regelleistung von 364 € plus Mehrbedarf für Schwangere von 61,88 €, 234 € Sozialgeld für die Bf zu 3 und 450 € Kosten der Unterkunft und Heizung).
Auf den Bedarf ist gemäß § 11 SGB II das nach Angaben des Bf zu 1 erzielte monatliche Kindergeld von 190 € als Einkommen anzurechnen. Der Bedarf beträgt somit 1.283,88 €.
Erwerbseinkommen wurde im August 2016 nicht erzielt. Für die Zeit vom 25.8.2016 bis 31.8.2016 ergibt sich ein Leistungsanspruch für 7 Tage in Höhe von insgesamt 299,60 € nach § 41 Abs. 1 SGB II (7/30 von 1.283,88 €).
Für September 2016 ist vom Bedarf von 1.283,88 € (s.o.) zusätzlich ein bereinigtes Erwerbseinkommen von 416,82 € (1.039,85 € brutto, 708,78 € netto; Freibeträge nach § 11b SGB II insgesamt 291,96 €) abzuziehen, so dass der Leistungsanspruch insgesamt 867,06 € beträgt.
Im Oktober erzielte der Bf zu1 ein Bruttoeinkommen von 1.935,79 €, netto 1.532,07 €, Freibeträge 330 €). Der Leistungsanspruch beträgt somit nur noch 81,81 €.
Im Oktober 2016 ist der Anspruch um 64,33 € höher, beträgt also 146,14 €. Der Bf zu 1 gab an, im November kein Sozialticket mehr bekommen zu können. Das Ticket koste dann 119 €. Hieraus ergibt sich ein höherer Grundfreibetrag, nämlich 164,33 €.
Ein Anordnungsgrund für die Zeit vom 22.7.2016 bis 30.11.2016 ist gegeben. Die Bf waren vom 1.6.2016 bis zur ersten Lohnzahlung im September mittellos. Der Bewilligungsbescheid vom 11.3.2016 wurde zwischenzeitlich mit nicht bestandskräftigem Bescheid vom 19.9.2016 aufgehoben und Erstattung von 2.342,95 € gefordert. Es bestehen u. a. Mietschulden für 3 Monate seit Juni 2016, die Bf zu 2 ist (hoch-)schwanger, die Bf zu 3 minderjährig und das Einkommen deckt nicht das Existenzminimum aller ab, zudem ist der Arbeitsvertrag befristet.
Sofern die Bf für die Zeit ab 1.12.2016 ergänzend Leistungen nach dem SGB II beanspruchen wollen, ist eine erneute Antragstellung beim Bg erforderlich.
Der Antrag vom 29.9.2016 auf Gewährung von Prozesskostenhilfe nach § 73a SGG i. V. m. § 121 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) war abzulehnen. Im sozialgerichtlichen Verfahren entstehen keine Gerichtskosten, vgl. § 183 SGG. Deshalb ist allein die Beiordnung eines Rechtsanwalts Ziel des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Andere Personen als Rechtsanwälte können grundsätzlich nicht beigeordnet werden (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 11. Auflage 2014, § 73a Rn. 9). Einen Rechtsanwalt, der beigeordnet werden soll, haben die Bf zwar benannt. Dieser hat sich jedoch bis zum Abschluss des Verfahrens nicht als Bevollmächtigter bestellt und ist für die Bf nicht tätig geworden. Da dieser nach Abschluss des Verfahrens auch nicht mehr tätig werden kann, war die Prozesskostenhilfe insgesamt abzulehnen ungeachtet der Erfolgsaussichten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog. Das Unterliegen der Bf fällt nicht wesentlich ins Gewicht.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.