Aktenzeichen M 3 S 16.50582
AsylG § 34a
Dublin III-VO
Leitsatz
1 Ist die sechsmonatige Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 S. 1 Dublin III-VO abgelaufen, kann sich der Ausländer gegen eine Abschiebungsanordnung wehren. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2 Er kann sich in einem solchen Fall darauf berufen, dass die Voraussetzungen des § 34a Abs. 1 S. 1 AsylVfG nicht mehr vorliegen, wonach feststehen muss, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ist ein Mitgliedstaat nach den Dublin-Bestimmungen für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig, kann sich der Schutzsuchende im gerichtlichen Verfahren gegen die Ablehnung seines Asylantrags als unzulässig nach § 27a bzw. § 29 AsylG jedenfalls dann auf die Zuständigkeit dieses Mitgliedstaats berufen, wenn die (Wieder-) Aufnahmebereitschaft eines anderen (unzuständigen) Mitgliedstaats nicht positiv feststeht. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in Nr. 1 des Bescheids vom 22. Juli 2016 angeordnete Abschiebung nach Italien wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe für dieses Verfahren (M 3 S 16.50582) wird abgelehnt.
Gründe
I.
Der am … 1993 in Gao geborene Antragsteller ist malischer Staatsangehöriger. Er reiste am 22. November 2015 unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland ein und wurde angetroffen, ohne im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels zu sein.
Bei seiner ersten Befragung durch das Bundesamt zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens mittels Fragebogen am 23. Mai 2016 gab der Antragsteller an, dass er sein Heimatland 2012 verlassen habe und dann über Algerien und Libyen nach Italien gereist sei. Er sei dort am 17. November 2015 angekommen, habe sich dort 5 Tage aufgehalten und sei von dort aus auf dem Landweg in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingereist.
Bei seiner zweiten Befragung durch das Bundesamt zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens mittels Fragebogen gab der Antragsteller an, er leide an Magenschmerzen, sei deshalb in ärztlicher Behandlung und nehme Medikamente ein.
Die eingeleitete Eurodac-Recherche des Bundesamts hatte am 23. November 2015 einen Treffer der Kategorie I (IT* …*) für Italien ergeben.
Aufgrund des Eurodac-Treffers der Kategorie I richtete das Bundesamt am 18. Januar 2016 ein Wiederaufnahmeersuchen an Italien. Eine Reaktion von Italien erfolgte hierauf nach Aktenlage nicht.
Mit Bescheid vom 22. Juli 2016 ordnete das Bundesamt die Abschiebung nach Italien an. Weiter wurde eine Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots ausgesprochen. Auf die Bescheidsbegründung wird Bezug genommen. Der Bescheid wurde dem Antragsteller gegen Postzustellungsurkunde am 27. Juli 2016 zugestellt.
Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 3. August 2016, eingegangen am selben Tag, ließ der Antragsteller Klage erheben (M 3 K 16.50581) und weiter beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen den Bescheid vom 22. Juli 2016 anzuordnen.
Außerdem beantragte er,
dem Antragsteller ratenfreie Prozesskostenhilfe zu bewilligen unter Beiordnung von Rechtsanwalt … …, … … … … Eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers wurde trotz Ankündigung nicht vorgelegt.
Nach einem Aktenvermerk der Beklagten vom 22. Juli 2016 sei die Zuständigkeit auf Italien am 2. Februar 2016 übergegangen und damit sei das Ende der Überstellungsfrist der 2. August 2016 gewesen. Diese Berechnung dürfte auch zutreffend sein. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass Italien nach Ablauf der Überstellungsfrist noch aufnahmebereit sei. Der Antragsteller könne sich daher auf den Ablauf der Überstellungsfrist berufen.
Das Bundesamt legte mit Schriftsatz vom 10. August 2016 die Behördenakten vor und beantragte mit Schreiben vom 2. September 2016, den Antrag abzulehnen Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist begründet.
Die Klage hat hohe Erfolgsaussichten, weil die Abschiebungsanordnung zum maßgeblichen gegenwärtigen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) wohl rechtswidrig ist.
Die sechsmonatige Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO ist inzwischen abgelaufen. Das Bundesamt richtete das Übernahmeersuchen an Italien am 18. Januar 2016. Da die italienischen Behörden nicht reagierten, trat die Zustimmungsfiktion des Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO mit Ablauf der Zwei-Wochen-Frist gemäß Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO am 2. Februar 2016 ein. Die Überstellungsfrist endete somit mit Ablauf des 2. August 2016. Sie war also bereits abgelaufen, bevor der Antragsteller Klage und Antrag eingelegt hatte. Somit ist gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO Italien wohl jedenfalls seit dem 3. August 2016 nicht mehr zur Wiederaufnahme des Antragstellers verpflichtet, sondern die Bundesrepublik Deutschland ist zuständig geworden.
Ob der Antragsteller den Ablauf der Überstellungsfrist unmittelbar als Rechtsverletzung geltend machen kann, kann offen bleiben. Er kann sich jedenfalls darauf berufen, dass die Voraussetzungen des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht mehr vorliegen, wonach feststehen muss, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Dies ist jedenfalls in tatsächlicher Hinsicht zum maßgeblichen gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr der Fall, weil nicht erkennbar ist, dass Italien, obwohl die Überstellungsfrist abgelaufen und die Bundesrepublik Deutschland zuständig geworden ist, nach wie vor ohne weiteres zur Aufnahme des Antragstellers bereit ist.
Ist ein Mitgliedstaat nach den einschlägigen Dublin-Bestimmungen für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig, kann sich der Schutzsuchende im gerichtlichen Verfahren gegen die Ablehnung seines Asylantrags als unzulässig nach § 27a AsylG, heute § 29 AsylG, jedenfalls dann auf die Zuständigkeit dieses Mitgliedstaats berufen, wenn die (Wieder-)Aufnahmebereitschaft eines anderen (unzuständigen) Mitgliedstaats nicht positiv feststeht (BVerwG, Urt.v. 27.4.2016 – 1 C 24.15 – juris).
Angesichts der hohen Erfolgsaussichten der Klage überwiegt das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung der Klage das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
2. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten des Antragstellers bleibt ohne Erfolg.
Prozesskostenhilfe ist nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) einer Partei auf Antrag zu gewähren, wenn diese nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Nachdem entgegen der Ankündigung des Bevollmächtigten des Antragstellers die PKH-Unterlagen, insbesondere die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers, nicht nachgereicht wurden, kann die Bedürftigkeit des Antragstellers nicht festgestellt werden, so dass der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abzulehnen ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).