Aktenzeichen 3 ZB 15.939
BayBeamtVG Art. 45 ff.
Leitsatz
1 Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgericht, mit dem eine Verpflichtungsklage auf Anerkennung degenerativer Veränderungen im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule als weitere Dienstunfallfolge auf der Grundlage eines im behördlichen Verfahren eingeholten fachärztlichen Gutachtens abgelehnt wurde, bestehen nicht, wenn die vom Kläger vorgelegten weiteren medizinischen Unterlagen das Gutachten nicht in Frage stellen können. Dies zumal der Beamte für das Vorliegen eines Dienstunfalls und die Kausalität der Unfallfolgen den vollen Beweis zu erbringen hat (stRspr, zB VGH München BeckRS 2016, 47787.) (redaktioneller Leitsatz)
2 Liegt bereits ein Gutachten zu einer entscheidungserheblichen Tatsache vor, steht es nach § 98 VwGO, § 412 Abs. 1 ZPO im Ermessen des Gerichts, ob es ein zusätzliches Sachverständigengutachten einholt. Das Gericht kann sich dabei auch auf Gutachten stützen, die von einer Behörde eingeholt wurden. Ein Verfahrensmangel liegt nur dann vor, wenn sich die Einholung eines weiteren Gutachtens wegen fehlender Eignung des vorliegenden Gutachtens hätte aufdrängen müssen. Ist dies nicht der Fall, ist es Sache des Klägers durch Stellung eines förmlichen Beweisantrages auf die aus seiner Sicht notwendige Aufklärung hinzuwirken (VGH München BeckRS 2016, 42596; Parallelentscheidung BeckRS 2016, 54903). (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
Au 2 K 14.1286 2015-03-19 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
Der sinngemäß auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils) und § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen kann) gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Der Senat hat bereits Zweifel, ob die Zulassungsgründe in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Art und Weise dargelegt sind. Diese liegen jedenfalls nicht vor.
1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind anzunehmen, wenn in der Antragsbegründung ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. etwa BVerfG, B. v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – NJW 2009, 3642) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (BVerwG, B. v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838/839). Schlüssige Gegenargumente in diesem Sinne liegen dann vor, wenn der Rechtsmittelführer substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist (vgl. BVerfG, B. v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546/548). Welche Anforderungen an Umfang und Dichte der Darlegung zu stellen sind, hängt wesentlich von der Intensität ab, mit der die Entscheidung begründet worden ist (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 64 m. w. N.).
1.1 Der Kläger war am 20. März 1998 mit seinem Dienstfahrzeug von der Straße abgekommen und gegen einen Baum geprallt. Mit Bescheid vom 19. Mai 1998 erkannte der Beklagte dieses Ereignis als Dienstunfall im Sinne von Art. 45 ff. BayBeamtVG an und bestätigte als Dienstunfallfolge eine schwere Quetschung des rechten Sprunggelenks mit Weichteilschaden, eine Luxationsfraktur des rechten Sprunggelenks und eine ausgedehnte Risswunde am linken Knie. Mit Bescheid vom 11. Juni 1999 wurde als weitere Folge des Dienstunfalls vom 20. März 1998 eine doppelte Fraktur am Innenknöchel rechts und mit Bescheid vom 6. März 2014 eine schwere posttraumatische Arthrose des rechten oberen und unteren Sprunggelenks festgestellt (Ziff. 1). Die Anerkennung degenerativer Veränderungen im Bereich der Hals-und Lendenwirbelsäule, der Hüftgelenke und der Kniegelenke wurden als weitere Dienstunfallfolgen in Ziffer 2 des Bescheids vom 6. März 2014 abgelehnt und gleichzeitig festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Gewährung eines Unfallausgleichs nicht vorliegen (Ziff. 3 des Bescheids vom 6. März 2014). Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob der Kläger auch Klage auf Gewährung eines Unfallausgleichs, welche das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 19. März 2015 (Az. Au 2 K 14.1295) abwies. Den auf Zulassung der Berufung gerichteten Antrag lehnte der Senat ebenfalls mit Beschluss vom 11. November 2016 (Az. 3 ZB 15.940) ab.
1.2 Das Verwaltungsgericht hat die Verpflichtungsklage des Klägers auf Anerkennung weiterer Dienstunfallfolgen aus dem Dienstunfallereignis vom 20. März 1998 gemäß Art. 45 ff. BayBeamtVG zu Recht abgewiesen. Dabei hat es ausgeführt, dass der Beklagte in Ziffer 2 des Bescheids vom 6. März 2014 zutreffend festgestellt habe, dass die degenerativen Veränderungen im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule nicht als Dienstunfallfolge auf den Dienstunfall vom 20. März 1998 zurückzuführen seien. Dies ergebe sich schlüssig und nachvollziehbar aus dem im Verwaltungsverfahren durch das Landesamt für Finanzen eingeholten fachärztlichen Gutachten von Dr. K.-H. M. vom 13. Dezember 2013. Danach habe das Unfallereignis vom 20. März 1998 beim Kläger zu einer schweren Verletzung des rechten Sprunggelenks geführt. Der direkte klinische, radiologische und sonografische Vergleich mit der nicht verletzten Gegenseite zeige, dass die heutigen Folgen der schweren Erkrankung des rechten und unteren Sprunggelenks ausschließlich auf das Unfallereignis vom 20. März 1998 zurückzuführen seien. Zu den vom Kläger beklagten degenerativen Veränderungen im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule sowie der Hüft- und Kniegelenke sei es unabhängig von dem Dienstunfall und seinen Folgen gekommen. Diese Beschwerden seien folglich nicht im Zusammenhang mit Dienstunfallfolgen zu sehen. Das Ergebnis der Begutachtung finde seine Stütze auch in mehreren Gutachten bzw. Stellungnahmen des ärztlichen Dienstes der Bayerischen Polizei, insbesondere vom 13. Februar 2002 und vom 11. November 2002 sowie vom 26. Februar 2007, welche ebenfalls zur Einschätzung gelangten, dass die Wirbelsäulen- und Hüftbeschwerden nicht ursächlich auf die dienstunfallbedingte Sprunggelenksarthrose zurückgeführt werden könnten. Diese Feststellungen habe der Kläger, der die materielle Beweislast für die haftungsausfüllende Kausalität zwischen Dienstunfall und den Unfallfolgen trage, nicht erschüttern können. Auch unter Berücksichtigung des klägerischen Vorbringens bestehe kein Zweifel an dem – auch vom polizeiärztlichen Dienst geteilten – Ergebnis des Gutachtens vom 13. Dezember 2013, das geeignet gewesen sei, dem Gericht die erforderliche Sachkunde zu vermitteln. Gegen das Ergebnis der Begutachtung habe der Kläger keine substantiellen Einwendungen vorgebracht, so dass eine Einholung weiterer sachverständiger Stellungnahmen nicht veranlasst gewesen sei.
1.3 Das Vorbringen des Klägers im Rahmen des Zulassungsverfahrens ist nicht geeignet, die Erwägungen des Verwaltungsgerichts ernstlich in Frage zu stellen. Es werden hierdurch keine Gesichtspunkte aufgezeigt, die einer weiteren Klärung im Berufungsverfahren bedürften. Weder das Zulassungsvorbringen noch der im Rahmen des Zulassungsverfahrens vorgelegte vorläufige Entlassungsbericht des Ärztlichen Direktors Dr. S. vom 14. September 2012 im Anschluss an eine vom Kläger durchgeführte, stationäre Reha-Maßnahme vom 10. September 2012 bis 1. Oktober 2012 in der R. Klinik beschäftigen sich mit der Frage, ob die beim Kläger unstreitig vorliegenden degenerativen Veränderungen im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule sowie der Hüft- und Kniegelenke kausal auf das Unfallereignis vom 20. März 1998 zurückzuführen sind. Gleiches gilt für den dem Kläger unter dem 4. Oktober 2012 nachrichtlich zugesandten Entlassungsbericht. Für das Vorliegen eines Dienstunfalls und die Kausalität der Unfallfolgen hat der Kläger jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts den vollen Beweis („mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“) zu erbringen (BVerwG, U. v. 23.5.1962, U. v. 23.5.1962 – VI C 39.60 – BVerwGE 14, 181; BayVGH, B. v. 9.10.2015 – 3 B 12.1708 – juris Rn. 14; B. v. 20.6.2016 – 3 ZB 14.1450 – juris Rn. 14). Soweit sich aus der vorgelegten ärztlichen Stellungnahme von Dr. S. ergibt, dass beim Kläger im September 2012 „sekundär durch Fehlbelastung Schmerzen im Knie- und Hüftbereich bestanden“, hält der Senat dies nicht für ausreichend, eine mögliche Kausalität im Hinblick auf das Unfallereignis vom 20. März 1998 darzulegen und damit das vom Beklagten zu einem späteren Zeitpunkt eingeholte fachärztliche Gutachten des Dr. K.-H. M. vom 13. Dezember 2013 in Frage zu stellen.
2. Der geltend gemachte Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO liegt ebenfalls nicht vor. Es ist nicht ersichtlich, dass das Verwaltungsgericht der ihm nach § 86 Abs. 1 VwGO obliegenden Aufklärungspflicht nicht ausreichend nachgekommen ist. Liegt – wie hier – bereits ein Gutachten zu einer entscheidungserheblichen Tatsache vor, steht es nach § 98 VwGO, § 412 Abs. 1 ZPO im Ermessen des Gerichts, ob es ein zusätzliches Sachverständigengutachten einholt. Das Gericht kann sich dabei ohne Verstoß gegen seine Aufklärungspflicht auf Gutachten oder gutachterliche Stellungnahmen stützen, die von einer Behörde im Verwaltungsverfahren eingeholt wurden (st. Rspr., vgl. BVerwG, B. v. 30.12.1997 – 11 B 3.97; B. v. 3.2.2010 – 7 B 35/09 – juris Rn. 12). Ein Verfahrensmangel liegt nur dann vor, wenn sich die Einholung eines weiteren Gutachtens wegen fehlender Eignung des vorliegenden Gutachtens hätte aufdrängen müssen. Dies wäre dann der Fall gewesen, wenn das fachärztliche Gutachten vom 13. Dezember 2013 grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweisen würde, von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen wäre, wenn Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters bestanden hätten, ein anderer Sachverständiger über neue oder überlegenere Forschungsmittel oder größere Erfahrung verfügte oder wenn das Beweisergebnis durch substantiierten Vortrag eines der Beteiligten oder durch eigene Überlegungen des Gerichts ernsthaft erschüttert worden wäre (st. Rspr., vgl. BVerwG, B. v.26.6.1992 – 4 B 1-11/92 – juris Rn. 45 ff.; B. v. 3.2.2010 a. a. O. Rn. 12).
Derartige Einwendungen gegen das Gutachten vom 13. Dezember 2013 wurden vom Kläger jedoch nicht vorgetragen. Eine weitere Beweiserhebung musste sich dem Verwaltungsgericht deshalb nicht aufdrängen. Es hätte vorliegend vielmehr dem anwaltlich vertretenen Kläger oblegen, durch die Stellung eines förmlichen Beweisantrags auf eine aus seiner Sicht noch notwendige Aufklärung des Sachverhalts hinzuwirken (BayVGH, B. v. 15.2.2016 – 14 ZB 14.1016 – juris Rn. 28) bzw. im Berufungszulassungsverfahren substantiiert darzulegen, warum sich dem Verwaltungsgericht aus seiner für den Umfang der verfahrensrechtlichen Sachaufklärung maßgeblichen materiell-rechtlichen Sicht die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung in der aufgezeigten Richtung hätte aufdrängen müssen (st. Rspr., vgl. BVerwG, U. v. 22.10.2015 – 7 C 15.13 – juris Rn. 35; B. v. 28.7.2014 – 1 B 6.14 – juris Rn. 3; B. v. 5.3.2010 – 5 B 7.10 – juris Rn. 9).
Die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um die Versäumnisse eines Beteiligten wie das Unterlassen der Stellung von förmlichen Beweisanträgen in der ersten Instanz im Berufungsverfahren zu kompensieren (BVerwG, B. v. 5.3.2010 a. a. O. Rn. 9; BayVGH, B. v. 9.10.2015 – 3 ZB 12.1708 – juris Rn. 27; B. v. 20.6.2016 a. a. O. Rn. 30). Ein konkreter Beweisantrag, der grundsätzlich spätestens in der mündlichen Verhandlung (BVerwG, B. v. 25.6.2012 – 7 BN 6.11 – juris Rn. 7) oder – sofern wie hier auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet wurde – zumindest schriftlich zu stellen gewesen wäre, liegt jedoch nicht vor. Dieser Gesichtspunkt wäre unter Umständen auch beim Verzicht auf die mündliche Verhandlung mit Schreiben vom 27. Februar 2015 zu berücksichtigen gewesen. Beweisangebote bzw. -anträge in den vorbereitenden Schriftsätzen – wie z. B. in der Klagebegründung vom 19. Dezember 2014 (ohne konkrete Fragestellung) – sind anerkanntermaßen lediglich als Ankündigungen bzw. Anregungen an das Gericht zu werten (BayVGH, B. v. 20.6.2016 a. a. O. Rn. 30).
3. Der Zulassungsantrag war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2 GKG.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).