Aktenzeichen M 5 E 16.4998
BayBG BayBG Art. 65 Abs. 2 S. 1
Leitsatz
1 Bei der Anordnung einer amtsärztlichen Untersuchung handelt es sich nicht um eine nicht selbstständig anfechtbare Verfahrenshandlung nach § 44a S. 1 VwGO, so dass einstweiliger Rechtsschutz nach § 123 VwGO statthaft ist. Zwar stellt die Untersuchungsanordnung eine behördliche Verfahrenshandlung dar. Diese ist jedoch iSv § 44a S. 2 VwGO vollstreckbar, denn deren Nichtbefolgung kann mit disziplinarischen Mitteln sanktioniert werden (VGH München BeckRS 2015, 42864). (redaktioneller Leitsatz)
2 Das Auffinden von Anabolika bei einem Beamten und der darauf gestützte Verdacht einer Einnahme von gesundheitsschädigenden Dopingmitteln rechtfertigt die Anordnung einer allgemeinmedizinische Untersuchung mit Anamnesegespräch sowie einer Labordiagnostik, um Zweifeln an der Dienstfähigkeit nachzugehen, nicht jedoch eine Begutachtung im psychiatrischen Bereich. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Dem Antragsgegner wird aufgegeben, den Antragsteller vorläufig von der Verpflichtung zur Durchführung einer anderen als einer allgemeinmedizinisch-internistischen Untersuchung freizustellen (gemäß der Anordnung des PP München v. …11.16).
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II.
Der Antragsteller und der Antragsgegner haben die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nur teilweise begründet.
1. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 des § 123 Abs. 1 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, notwendig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. § 123 Abs. 1 VwGO setzt daher sowohl einen Anordnungsgrund, d. h. ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes in Form der Gefährdung eines eigenen Individualinteresses, als auch einen Anordnungsanspruch voraus, d. h. die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in der Hauptsache. Der Antragsteller hat die hierzu notwendigen Tatsachen glaubhaft zu machen.
2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Aufforderung zur amtsärztlichen Untersuchung am … November 2016 um … Uhr ist statthaft. Dabei handelt es sich nicht um eine nicht selbstständig anfechtbare Verfahrenshandlung nach § 44a Satz 1 VwGO. Zwar stellt die Untersuchungsanordnung eine behördliche Verfahrenshandlung dar. Diese ist jedoch i. S. v. § 44a Satz 2 VwGO vollstreckbar, denn deren Nichtbefolgung kann mit disziplinarischen Mitteln sanktioniert werden (BayVGH, B. v. 23.2.2015 – 3 CE 15.172 – juris Rn. 14).
3. Ein Anordnungsgrund für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung liegt vor, da die streitgegenständliche Untersuchung am … November 2016 um … Uhr unmittelbar bevorsteht.
4. Der Antragsteller hat jedoch nur hinsichtlich der fachärztlichen Untersuchung einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, im Übrigen nicht.
a) Der Beamte hat nach Art. 65 Abs. 2 Satz 1 des Bayerischen Beamtengesetzes (BayBG) die Dienstpflicht, sich ärztlich untersuchen zu lassen, wenn Zweifel hinsichtlich seiner Dienstunfähigkeit bestehen (vgl. BVerwG, B. v. 28.5.1984 – 2 B 205.82 – Buchholz 237.5 § 51 LBG Hessen Nr. 1). Diese Zweifel des Dienstherrn an der Dienstfähigkeit des Beamten müssen sich auf konkrete Umstände stützen, die eine derartige Untersuchung rechtfertigen und dürfen nicht „aus der Luft gegriffen“ sein (BayVGH, B. v. 14.1.2014 – 6 CE 13.2352 – juris). Die Anordnung muss sich folglich auf solche Umstände beziehen, die bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründen, der betroffene Beamte sei dienstunfähig oder jedenfalls nur begrenzt dienstfähig.
b) Die Anordnung einer ärztlichen Untersuchung gemäß Art. 65 Abs. 2 Satz 1 BayBG muss nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit inhaltlichen und formellen Anforderungen genügen (BVerwG, U. v. 26.4.2012 – 2 C 17/10; U. v. 30.5.2013 – 2 C 68/11; B. v. 10.4.2014 – 2 B 80/13 jeweils juris). Die Untersuchungsanordnung hat zur Voraussetzung, dass aufgrund hinreichend gewichtiger tatsächlicher Umstände zweifelhaft ist, ob der Beamte wegen seines körperlichen Zustands oder aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, die Dienstpflichten seines abstrakt-funktionellen Amtes zu erfüllen (BVerwG, U. v. 30.5.2013, a. a. O., Rn. 19). Die Behörde muss die tatsächlichen Umstände, auf die sie die Zweifel an der Dienstfähigkeit stützt, in der Anordnung angeben (BVerwG, U. v. 30.5.2013, a. a. O., Rn. 20; BVerwG, U. v. 26.4.2012, a. a. O., Rn. 19). Der Beamte muss anhand der darin gegebenen Begründung entnehmen können, was konkret ihr Anlass ist und ob das in der Anordnung Verlautbarte die Zweifel an seiner Dienstfähigkeit zu rechtfertigen vermag (BVerwG, U. v. 23.10.1980 – 2 A 4.78 – juris Rn. 27; U. v. 26.4.2012 – 2 C 17.10 – NVwZ 2012, 1483 ff.; B. v. 10.4.2014 – 2 B 80.13 – juris Rn. 8). Gleichermaßen muss es für den Beamten überprüfbar sein, ob die beabsichtigten Untersuchungsmaßnahmen verhältnismäßig sind, so dass diese nicht frei dem Amtsarzt überlassen werden dürfen. Dabei darf die Behörde nicht nach der Überlegung vorgehen, der Adressat würde schon wissen, „worum es gehe“ (BVerwG, U. v. 26.4.2012, a. a. O., Rn. 20). Entspricht die Anordnung nicht diesen Anforderungen, können Mängel nicht nachträglich durch Nachschieben von Gründen geheilt werden (BVerwG, U. v. 26.4.2012, a. a. O., Rn. 21).
c) Die Aufforderung zur Teilnahme an dem für den … November 2016 um … Uhr angesetzten Untersuchungstermin genügt diesen Anforderungen, soweit eine allgemeinmedizinische amtsärztliche Untersuchung vorgenommen werden soll.
Der Antragsgegner durfte Zweifel an der Dienstfähigkeit des Beamten hegen. Bei einer Hausdurchsuchung beim Antragsteller im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wurden Gegenstände aufgefunden, die nahelegen, dass der Antragsteller Anabolika in einem Umfang einnimmt, der die Dienstfähigkeit beeinflussen kann. Neben Medikamenten gegen die Nebenwirkungen von Anabolika wurde eine Vorrichtung aufgefunden, die der Injektion von Anabolika dient. Zudem steht der Antragsteller unter dem Verdacht, anabole Tabletten sowie Ampullen auf einer Internetseite bestellt zu haben. Der Konsum derartiger Substanzen, der nicht allgemein üblich ist, kann zu gesundheitlichen Schädigungen führen. Durch den Besitz von Medikamenten gegen die Nebenwirkungen ist zu besorgen, dass diese negativen Wirkungen medikamentös ausgeschaltet werden sollten, was sich auf den Gesundheitszustand und die Dienstfähigkeit auswirken kann. Der Antragsgegner durfte sich daher veranlasst sehen, den Gesundheitszustand des Antragstellers überprüfen zu lassen.
Die Anordnung ist auch aus sich heraus verständlich und ausreichend bestimmt. Ihr lässt sich der konkrete Anlass der Untersuchung entnehmen, nämlich der Verdacht einer Einnahme von gesundheitsschädigenden Dopingmitteln durch den Antragsteller. Der Antragsgegner verweist in der Untersuchungsanordnung auf mögliche Nebenwirkungen von Anabolika und auf daraus resultierende akute bzw. Langzeitschäden. Diese kurze Begründung genügt den formellen Anforderungen. Der Antragsgegner hat hiermit die maßgeblichen Gründe benannt, aus denen er die Besorgnis ableitet, dass der Beamte wegen seines körperlichen Zustands oder aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage sein könnte, die Dienstpflichten seines abstrakt-funktionellen Amtes zu erfüllen. Die Angabe einer weitergehenden Begründung ist mangels näherer Information nicht möglich. Die angeordnete allgemeinmedizinische Untersuchung kann dazu dienen, genauere Erkenntnisse über ein möglicherweise bestehendes Krankheitsbild des Beamten zu erlangen und den bestehenden Verdacht auszuräumen oder zu bestätigen. Die in der Untersuchungsanordnung aufgeführten einzelnen Maßnahmen, das Anamnesegespräch sowie die Labordiagnostik, gehören zum ärztlichen Standardvorgehen, um den aktuellen Gesundheitszustand des Beamten zu erforschen.
d) Die Untersuchungsaufforderung genügt den rechtlichen Anforderungen jedoch nicht, soweit eine Begutachtung im psychiatrischen Bereich angeordnet wird.
Es findet sich im streitgegenständlichen Bescheid keine Begründung, weshalb eine Begutachtung im psychiatrischen Bereich notwendig sein soll. Auch bleibt vorliegend unklar, mit welchen psychischen Beeinträchtigungen genau sich die Untersuchung befassen soll (so aber BVerwG, B. v. 10.4.2014 – 2 B 80/13 – juris Rn. 21). Die zu erwartenden diagnostischen Tätigkeiten und Verfahren müssen jedenfalls in ihren Grundzügen benannt werden (BVerwG, B. v. 10.4.2014, a. a. O. Rn. 10; VGH Mannheim, U. v. 22.7.2014 – 4 S 1209/13 – juris Rn. 32). Aufgrund der Eingriffsintensität einer fachpsychiatrischen Untersuchung in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines Beamten ist insbesondere in diesem Bereich zwingend geboten, dass zumindest die Grundzüge des Umfangs der bevorstehenden Untersuchung von der Behörde fixiert und nicht dem Amtsarzt überlassen werden. Die Erhebungen eines Psychiaters, die sich in aller Regel auch auf den Bereich der privaten Lebensgestaltung erstrecken, sind von höherer Eingriffsqualität als rein medizinische Feststellungen (BVerwG, U. v. 26.4.2012 – 2 C 17.10 – juris Rn. 17; vgl. auch VGH BW, B. v. 3.2.2005 – 4 S 2398/04, NVwZ-RR 2006, 200/201 zur Frage der Verhältnismäßigkeit bei der Anordnung einer psychiatrischen Untersuchung; BayVGH, B. v. 12.12.2012 – 3 CE 12.2121 – juris Rn. 30). Diesem erhöhten Begründungserfordernis trägt die streitgegenständliche Anordnung in keinster Weise Rechnung.
Sollte dem Dienstherrn zum Zeitpunkt der Anordnung nicht konkret bekannt sein, welchen medizinischen Fachbereichen eine mögliche Erkrankung des Beamten zuzuordnen ist, kann er zunächst eine allgemeine amtsärztliche Untersuchung anordnen und, sobald sich hieraus genauere Erkenntnisse ergeben, in einem zweiten Schritt eine weitere, fachärztliche Untersuchung. Insofern könnte eine psychiatrische Begutachtung allenfalls angeordnet werden, wenn sich bei der allgemeinmedizinischen Untersuchung Anhaltspunkte für eine dahingehende gesundheitliche Beeinträchtigung ergeben.
5. Entsprechend dem Anteil des jeweiligen Obsiegens und Unterliegens haben der Antragsteller und der Antragsgegner jeweils die Kosten des Verfahrens zur Hälfte zu tragen (§ 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes, wobei im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur die Hälfte des Wertes eines Hauptsacheverfahrens festzusetzen ist.