Aktenzeichen S 11 R 1953/13
SGG SGG § 86a
Leitsatz
1. Zur Abgrenzung selbstständige Tätigkeit – abhängige Beschäftigung bei Architekten/Bauingenieuren.
2. Tritt ein Architekt nicht im eigenen Namen auf, sondern wickelt er die Sonderwünsche der Kunden eines Bauträgers ab und tritt damit nach Außen als Mitarbeiter des Unternehmens in Erscheinung, spricht dies gegen die Annahme einer selbständigen Tätigkeit. (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Gewährung eines Gründungszuschusses kommt keine Indizwirkung zugunsten der Selbstständigkeit zu. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 14.09.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 02.08.2013 entsprechend ihrem Anerkenntnis verurteilt, die Nachforderung aus der Betriebsprüfung für den Zeitraum 01.01.2007 bis 31.12.2010 neu zu berechnen und hierbei
1. beim Beigeladenen zu 1) eine selbstständige nicht sozialversicherungspflichtige Tätigkeit zu Grunde zu legen
2. beim Beigeladenen zu 4) das tatsächliche Arbeitsentgelt und nicht eine Berechnung nach § 14 Abs. 2 SGB IV zu Grunde zu legen. Säumniszuschläge werden nicht erhoben.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin 7/8, die Beklagte 1/8.
III. Der Streitwert wird auf 146.259,72 € festgesetzt.
Gründe
Das Sozialgericht München ist sachlich und örtlich zuständig. Die form- (§ 90 SGG) und fristgerecht (§ 87 SGG) erhobene Klage ist zulässig.
Die Klage ist über das von der Beklagten abgegebene Teilanerkenntnis hinaus unbegründet.
1. Beigeladener zu 1, C.:
Die Beklagte hat hierzu – entsprechend dem Vergleichsvorschlag des Gerichts vom 28.01.2016 – ein Anerkenntnis dahingehend abgegeben, dass die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1 bei der Klägerin eine selbständige nicht sozialversicherungspflichtige Tätigkeit im streitgegenständlichen Zeitraum 01.01.2007 bis 31.12.2010 war. Entsprechend ist die Nachforderung unter Zugrundelegung der selbständigen Tätigkeit des Beigeladenen zu 1 neu zu berechnen.
2. Beigeladener zu 4, F.:
Für den Beigeladenen zu 4 konnte das Gericht keine selbstständige Tätigkeit bei der Klägerin feststellen. Der Beigeladene zu 4, der bis zu seinem Ausscheiden im April 2006 als angestellter Architekt bei der Klägerin tätig war, hat im Anschluss daran die Tätigkeit als Projektbetreuer für die Klägerin weitergeführt. Er gab an, ca. 34 Wochenstunden gearbeitet und nach Stunden abgerechnet zu haben. Ihm sei die Abwicklung von Sonderwünschen der Kunden eines Bauträgers von der Klägerin zur selbständigen Abwicklung übertragen worden. Aus den Unterlagen und aus der Einlassung des Beigeladenen zu 4 geht nicht hervor, dass dieser im eigenen Namen aufgetreten ist, vielmehr hat er die Sonderwünsche der Kunden eines Bauträgers der Klägerin abgewickelt und trat daher als Mitarbeiter der Klägerin in Erscheinung. Somit war von einer abhängigen Beschäftigung auszugehen. Da dem Kläger ein bedingter Vorsatz bei der Verletzung der Meldepflicht nach § 28 a SGB IV nicht nachgewiesen werden kann – der Beigeladene zu 4 hat insoweit glaubhaft vorgetragen, sich zuvor beim Finanzamt als auch beim Steuerberater informiert zu haben – war eine Nettolohnvereinbarung mit erfolgter „Hochrechnung“ nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV nicht möglich. Die Beklagte hat insoweit ein Teilanerkenntnis abgegeben und war entsprechend dem Teilanerkenntnis zu verurteilen.
3. Beigeladener zu 3, E.:
Der Beigeladene zu 3 war im Zeitraum März 2008 bis Dezember 2010 als Bauingenieur für die Klägerin tätig. Im Vertrag vom 29.02.2008 war unter anderem aufgeführt, dass der Beigeladene zu 3 mit der Abwicklung von Straßen- und Ingenieurbauprojekten ganz oder in Teilen befasst ist. Er hat die notwendigen Abstimmungen mit der Klägerin vorzunehmen. Diese Abstimmung erfolgt ausschließlich im Büro der Klägerin. Die Klägerin stellt dem Beigeladenen zu 3 einen Arbeitsplatz zur freien Benutzung zur Verfügung. Hinsichtlich der Vergütung erhielt der Beigeladene zu 3 für das erste Vierteljahr ein Honorar von 5.600.- Euro, danach von 10.080.- Euro vierteljährlich zuzüglich Mehrwertsteuer. Zugrunde gelegt wird ein Aufwand von 445 Stunden vierteljährlich. Des Weiteren ist vereinbart, dass der Beigeladene zu 3 nach Vertragsbeendigung für die Dauer von zwölf Monaten nicht für die Landeshauptstadt A-Stadt selbständig tätig werden darf. Der Vertrag wird zunächst für die Dauer von sechs Monaten geschlossen (§ 9 des Vertrages) und verlängert sich automatisch um weitere sechs Monate. Im Erörterungstermin hat die Klägerin hierzu erklärt, am Anfang hätten die Arbeitsergebnisse des Beigeladenen zu 3 häufiger kontrolliert werden müssen, da der Beigeladene zu 3 Berufsanfänger gewesen sei, mit der Zeit habe die Kontrolldichte abgenommen.
Für den Zeitraum bis 31.12.2010 liegt nach Auffassung des Gerichts ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vor. Der Beigeladene zu 3 hatte kein Unternehmerrisiko, da er nach Stunden bezahlt wurde. Im Vertrag ist bezüglich der Vergütung (§ 3) aufgeführt, dass er für das erste Vierteljahr 5.600.- Euro bei einem zugrunde gelegten Aufwand von 445 Stunden erhält. Dies entspricht einem Stundenlohn von netto 12,58 Euro. Danach werden bei ca. 37 Wochenstunden 22,65 Euro gezahlt. Der Beigeladene zu 3 hat keine eigene Berufshaftpflichtversicherung und hat (§ 2 des Vertrages) die notwendigen Abstimmungen mit der Klägerin ausschließlich in deren Büro vorzunehmen. Auch die Tatsache, dass der Beigeladene zu 3 einen Gründungszuschuss seitens der Bundesagentur erhalten hat, ist kein Indiz für eine selbstständige Tätigkeit. Die Regelung der Bundesagentur für Arbeit erschöpft sich in der Gewährung einer Sozialleistung und enthält keine Feststellung, dass die Tätigkeit, für die der Zuschuss gewährt wird, eine selbstständige Tätigkeit ist, vgl. LSG Baden- Württemberg vom 26.07.2016, L 11 R 5180/13 m.w.N., BayLSG Urteil vom 28.05.2013, L 5 R 863/12. Der Gewährung eines Gründungszuschusses kommt keine Indizwirkung zugunsten der Selbstständigkeit zu.
In der Gesamtschau der vertraglichen Regelung einerseits, der Einlassungen des Beigeladenen zu 3 während des Verwaltungsverfahren und des Klageverfahrens andererseits kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Merkmale für eine abhängige Beschäftigung bei Weitem überwiegen. Dafür sprechen – wie oben bereits ausgeführt – zum einen die höhere Kontrolldichte zu Beginn der Tätigkeit des Beigeladenen zu 3 bei der Klägerin aber auch die Vergütungsregelungen. Dass der Beigeladene zu 3 daneben möglicherweise noch einzelne Aufträge in eigenem Namen für andere Auftraggeber durchgeführt hat, ist nicht zu berücksichtigen, da es lediglich auf das Vertragsverhältnis bzw. Tätigkeitverhältnis des Beigeladenen zu 3 bei der Klägerin ankommt. Auch die vierteljährliche Vergütung von anschließend 10.080.- Euro entspricht in etwa der eines Angestellten der Klägerin (vgl. Niederschrift vom 20.01.2016, wonach angestellte Architekten und Bauingenieure ca. 3.000 – 4.000.- Euro monatlich verdient haben).
4. Der Beigeladene zu 2, D.:
Der Beigeladene zu 2 war als Ingenieur ab Februar 2007 für die Klägerin tätig. Gemäß Vertrag vom 26.02.2007 war er für die Abwicklung von Straßen- und Ingenieurbauprojekten zuständig und erhielt ein Honorar von 12.000.- Euro vierteljährlich, bei einem Aufwand von 445 Stunden im Vierteljahr. Der Beigeladene zu 2 gab an, dass ihm die Betriebsausstattung zur Erledigung seiner Aufträge zur Verfügung steht, er muss keine Werbung machen, da ihm Folgeaufträge unter anderem wegen termingerechter Auftragsausführung erteilt werden. Als freier Mitarbeiter habe er lediglich das Endergebnis präsentiert. Seit 01.01.2010 sei er angestellt und müsse nun auch Zwischenschritte der Planung mit der Klägerin absprechen.
Auch hier entspricht die Vergütung der eines Angestellten bei der Klägerin. Der Beigeladene zu 2 trägt kein Unternehmerrisiko, da nach Stunden bezahlt wird und ein Aufwandvolumen von 445 Stunden vierteljährlich für die Klägerin zur Verfügung zu stellen hat. Der Beigeladene zu 2 ist als Diplom- Ingenieur bei den zu erledigenden Aufträgen in den Betriebsablauf der Klägerin eingebunden und hatte die notwendigen Abstimmungen durchzuführen (§ 2 des Vertrages). Das Gericht kommt daher insgesamt zum Ergebnis, dass der Beigeladene zu 2 bei der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum abhängig beschäftigt war.
5. Beigeladener zu 5, G.:
Der Beigeladene zu 5 war im Zeitraum Juni bis Dezember 2007 für die Klägerin tätig. Das Aufgabengebiet umfasste die Abwicklung von Straßen- und Ingenieurbauprojekten, wobei ein Honorar von 12.000.- Euro vierteljährlich bei einem Aufwand von 445 Stunden vierteljährlich vereinbart war (vgl. Vertrag vom 11.05.2007). Der Beigeladene zu 5 hat in dieser Zeit auch im Büro der Klägerin gearbeitet und z.B. einen Plotter benutzt, wobei dessen Benutzung im Preis mit inbegriffen war. Das Honorar von 12.000.- Euro im Vierteljahr entspricht dem eines Angestellten bei der Klägerin. Aufgrund des vereinbarten Honorars trug der Beigeladene zu 5 kein Unternehmerrisiko, da er für einen Aufwand von 445 Stunden pro Vierteljahr mit 12.000.- Euro vergütet wurde. Da auch eine Eingliederung in den Betriebsablauf bei der Klägerin vorlag und Abstimmungen im Büro der Klägerin – der Beigeladene hatte dort einen eigenen Arbeitsplatz zur freien Verfügung – durchzuführen waren, gelangt das Gericht zu der Auffassung, dass der Beigeladene zu 5 als abhängig Beschäftigter für die Klägerin tätig war.
Inwieweit sich nach dem 31.12.2010 Änderungen im Tätigkeitsbereich und dem Status insbesondere des Beigeladenen zu 3 ergeben haben, war nicht zu prüfen, da Klagegegenstand lediglich die Betriebsprüfung für den Zeitraum 01.01.2007 bis 31.12.2010 war.
Damit waren die Klageanträge in Ziffer 1 und 2, soweit sie über das Teilanerkenntnis der Beklagten hinausgehen, abzuweisen.
Der Klageantrag 3 hat sich erledigt, nachdem die Einzugsstelle die Vollziehung bis zum Abschluss des Klageverfahrens ausgesetzt hat.
Dem hilfsweise gestellten Klageantrag 4 hat die Beklagte mit Teilanerkenntnis Rechnung getragen insoweit als keine Nettolohnvereinbarung unterstellt wird und Säumniszuschläge nicht erhoben werden.
Die Klage war daher – soweit sie über das Teilanerkenntnis der Beklagten hinausging – abzuweisen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus §§ 197 a, 193 SGG. Danach waren entsprechend dem Klageerfolg die Kosten aufzuteilen.
Der Streitwert orientiert sich am streitgegenständlichen Nachforderungsbetrag.