Aktenzeichen 1 O 315/15
StVO 9 Abs. 5
VVG VVG § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
PflVG PflVG § 1
Leitsatz
Macht nach einer Kollision zweier Fahrzeuge der Haftpflichversicherer des einen Unfallbeteiligten geltend, es handle sich um eine fingierten Unfall, so obliegt ihm der dahingehende Beweis. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Beklagten werden verurteilt, samtverbindlich an die Klägerin 5.203,10 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit 13.02.2015 zuzüglich vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 666,40 Euro zu bezahlen.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 25 %, die Beklagten gesamtschuldnerisch 75 %.
IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die zulässige Klage ist nur zum Teil begründet.
I.
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Passau gemäß §§ 71 Abs. 1, 23 Nr. 1 GVG sachlich und nach §§ 12, 13, 32 ZPO § 20 StVG örtlich zuständig.
II.
Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 5.203,10 Euro nach §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, 2 StVG i. V. m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, § 1 PflVG.
1. Das Gericht geht davon aus, dass die Fahrzeuge der Klägerin (BMW und VW) beim Betrieb des durch den Beklagten zu 1) gehaltenen und geführten PKW beschädigt wurden, § 7 Abs. 1 StVG. Der Beklagte zu 1) hat den Unfall auch verschuldet, da ein eindeutiger Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO (Rückwärtsfahren) vorliegt.
2. Die Beklagte zu 2) haftet als Haftpflichtversicherer nach den §§ 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, § 1 PflVG.
3. Die Haftung der Beklagten zu 2) ist auch nicht deswegen ausgeschlossen, weil es sich um einen fingierten Unfall handelt. Der Beklagten zu 2) ist zwar zuzugestehen, dass der vorliegende Fall einige Auffälligkeiten aufweist. Der ihr obliegende Beweis für einen fingierten Unfall ist ihr jedoch zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme nicht gelungen. Dies beruht auf folgenden Erwägungen:
3.1. Sämtliche Beteiligte, die vom Gericht vernommen oder angehört wurden, haben nicht den Eindruck gemacht, als würden sie das Gericht bewusst mit der Unwahrheit bedienen. Die Klägerin selbst hat auf das Gericht einen durchaus ehrlichen und aufrichtigen Eindruck gemacht. Der Beklagte, der wegen psychischer Probleme unter Betreuung steht, hat einen eher einfach strukturierten Eindruck gemacht. Das Gericht hält es für ziemlich unwahrscheinlich, dass der Beklagte zu 1) eine erfundene Geschichte mehrmals hintereinander (und auch noch vor Gericht) plausibel und ohne nennenswerte Abweichungen vortragen kann. Auch der Zeuge B1 hat – trotz (oder gerade auch wegen) der Ungereimtheiten mit den Vorschäden am BMW und auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass er der Lebensgefährte der Klägerin ist – einen seriösen und aufrichtigen Eindruck hinterlassen. Die Unfallschilderungen der Klägerin und des Beklagten zu 1) waren auch nicht in einem Maße abweichend, wie es die Beklagte zu 2) Glauben machen will.
3.2. Aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen G2 ist der geschilderte Unfallhergang auch technisch zumindest nicht ausschließbar. Hinsichtlich der dem geschilderten Unfallgeschehen entgegenstehenden Schäden an der linken Seite zwischen Radlauf und Tür des BMW hat sich dies dahingehend aufgeklärt, als insofern ein Vorschaden vorgelegen hat (was sich nicht nur aus der Zeugenaussage Benda, sondern auch aus dem Lichtbild nach Bl. 115 d.A.) ergibt. Soweit der Sachverständige auch die Beschädigung an der „BMW-Niere“ als nicht unfallbedingt ansieht, erscheint es durchaus möglich, dass dieser Schaden schon vorher da war und nicht erkannt wurde. Die auf Lichtbild 4 des Gutachtens G2 dargestellte Beschädigung konnte in der Hauptverhandlung erst durch entsprechendes Zoomen am Laptop einwandfrei als solche erkannt werden.
3.3. Der Fall weist zwar einige „Besonderheiten“ auf, es sind jedoch längst nicht alle von der Rechtsprechung aufgestellten typischen und immer wiederkehrenden Kriterien für die Annahme eines fingierten Unfalls erfüllt. Der Unfall fand nicht zur Nachtzeit, sondern gegen 16.00 Uhr statt. Es wurde kein Fahrzeug der Luxusklasse beschädigt (es handelte sich zwar um einen BMW 850, dieser war aber bereits 25 Jahre alt und hatte bei Reparaturkosten von ca. 4.500,- Euro einen vom Gutachter festgestellten Restwert von 1.200,- Euro; von einem Luxusfahrzeug kann daher wohl keine Rede sein). Auch sind die Schäden (Vorschäden ausgenommen) aus technischer Sicht nicht ausschließbar mit dem Unfallhergang in Einklang zu bringen. Auch konnte das Schädigerfahrzeug vom Gerichtssachverständigen begutachtet werden, wobei sogar die beim Unfall beschädigte und mittlerweile ersetzte Stoßstande noch vorhanden war und mitgebracht wurde. Unter Berücksichtigung all dieser Einzelumstände geht das Gericht in seiner Gesamtwürdigung davon aus, dass das Vorliegen eines fingierten Unfalls nicht nachgewiesen ist.
4. Die Beklagten haften aber nur zu 80%, da der Klägerin der Nachweis, dass der Unfall für sie unvermeidbar war, nicht gelungen ist und deshalb auf ihrer Seite die Betriebsgefahr in Ansatz zu bringen ist (§ 17 Abs. 1, Abs. 23 StVG).
Der Sachverständige G2 hat insoweit ausgeführt, dass die Rückwärtsfahrt des Beklagten zu 1) mindestens 3 Sekunden gedauert haben muss und die Klägerin diese Bewegung bereits ab dem Einfahren in die Hofstelle hätte wahrnehmen können, so dass das Gericht davon ausgeht, dass die Klägerin (die Eigenschaft des Idealfahrers unterstellt) den Unfall hätte vermeiden können.
5. Schadenshöhe
Ausgehend von der Aufstellung in der Klageschrift sind folgende Positionen in Abzug zu bringen:
5.1. 77,11 Euro (brutto) für die in beiden Schadensgutachten berechneten Fahrkosten des Sachverständigen K1, da die Besichtigungen an gleichen Tag erfolgt sind und somit Fahrtkosten auch nur einmal angefallen sind.
5.2. 400,- Euro als Reduzierung des Wiederbeschaffungswert für den BMW wegen der beiden nachträglich festgestellten Vorschäden.
5.3. Damit ist der Klägerin ein Betrag in Höhe von 5.203,10 Euro zuzusprechen (6.980,98 Euro abzüglich 77,11 Euro Gutachterfahrtkosten abzüglich 400,- Euro wegen Vorschäden = 6.503,87 Euro abzüglich 20% Betriebsgefahr = 5.203,10 Euro).
6. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 288, 286 BGB.
Die Beklagte zu 2) geriet mit Ablauf der im Schreiben des Klägervertreters vom 29.01.2015 bis zum 12.03.2015 gesetzten Frist in Verzug.
7. Die vorgerichtlichen Anwaltskosten der Klägerin sind gemäß § 249 Abs. 2 BGB zu erstatten und belaufen sich gemäß der Berechnung des Klägervertreters in seiner Kostennote vom 30.01.2015 (Anlage K6) unter Zugrundelegung eines Streitwerts vom 5.203,10 Euro auf 587,50 Euro.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO.
IV.
Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 11, 709 S. 1, 2 ZPO.