Verwaltungsrecht

Nichtbetreiben des Asylverfahrens bei vermutetem Untertauchen des Ausländers

Aktenzeichen  M 4 S 16.33087

Datum:
26.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 25, § 33 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 2, Abs. 4
VwGO VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Ist der Ausländer nicht auf die Rechtsfolge der Rücknahmefiktion hingewiesen worden und fehlt jeglicher Nachweis für die Annahme, der Ausländer sei untergetaucht, besteht kein überwiegendes öffentliches Vollzugsinteresse. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 25. April 2016 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 11. April 2016 wird angeordnet.
II.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist nach den von ihm zuletzt vorgelegten Unterlagen irakischer Staatsangehöriger. Er gibt an Sunnit und kurdischer Volkszugehöriger zu sein. Am … Oktober 2013 stellte er im Bundesgebiet Asylantrag unter den Namen … geboren … Mai 1990. Am … September 2013 wurde er am … Flughafen aus … kommend aufgegriffen, nachdem er bei der Einreise keinen Pass vorlegen konnte. Seinen Angaben zufolge sei er mit einem gefälschten Pass geflogen, den er im Flugzeug gelassen habe. Bei seiner Erstbefragung am … Oktober 2013 gab er (ebenfalls unter den Personalien … geboren … Mai 1990) an, sein Personalausweis, ausgestellt 2010, befinde sich bei Verwandten in … Einen Reisepass habe er nie besessen, seine Staatsangehörigkeitsurkunde befinde sich bei seiner Großmutter in … Den gefälschten Reisepass habe er im Flugzeug vernichtet.
Mit Schriftsatz vom 24. Juni 2014 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) legte der damalige Bevollmächtigte des Antragstellers diverse Drohschreiben auf Arabisch inklusive deutscher Übersetzung, lautend auf die Bezugsperson … vor, aus denen sich die Verfolgungssituation des Antragstellers ergeben soll. Gleichzeitig legte er ein Schreiben von „…“ vor, wonach ein gewisser … von April bis August 2013 am …-… teilgenommen und in … untergebracht gewesen ist. Das Programm habe geendet, nachdem die nämliche Person verzogen sei. Dieses Schreiben soll sich auf den Antragsteller beziehen. Darüber hinaus bat er um Berichtigung der Personalien des Antragstellers in …, geboren … Dezember 1991.
Am … Oktober 2014 wurde der Antragsteller nach § 25 AsylVfG zu seinen Fluchtgründen gehört. Hierin gab er an, er sei 2011 legal von … nach … gereist und habe sich dann bei der UN um Aufnahme in ein …-… beworben. Der Antrag für die USA sei angenommen worden, ungefähr zwei Monate vor seinem Flug in die USA habe er seine jetzige Verlobte kennenglernt. Er sei nur in die USA gereist, da man ihm gesagt habe, dass er dann von den USA legal nach Deutschland reisen könne. Er sei dann von … am … September 2013 über … nach … geflogen. Dort habe man ihn aber nicht einreisen lassen, sondern ihn in die Türkei zurückgeschickt. Er sei dann mit Hilfe eines Schleusers mittels eines gefälschten Reisepasses von … nach … geflogen. Den gefälschten Reisepass habe er im Flugzeug in die Toilette geworfen. Aus Angst habe er falsche Personalien angegeben. Seinen echten irakischen Reisepass könne er nicht mehr finden, er sei in seiner Unterkunft, er hätte ihn damals in die USA mitgenommen und einem Freund, der von den USA in den Irak gereist sei, mitgegeben. Von dort aus sei ihm der Reisepass dann nach Deutschland zurückgeschickt worden.
Mit Bescheid vom 11. April 2016 stellte das Bundesamt fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt, und stellte das Asylverfahren ein (Ziff. 1). Gleichzeitig stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 2) und drohte dem Antragsteller für den Fall nicht fristgerechter Ausreise innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung die Abschiebung in den Irak oder in einen anderen zur Aufnahme verpflichteten oder aufnahmebereiten Staat an (Ziff. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziff. 4). Zur Begründung führte das Bundesamt lediglich aus, der Antragsteller sei nach den Erkenntnissen des Bundesamtes untergetaucht. Demzufolge werde vermutet, dass er das Verfahren im Sinne von § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG nicht betreibe.
Mit Schriftsatz vom 25. April 2016, beim Verwaltungsgericht München am 27. April 2016 eingegangen, ließ der Antragsteller über seinen Bevollmächtigten Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 11. April 2016 erheben, über die noch nicht entschieden ist (AZ.: M 4 K 16.30885).
Mit Schriftsatz vom 19. September 2016, eingegangen beim Gericht am 21. September 2016, ergänzte der Bevollmächtigte des Antragstellers die Klage vom 25. April 2016 um einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO,
die aufschiebende Wirkung der Klage vom 25. April 2016 gegen den Bescheid der Beklagten vom 11. April 2016 wieder herzustellen.
Zur Begründung trug der Bevollmächtigte vor, dass die Voraussetzungen für ein Einstellen des Asylverfahrens weder vorlägen noch von der Antragsgegnerin überhaupt begründet worden seien. Der Antragsteller sei nie untergetaucht.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegte Behördenakte des Bundesamtes sowie auf die Gerichtsakten in beiden Verfahren verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid ist auch begründet. Das öffentliche Interesse an einer schnellen Aufenthaltsbeendigung des Antragstellers hat hinter dem privaten Interesse des Antragstellers am weiteren Verbleib im Bundesgebiet zurückzustehen.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der vom Gesetzgeber vorgesehenen sofortigen Vollziehung des Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessenabwägung.
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs überwiegt das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage, weil sich der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes vom 11. April 2016 nach summarischer Prüfung als rechtswidrig erweist.
Nach § 33 Abs. 1 AsylG in der Fassung von Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. I, S. 390 f.) gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG n. F. wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er untergetaucht ist.
Die Voraussetzung für eine Einstellung des Verfahren auf der Grundlage von § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG scheidet vorliegend aus zwei Gründen aus:
a) Der Antragsteller ist nicht auf die Rechtsfolge der Rücknahmefiktion hingewiesen worden. § 33 Abs. 4 AsylG ist durch o.g. Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 am 17. März 2016 in Kraft getreten. Der Antragsteller ist über die Rechtsfolge des § 33 Abs. 1 AsylG neue Fassung zu keinem Zeitpunkt nach § 33 Abs. 4 AsylG hingewiesen worden. Eine Fiktion der Rücknahme des Asylantrags und eine Einstellung des Verfahrens kann also nicht auf § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG gestützt werden.
b) Überdies fehlt jeglicher Nachweis, dass der Antragsteller, wie vom Bundesamt behauptet, untergetaucht ist. Aus den vorgelegten Bundesamtsakten lässt sich dazu jedenfalls nichts entnehmen. Die im streitgegenständlichen Bescheid aufgeführte Behauptung, wonach der Antragsteller „nach den Erkenntnissen des Bundesamtes untergetaucht“ sei, entbehrt jeglicher Tatsachengrundlage und erweist sich von diesem Hintergrund quasi als „aus der Luft gegriffen“. Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um ein Verwaltungsversehen.
Da sich der streitgegenständliche Bescheid als voraussichtlich rechtswidrig erweist, liegt ein überwiegendes öffentliches Vollzugsinteresse vor Entscheidung in der Hauptsache nicht vor.
Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.

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