Arbeitsrecht

Vertragsärztlicher Not- und Bereitschaftsdienst – Teilnahmepflicht der Fachärzte für psychotherapeutische Medizin

Aktenzeichen  S 38 KA 1293/15

Datum:
25.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BDO-KVB BDO-KVB § 14 Abs. 1

 

Leitsatz

Die Sicherstellung von Not- und Bereitschaftsdiensten ist eine gemeinsame Aufgabe aller Vertragsärzte, der grundsätzlich alle zugelassenen Ärzte nachzukommen haben; dieser Grundsatz erfasst auch Fachärzte für psychotherapeutische Medizin. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Befreiung vom Bereitschaftsdienst. Wie das Bundessozialgericht unter Hinweis auf § 75 Abs. 1 SGB V (BSG, Urteil vom 06.09.2006, Az. B 6 KA 43/05 R) ausführte, ist die „Sicherstellung von Notbzw. Bereitschaftsdienst eine gemeinsame Aufgabe aller Ärzte, die nur erfüllt werden kann, wenn grundsätzlich alle zugelassenen Ärzte“ daran teilnehmen. Im Besonderen hat das Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 19.08.2015, Az. B 6 KA 41/14 R) die Teilnahmepflicht der ärztlichen Psychotherapeuten bestätigt, wenn und soweit die Bereitschaftsdienstordnung dies vorsehe. Nach § 1 Abs. 2 BDO-KVB, in Kraft getreten am 20.04.2013, nehmen in Bayern am allgemeinen ärztlichen Bereitschaftsdienst Ärzte aller Fachrichtungen und (praktische) Ärzte teil, sofern kein fachärztlicher Bereitschaftsdienst eingerichtet ist. Dass bisher eine Teilnahmepflicht nicht bestand, hindert mich daran, eine solche in Zukunft vorzusehen, was mit der neuen BDO-KVB geschah. Die Beklagte war entgegen der Auffassung der Klägerseite auch nicht gehalten, auf die Frage einzugehen, weshalb es zu dieser Änderung kam. Die Bescheide sind deshalb nicht formell rechtswidrig. Denn in der Präambel zur BDO-KVB, die der Klägerseite zugänglich ist, wird darauf hingewiesen, dass aufgrund des demographischen Wandels und der sinkenden Zahl von Ärzten, die für die vertragsärztliche Versorgung in ländlichen Bereichen zur Verfügung stehen, der ärztliche Bereitschaftsdienst zu einer starken Belastung für die Vertragsärzte geworden sei. Ziel der Bereitschaftsdienstordnung sei es, die strukturellen Maßnahmen zu treffen, um die Belastung im ärztlichen Bereitschaftsdienst möglichst gering zu halten. Es kann dagegen auch nicht eingewandt werden, ein Facharzt für psychotherapeutische Medizin, der schon länger nur in seinem Bereich tätig sei, sei hierfür nicht geeignet. Denn mit der Approbation erwirbt der Arzt die notwendige Befähigung für die Teilnahme am Bereitschaftsdienst. Wie das Bundessozialgericht (BSG, a. a. O.) ausführte, verfügen auch Fachärzte durch ihre medizinische Aus- und Weiterbildung über die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten, „den auf die Akutversorgung des Patienten ausgerichteten Anforderungen des Bereitschaftsdienstes zu entsprechen“. So sah die Weiterbildungsordnung 1993 Abschnitt 1 Nummer 34 für Fachärzte für psychotherapeutische Medizin auch eine Weiterbildungszeit von einem Jahr in der Inneren Medizin vor. Dass vermutlich Ärzte, die auch in ihrem normalen Praxisalltag mit den im Bereitschaftsdienst auftretenden Krankheitsbildern verstärkt zu tun haben, geeigneter sind als solche, bei denen dies weniger der Fall ist, ändert nichts daran. Es ist aber nicht Aufgabe der einzelnen Ärzte, sondern der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung, den Bereitschaftsdienst sicherzustellen (vgl. § 75 Abs. 1 SGB V). Ist eine Versorgung im Bereitschaftsdienst durch wenige besonders geeignete Ärzte nicht möglich, erscheint es nicht ermessensfehlerhaft, den Bereitschaftsdienst „breiter“ aufzustellen, auch wenn dies eventuell zulasten der Qualität geht. Im Übrigen könnte im konkreten Fall darüber nachgedacht werden, ob nicht Fachärzte, die im psychiatrischen/psychotherapeutischen Bereich tätig sind, insgesamt geeigneter erscheinen. Denn oftmals haben somatische Beschwerden ihre Ursache im psychischen Bereich, so dass zumindest in diesen Fällen eine besondere Eignung eines Facharztes für Psychotherapie angenommen werden könnte. Außerdem hat und hatte der Kläger ausreichend Zeit, seine Kenntnisse aufzufrischen und die Eignung zur Teilnahme am ärztlichen Bereitschaftsdienst zu erwerben. Denn die BDO-KVB ist seit 20.04.2013 in Kraft und der Kläger wird bis zum 05.05.2017 nicht zum ärztlichen Bereitschaftsdienst eingeteilt. Er hatte also dann mehr als vier Jahre Zeit, verloren gegangene Kenntnisse zu erwerben. Soweit der Kläger auf „ungeeignete“ Fortbildungskurse hinweist, handelt es sich hierbei um eine bloße Behauptung, die nicht objektivierbar ist. Sie resultiert vielmehr aus einem subjektiven Empfinden des Betrachters. Außerdem mag es sein, dass die Qualität der Fortbildungskurse unterschiedlich ist. Innerhalb von vier Jahren müsste es aber auch dem Kläger möglich sein, solche Kursangebote zu finden, die auch aus seiner Sicht geeignet erscheinen. Die BDO-KVB sieht Befreiungstatbestände vor, die allerdings restriktiv auszulegen sind. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BDO-KVB kann ein Vertragsarzt oder ein angestellter Arzt aus schwerwiegenden Gründen ganz, teilweise (z. B. nur vom Fahrdienst) oder vorübergehend vom ärztlichen Bereitschaftsdienst befreit werden. In § 14 Absatz 1 Satz 2 BDO-KVB werden beispielhaft schwerwiegende Gründe aufgezählt. Es handelt sich bei der Entscheidung über die Befreiung vom ärztlichen Bereitschaftsdienst um eine Ermessensentscheidung. Die unter § 14 Abs. 1 lit. a bis e BDO-KVB möglichen Befreiungstatbestände sind nicht abschließend, wie sich aus der Formulierung „insbesondere“ ergibt. Lediglich bei einer Ermessensreduzierung auf Null besteht ein Anspruch auf Befreiung. Der Kläger beruft sich auf mehrere Befreiungsgründe, so auf seine familiäre Belastung und auf seine gesundheitliche Situation. Nach § 14 Abs. 1 Satz 2 b) BDO-KVB wird als Befreiungsgrund angesehen, wenn die Teilnahme am Ärztlichen Bereitschaftsdienst aufgrund nachgewiesener besonderer belastender familiärer Pflichten dem Arzt nicht zuzumuten ist. Nach dem Vortrag des Klägers habe seine Ehefrau unterschiedliche Arbeitszeiten, stehe dann nicht zur Betreuung der beiden Söhne zur Verfügung, so dass die Betreuung durch ihn übernommen werden müsste. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Söhne des Klägers im Jahr 2017 (nach dem Ende der Nicht-Einteilung) bereits 8 und 13 Jahre alt sind, die Betreuungsleistungen dann auf ein Minimum zurückgegangen sein dürften und jedenfalls dann aktuell nicht mehr in einem solchen Umfang erforderlich sind, der die Teilnahme am Bereitschaftsdienst unzumutbar erscheinen lässt. Abgesehen davon ist die Dienstfrequenz sehr niedrig, so dass lediglich 5-6 mal jährlich eine Betreuung durch den Kläger nicht möglich wäre. Ein solcher Ausfall wäre durch organisatorische Maßnahmen entweder intrafamiliär oder durch Dritte auszugleichen. Nachdem die Klägerseite im Rahmen des Klageverfahrens zu diesem geltend gemachten Befreiungsgrund keine oder nur geringe Ausführungen macht, scheint die Betreuung der beiden Söhne des Klägers als Befreiungsgrund nicht mehr im Vordergrund zu stehen. Die Argumentation des Klägers fokussiert sich vornehmlich auf die bei ihm vorliegenden gesundheitlichen Gründe. Diesbezüglich besteht nach § 14 Abs. 2 BDO-KVB eine Nachweispflicht des Klägers. Er hat hierzu mehrere Atteste eingereicht, so von Dres. D. und E. vom 27.03.2014 und 01.12.2014 sowie von Dr. C. vom 18.03.2014. Das fachkundig mit zwei Ärzten besetzte Gericht teilt hier die Auffassung der Beklagten, was die Aussagekraft und den Inhalt der Atteste betrifft. Aus dem Attest von Dr. C. vom 18.03.2014 ergibt sich lediglich, dass der Kläger sich wegen einer rezidivierenden depressiven Störung bei diesem vom 23.10.2006 bis 30.07.2013 in Behandlung befand. Eine genaue Diagnose findet sich darin nicht. Dies gilt auch für das Attest der Dres. D., E. vom 27.03.2014. Darin ist lediglich die Rede davon, dass sich der Kläger seit April 2012 wegen einer depressiven Erkrankung in Behandlung befindet. Lediglich das Attest der Dres. D., E. vom 01.12.2014 erscheint aussagekräftiger. Dort wird darüber informiert, dass sich der Kläger wegen einer rezidivierender depressiven Störung in Behandlung befinde und eine Teilnahme am Bereitschaftsdienst mit einem erheblichen Risiko der Verschlechterung der depressiven Erkrankung verbunden sei. Daraus zieht der Aussteller den Schluss, dass die Teilnahme am Bereitschaftsdienst mit der Gesundheit des Klägers nicht zu vereinbaren sei. Auch dieses Attest entspricht jedoch nach Auffassung der mit zwei Ärzten besetzten Kammer nicht den Anforderungen an die Nachweispflicht. Es lässt sich daraus nicht der Schweregrad der Erkrankung entnehmen, der es dem Kläger unmöglich machen soll, am vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst teilzunehmen. Außerdem ist davon auszugehen, dass dem Aussteller des Attestes die geringe Dienstfrequenz nicht bekannt war, so dass sie überhaupt nicht beurteilen konnten, ob eine Teilnahme am Bereitschaftsdienst mit der Erkrankung des Klägers nicht zu vereinbaren ist. Letztendlich hat die Klägerseite auch keine aktuellen Befunde vorgelegt – die Atteste sind 2 Jahre alt -, so dass nicht beurteilbar ist, ob der Kläger aktuell nicht in der Lage ist, doch am Bereitschaftsdienst teilzunehmen. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass bereits fraglich ist, ob ein nachgewiesener Befreiungsgrund im Sinne von § 14 Absatz 1 BDO-KVB überhaupt vorliegt. Selbst wenn ein Befreiungsgrund im Sinne von § 14 Abs. 1 BDO-KVB zu bejahen wäre, ist eine Befreiung grundsätzlich nicht zulässig, wenn der Antragsteller unvermindert oder über dem Durchschnitt der Fachgruppe vertragsärztlich tätig ist und er insbesondere auch Hausbesuche durchführt oder er zusätzlich als angestellter Arzt tätig ist (§ 14 Abs. 3 BDO-KVB). In diesem Fall wird vermutet, dass der Antragsteller auch in der Lage ist, trotz der vorliegenden Gesundheitsstörung am Bereitschaftsdienst teilzunehmen. Wie die Beklagte ausführt, behandelt der Kläger wesentlich mehr Patienten als der Durchschnitt der Fachgruppe mit halben Versorgungsauftrag (56 Patienten gegenüber 29). Dabei stellt sich die Frage, ob bei ärztlichen Psychotherapeuten auf die Fallzahl abzustellen, oder ein anderer Parameter heranzuziehen ist. Der Kläger räumt zwar die relativ hohe Fallzahl ein, weist aber gleichzeitig darauf hin, dass er zunächst in einem Eingangsgespräch die Patienten vorselektiere. Die eigentliche Therapie beginne erst nach mehreren Monaten. Diese Handhabung führe zu einer höheren Fallzahl. Über vier Quartale gelangt der Kläger zu einer wöchentlichen Stundenzahl von 16,75 Stunden. Dabei muss nach Auffassung des Gerichts allerdings berücksichtigt werden, dass der Kläger nach seinen Angaben, zwölf Wochen im Jahr nicht vertragsärztlich tätig ist (Urlaub zum Erhalt seiner Arbeitsfähigkeit), so dass bei einem normalen Urlaubsanspruch von sechs Wochen jährlich eine weitaus höhere Stundenzahl zustande kommen würde. Auch wenn man nicht die Fallzahl zur Grundlage machen würde, sondern auf die Stundenzahl abstellen würde, so liegt der Kläger über dem Durchschnitt der Fachgruppe mit halben Versorgungsauftrag bzw. ist zu berücksichtigen, was auch klägerseits eingeräumt wird, dass er unvermindert seine Tätigkeit als Facharzt für psychotherapeutische Medizin ausübt. Insofern besteht die Vermutung, dass seine Erkrankung keine so erheblichen Auswirkungen hat, dass er nicht in der Lage ist, am vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst in einem Umfang von 5-6 Diensten jährlich teilzunehmen. Nach § 14 Abs. 3 BDO-KVB ist allerdings auch erforderlich, dass der Antragsteller insbesondere auch Hausbesuche durchführt bzw. er zusätzlich als angestellter Arzt tätig ist. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, kann nicht beurteilt werden. Sollte dies nicht der Fall sein, so kann dieser Umstand einer unverminderten Tätigkeit bzw. der Tätigkeit über dem Durchschnitt der Fachgruppe aber im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 14 Abs. 1 BDO-KVB berücksichtigt werden. Darauf kommt es jedoch nicht an, da bereits das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 14 Abs. 1 BDO-KVB äußerst zweifelhaft, zumindest nicht nachgewiesen ist. Es bleibt dem Kläger freigestellt, sich im vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst vertreten zu lassen. Dies ist ihm auch finanziell zumutbar. Zum einen sind die Vertretungszeiten wegen der geringen Dienstfrequenz bei hälftigem Versorgungsauftrag gering. Entsprechend überschaubar sind etwaige Vertreterkosten. Findet eine Vertretung aus dem „Pool“ statt, werden die von ihm erbrachten Leistungen in der Regel mit dem Vertreter selbst abgerechnet. Eine zusätzliche Vergütung durch den Vertretenen ist nicht üblich, aber nicht ausgeschlossen. Bei der Vertretung nicht aus dem „Pool“ werden die vom Vertreter erbrachten Leistungen dem Vertretenen zugerechnet und diesem auch honoriert. Ob lediglich dieses Honorar an den Vertreter weitergereicht wird oder ob darüber hinaus eine zusätzliche Vergütung erfolgt, wird eine Frage der Vereinbarung sein. In beiden Fällen wird die finanzielle Belastung des Vertretenen tragbar sein, selbst wenn die Vergütung höher als die dafür angesetzten Einnahmen sein sollte. Aus den genannten Gründen war zu entscheiden wie geschehen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 VwGO.

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