Aktenzeichen M 26 K 16.1226
FeV FeV § 11 Abs. 2, Abs. 8
Leitsatz
Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse fehlt, wenn der Entzug der Fahrerlaubnis wegen rechtwidriger Gutachtensanordnung zurückgenommen wurde. Eine zukünftig ergehende, auf noch vorhandene Fahreignungszweifel gestützte erneute Gutachtensanordnung stellt nämlich eine völlig neue Grundlage für die anzustellende rechtliche Prüfung selbst dann dar, wenn sie auf derselben Tatsachengrundlage beruhen würde wie die vorherige Gutachtensanordnung. Eine Wiederholungsgefahr besteht daher nicht. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Die nach Aufhebung des ursprünglich angefochtenen Bescheids des Beklagten vom 4. März 2016 und nach Umstellung des Klageantrags nur noch vorliegende Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ist unzulässig. Die gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis gerichtete Anfechtungsklage hat sich zwar aufgrund der Rücknahme des Bescheids vom 4. März 2016 erledigt. Der Kläger hat jedoch zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (BVerwG, U.v. 16.5.2013 – 8 C 20/12 – juris Rn. 11, U.v. 21.3.2013 – 3 C 6/12 – juris Rn. 11) das erforderliche berechtigte Interesse an der von ihm begehrten Feststellung nicht dargelegt und nachgewiesen.
Für die Annahme eines berechtigten Interesses wäre erforderlich, dass der Kläger mit dem erstrebten Sachurteil in dem Sinne etwas anfangen kann, als es in irgendeiner Weise geeignet sein müsste, seine Position in rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Hinsicht konkret zu verbessern (st. Rspr. BVerwG, B.v. 4.3.1976 – 1 WB 54.74 – BVerwGE 53, 134/137). Dies kommt im Wesentlichen in drei Konstellationen in Betracht, nämlich bei Wiederholungsgefahr, wenn die Feststellung der Vorbereitung eines Amtshaftungs- oder Entschädigungsprozesses dient oder wenn ein Rehabilitationsinteresse besteht (Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 113 Rn. 86). Ein Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsakts setzt unter dem Gesichtspunkt der hier einzig dargelegten und (deshalb) in Betracht kommenden Wiederholungsgefahr die konkrete Gefahr voraus, dass künftig ein vergleichbarer Verwaltungsakt erlassen wird und dass die für die Beurteilung maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sind (BVerwG, U.v. 16.5.2013 a. a. O. Rn. 12, U.v. 21.3.2013 a. a. O. Rn. 13, U.v. 12.10.2006 – 4 C 12/04 – juris Rn. 8 m. w. N.). Ist dagegen ungewiss, ob in Zukunft noch einmal die gleichen tatsächlichen Verhältnisse eintreten wie im Zeitpunkt der betreffenden Maßnahme, so kann ein Feststellungsinteresse nicht aus einer Wiederholungsgefahr hergeleitet werden (BVerwG, U.v. 16.5.2013 a. a. O. Rn. 13; BayVGH, B.v. 12.5.2015 – 10 ZB 13.629 – juris Rn. 6 ff. m. w. N.). Sinn und Zweck einer gerichtlichen Klärung der Rechtmäßigkeit einer Maßnahme bei Vorliegen einer Wiederholungsgefahr ist es, der Behörde eine Richtschnur für zukünftig unter im Wesentlichen gleichen Bedingungen zu treffende Entscheidungen aufzuzeigen und so weitere gerichtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden (vgl. BayVGH, B.v. 28.11.2011 – 8 ZB 11.886 – juris).
Eine Wiederholungsgefahr, aus der sich ein berechtigtes Interesse des Klägers für seine Fortsetzungsfeststellungsklage ableiten ließe, liegt nicht vor. Denn für das weitere fahrerlaubnisrechtliche Verfahren würde sich mit der begehrten gerichtlichen Feststellung in keiner Hinsicht ein Vorteil für den Kläger ergeben. Die Gefahr, dass der Entzug der Fahrerlaubnis des Klägers wegen Nichtvorlage eines Gutachtens auf eine mit der vom 1. Dezember 2015 derart vergleichbare Gutachtensanordnung gestützt wird, besteht nicht.
Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beklagte die der Fahrerlaubnisentziehung nach § 11 Abs. 8 FeV mit Bescheid vom 4. März 2016 vorausgehende Gutachtensanordnung noch einmal mit der vom Gericht im Eilverfahren als rechtswidrig angesehenen Fragestellung zur Leistungsfähigkeit im Hinblick auf die Dauermedikation des Klägers erlassen wird. Solches behauptet auch der Kläger nicht. Hiergegen sprechen vielmehr die dem Bescheid vom 27. Juni 2016 zu entnehmenden Gründe für die Rücknahme der Entziehung, die zum Ausdruck bringen, dass die Behörde der Beurteilung durch das Gericht folgt und die Gutachtensanordnung sowie den Entziehungsbescheid als rechtswidrig ansieht (zum i.d.R. fehlenden Feststellungsinteresse, wenn die Behörde den Verwaltungsakt wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben hat s. W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Auflage 2016, § 113 Rn. 133), außerdem auch die eindeutigen Äußerungen des Beklagten zum Fortsetzungsfeststellungsbegehren des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 24. Oktober 2016. Auf die Niederschrift wird verwiesen.
Auch dass der Beklagte die Überprüfung der Fahreignung des Klägers fortzusetzen beabsichtigt, wozu er verpflichtet ist, solange noch Fahreignungszweifel bestehen, ändert nichts daran, dass ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO nicht vorliegt. Denn eine ggf. zukünftig ergehende, auf noch vorhandene Fahreignungszweifel gestützte Gutachtensanordnung ohne den gerichtlich beanstandeten Teil der Fragestellung oder mit einer insoweit neuen Fragestellung, die der Beanstandung Rechnung trägt, würde eine völlig neue Grundlage für die anzustellende rechtliche Prüfung selbst dann darstellen, wenn sie auf derselben Tatsachengrundlage beruhen würde wie die vorherige Gutachtensanordnung.
Darüber hinaus kann vorliegend nicht einmal davon ausgegangen werden, dass die tatsächlichen Verhältnisse, die für den angegriffenen Bescheid vom 4. März 2016 maßgebend waren, zukünftig mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in vergleichbarer Weise gegeben sein werden. Vielmehr haben sich noch während des Klageverfahrens neue Tatsachenaspekte ergeben, die die Fahrerlaubnisbehörde für ihr weiteres Vorgehen zu berücksichtigen haben wird.
Insoweit ist von Bedeutung, dass der Kläger im gerichtlichen Verfahren mitteilen ließ, das Medikament Metoprolol nicht mehr einzunehmen. Außerdem legte er ein weiteres Attest von einem Internisten bzw. Kardiologen vom …. März 2016 und, nach der Versicherung, sich der ihm empfohlenen Cataract-Operation mit Erfolg unterzogen zu haben – allerdings ohne hierzu einen ärztlichen Bericht zur Verfügung zu stellen, einen Sehschärfenbefund vom …. April 2016 vor. Die neuen Befunde bzw. Erkenntnisse werden zu würdigen sein. Inwieweit sich noch weitere Aufklärungsmaßnahmen durch die Fahrerlaubnisbehörde anschließen oder ob und dann mit welcher Fragestellung und Begründung sie den Kläger erneut im Wege einer Ermessensentscheidung nach § 11 Abs. 2 FeV zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens auffordern wird, ist derzeit völlig offen, ebenso, ob eine solche Gutachtensanordnung formal rechtmäßig
und – gemessen an den dann zugrunde zu legenden Tatsachen – auch materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig, wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München, Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 12.500,00 EUR festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- i. V. m. Nrn. 1.3, 46.2, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München, Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.