Aktenzeichen M 12 K 16.1157
Leitsatz
1. Auch im Fall des Erschleichens einer Aufenthaltserlaubnis durch unrichtige Angaben ist eine Rücknahme nur zulässig, wenn zuvor die öffentlichen Interessen und die schutzwürdigen privaten Belange abgewogen und dabei die wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls berücksichtigt worden sind. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Rücknahme einer Aufenthaltserlaubnis mit Wirkung für die Vergangenheit ist nicht allein deshalb ermessensfehlerhaft, weil jetzt ein Rechtsanspruch auf Erteilung eines gleichwertigen Aufenthaltstitels bestünde. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 4. März 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
I.
Der Beklagte hat vorliegend zu Recht die dem Kläger am 24. Juni 2015 erteilte Aufenthaltserlaubnis mit Wirkung zum Erteilungsdatum nach Art. 48 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) zurückgenommen.
Bei der gerichtlichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Bescheids, durch den eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zurückgenommen oder widerrufen wird, ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts zugrunde zu legen (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.04.2010 – 1 C 10/09 – juris).
Gemäß Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden. Handelt es sich – wie im Fall der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis – um einen begünstigenden Verwaltungsakt, müssen zusätzlich die sich aus den Abs. 2 bis 4 ergebenden Einschränkungen beachtet werden, Art. 48 Abs. 1 Satz 2 BayVwVfG.
Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers erfüllt:
1. Die dem Kläger zum Zwecke des Nachzugs zu seiner deutschen Ehegattin auf Grundlage des Aufenthaltsgesetzes (§§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 Nr. 1, 30 Abs. 1 AufenthG) erteilte Aufenthaltserlaubnis ist rechtswidrig. Die Voraussetzungen für die Erteilung des Aufenthaltstitels lagen hier von Anfang an nicht vor. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ist dem ausländischen Ehegatten eines Deutschen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Dies setzt indes gemäß § 27 Abs. 1 AufenthG voraus, dass zwischen dem Kläger und seiner deutschen Ehefrau eine eheliche Lebensgemeinschaft besteht. Trotz des formellen Weiterbestehens einer Ehe ist die eheliche Lebensgemeinschaft beendet, wenn sich die Eheleute endgültig getrennt haben; die tatsächliche Trennung besteht in der Regel in der Aufgabe der häuslichen Gemeinschaft (vgl. BayVGH, B. v. 12.9.2007 – 24 CS 07.2053 – juris). Der Kläger lebte zum Erteilungszeitpunkt mit seiner Ehegattin nicht mehr in einer ehelichen Lebensgemeinschaft zusammen. Dies steht zur Überzeugung des Gerichts fest. Es stützt sich dabei auf den Auszug aus dem Melderegister und die zwei Anrufen der Ehefrau bei dem Beklagten. Aus beiden ergibt sich ein Auszug der Ehefrau im Juli 2014. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass sich die Anrufe und der Auszug aus dem Melderegister hinsichtlich ihrer Aussage zur Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Juli 2014 entsprechen.
2. Der Kläger kann der Rücknahme auch kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand des Aufenthaltstitels entgegenhalten, da er die Aufenthaltserlaubnis durch arglistige Täuschung bzw. Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren, Art. 48 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 und 2 BayVwVfG. Der Kläger hat im Rahmen der Beantragung des Aufenthaltstitels am 24. Juni 2015 eine Ehegattenerklärung unterschrieben, nach der er mit seiner Ehefrau in einer ehelichen Gemeinschaft in einer gemeinsamen Wohnung wohne, einen gemeinsamen Hausstand führe, nicht innerhalb der Wohnung getrennt lebe und keine weiteren Wohnungen im Bundesgebiet habe. Tatsächlich war die Ehefrau aber bereits am 1. Juli 2014 ausgezogen. Somit hat er der Ausländerbehörde vorgetäuscht, dass er weiterhin mit seiner Ehefrau in ehelicher Lebensgemeinschaft lebe. Die Erklärungen des Klägers im Rahmen der Ehegattenerklärung waren auch kausal für die Entscheidung des Beklagten, ihm den Aufenthaltstitel zu gewähren. Hätte der Beklagte Kenntnis davon gehabt, dass die eheliche Lebensgemeinschaft im Juli 2014 geendet hatte, hätte der Beklagte dem Kläger nicht die befristete Aufenthaltserlaubnis gewährt.
3. Die in Art. 48 Abs. 4 Satz 1 BayVwVfG vorgesehene Jahresfrist findet im vorliegenden Fall gemäß Art. 48 Abs. 4 Satz 2 BayVwVfG keine Anwendung, da der Kläger den zurückgenommenen Aufenthaltstitel durch arglistige Täuschung erwirkt hat (s.o.). Im Übrigen wurde die Frist vorliegend auch gewahrt, da der Beklagte erst am 9. November 2015 Kenntnis vom Auszug der Ehefrau des Klägers erlangte.
4. Der Beklagte hat das ihm bei der Entscheidung über die Rücknahme zustehende Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt, § 114 VwGO. Die Ermessensausübung des Beklagten ist rechtlich nicht zu beanstanden. Soweit die Behörde nach ihrem Ermessen handeln darf, kann gerichtlich nach § 114 Satz 1 VwGO nur überprüft werden, ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist oder ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind. Es ist nicht zu überprüfen, ob eine andere Lösung zweckmäßiger gewesen wäre. Die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis steht nach Art. 48 Abs. 1 BayVwVfG im Ermessen des Beklagten. Sie kann nur Bestand haben, wenn der Beklagte die öffentlichen Interessen und schutzwürdigen privaten Belange abgewogen und dabei die wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalles berücksichtigt hat (BVerwG, U. v. 5.9.2006 – 1 C 20.05 – juris Rn. 18). Solch eine Abwägung ist auch im Fall des Erschleichens einer Aufenthaltserlaubnis durch unrichtige Angaben erforderlich (BayVGH, U. v. 11.6.2013 – 10 B 12.1493 – juris Rn. 33; BVerwG, U. v. 5.9.2006 a. a. O.). Gemessen an diesen Vorgaben ist die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis des Klägers rechtmäßig. Die im Bescheid angestellten Ermessenserwägungen des Beklagten entsprechen dem Zweck der Ermächtigung und berücksichtigen die maßgeblichen Umstände hinreichend, so dass die gesetzlichen Grenzen des Ermessens nicht überschritten sind. Die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis des Klägers mit Wirkung für die Vergangenheit ist nicht deshalb ermessensfehlerhaft, weil er einen Rechtsanspruch auf Erteilung eines gleichwertigen Aufenthaltstitels hätte. Zwar darf ein Aufenthaltstitel, der dem Ausländer aus anderen Rechtsgründen sogleich wieder erteilt werden müsste, nicht widerrufen oder mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden (BVerwG, U. v. 13.4.2010 – 1 C 10.09 – juris Rn. 18; BayVGH, U. v. 11.6.2013 a. a. O. Rn. 32). Diese Rechtsprechung bezieht sich aber nicht auf den hier vorliegenden Fall der Rücknahme eines Aufenthaltstitels mit Wirkung für die Vergangenheit. Zudem musste der Beklagte im Zeitpunkt der Rücknahme dem Kläger keinen Aufenthaltstitel aus anderen Rechtsgründen erteilen. Ein eigenständiges Aufenthaltsrecht aus § 31 AufenthG bestand für den Kläger nicht. Zwischen dem Kläger und seiner Ehegattin bestand keine eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet für die Dauer von drei Jahren (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG). Die Zeit vom 5. November 2013 bis 1. Juli 2014 ist dafür nicht ausreichend. Eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG aufgrund der neuerlichen Begründung einer ehelichen Lebensgemeinschaft wäre der Aufenthaltserlaubnis vom 24. Juni 2015 nicht gleichwertig. Dies ergibt sich daraus, dass aufgrund der zurückgenommenen Aufenthaltserlaubnis Zeiten einer ehelichen Lebensgemeinschaft bestünden, die bei der Dauer von drei Jahren im Rahmen von § 31 Abs. 1 Nr.1 AufenthG berücksichtigt werden müssten. Eine neuerliche Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG aufgrund einer Neubegründung der ehelichen Lebensgemeinschaft führt dagegen dazu, dass die Dauer der dreijährigen Lebensgemeinschaft nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG neu beginnt. Darüber hinaus liegen die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG nicht vor. Danach darf in der Regel kein Ausweisungsinteresse vorliegen (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Wie unter Ziff. I.2. ausgeführt, hat der Kläger jedoch nach Auffassung des Gerichts bei der Abgabe der Ehegattenerklärung am 24. Juni 2015 falsche Angaben gemacht und damit den Tatbestand des Erschleichens einer Aufenthaltserlaubnis und somit ein Ausweisungsinteresse i. S. d. § 54 Abs. 2 Nr. 8a i. V. m. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG verwirklicht.
II.
Die Pflicht zur Ausreise ergibt sich aus § 50 Abs. 1 AufenthG.
III.
Die Androhung der Abschiebung beruht auf §§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 1 AufenthG und ist rechtlich nicht zu beanstanden.
IV.
Beweisanträge
In der öffentlichen Sitzung vom 20. Oktober 2016 hat die Klägerbevollmächtigte bedingt für den Fall der Klageabweisung den Beweisantrag gestellt, „zum Beweis dafür, dass die ausweislich Blatt 225 und 229 geführten Telefonate nicht von Frau … stammen, und dass die Ehefrau des Klägers erst im Oktober/November 2015 die eheliche Wohnung verließ, und dass die Ehefrau des Klägers seit Juli 2016 in eheliche Lebensgemeinschaft in der Ehewohnung in der S.-str. … in U. mit dem Kläger zusammenlebt, Frau … als Zeugin zu laden.“
Der Antrag wird abgelehnt.
Soweit beantragt wird Frau … bzgl. der Telefonate und des Verlassens der ehelichen Wohnung erst im Oktober/November 2015 als Zeugin zu vernehmen, handelt es sich um einen Ausforschungsbeweisantrag. Denn für die unter Beweis gestellte Behauptung gibt es nicht einmal eine gewisse Mindestwahrscheinlichkeit. So wurden die Telefonate von Behördenvertreterinnen der Beklagten in Gesprächsnotizen mitprotokolliert. Dass diese Telefonate nicht mit Frau … geführt wurden, entbehrt jeder Tatsachengrundlage. Vielmehr sprechen sowohl die korrekten Angaben in Bezug auf den neuen Wohnsitz, die mit der Meldebestätigung übereinstimmen, als auch die Tatsache, dass die Anrufe von verschiedenen Behördenvertreterinnen aufgenommen wurden dafür, dass die Telefonate von der Ehefrau des Klägers geführt wurden. Dass sich zwei Behördenvertreterinnen irren, ist unrealistisch. Es bestehen somit keinerlei Anhaltspunkte, dass ein Irrtum bezüglich der Identität der Anruferin bestand. Auch bzgl. des Verlassens der Wohnung erst im Oktober/November 2015 fehlt es an einer Mindestwahrscheinlichkeit. So liegt dem Gericht ein Auszug des Melderegisters vor, nach der Frau … am 1. Juli 2014 aus der ehelichen Wohnung in der S.-str. … in München ausgezogen ist. Der Kläger ist dieser Meldebestätigung nicht substantiiert entgegengetreten. Es ergeben sich für das Gericht keinerlei Anhaltspunkte, dass diese Meldebestätigung falsch sein sollte.
Soweit beantragt wird, Frau … bzgl. einer neuerlichen Lebensgemeinschaft mit dem Kläger seit Juli 2016 zu befragen, fehlt es an der Entscheidungserheblichkeit. Für die Frage der Rechtmäßigkeit der Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis des Klägers kommt es auf die Frage, ob seit Juli 2016 erneut eine Lebensgemeinschaft zwischen dem Kläger und Frau … besteht nicht an. Ob dem Kläger zu einem späteren Zeitpunkt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden könnte, ist nicht entscheidungserheblich (s.o.).
V.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 5000,– festgesetzt (§ 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.