Verwaltungsrecht

Kein Abschiebungsschutz wegen Erkrankung

Aktenzeichen  M 17 K 16.30347

Datum:
20.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 71
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 1, Abs. 2, § 60 Abs. 1, Abs. 7

 

Leitsatz

1 Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands im Abschiebezielstaat begründet nur dann einen Anspruch auf Abschiebungsschutz, wenn dort eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. (redaktioneller Leitsatz)
2 Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz. Die Anfechtungsklage gegen die Befristung ist unzulässig, weil die Aufhebung eine unbefristete Geltung zur Folge hätte. Eine kürzere Befristung muss im Wege der Verpflichtungsklage erstritten werden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20. Oktober 2016 entschieden werden, obwohl keiner der Beteiligten erschienen war. Denn in der frist- und formgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Klage ist unzulässig, soweit sie sich gegen Nr. 3 des Bescheids vom 4. Februar 2016 richtet und im Übrigen unbegründet, da der Bescheid rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
1. Bezüglich Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids, in der das sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG lediglich gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG zeitlich befristet wird, ist die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Denn die schlichte Aufhebung der Nr. 3 des Bescheids aufgrund einer Anfechtungsklage beträfe lediglich die getroffene Befristungsentscheidung als solche, so dass ein erfolgreiches Rechtsmittel zur Folge hätte, dass das – unmittelbar kraft Gesetz geltende – Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG unbefristet gelten würde. Die Rechtsstellung des Klägers wäre somit nicht verbessert. Das Ziel einer kürzeren Befristung der gesetzlichen Sperrwirkung nach § 11 Abs. 2 AufenthG müsste, ebenso wie die Erteilung einer Betretenserlaubnis gemäß § 11 Abs. 8 AufenthG, im Wege der Verpflichtungsklage erstritten werden (vgl. NdsOVG, B. v. 14.12.2015 – 8 PA 199/15 – juris Rn. 5; VG München, B. v. 12.1.2016 – M 21 S 15.31689 – UA S. 8; VG Ansbach, B. v. 20.11.2015 – AN 5 S 15.01667 – juris Rn. 2; B. v. 18.11.2015 – AN 5 S 15.01616 – UA S. 2; VG Aachen, B. v. 30.10.2015 – 6 L 807/15.A – juris Rn. 8; Funke/Kaiser, GK-AufenthG, Stand Dezember 2015, § 11 Rn. 183, 190, 193, 196).
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass der Kläger keine substantiierten Bedenken gegen die Länge der Befristung vorgebracht hat.
Im Übrigen ist zweifelhaft, ob der Kläger noch ein Rechtsschutzbedürfnis hat, denn die Zustellbevollmächtigte hat dem Gericht telefonisch mitgeteilt, der Kläger sei nach Serbien zurückgereist. Er hat dem Gericht weder dies noch eine zustellfähige Anschrift mitgeteilt, so dass zu vermuten ist, dass er an einer Entscheidung des Gerichts über seine Klage kein Interesse mehr hat.
Im Übrigen ist die Klage zulässig. Insbesondere ist das Verwaltungsgericht München für die Klage und den Eilantrag örtlich zuständig, § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO i. V. m. Art. 1 Abs. 2 Nr. 3 AGVwGO. Danach ist in Streitigkeiten nach dem Asylgesetz das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Ausländer nach dem Asylgesetz zu nehmen hat. Im Zeitpunkt des Eingangs von Klage und Eilantrag beim Verwaltungsgericht München am 23. Februar 2016 hatte der Kläger seinen Aufenthalt nach dem kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Zuweisungsbescheides der Regierung von Oberbayern vom 3. März (richtig 3. Februar) 2016 in der Ankunfts- und Rückführungseinrichtung (…) in … und mithin im Gerichtsbezirk des Verwaltungsgerichts München zu nehmen. Nicht maßgeblich für die Bestimmung des örtlich zuständigen Verwaltungsgericht ist demgegenüber, dass die Zuweisungsverfügung beim Verwaltungsgericht München mit Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO und Klage (M 24 S 15.580 und M 16 K 16.579) angefochten worden ist. Es kommt vielmehr allein auf die hier gegebene Wirksamkeit der Aufenthaltsbestimmung und den damit sofort vollziehbar zugewiesenen Aufenthaltsort an, soweit diese Verfügung nicht nichtig bzw. widerrufen oder zurückgenommen ist (BVerwG, B. v. 28.7.1997 – 90 AV 3/97 – juris Rn. 4; VG Würzburg, B. v. 9.3.2016 – W 1 K 16.30047 – juris Rn. 3). Dabei ist auf den Zeitpunkt der Klageerhebung abzustellen (Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014 Rn. 21). Daraus folgt, dass der seinerzeitige tatsächliche Aufenthalt des Klägers im Regierungsbezirk und auch die inzwischen erfolgte „Stornierung“ der Zuweisungsentscheidung für die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts München nicht maßgeblich ist (vgl. VG Würzburg, a. a. O., Rn. 4).
2. Geht man von der Zulässigkeit der Klage bezüglich Nrn. 1 und 2 des Bescheides aus, ist diese zwar zulässig, aber offensichtlich unbegründet. Der Bescheid vom 4. Februar 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat (den auf der früheren Rechtslage beruhenden Klageantrag sachgerecht umgedeutet) im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) oder Anerkennung als Asylberechtigter noch Zuerkennung des subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) oder Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
Stellt ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag, so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen (§ 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
Derartige ernstliche Zweifel bestehen hier nicht. Die Beklagte hat zu Recht die erneute Durchführung eines Asylverfahrens abgelehnt, da der Kläger die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens i. S. v. § 71 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG bzw. auf Wiederaufgreifen des Verfahrens bezüglich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 4 AsylG, § 60 AufenthG nicht glaubhaft machen konnte. Insoweit wird vollumfänglich auf die im Bescheid der Beklagte getätigten Ausführungen verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend ist auszuführen, dass insbesondere ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht dargetan ist. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Vorschrift kann einen Anspruch auf Abschiebungsschutz begründen, wenn die Gefahr besteht, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatstaat wesentlich verschlechtert. Für die Bestimmung der „Gefahr“ gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d. h. die drohende Rechtsgutverletzung darf nicht nur im Bereich des Möglichen liegen, sondern muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (BVerwG, B. v. 2.11.1995 – 9 B 710/94 – DVBl 1996,108). Eine Gefahr ist „erheblich”, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine wesentliche Verschlechterung ist nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden. Außerdem muss die Gefahr konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Heimatland eintreten wird (vgl. OVG Lüneburg, U. v. 12.9.2007 – 8 LB 210/05 – juris Rn. 29 m. w. N.). Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa BVerwG, U. v. 29.10.2002 – 1 C 1/02 – DVBl 2003,463) auch dann, wenn im Heimatland des Ausländers die notwendige Behandlung oder Medikation seiner Erkrankung zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (BVerwG, B. v. 17.8.2011 – 10 B 13/11 u. a. – juris; BayVGH, U. v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris Rn. 34). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands ist dabei nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (OVG NRW, B. v. 30.12.2004 – 13 A 1250/04.A – juris Rn. 56).
Diese Rechtslage hat nunmehr in Art. 2 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I S. 390) ihren Niederschlag gefunden, in dem nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG folgende Sätze eingefügt worden sind: „Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.“
Bei Anwendung dieser Grundsätze besteht bei dem Kläger kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Aufgrund der vorgelegten Atteste ist für den Kläger nicht dargetan, dass die Erkrankungen des Klägers in Serbien nicht hinreichend behandelbar sind bzw. die Behandlung für den Kläger nicht erreichbar wäre. Ein Anspruch auf Heilung und Linderung einer Erkrankung in Deutschland besteht nicht und begründet kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, insoweit wird nochmals ausdrücklich auf die ausführliche Begründung des streitgegenständlichen Bescheides und das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 26. Mai 2011 (M 17 K 11.30244) Bezug genommen. Soweit bei dem Kläger die Gefahr eines erneuten ketoazidotischen Komas besteht, muss der Kläger selbst sicherstellen, dass sein Blutzuckerspiegel richtig eingestellt ist. Bei einer Abschiebung obliegt ihm nach § 60 a Abs. 2c und 2c AufenthG, qualifizierte ärztliche Bescheinigungen beizubringen, die zuständige Ausländerbehörde könnte entsprechende Untersuchungen anordnen.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).
Dieses Urteil ist unanfechtbar (§ 78 Abs. 1 Satz 1 AsylG).

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