Aktenzeichen W 2 K 15.30145
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 1, § 34 Abs. 1 S. 2, § 35
Leitsatz
1 Zwar bezieht sich § 29 Abs. 2 S. 1 AsylG dem Wortlaut nach ausschließlich auf die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig, es erstreckt sich jedoch vom Sinn und Zweck der Vorschrift her auch und gerade auf die daran anknüpfende Abschiebungsandrohung gem. § 35 AsylG. (redaktioneller Leitsatz)
2 Aus den auf eine Verfahrensbeschleunigung abzielenden Vorschriften des § 36 AsylG lässt sich schließen, dass die Ablehnung als unzulässig mit der Entscheidung über eine Abschiebungsandrohung zu verbinden ist. Dies setzt zwingend voraus, dass der betroffene Ausländer zu möglichen Abschiebungsverboten bezogen auf den Zielstaat der Abschiebung anzuhören ist. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Bescheid des Bundesamtes für … vom 18. Februar 2015 (Geschäftszeichen … ) wird in Ziffer 2 aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Kläger und Beklagte tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens je zur Hälfte.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Über die Klage konnte gem. § 102 Abs. 2 VwGO in Abwesenheit der Beklagten verhandelt und entschieden werden.
Gem. § 77 Abs. 1 Satz ist dabei auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen, so dass der Klage die Rechtslage nach dem Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes vom 31. Juli 2016 (BGBl. I S. 1939) zugrunde zu legen ist.
Die Klage hat im Hinblick auf die Anfechtung von Ziffer 2 des verfahrensgegenständlichen Bescheides Erfolg. Im Übrigen war sie abzuweisen.
Dabei kann offen bleiben, ob die Klage gegen Ziffer 1 des verfahrensgegenständlichen Bescheides nach der schriftsätzlichen Klagebeschränkung vom 21. Juli 2016 überhaupt zulässig ist, oder ob Ziffer 1 des verfahrensgegenständlichen Bescheides bereits in Bestandskraft erwachsen ist. Zwar tendiert das Gericht dazu den Schriftsatz vom 21. Juli 2016 als bloße Ankündigung einer Klagebeschränkung auszulegen, an der sich der Kläger jedenfalls nach Antrag der Beklagten auf mündliche Verhandlung nicht mehr festhalten lassen muss. Denn der fristgerecht eingereichte Antrag auf mündliche Verhandlung hat den auf die Klagebeschränkung bezogenen Gerichtsbescheid gegenstandslos gemacht, so dass es für die Bestimmung des Klagegenstandes auf den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag ankommt.
Im Ergebnis kann die Zulässigkeit der Klage gegen Ziffer 1 des verfahrensgegenständlichen Bescheides jedoch dahinstehen. Denn sie ist jedenfalls unbegründet.
Zwar leidet die in Ziffer 1 des Bescheides ausgesprochene Ablehnung als unzulässig wegen der fehlenden Anhörung gem. § 29 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 AsylG an einem Verfahrensmangel. Dieser ist bezogen auf die Unzulässigkeit des klägerischen Asylantrags gem. § 29 Abs. 2 AsylG bzw. § 60 Abs. 1 Satz 3 und 2 AufenthG jedoch gem. § 46 VwVfG unbeachtlich. Da die Ablehnung als unzulässig gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG materiell-rechtlich ausschließlich voraussetzt, dass ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Kläger bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat und dies spätestens mit dem (undatierten) Schreiben der bulgarischen Dublin Unit (Behördenakte, Bl. 84) feststeht, konnte es nicht mehr auf ein mögliches Vorbringen des Klägers in einer Anhörung ankommen. Es ist mithin offensichtlich i.S.v. § 46 VwVfG, dass die unterbliebene Anhörung die Entscheidung in der Sache – bezogen auf die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig – nicht beeinflusst hat. Die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig war rechtlich alternativlos.
Der Kläger kann deshalb die Aufhebung von Ziffer 1 gem. § 46 VwVfG nicht allein deshalb beanspruchen, weil die Anhörung gem. § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylG unterblieben ist. Die Klage gegen Ziffer 1 des verfahrensgegenständlichen Bescheids ist jedenfalls unbegründet.
Anders verhält es sich jedoch mit Ziffer 2 des verfahrensgegenständlichen Bescheides. Die Klage gegen Ziffer 2 ist zulässig und auch begründet.
Ziffer 2 des angefochtenen Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Rechtswidrigkeit ergibt sich aus der Verletzung der zwingenden Verfahrensvorschrift des § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylG, die bezogene auf die Abschiebungsandrohung weder geheilt noch unbeachtlich ist.
Gem. § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylG hört das Bundesamt den Ausländer zu den Gründen u.a. nach Abs. 1 Nr. 2 AsylG (Unzulässigkeit wegen bereits gewährten internationalen Schutzes durch eine Mitgliedstaat der Europäischen Union) an, bevor es über die Unzulässigkeit des Asylantrags entscheidet. Zwar bezieht sich § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylG dem Wortlaut nach ausschließlich auf die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig, es erstreckt sich jedoch vom Sinn und Zweck der Vorschrift her auch und gerade auf die daran anknüpfende Abschiebungsandrohung gem. § 35 AsylG. Denn aus den auf eine Verfahrensbeschleunigung abzielenden Vorschriften des § 36 AsylG lässt sich schließen, dass die Ablehnung als unzulässig mit der Entscheidung über eine Abschiebungsandrohung zu verbinden ist. Dies setzt zwingend voraus, dass der betroffene Ausländer zu möglichen Abschiebungsverboten bezogen auf den Zielstaat der Abschiebung anzuhören ist. Jedenfalls wenn – wie beim Kläger im Fall Bulgariens – eine Empfehlung des UNHCR zur Einzelfallprüfung bei Rücküberstellungen vorliegt, besteht auch bei Mitgliedstaaten der Europäischen Union – nicht nur theoretisch – die Möglichkeit, dass ein vom Konzept der normativen Vergewisserung nicht aufgefangener Sonderfall im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, U.v. 14.05.1996, BVerfG 94, 49ff.) vorliegt. Dabei kommt es regelmäßig auf gerade in der Person des Klägers liegende besondere Umstände bzw. Vulnerabilitäten an, die das Bundesamt vor Erlass einer Abschiebungsandrohung zwingend im Rahmen der Anhörung gem. § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylG abzuklären hat. Dem steht nicht entgegen, dass gem. § 34 Abs. 1 Satz 2 AsylG für Abschiebungsandrohungen nach §§ 59 und 60 Abs. 10 AufenthG die Anhörung des Ausländers entbehrlich ist. Denn – anders als im Fall des § 35 AsylG – setzen die dort betroffenen Fallkonstellationen bereits voraus, dass das Vorliegen von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG bezogen auf den Abschiebungsstaat bereits von Amts wegen ermittelt wurde (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG) bzw. der Kläger im Rahmen des Asylverfahrens Gelegenheit hatte sich dazu zu äußern.
Dies war im Fall des Klägers jedoch gerade nicht der Fall. Auch das am 8. Dezember 2014 durchgeführte persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats kann die Anhörung im Sinne von § 29 Abs. 2 Satz 2 AsylG nicht ersetzten. Dabei kann dahin stehen, ob eine Anhörung im Rahmen des grundsätzlich selbstständigen und dem nationalen Asylverfahren vorgeschalteten Dublin-Verfahrens überhaupt geeignet ist, eine dem nationalen Asylverfahren zuzuordnende Anhörung zu ersetzen bzw. deren Mangel gem. § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG zu heilen. Denn jedenfalls im Fall des Klägers wurde er auch im Rahmen dieses Gespräches zu keinem Zeitpunkt auf eine mögliche Rücküberstellung nach Bulgarien hingewiesen. Die allgemeine Frage, ob es Staaten gäbe, in die er nicht überstellt werden wolle und aus welchen Gründen, erfüllt diese Voraussetzungen jedenfalls schon deswegen nicht, weil dem Kläger mit der im Ankreuzverfahren angebotenen Antwort „in keinen anderen Staat“ geradezu suggeriert wird, er könne es sich im Sinne einer Prioritätenliste aussuchen. Entsprechend dem Standardverfahren bei Zuständigkeitsentscheidungen im Dublin-Verfahren, bei Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats eine Zweitbefragung durchzuführen, bei der der Betroffene gezielt zu einer Rücküberstellung in den konkreten Mitgliedstaat gehört wird, bedarf es bei einer Abschiebungsandrohung aufgrund von § 35 i.V.m. § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylG jedenfalls dann einer gesonderten Anhörung, wenn der Betroffene im Rahmen der Dublin-Anhörung nicht bereits gezielt nach möglichen Abschiebungshindernissen bezogen auf den konkreten Zielstaat – hier Bulgarien – befragt wurde. Denn erst dann besteht für den Betroffenen überhaupt Anlass dazu vorzutragen.
Die Abschiebungsandrohung in Ziffer 2 des verfahrensgegenständlichen Bescheides leidet damit einem Verfahrensmangel, der nicht gem. § 46 VwVfG unbeachtlich ist. Denn es ist nicht im Sinne von § 46 VwVfG offensichtlich, dass die Abschiebungsandrohung auch bei vorheriger Anhörung des Klägers ebenso ergangen wäre. Abzustellen ist dabei auf Umstände, die dem Bundesamt nach Aktenlage im Entscheidungszeitpunkt vorlagen. Im Hinblick auf die Bedeutung des Verfahrensrechts gerade im Asylrecht und auf die Effektivität des Rechtsschutzes ist an die „Offensichtlichkeit“ i.S.v. § 46 VwVfG ein strenger Maßstab anzulegen. Verbleiben auch nur leise Zweifel daran, dass es ohne den Fehler zur selben Entscheidung gekommen wäre, fehlt es an der erforderlichen Offensichtlichkeit (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 46/Rn. 37).
Der Verfahrensmangel der fehlenden Anhörung ist auch nicht im Sinne von § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG durch die informatorische Befragung des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung geheilt. Denn mangels Beteiligung seitens der Beklagten an der mündlichen Verhandlung konnte sich das Bundesamt als zuständige Behörde die Anhörung im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht zu eigen machen und die Anhörung i.S.v. § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG damit nachholen.
Die Klage ist damit im Hauptantrag im Hinblick auf Ziffer 2 des verfahrensgegenständlichen Bescheides begründet.
Da der Hilfsantrag bei verständiger Würdigung des Sachverhalts dahingehend auszulegen ist, dass er nur für den Fall einer vollständigen Abweisung des Hauptantrags gestellt ist, ist über ihn nicht zu entscheiden.
Die Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 709, 711 ZPO.