Aktenzeichen W 3 K 15.533
VwGO VwGO § 114 S. 1
Leitsatz
1 Im Rahmen seiner Gesamtverantwortung und seiner Befugnis zur näheren Ausgestaltung von Inhalt und Umfang des Anspruchs auf eine laufende Geldleistung nach § 23 SGB VIII regelt der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe, wie er die Förderung in der Kindertagespflege im Einzelnen ausgestaltet, um den bestehenden Bedarf zu decken und die Verwirklichung der Grundsätze und Ziele der Förderung sicherzustellen. (redaktioneller Leitsatz)
2 Dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe steht bei der Ausgestaltung der Förderung in der Kindertagespflege ein Gestaltungsspielraum zu, der vergleichbar mit Ermessensspielräumen nach § 114 S. 1 VwGO nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Gericht unterliegt. (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Forderung der Vorlage von Stundenzetteln zur Ermittlung der tatsächlichen Betreuungsstunden, um die so ermittelten Erfahrungswerte für die Bedarfsplanung zu verwenden und eine Grundlage für die Vergütung der tatsächlich angefallenen Betreuungsstunden zu haben, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Gründe
Die Klage ist zulässig.
Nach § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Die Klägerin möchte festgestellt wissen, dass sie nicht verpflichte ist, als Voraussetzung für die Auszahlung der im jeweiligen Bewilligungsbescheid festgesetzten laufenden Geldleistung von den Sorgeberechtigten der betreuten Tageskinder unterzeichnete Stundenzettel vorzulegen hat. Damit ist ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis i.S.v. § 43 Abs. 1 VwGO dargetan, das zwischen den Beteiligten streitig ist. Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung. Denn die gerichtliche Klärung der Rechtslage beseitigt die Ungewissheit über die Pflicht der Beklagten, der Klägerin unabhängig von der Vorlage der Stundenzettel eine Förderleistung nach § 23 Abs. 1 SGB VIII zu gewähren. Ohne gerichtliche Klärung muss die Klägerin eine Gefährdung ihrer Rechte, nämlich die Nichtgewährung einer laufenden Geldleistung i.S.d. § 23 Abs. 1 SGB VIII befürchten. Die Zulässigkeit der Feststellungsklage scheitert auch nicht an der grundsätzlichen Subsidiarität der Feststellungsklage (§ 43 Abs. 2 VwGO), weil die Klägerin keine andere Möglichkeit hat, eine Klärung des Rechtsverhältnisses zu erreichen. Die Verweisung der Klägerin auf die Möglichkeit der Leistungsklage würde ihren Rechtsschutz erschweren.
Die zulässige Klage ist aber unbegründet.
Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe hat für die Erfüllung der Aufgaben nach dem 8. Buch Sozialgesetzbuch die Gesamtverantwortung einschließlich der Planungsverantwortung (§ 79 Abs. 1 SGB VIII). Auch räumt ihm § 23 Abs. 2a Satz 1 SGB VIII einen Spielraum bei der Ausgestaltung der laufenden Geldleistung ein. § 23 Abs. 2a SGB VIII bezieht sich seinem Wortlaut nach zwar nur auf die Höhe der laufenden Geldleistung. Nach § 26 Satz 1 SGB VIII regelt allerdings das Nähere über Inhalt und Umfang der im dritten Abschnitt (§§ 22 bis 26) des SGB VIII geregelten Aufgaben und Leistungen das Landesrecht. Auch das Bayerische Landesrecht überlässt es weitgehend den örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe, die Tagespflege und die Leistungen an die Tagespflegeperson zu konkretisieren und auszugestalten. Im Rahmen seiner Gesamtverantwortung und seiner Befugnis zur näheren Ausgestaltung von Inhalt und Umfang des Anspruchs auf eine laufende Geldleistung nach § 23 SGB VIII regelt demgemäß der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe, wie er die Förderung in der Kindertagespflege im Einzelnen ausgestaltet, um den bestehenden Bedarf zu decken und die Verwirklichung der Grundsätze und Ziele der Förderung (§ 22 SGB VIII) sicherzustellen. Dabei ist er grundsätzlich nicht auf die Wahl bestimmter Arbeitsformen beschränkt. Denn nach § 3 Abs. 1 SGB VIII ist die Jugendhilfe einschließlich der Förderung von Kindern in Tagespflege (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII) gekennzeichnet durch die Vielfalt von Trägern unterschiedlicher Wertorientierungen und die Vielfalt von Inhalten, Methoden und Arbeitsformen.
Die Kommunalen Spitzenverbände (Bayer. Landkreistag und Bayer. Städtetag) haben Empfehlungen für die Kindertagespflege nach dem SGB VIII und dem Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz (BayKiBiG) herausgegeben. Diese Empfehlungen enthalten insbesondere Empfehlungen hinsichtlich der Höhe der Geldleistung. Hinsichtlich der Frage der Fälligkeit, oder ob die Auszahlung der Stundensätze von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht werden kann – insbesondere der Vorlage von Stundenzetteln -, enthalten die Empfehlungen keine Regelungen.
Dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe steht bei der Ausgestaltung der Förderung in der Kindertagespflege ein Gestaltungsspielraum zu, der vergleichbar mit Ermessensspielräumen nach § 114 Satz 1 VwGO nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Gericht unterliegt. Somit kann das Gericht lediglich überprüfen, ob durch die Forderung nach der Vorlage von Stundennachweisen in unzulässiger Weise in Rechte der Klägerin eingegriffen wird.
Im Bereich des Beklagten gibt es (bisher) keine Satzung über die Tagespflege. Des Jugendhilfeausschusses hat die Anwendung der Empfehlungen der Kommunalen Spitzenverbände und im Übrigen davon abweichende Stundensätze beschlossen.
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung erläutert, dass sie mit dem Beklagten Verhandlungen über die Modalitäten der Tagespflege geführt und Stundensätze ausgehandelt hat, die über den im Landkreis üblichen Sätzen für die Vergütung von Tagespflegepersonen liegen. Eine schriftliche Fixierung dieser Vereinbarung und insbesondere der Zahlungsmodalitäten ist aber nicht erfolgt. Vielmehr wurden die Ergebnisse der Vereinbarung nach übereinstimmenden Angaben der Parteien in der mündlichen Verhandlung durch Schreiben des Beklagten vom 6. März 2014 und 19. März 2014 schriftlich fixiert. In diesen Schreiben ist keine Aussage zu der Vorlage von Stundenzetteln enthalten. Die Vorlage von Stundenzetteln wurde aber nach Angaben der Beteiligten bei den Verhandlungen von Anfang an thematisiert (vgl. auch Aktenvermerk vom 12.4.2013 Behördenakte Bl. 35). Offenbar besteht zwischen der Klägerin und dem Beklagten ein Dissens hinsichtlich des Verhandlungsergebnisses und der Auslegung des Begriffes „pauschale Geldleistung“. Die Klägerseite hat in der mündlichen Verhandlung die Auffassung vertreten, für sie wäre das Thema Stundenzettel erledigt gewesen, zumal in den Schreiben vom 6. März 2014 und 19. März 2014 davon nichts (mehr) stehe. Hinsichtlich der „pauschalen Geldleistung“ versteht der Beklagte darunter den Stundensatz, während die Klägerin der Meinung ist, dieser Terminus bedeute, der Beklagte müsse monatlich die für das Kind jeweils laut Bescheid bewilligten Pflegestunden vergüten, unabhängig von der tatsächlichen Anwesenheit des Kindes in der Tagespflege der Klägerin.
Zur Überzeugung des Gerichts greift die Forderung des Beklagten nicht unzulässig in Rechte der Klägerin ein.
Nach Angaben des Beklagten fordert dieser die Vorlage von Stundenzettel von allen Tagespflegepersonen. Sinn und Zweck sei, durch die Ermittlung der tatsächlichen Betreuungsstunden zum einen die Krankheitstage eines Kindes als auch die Ausfallzeiten der Tagespflegeperson nachvollziehen zu können und die so ermittelten Erfahrungswerte für die Bedarfsplanung zu verwenden.
Sinn und Zweck dieser Forderung sind für das Gericht nachvollziehbar. Die Vorlage von Stundenzetteln ist geeignet, um einen Überblick über die tatsächlich geleisteten und erforderlichen Betreuungsstunden zu erhalten und hiermit eine Datengrundlage für die Bedarfsplanung zu erheben.
Es ist auch nicht dargetan, dass der Beklagte mit der Klägerin eine vertragliche Vereinbarung dahin gehend getroffen hätte, dass unabhängig von der tatsächlichen Betreuungszeit der Kinder generell „die gebuchten Stunden“ bzw. die mit Bescheid bewilligte Stundenzahl vergütet werden soll. Dies ergibt sich bereits daraus, dass eine „pauschale Vergütung“ nach dem Verständnis der Klägerin die Regelung dahingehend, dass eine Unterbrechung der Kindertagespflege wegen Krankheit des Kindes von bis zu 20 Betreuungstagen pro Kalenderjahr für die Vergütung unschädlich bleibt, überflüssig machen würde. Denn dann käme es auf die tatsächlich abgeleisteten Betreuungsstunden überhaupt nicht an. Diese Regelung in den entsprechenden Bewilligungsbescheiden für die Kinder (vgl. z.B. in dem Bescheid für … P. vom 24.3.2014) sowie in dem Schreiben an die Klägerin vom 19. März 2014 zeigt zur Überzeugung des Gericht, dass der Beklagte davon ausgegangen ist, dass eine Abrechnung der Kosten nach den tatsächlich Stunden, die das Kind in der Tagespflege verbringt, erfolgen sollte.
Soweit die Klägerin für ihre Rechtsauffassung, eine Abrechnung nach Stunden sei unzulässig auf eine Veröffentlichung im Mitteilungsblatt (6/13) des Bayerischen Landesjugendamts Bezug nimmt, überzeugt dies nicht. Im Übrigen ist der in diesem Aufsatz gezogene Schluss des Verfassers nicht zwingend. Lediglich eine Abrechnung, die um den Kostenbeitrag der Eltern gemindert wäre – letztendlich also das Risiko der Zahlung des Kostenbeitrages durch die Eltern auf die Tagespflegeperson überbürden würde -, ist unzulässig.
Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG kann in der Forderung von Stundenzetteln nicht erkannt werden, auch wenn nach Angaben der Klägerin andere Träger eine solche Forderung nicht erhoben haben. Wie bereits dargestellt, handelt es sich bei der Förderung von Kindern in Tagespflege um eine Aufgabe im eigenen Wirkungskreis des Jugendhilfeträgers. Deshalb kann jeder Landkreis selbst entscheiden, wie er die Tagespflege organisiert und ob er Stundennachweise fordert. Nur wenn der Beklagte in seinem Bereich von anderen Tagespflegepersonen keine Stundenzettel fordern würde, wäre der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt.
Soweit die Klägerin die Auffassung vertritt, durch die Regelung werde das Risiko, dass ein Kind von seinen Eltern aus welchen Gründen auch immer nicht in die Tagespflege gebracht werde, auf die Tagespflegeperson überbürdet, ist dieser Vortrag zwar zutreffend. Es sind jedoch keine Gründe dafür erkennbar, weshalb anstelle der Klägerin der Beklagte dieses Risiko tragen und quasi als Ausfallbürge eintreten sollte, wenn sich das „Geschäftsmodell“ Tagespflege nicht rentiert. Soweit die Klägerbevollmächtigte die Auffassung vertritt, aufgrund eines „sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses“ sei der Tagespflegeperson die Aushandlung der Vergütung mit den Sorgeberechtigten nicht möglich, ist darauf hinzuweisen, dass das sog. sozialrechtliche Dreieck mit Vereinbarungen über Leistungs- und Entgeltvereinbarungen in dem Bereich der Tagespflege gerade nicht zum Tragen kommt (vgl. § 78a SGB VIII).
Vielmehr besteht zwischen der Tagespflegeperson und den Sorgeberechtigten ein schuldrechtlicher Pflegevertrag, zu dem im Falle der Kostenzusage durch das Jugendamt ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis zwischen dem Jugendhilfeträger und dem Sorgeberechtigten tritt. Es steht den Parteien des Pflegevertrages frei, Regelungen zu treffen für den Fall, dass die Eltern vereinbarte Zeiten nicht in Anspruch nehmen.
Die Tagespflegeperson ist auch nicht gehindert, ohne Einschaltung des Jugendhilfeträgers und ohne Finanzierung durch diesen, Kinder in Tagespflege zu nehmen und mit den Eltern der Kinder entsprechende privatrechtliche Vergütungsvereinbarungen zu treffen.
Schließlich greift die Forderung nach Vorlage von Stundenzetteln auch nicht unangemessen in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit der Klägerin) ein. Die Tätigkeit als Kindertagespflegeperson ist als Beruf i.S.d. Art. 12 GG anzusehen und geschützt. Gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG darf die Berufsfreiheit nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden. Mit den §§ 22 ff. SGB VIII liegt jedoch eine ausreichende gesetzliche Grundlage vor. Der parlamentarische Gesetzgeber hat die wesentlichen Fragen selbst geregelt, indem er in §§ 23, 24 SGB VIII die Rahmenvoraussetzungen für den Förderanspruch sowie in § 22 SGB VIII die Grundsätze der Förderung in der Kindertagespflege festgelegt hat. §§ 23, 24 SGB VIII dienen in erster Linie der Förderung des Kindes und nicht primär der Schaffung einer Einnahmequelle der Tagespflegeperson. Art. 12 Abs. 1 GG gibt grundsätzlich keinen Anspruch auf die Gewährung staatlicher Förderung (vgl. BVerwG, B.v. 12.6.1990 – 1 BvR 355/86 – juris, Rn. 62). Dass eine Förderung nur bei Vorliegen eines Förderungsgrundes gewährt wird, ist vielmehr gerade Wesen einer Förderung. Förderungen dienen regelmäßig dazu, Anreize für ein bestimmtes Verhalten zu schaffen oder die Versorgung eines bestimmten (z.B. sozialen) Bedarfs, dessen Deckung (gesellschafts-)politisch gewünscht, aber nicht durch die regulären wettbewerbsrechtlichen Mechanismen erreicht wird, zu gewährleisten. Dies lässt sich nur dadurch erreichen, dass Förderungen an Fördervoraussetzungen – wie hier in § 24 SGB VIII – geknüpft werden. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber bei der Festlegung der Voraussetzungen für die Förderungen in der Kindertagespflege nach § 24 SGB VIII seinen Gestaltungsspielraum überschritten und die Fördervoraussetzungen etwa willkürlich gestellt hätte. Der Beklagte wiederum setzt lediglich die in § 24 SGB VIII gesetzlich vorgegebenen Fördervoraussetzungen um, wenn er nur diejenigen Betreuungsstunden fördert, für die auch ein Förderbedarf i.S.d. § 24 SGB VIII (tatsächlich) besteht.
Nachdem keine Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Feststellung vorliegt, konnte die Klage keinen Erfolg haben und war mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1, § 188 Satz 2 VwGO abzuweisen.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.