Medizinrecht

Konkrete Gefahr durch große Hunde

Aktenzeichen  AN 5 K 15.01985

Datum:
13.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LStVG LStVG Art. 9 Abs. 2, Art. 18 Abs. 2
BayVwVfG BayVwVfG Art. 37 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angegriffene Bescheid ist insgesamt rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Die Beklagte hat gegenüber der Klägerin in Ziff. 1 des streitgegenständlichen Bescheids vom 21. September 2015 zu Recht Anordnungen bezüglich der Haltung ihrer Hunde getroffen.
Zutreffend geht die Beklagte davon aus, dass die Anordnungen in Ziff. 1 des Bescheids vom 21. September 2015 auf Art. 18 Abs. 2 LStVG gestützt werden können. Danach können die Gemeinden zum Schutz von Leben, Gesundheit, Eigentum oder öffentlicher Reinlichkeit Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden treffen.
Nicht zu beanstanden ist zunächst, dass die Beklagte mit dem Bescheid vom 21. September 2015 die Klägerin in Anspruch nimmt. Maßnahmen nach Art. 18 Abs. 2 LStVG sind nach Art. 9 Abs. 2 Satz 1 LStVG gegen den Inhaber der tatsächlichen Gewalt zu richten. Adressat einer Anordnung nach Art. 18 Abs. 2 LStVG kann somit neben dem Halter jeder sein, in dessen Obhut das Tier so überlassen wird, dass der Halter damit die tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit verliert (VG Ansbach, B.v. 1.6.2005 – AN 5 S. 05.01353 – juris Rn. 11; Schenk in: Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand: 35. Lfg. Sept. 2014, Art. 18, Rn. 87). Unstreitig ist, dass die Klägerin Halterin des blonden Hovawarts „…“ ist. Auch wenn im vorliegenden Fall nach dem Sachvortrag der Klägerin Halter des schwarzen Hovawarts „…“ der Ehemann der Klägerin ist, so konnten die Anordnungen zur Haltung dennoch wirksam gegenüber der Klägerin verfügt werden. Auf das Eigentum am Hund kommt es dabei nicht an. Nach Art. 18 Abs. 2 LStVG kann auch derjenige in Anspruch genommen werden, der als Inhaber der tatsächlichen Gewalt über den Hund auftritt (VG Ansbach, B. v. 1.6.2005 – AN 5 S. 05.01353 – juris Rn. 11). Dies ist bei der Klägerin der Fall, da sie auch den schwarzen Hund regelmäßig alleine ausführt und sich auch anderen gegenüber als Halterin geriert. Vor diesem Hintergrund hat die Klägerin die tatsächliche Gewalt auch über den schwarzen Hovawart „…“ derart übernommen, dass sie als Adressatin von Anordnungen nach Art. 18 Abs. 2 LStVG herangezogen werden kann.
Tatbestandlich setzt Art. 18 Abs. 2 LStVG voraus, dass eine konkrete Gefahr, also eine Sachlage, bei der die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit der abzuwehrende Schaden eintritt, vorliegt. Dabei sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer der möglicherweise eintretende Schaden und je ranghöher das bedrohte Rechtsgut ist. Das sicherheitsrechtliche Einschreiten zur Gefahrenabwehr setzt demnach nicht voraus, dass bereits ein schädigendes Ereignis, bei dem Gesundheit oder Eigentum anderer Personen geschädigt wurde, stattgefunden hat. Zu Beißzwischenfällen muss es vor Erlass einer Anordnung nicht notwendigerweise gekommen sein, es genügt vielmehr schon, wenn sich ein Hund gefahrdrohend gezeigt hat, ohne dass der Halter hiergegen eingeschritten wäre (BayVGH, B. v. 11.11.2003, 24 CS 03.2796, juris Rn. 8). Ist es hingegen bereits zu Zwischenfällen gekommen, sind sicherheitsrechtliche Anordnungen zur Abwehr der realisierten Gefahr in der Regel nicht nur zulässig, sondern vielmehr geboten. Im Übrigen bejaht der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung eine konkrete Gefahr bei freilaufenden großen und kräftigen Hunden auch dann, wenn es noch nicht zu Beißvorfällen gekommen ist (BayVGH, U.v. 9.11.2010 – 10 BV 06.3053 – juris Rn. 25; B.v. 14.7.2011 – 10 ZB 10.1825 – juris Rn. 17). Von einem größeren Hund geht demnach eine konkrete Gefahr bereits dann aus, wenn er ein hundetypisches freundliches und verspieltes Verhalten zeigt.
Nach diesen Maßstäben geht von den Hunden „… “ und „…“ eine konkrete Gefahr im Sinne des Art. 18 Abs. 2 LStVG aus.
Die beiden Hovawarts der Klägerin sind schon als große Hunde im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des BayVGH anzusehen. Darüber hinaus ergibt sich die konkrete Gefahr hier aus dem in den Verwaltungsakten dokumentierten Vorfall vom 24. April 2015, welcher durch die Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung vom 13. Oktober 2016 bestätigt worden ist. Der Zeuge … hat detailliert und glaubhaft, in Übereinstimmung mit den Angaben vor der Polizeiinspektion … am 25.04.2015, ausgesagt, dass er der Klägerin am 24.04.2015 auf einem Wald Weg in Richtung Erlangen begegnet sei, als diese mit ihren zwei großen unangeleinten Hunden spazieren ging. Nach den Schilderungen des Zeugen sind ihm die beiden Hunde bellend aus ca. 100 Metern Entfernung entgegengerannt, als er sich mit dem Fahrrad näherte. Er ist zwar stehengeblieben und hat das Fahrrad schützend vor sich gehalten, doch der blonde Hund, vermutlich ein Golden Retriever, hat ihn in den linken Oberschenkel gebissen. Das von dem Zeugen vorgelegte ärztliche Attest der … Kliniken vom 24.04.2015, wonach der Zeuge sich wegen eines Hundebisses in den linken Oberschenkel in ambulanter Behandlung befand, belegt diese Angaben. Der Vorfall wird von der Klägerseite auch im Wesentlichen eingeräumt. Die Klägerin trägt lediglich vor, dass sie den Radfahrer erst in ca. 20 Metern Entfernung bemerkt habe und dass der schwarze Hovawart nicht mitgerannt, sondern in ihrer unmittelbaren Nähe geblieben sei. Auf Vorhalt dieses Vortrags in der mündlichen Verhandlung hat der Zeuge … erklärt, er könne sich sehr gut an die Situation erinnern, da er überlegt habe, was er tue, wenn er von beiden Seiten von einem Hund angegriffen wird. Die von der Klägerin benannte Zeugin … hat in ihrer von Gedächtnislücken geprägten Aussage den Beißvorfall im Wesentlichen bestätigt, zu dem Verhalten des schwarzen Hovawarts „…“ konnte sie keine konkreten Angaben machen. Aufgrund der plausiblen und glaubwürdigen Aussage des Zeugen …, insbesondere der detaillierten Wiedergabe seiner Gedanken in der konkreten Angriffssituation, steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass beide Hunde der Klägerin dem Radfahrer bellend entgegengerannt sind und der blonde Hovawart „…“ diesen in den linken Oberschenkel gebissen hat. Nach alldem besteht kein Zweifel daran, dass die Beklagte auf Grundlage des Vorfalls vom 21. September 2015 das Bestehen einer konkreten Gefahr für die von Art. 18 Abs. 2 LStVG geschützten Rechtsgüter Gesundheit und Eigentum annehmen durfte.
Ist mit der von den Hunden ausgehenden konkreten Gefahr der Tatbestand des Art. 18 Abs. 2 LStVG erfüllt, steht es im Ermessen der Beklagten, Anordnungen für den Einzelfall zu treffen. Dieses Ermessen hat die Beklagte hinsichtlich der Auswahl der von ihr angeordneten Maßnahmen zur Abwehr der von den Hunden der Klägerin ausgehenden Gefahren in rechtlich nicht zu beanstandender Weise und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nach Art. 8 LStVG ausgeübt.
Nicht zu beanstanden ist die Entscheidung der Beklagten, den Leinenzwang auf beide klägerische Hunde zu erstrecken. Denn die Gefahrenlage besteht unabhängig davon, ob es tatsächlich zu einem Beißvorfall gekommen ist, gerade auch darin, dass die großen Hunde frei gelaufen und bellend auf den Radfahrer zugerannt sind. Ein Hovawart ist ein großer und kräftiger Hund, der durchaus Respekt einflößt und allein durch sein Auftreten das Wohlbefinden von Personen, die ihm in der Öffentlichkeit begegnen und die sich durch ihn (wenn auch nur subjektiv) bedroht und gefährdet fühlen, beeinträchtigen kann (vgl. BayVGH, U.v. 9.11.2010 – 10 BV 06.3053 – juris Rn. 25; B.v. 14.7.2011 – 10 ZB 10.1825 – juris Rn. 17). Darüber hinaus erhöht das Rudelverhalten der zwei aneinander gewöhnten Hunde der Klägerin deutlich das Gefahrenpotential, das nur von einem der Hunde einzeln ausgehen würde (vgl. BayVGH, B.v. 12.2.2015 – 10 CS 14.2820 – juris Rn. 6). Das freie Umherlaufen mehrerer Hunde ist besonders geeignet, bei Passanten verstärkt Ängste hervorzurufen.
Entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin widerspricht die unter Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids getroffene Regelung nicht dem Bestimmtheitsgebot nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG. Nach dieser Vorschrift muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Das bedeutet zum einen, dass der Adressat in die Lage versetzt werden muss, aus der Verfügung selbst zu erkennen, was von ihm gefordert wird. Zum anderen muss der Verwaltungsakt geeignete Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein können. (vgl. BVerwG, U.v. 15.2.1990 – 4 C 41/87 – juris Rn. 29). Maßgeblich ist insofern die am objektiven Empfängerhorizont orientierte Auslegung der behördlichen Anordnung. Zwar wurde im Tenor des streitgegenständlichen Bescheides weder Rasse noch Name der Hunde genannt und in den Gründen aufgrund der Angaben des Zeugen … bei Anzeigeerstattung vor der Polizeiinspektion … der blonde Hovawart „…“ als Golden Retriever bezeichnet. Trotz der irrtümlichen Falschbezeichnung der Rasse ist nach Auffassung des Gerichts für die Klägerin jedoch aus dem Tenor und den Gründen des Bescheides eindeutig und zweifelsfrei erkennbar, dass sich die an sie gerichteten Anordnungen der Beklagten auf die zwei in ihrem Haushalt lebenden Hunde der Rasse Hovawart beziehen. Auch ist die Ziff. 1 durchaus geeignet, Grundlage für Maßnahmen zu ihrer zwangsweisen Durchsetzung zu sein. Die Anordnungen sind folglich hinreichend bestimmt.
Der angeordnete Leinenzwang ist auch geeignet und erforderlich, sicherzustellen, dass der Hundehalter jederzeit die Möglichkeit des Einwirkens auf die Hunde hat und diese unter seiner ständigen Kontrolle stehen. Da diese Einwirkungsmöglichkeit bei Freilauf entfällt, stellt in diesem Fall der alternativ angeordnete Maulkorbzwang ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel zur Gefahrenabwehr dar.
Die angeordneten Maßnahmen verstoßen auch nicht gegen das Übermaßverbot. Es sind keine weniger einschneidenden Maßnahmen ersichtlich, die zum Schutz der durch die Hunde der Klägerin gefährdeten Rechtsgüter gleichermaßen geeignet wären. Im Hinblick auf den hohen Rang der gefährdeten Rechtsgüter stellt der Leinenzwang nur eine geringe Belastung der Klägerin dar. Es handelt sich mithin um Maßnahmen, die ein verantwortungsbewusster Hundehalter von sich allein ergriffen hätte, um von seinem Hund ausgehende Gefahren abzuwenden.
Dem in der mündlichen Verhandlung vom 13. Oktober 2016 bedingt gestellten Antrag des Klägerbevollmächtigten, Beweis durch Sachverständigengutachten zu erheben über Wesen und Erziehungsstand des zweiten Hundes der Klägerin namens „…“ war nicht zu folgen, da es schon an der Entscheidungserheblichkeit fehlt. Auf das Ergebnis eines entsprechenden Gutachtens kommt es nicht an, da das von „…“ bei dem Vorfall vom 21. September 2015 gezeigte Verhalten bei Freilauf entsprechend der oben zitierten Rechtsprechung des BayVGH schon für die Annahme einer konkreten Gefahr im Sinne des Art. 18 Abs. 2 LStVG genügt.
Im Übrigen folgt das Gericht den zutreffenden Ausführungen der Beklagten im Bescheid vom 21. September 2015 und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Auch die in Ziff. 3 des streitgegenständlichen Bescheides erfolgte, kraft Gesetzes (Art. 21a VwZVG) sofort vollziehbare Androhung eines Zwangsgeldes bei Nichtbeachtung der sofort vollziehbaren Anordnungen der Ziff. 1 des Bescheides ist nicht zu beanstanden. Die Voraussetzungen der Art. 19 Abs. 1 Nr. 3, Art. 29 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und Art. 36 VwZVG sind eingehalten, die Höhe des jeweils angedrohten Zwangsgeldes liegt mit 500 Euro im unteren Bereich des gesetzlich vorgegebenen Rahmens des Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

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