Aktenzeichen M 11 SN 16.3835
Leitsatz
Im Regelfall ist es unbillig, einem Bauwilligen die Nutzung seines Eigentums durch Gebrauch der ihm erteilten Baugenehmigung zu verwehren, wenn eine dem summarischen Verfahren nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO entsprechende vorläufige Prüfung des Rechtsbehelfs ergibt, dass dieser letztlich erfolglos bleiben wird. Ist demgegenüber der Rechtsbehelf offensichtlich begründet, so überwiegt das Interesse des Antragstellers. Sind die Erfolgsaussichten offen, so kommt es darauf an, ob das Interesse eines Beteiligten es verlangt, dass die Betroffenen sich so behandeln lassen müssen, als ob der Verwaltungsakt bereits unanfechtbar sei. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 3.750,– € festgesetzt.
Gründe
I.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 14. Juli 2016 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen eine Baugenehmigung für den Neubau eines Mehrfamilienhauses mit Tiefgarage auf dem Grundstück FlNr. … der Gemarkung …
Die Antragsteller wohnen auf dem nordöstlich benachbarten Grundstück FlNr. … der Gemarkung …
Der Bevollmächtigte der Antragsteller hat am 24. August 2016 gegen den Bescheid Klage erhoben (M 11 K 16.3836).
Mit Schriftsatz vom gleichen Tag ließen die Antragsteller einen Eilantrag stellen und beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Mit Schriftsätzen vom 30. August 2016, 1. September 2016 und 14. September 2016 beantragten die Antragsgegnerin und die Beigeladene,
den Abtrag abzulehnen.
Mit weiterem Schriftsatz vom 28. September 2016 trug der Bevollmächtigte der Antragsteller vor, dass auf die Westseite der nachbarlichen Bebauung der Antragsteller keine Rücksicht genommen worden sei. Die Höhe des Vorhabens sei deutlich über der Bestandshöhe. Das Tages- und Sonnenlicht werde verändert. Durch den geringen Abstand zwischen der Bebauung und die erhöhte Wohnungszahl werde der Parteiverkehr noch größer. Der Zugang des streitgegenständlichen Wohnhauses sei direkt gegenüber der Terrasse der Antragsteller. Die Werte der TA-Lärm und TA-Luft würden überschritten.
Mit Schriftsatz vom 7. Oktober 2016 erwiderte der Bevollmächtigte der Beigeladenen, dass das Maß der baulichen Nutzung nach § 34 BauGB nicht nachbarschützend sei. Der Fußgänger- und Fahrzeugverkehr sei als sozialadäquat hinzunehmen. Nach Art. 59 BayBO seien die Abstandsflächen nicht zu prüfen gewesen, sie seien aber eingehalten. Das Vorhaben sei nicht rücksichtslos.
Mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2016 erwiderte die Bevollmächtigte der Antragsgegnerin, das Maß der baulichen Nutzung sei nicht nachbarschützend. Die Abstandsflächen seien nicht verletzt. Eine Veränderung der Licht- und Luftverhältnisse sei hinzunehmen. Es sei nicht ersichtlich, dass die Werte der TA-Lärm bzw. TA-Luft verletzt würden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten im Verfahren M 11 K 16.3836 sowie in diesem Verfahren Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
Gemäß § 212a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Jedoch kann das Gericht der Hauptsache gemäß § 80a Abs. 3 Satz 1, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die Aussetzung der Vollziehung anordnen. Hierbei kommt es auf eine Abwägung der Interessen des Bauherrn an der sofortigen Ausnutzung der Baugenehmigung mit den Interessen des Dritten, keine vollendeten, nur schwer wieder rückgängig zu machenden Tatsachen entstehen zu lassen, an.
Im Regelfall ist es unbillig, einem Bauwilligen die Nutzung seines Eigentums durch Gebrauch der ihm erteilten Baugenehmigung zu verwehren, wenn eine dem summarischen Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO entsprechende vorläufige Prüfung des Rechtsbehelfs ergibt, dass dieser letztlich erfolglos bleiben wird. Ist demgegenüber der Rechtsbehelf offensichtlich begründet, so überwiegt das Interesse des Antragstellers. Sind die Erfolgsaussichten offen, so kommt es darauf an, ob das Interesse eines Beteiligten es verlangt, dass die Betroffenen sich so behandeln lassen müssen, als ob der Verwaltungsakt bereits unanfechtbar sei. Bei der Abwägung ist den Belangen der Betroffenen umso mehr Gewicht beizumessen, je stärker und je irreparabler der Eingriff in ihre Rechte wäre (BVerfG, B. v. 18.07.1973 – 1 BvR 155/73 -, 1 BvR 23/73 -, BVerfGE 35, 382; zur Bewertung der Interessenlage vgl. auch BayVGH, B. v. 14.01.1991 – 14 CS 90.3166 -, BayVBl 1991, 275).
Die im Eilverfahren auch ohne Durchführung eines Augenscheins mögliche Überprüfung der Angelegenheit anhand der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Behördenakten samt Plänen ergibt, dass die Klage der Antragsteller in der Hauptsache aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben wird.
Zu berücksichtigen ist im vorliegenden Fall, dass Nachbarn – wie sich aus § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergibt – eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten können, wenn sie hierdurch in einem ihnen zustehenden subjektiv öffentlichen Recht verletzt werden. Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke dienen. Eine baurechtliche Nachbarklage kann allerdings auch dann Erfolg haben, wenn ein Vorhaben es an der gebotenen Rücksichtnahme auf seine Umgebung fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt (BVerwG, U. v. 25.02.1977 – 4 C 22.75 -, BVerwGE 52, 122).
Vorliegend verletzt die angefochtene Baugenehmigung die Antragsteller voraussichtlich nicht in ihren Rechten.
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit beurteilt sich hier gemäß § 29 Abs. 1 BauGB nach § 34 BauGB.
Anders als die Nutzungsart hat das Maß der baulichen Nutzung sowie die überbaubare Grundstücksfläche grundsätzlich bereits keine nachbarschützende Funktion (vgl. BVerwG, B. v. 23.06.1995 – 4 B 52/95; BayVGH, B. v. 05.03.2010 – 2 ZB 07.788).
Selbst wenn das Vorhaben sich hinsichtlich der Größe bzw. Höhe nicht in die Umgebung einfügen sollte, können sich die Antragsteller hierauf nicht berufen.
Das Bauvorhaben ist auch nicht rücksichtslos.
Das Gebot der Rücksichtnahme gibt dem Nachbarn nicht das Recht, von jeglicher Beeinträchtigung, insbesondere von jeglicher Verschlechterung verschont zu bleiben. Eine Rechtsverletzung kann erst bejaht werden, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht. Ob dies der Fall ist, ist im Wege einer Gesamtschau, die den konkreten Einzelfall in den Blick nimmt, zu ermitteln. Das Gebot der Rücksichtnahme soll dabei einen angemessenen Interessenausgleich gewähren.
Daran gemessen dürfte eine Verletzung des planungsrechtlichen Rücksichtnahmegebotes nicht vorliegen.
Zunächst ist in die Abwägung einzustellen, dass die landesrechtlichen Vorschriften über die Grenzabstände – die eine ausreichende Belichtung, Besonnung und Belüftung von Nachbargrundstücken sowie einen ausreichenden Sozialabstand sicherstellen sollen – eingehalten sind. Dass dies der Fall ist, ergibt sich – obwohl es nicht zum Prüfprogramm des vereinfachten Genehmigungsverfahrens gehört – aus den Darstellungen in den genehmigten Plänen. Das bedeutet zwar nicht, dass damit von einem solchen Bauvorhaben in keinem Fall eine „erdrückende“ Wirkung ausgehen kann. Jedoch spricht die Einhaltung der landesrechtlich verlangten Abstandsfläche regelmäßig indiziell dafür, dass eine „erdrückende Wirkung“ oder „unzumutbare Verschattung“ nicht eintritt (BVerwG, B. v. 11.01.1999 – 4 B 128.98, NVwZ 1999, 879; BayVGH, B. v. 15.03.2011 – 15 CS 11.9).
Das Wohnhaus mit einer Wandhöhe von 6 m steht vor dem Haus der Antragsteller (Nr. 52) mit einem Abstand zur Grundstücksgrenze von 6 m. Die Abstandsflächen zur Grundstücksgrenze betragen 1 H bzw. unter in Anspruchnahme des 16m-Privilegs ½ H und werden daher eingehalten.
Auch sonst ist kein Grund ersichtlich, weshalb das Vorhaben rücksichtslos sein könnte. Eine „einmauernde“ und „abriegelnde“ Wirkung liegt nicht vor.
Zwar mag es sein, dass nun mehr Personen an der Grenze zum Grundstück der Antragsteller vorbeigehen, da die Eingänge des Hauses gegenüber der Grundstücksgrenze zu den Antragstellern liegen. Dies ist jedoch als sozialadäquat hinzunehmen. Da die Tiefgaragenzufahrt vorne an der Straße liegt, fahren allenfalls Fahrräder am Haus der Antragsteller vorbei.
Eine Überschreitung der zulässigen Werte der TA-Lärm bzw. TA Luft liegt offensichtlich nicht vor.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG i. V. m. dem Streitwertkatalog.