Aktenzeichen S 38 KA 1611/14
Ärzte-ZV § 32
Leitsatz
Bei der Frage des Quartalszeitprofils ist nach § 106a Abs. 2 S. 2 Hs. 2 SGB V eine Differenzierung zwischen Vertragsärzten und angestellte Ärzten nicht vorzunehmen. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Klage wird im Hauptantrag abgewiesen. Die Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide vom 16.12.2011 und 22.03.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.10.2014 verurteilt, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu verbescheiden, soweit sich die Plausibilitätsprüfung nicht auf die GOP 31920 bezieht.
II.
Die Kosten werden gegeneinander aufgehoben.
Gründe
Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig und erweist sich bezüglich des gestellten Hilfsantrages (Antrag unter III. in der mündlichen Verhandlung am 11.10.2016) auch als begründet. Im Übrigen (Anträge unter I. und II. in der mündlichen Verhandlung am 11.10.2016) war die Klage abzuweisen. Nach Auffassung des Gerichts hat die Klägerin keinen Anspruch auf Aufhebung des Bescheides vom 16.12.2011 (Abrechnungsprüfung des Quartals 3/07), des Bescheides der KVB vom 22.03.2012 (Abrechnungsprüfung der Quartale 4/07-4/09) in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.09.2014 und Rückzahlung der bereits erstatten Honorare in Höhe von 150.209,33 EUR nebst Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit. Denn ein solcher Anspruch wäre nur dann gegeben, wenn die Durchführung einer Plausibilitätsprüfung nach § 106a Abs. 1, 2 und 6 SGB V in Verbindung mit den Richtlinien gemäß § 106a SGB V ausgeschlossen wäre. Nach § 106a Abs. 1 SGB V prüft die kassenärztliche Vereinigung auch die Rechtmäßigkeit und Plausibilität der Abrechnungen in der vertragsärztlichen Versorgung. Gegenstand der arztbezogenen Plausibilitätsprüfung ist insbesondere der Umfang der je Tag abgerechneten Leistungen im Hinblick auf den damit verbundenen Zeitaufwand des Vertragsarztes (§ 106a Abs. 2 S. 2 SGB V). Zunächst ist der Anwendungsbereich des § 106a Abs. 6 SGB V i. V. m. § 1 Abs. 1 der Richtlinien gem. § 106a SGB V eröffnet. Die Vorschriften finden auch auf zugelassene medizinische Versorgungszentren Anwendung, also auch auf die Klägerin, die als MVZ seit dem 01.07.2006 zugelassen ist. Die regelhafte Plausibilitätsprüfung erstreckt sich auch auf die Feststellung von Abrechnungsauffälligkeiten (§ 5 Abs. 1 Satz 3) durch Überprüfung des Umfangs der abgerechneten Leistungen im Hinblick auf den damit verbundenen Zeitaufwand (Prüfung nach Zeitprofilen (§ 8)). Aufgreifkriterium nach § 8 Abs. 3 der Richtlinien zu § 106a SSGB V ist bei Vertragsärzten, wenn das Quartalszeitprofil mehr als 780 Stunden beträgt. Abzustellen ist, was offensichtlich zwischen den Beteiligten mittlerweile unstrittig ist, auf das Gesamtquartalszeitprofil für das MVZ (3 Ärzte x 780 Quartalsstunden = 2.340 Stunden). Die Beklagte stellte fest, dass bereits im Quartal 3/07 eine Überschreitung dieser Quartalsstundenzahl stattfand (2.474,25 Quartalsstunden; Überschreitungen bei Dr. D.: 924,43 Stunden und bei Dr. C.: 795,10 Stunden) bei zwei zugelassenen Ärzten (Dr. D. und Dr. C.), sowie einer in Vollzeit angestellten Ärzten (Frau Dr. E. mit einem Tätigkeitsumfang von 38,5 Stunden). Damit wurde das zulässige Gesamtquartalszeitprofil überschritten, so dass das Aufgreifkriterium nach § 8 der Richtlinien zu § 106a SGB V erfüllt ist. Wie die Beklagte zu Recht ausführt, ist diese nicht gehindert, bei einer Abrechnungsauffälligkeit in einem Quartal, hier im Quartal 3/07 die Plausibilitätsprüfung auch auf andere Quartale zu erstrecken. Davon hat die Beklagte Gebrauch gemacht, indem Sie die Plausibilitätsprüfung auch auf die Quartale 4/07-4/09 ausdehnte und insgesamt weitere Prüfungen im Sinne von § 12 der Richtlinien zu § 106a SGB V vornahm. Folglich hat sich die Beklagte an die Regelungen in § 106a SGB V und die Richtlinien gehalten. Die Rechtmäßigkeit einer Rückforderung von Honoraren für diese Quartale nach erfolgter Aufhebung der Honorarbescheide nach § 50 Abs. 1 SGB V i. V. m. §§ 106 Abs. 2 SGB V, § 46 BMV-Ä, 42 A-EKV ist daher nicht auszuschließen. Die Klägerin hat daher keinen Anspruch auf Aufhebung des Bescheides vom 16.12.2011 (Abrechnungsprüfung des Quartals 3/07), des Bescheides der KVB vom 22.03.2012 (Abrechnungsprüfung der Quartale 4/07-4/09) in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.09.2014 und Rückzahlung der bereits erstatten Honorare in Höhe von 150.209,33 EUR nebst Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit. Abgesehen davon hat die Klägerin nach gefestigter Rechtsprechung des Bundessozialgerichts weder Anspruch auf Vollzugs-, noch auf Prozesszinsen (vgl. BSG, Urteil vom 28.09.2005, Az. B 6 KA 71/04 R; BSG, Beschluss vom 27.06.2012, Az. B 6 KA 65/11 B). Die Klage unter I. und II. der Anträge war daher als unbegründet anzusehen. Dagegen ist die Klage unter III. des Antrages als begründet anzusehen. Die angefochtenen Bescheide in der Fassung des Widerspruchsbescheides sind aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, entsprechend der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Im Laufe des Gerichtsverfahrens haben sich vor allem drei Punkte ergeben, die im Zusammenhang mit der Plausibilitätsprüfung von Bedeutung sind und klärungsbedürftig erscheinen. Es handelt sich zum einen um die Höhe des Quartalszeitprofils bei angestellten Ärzten mit dem Bedarfsfaktor 0,5, den zur Ermittlung des Zeitprofils maßgeblichen Werten (maßgeblich entweder die im EBM hinterlegten Werte oder die tatsächlich im EDV-System der Klägerin erfassten Arbeitsstunden) und die Rechtsfrage, ob die Vertretungsregelungen in der Ärzte-ZV auf das MVZ Anwendung finden. Bei der Frage des Quartalszeitprofils geht die Beklagte bei vollzeitbeschäftigten Ärzten, unabhängig davon, ob eine vertragsärztliche Zulassung vorliegt oder eine Anstellungsgenehmigung, von einer zulässigen Quartalsstundenzahl von 780 aus. Für einen zugelassen Vertragsarzt/Vertragsärztin mit einem halben Versorgungsauftrag legt die Beklagte laut ihrer eigenen Aussage in der mündlichen Verhandlung am 11.10.2016 390 Quartalsstunden (die Hälfte von 780 Stunden) zugrunde. Bei einem/einer angestellten Arzt/Ärztin mit dem Bedarfsplanungsfaktor 0,5 zieht die Beklagte die Grenze bei 260 Quartalsstunden. Diese Differenzierung ist nach Auffassung des Gerichts nicht vereinbar mit § 106a Abs. 2 S.2 2.HS SGB V, wonach Vertragsärzte und angestellte Ärzte entsprechend des jeweiligen Versorgungsauftrages gleich zu behandeln sind. Die Regelung, die erst seit 23.07.2015 in dieser Fassung vorliegt, gilt gemäß § 106a Abs. 2 S. 9 SGB V auch für Verfahren, die am 31.12.2014 noch nicht rechtskräftig abgeschlossen waren, somit auch für das hier streitgegenständliche. Der Gesetzgeber hat, worauf der Prozessbevollmächtigte der Klägerin zutreffend hinweist, nicht zwischen Vollzeit- und Teilzeitkräften differenziert. Abgesehen davon würde, folgt man der Auffassung der Beklagten, ein Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz vorliegen. In diesem Zusammenhang ist die Historie zu beachten. Das MVZ hat sich aus einer Gemeinschaftspraxis mit drei vollzeitbeschäftigten Ärzten entwickelt. Nach Gründung des MVZ´s waren bis zum 01.10.2007 in diesem keine teilzeitbeschäftigten Ärzte tätig. Würde man lediglich von 260 zulässigen Quartalsstunden ausgehen, würde dies mit schließlich zwei teilzeitbeschäftigten Ärzten zu einer Schlechterstellung für das MVZ führen. Dagegen spricht auch nicht entgegen der Auffassung der Beklagten, § 8 Abs. 3 der Richtlinien zu § 106a SGB V. Die Vorschrift trifft nämlich keine Aussage zur Frage, wie das Quartalszeitprofil bei Teilzeitkräften zu berechnen ist. Auch § 8a Abs. 1 der Richtlinien zu § 106a SGB V ist für die Auffassung der Beklagten nicht heranzuziehen, da diese Vorschrift auf das Tageszeitprofil abstellt. Allenfalls könnte § 8a Abs. 2 der Richtlinien zu § 106a SGB V für die Auffassung der Beklagten sprechen. Danach kann die Abrechnung der Arztpraxis bei angestellten Ärzten auch daraufhin überprüft werden, ob die für die angestellten Ärzte genehmigten Arbeitszeiten eingehalten worden sind. Für die beiden angestellten Ärzte Dr. E. und Dr. F. wurde eine Wochenstundenzahl von jeweils 19,25 Stunden bei vertraglich vereinbarter Arbeitszeit von 10-20 Stunden (Anrechnungsfaktor 0,5 gemäß § 51 Absatz 1 Satz 4 Bedarfsplanungsrichtlinien) zugrunde gelegt. Damit kommt es faktisch zu einer Diskrepanz zwischen der Regelung des § 106a Abs. 2 Satz 2 SGB V und § 8a Abs. 2 der Richtlinien zu § 106a SGB V. Wegen des verfassungsrechtlichen Grundsatzes über den Vorrang des Gesetzes geht aber letztendlich die Regelung des § 106a SGB V vor. Soweit die Beklagte auf verschiedene ergangene Entscheidungen der Sozialgerichte hinweist (Entscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts, Az. L 12 KA 145/12 B ER; Entscheidung des Sozialgerichts Marburg vom 30.01.2013, Az. S 12 KA 170/11; Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 11.12.2013, Az. B 6 KA 39/12R und vom 17.08.2011, Az. B 6 KA 27/11 B) und diese für die von ihr vertretene Auffassung anführt, können diese nach Auffassung des Gerichts nicht auf das streitgegenständliche Verfahren angewandt werden. Denn es handelt sich zum einen um Entscheidungen vor der Gesetzesänderung (§ 106a Abs. 2 SGB V), zum anderen ging es um die Klärung anderer Rechtsfragen. Die Auffassung des Gerichts widerspricht auch nicht § 58 Abs. 2 Satz 4 der Bedarfsplanungsrichtlinien, wie die Beklagte meint. Dabei ist schon fraglich, ob hier nicht bereits die Regelung des § 51 Abs. 1 Satz 4 Bedarfsplanungsrichtlinien Anwendung findet. Nachdem der Wortlaut der genannten Vorschriften aber identisch ist, kommt es darauf nicht an. Es besteht auch kein Widerspruch zwischen der Anstellungsgenehmigung und der Quartalsstundenzahl. Denn nach § 1 Bedarfsplanungsrichtlinien dienen diese Regelungen der einheitlichen Anwendung der Verfahren der Bedarfsplanung und Zulassungsbeschränkungen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung (einschließlich der psychotherapeutischen Versorgung) aufgrund von Überversorgung und Unterversorgung. Das wiederum bedeutet, dass hier ausschließlich bedarfsplanerische Aspekte im Vordergrund stehen, nicht aber Aspekte der Leistungsbegrenzung. Insofern ist kein Widerspruch zwischen der Genehmigung und einer Quartalsstundenzahl von 390 Stunden zu erkennen. Die Rückrechnung und der Schluss von 390 Quartalsstunden bei 13 Wochen pro Quartal auf 30 Stunden/Woche, dann mit einem Bedarfsplanungsfaktor von 0,75 und der Vergleich mit der Genehmigung mit einem Faktor von 0,5 vermischt unzulässigerweise die Kriterien der Plausibilitätsprüfung mit Aspekten der Bedarfsplanung. Soweit die Beklagte ihre eigene Unterscheidung zwischen einem angestellten vollzeitbeschäftigten Arzt mit 780 Quartalsstunden und einem angestellten halbzeitangestellten Arzt mit 260 Quartalsstunden damit erklärt, dass es bei einer Vollanstellung keine Grenze nach oben gebe, während dies bei einer Teilzeitbeschäftigung mit 10-20 Wochenstunden nicht der Fall sei, erscheint dies als formaler Gesichtspunkt und berücksichtigt nicht die Regelung in § 106a Abs. 2 S.2 SGB V. Im Ergebnis handelt es sich um eine ordnungsgemäße Leistungsabrechnung im Sinne von § 6 der Richtlinien, wenn die Quartalsstundenzahl unterhalb von 390 Stunden bleibt. Was das Zeitprofil betrifft, sind maßgeblich grundsätzlich die im EBM hinterlegten Werte (vergleiche § 8 Abs. 1 der Richtlinie zu § 106a SGB V i. V. m. Anhang 3 zum EBM in der jeweils gültigen Fassung). Zutreffend geht der Prozessbevollmächtigte der Klägerin davon aus, dass eine Plausibilität aufgrund der Erfüllung eines Aufgreifkriteriums nicht automatisch eine Kürzung zur Folge hat. Vielmehr sind nach § 12 Abs. 1 der Richtlinie zu § 106a SGB V weitere Prüfungen erforderlich. Nach § 12 Abs. 3 der Richtlinie zu § 106a SGB V ist zu prüfen, ob sich die Abrechnungsauffälligkeiten zugunsten des Arztes erklären lassen. Die in § 12 Abs. 3 der Richtlinie zu § 106a SGB V enthaltenen Beispiele sind nicht abschließend, wie sich aus dem Wort „insbesondere“ ergibt. Die Beispiele deuten aber darauf hin, dass pauschale Gesichtspunkte nicht zu berücksichtigen sind. Wenn nunmehr die Klägerseite darauf hinweist, das Zeitprofil sei anhand der tatsächlich im EDV-System der Klägerin erfassten Arbeitsstunden pro Quartal zu ermitteln, da bei eingespielten „Profi“-Praxen – zu denen sich die Klägerin rechnet – wegen deren Effektivität die im EBM hinterlegten Werte keine Geltung besäßen, handelt es sich um einen solchen pauschalen Gesichtspunkt, der nicht zu berücksichtigen ist. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass nur in seltenen Fällen auf die im EBM hinterlegten Werte zurückgegriffen werden könnte. Auch sind nach Auffassung des Gerichts die Vertretungsregelungen in § 32 Ärzte-ZV anwendbar. Dort ist die Vertretung als Ausnahme vom Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung geregelt. Innerhalb von Berufsausübungsgemeinschaften (BAG´s) liegt keine Vertretung vor, solange nur ein Mitglied in der Praxis tätig ist (vgl. Schallen, Komment. zur Ärzte-ZV, Rn. 16 zu § 32). Das MVZ ist jedoch nicht mit einer BAG vergleichbar, da die im MVZ tätigen Ärzte keine gemeinsamen vertragsärztlichen Leistungen erbringen (vgl. Schallen, Komment. zur Ärzte-ZV, Rn. 18 Vorbemerkung zu § 18). Die von der Beklagten angeführten Argumente überzeugen. Die BAG verfügt im Gegensatz zu einem MVZ oder dessen Rechtsträger nicht über eine eigene Zulassung, sondern jeder Partner der BAG. Adressat einer Anstellungsgenehmigung ist bei dem MVZ nicht, wie bei der BAG der einzelne anzustellende Arzt, sondern der Rechtsträger des MVZ´s als Inhaber der Zulassung. Schließlich ist noch zu berücksichtigen, dass im Regelfall von einer Vertretung auszugehen ist. Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 VwGO.