Aktenzeichen 10 U 1537/16
EGZPO EGZPO § 26 Nr. 8
ZPO ZPO § 92 Abs. 2 Nr. 1, § 313a Abs. 1 S. 1, § 516 Abs. 3, § 520 Abs. 3, § 531 Abs. 2, § 540 Abs. 2
Leitsatz
1. Bei einem wirtschaftlichen Totalschaden kann der Geschädigte den Ersatz fiktiver Reparaturkosten nur dann verlangen, wenn er das Fahrzeug mindestens sechs Monate nach dem Unfall weiternutzt (Fortführung von BGH NJW 2011, 667 (668)). (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einer einseitigen Erledigungserklärung kommt es darauf an, ob die Klage im Zeitpunkt des nach Klagezustellung eingetretenen erledigenden Ereignis zulässig und begründet war (Fortführung BGH NJW 1986, 588 (589)). (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
17 O 20794/15 2016-02-23 Endurteil LGMUENCHENI LG München I
Tenor
1. Der Kläger ist des eingelegten Rechtsmittels der Berufung insoweit verlustig, als es die Unfallnebenkosten-Pauschale (Differenz in Höhe von 1,00 €) nebst diesbezüglicher Zinsen betrifft.
2. Auf die Berufung des Klägers vom 07.04.2016 wird das Endurteil des LG München I vom 23.02.2016, Az.: 17 O 20794/15, abgeändert und wie folgt neugefasst:
I. Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache hinsichtlich eines Betrages in Höhe von 2.121,31 € erledigt ist.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits (erster Instanz).
3. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
4. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
6. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Von einer Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).
B. I. Nachdem der Kläger die Berufung im oben genannten Umfang zurückgenommen hatte, war noch gem. § 516 III ZPO auszusprechen, dass er des eingelegten Rechtsmittels der Berufung insoweit verlustig ist. Da über den Rechtsstreit insgesamt abschließend entschieden werden konnte und da hinsichtlich der Kosten ohnehin nur einheitlich im Endurteil zu entscheiden ist (vgl. Zöller, ZPO, 31. Aufl., § 516, Rdnr. 22), erschien es sachgerecht, die o.g. Wirkung der Berufungsrücknahme nicht durch Beschluss auszusprechen, wie es § 516 III 2 ZPO eigentlich vorsieht, sondern ebenfalls im Rahmen dieses Urteils.
II. Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache überwiegend Erfolg. Das angefochtene Urteil war im o.g. Rahmen abzuändern und neuzufassen. Es war festzustellen, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache hinsichtlich eines Betrages in Höhe von 2.121,31 € erledigt ist. Denn der in der einseitigen Erledigungserklärung des Klägers liegende Feststellungsantrag ist zulässig und überwiegend begründet; der Beklagte hat der Erledigungserklärung insoweit zu Unrecht widersprochen. Der ursprüngliche Leistungsantrag, soweit er nach erfolgter Rücknahme der Berufung bzgl. der Unfallnebenkosten-Pauschale (Differenz i. H. v. 1,00 €) nebst Zinsen im Berufungsverfahren noch streitgegenständlich war, d. h. auf Zahlung weiterer 2.121,31 € (restliche Reparaturkosten) nebst Zinsen sowie weiterer vorprozessualer Rechtsanwaltskosten in Höhe von 150,06 € nebst Zinsen, war nämlich stets zulässig und darüber hinaus zwar ursprünglich unbegründet, im maßgeblichen Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses jedoch bzgl. der restlichen Reparaturkosten und teilweise auch bzgl. der diesbezüglichen Zinsen begründet. Zudem ist es mit der Zahlung der o.g. Beträge i. H. v. 2.121,31 € und 150,06 € durch den Beklagten auch tatsächlich insoweit zur Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache gekommen. Nur soweit hier kein erledigendes Ereignis vorliegt (keine Zahlung von Zinsen) bzw. soweit der ursprüngliche Leistungsantrag im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses nach wie vor unbegründet war (vorprozessuale Anwaltskosten nebst Zinsen sowie Zinsen aus 2.121,31 € für die Zeit vom 30.10.2015 bis zum 10.03.2016), ist der Feststellungsantrag unbegründet.
Im Einzelnen:
1.) Wie bereits mit Verfügung des Senats vom 28.04.2016 (Bl. 55-57 d. A.) ausgeführt, war der ursprüngliche Leistungsantrag im o.g. Umfang zunächst unbegründet. Denn bei einem wirtschaftlichen Totalschaden (wie hier) kann der Geschädigte den Ersatz fiktiver Reparaturkosten nur dann verlangen, wenn er das Fahrzeug mindestens sechs Monate nach dem Unfall weiternutzt (vgl. z. B. BGH, Urteil vom 23.11.2010, Az.: VI ZR 35/10, juris; Urteil vom 23.05.2006, Az.: VI ZR 192/05, juris). Der streitgegenständliche Unfall fand am 10.09.2015 statt; die Klage wurde hingegen bereits am 18.11.2015 bei Gericht eingereicht; das Ersturteil schließlich beruhte auf der mündlichen Verhandlung vom 23.02.2016; die Sechs-Monats-Frist war zu keinem der beiden Zeitpunkte abgelaufen. Die Klageerhebung war mithin verfrüht erfolgt, während das Ersturteil zum damaligen Zeitpunkt gar nicht anders lauten durfte.
2.) Bei einer einseitigen Erledigungserklärung kommt es für den Ausspruch des Gerichts, dass die Hauptsache erledigt ist, allerdings nicht darauf an, ob die Klage ursprünglich zulässig und begründet war, sondern darauf, ob dies im Zeitpunkt des nach Klagezustellung eingetretenen erledigenden Ereignisses der Fall war (vgl. BGH, Urteil vom 06.12.1984, Az.: VII ZR 64/84, NJW 1986, 588).
3.) Hier änderte sich die Rechtslage mit Ablauf der o.g. sechs Monate, d. h. mit Ablauf des 10.03.2016. Denn der Kläger hat in der Berufungsbegründung (Schriftsatz vom 15.04.2016 = Bl. 51-53 d. A.) vorgetragen, den Wagen nach wie vor zu nutzen. Dieses neue Angriffsmittel hat er auch rechtzeitig i. S. d. §§ 531 II 1 Nr. 3, 520 III 2 Nr. 4 ZPO vorgebracht. Der Beklagte hat diesen neuen Vortrag nicht bestritten. Damit wurde die Klage insoweit, d. h. bzgl. des Betrages in Höhe von 2.121,31 € (nebst Zinsen hieraus für die Zeit ab dem 11.03.2016), begründet. Unbegründet blieb sie nur hinsichtlich des Zinsantrages für die Zeit vor dem 11.03.2016 sowie hinsichtlich der vorprozessualen Rechtsanwaltskosten nebst diesbezüglicher Zinsen (siehe dazu unten 5.)).
4.) Mit der unstreitig am 21.04.2016 erfolgten Zahlung des Beklagten der o.g. 2.121,31 € kam es dann insoweit kraft Erfüllung (§ 362 I BGB) zur Erledigung des Rechtsstreits, indes mangels Zahlung nicht auch bzgl. der Zinsen.
5.) Anders verhält es sich hingegen bzgl. der vorprozessualen Rechtsanwaltskosten (nebst Zinsen): Wie ebenfalls bereits mit der o.g. Verfügung des Senats vom 28.04.2016 sowie ergänzend mit Verfügung des Senats vom 13.05.2016 (Bl. 59 d. A.) ausgeführt, war der ursprüngliche Leistungsantrag bzgl. der weiteren vorprozessualen Rechtsanwaltskosten (150,06 €) nebst Zinsen zu keinem Zeitpunkt begründet, also auch nicht etwa nach Ablauf des o.g. Sechs-Monats-Zeitraums. Denn der Geschädigte kann vom Schädiger die Erstattung vorprozessualer Rechtsanwaltskosten nur insoweit verlangen, als seine Forderung diesem gegenüber objektiv berechtigt ist (vgl. z. B. BGH, Urteil vom 18.01.2005, Az.: VI ZR 73/04, NJW 2005, 1112). Zwar handelt es sich bei diesem Schadensersatzanspruch um keinen Anspruch unter dem Gesichtspunkt des Verzuges. Dies ändert aber nichts daran, dass auch der materiell-rechtliche Kostenerstattungsanspruch voraussetzt, dass die Inanspruchnahme des Rechtsanwalts erforderlich und zweckmäßig war (vgl. z. B. Palandt, BGB, 75. Aufl. 2016, § 249, Rdnr. 57). Zum maßgeblichen, vorprozessualen Zeitpunkt war diese Inanspruchnahme mangels Ablaufs des sechs monatigen Weiternutzungszeitraums noch nicht in Höhe der fiktiven Reparaturkosten zweckmäßig, sondern nur in Höhe dessen, was damals verlangt werden konnte, d. h. in Höhe des Wiederbeschaffungsaufwandes.
III. Die Kostenentscheidungen beruhen jeweils auf §§ 91 I 1, 92 II Nr. 1 ZPO.
1.) Zu den Kosten des Verfahrens erster Instanz:
Gemessen am ursprünglichen Streitwert in Höhe von 10.999,19 € erwies sich die Rechtsverfolgung als ganz überwiegend erfolgreich. So befand sich der Beklagte, soweit er erst nach Klageerhebung während des erstinstanzlichen Verfahrens die Sachverständigenkosten (1.071,88 €) voll, auf die Reparaturkosten 7.780,00 € sowie auf die Unfallnebenkosten-Pauschale 25,00 € gezahlt hatte, im Verzug, wie auch im Ersturteil zutreffend ausgeführt. Darüber hinaus ist aber auch der o.g. Feststellungsantrag, bezogen auf die Hauptsache (d. h. hier noch 2.121,31 €) begründet. Lediglich bzgl. Nebenforderungen (Zinsen und vorprozessuale Rechtsanwaltskosten) ist der Feststellungsantrag unbegründet; lediglich in Höhe von 1,00 € (nebst diesbezüglicher Zinsen) war der Leistungsantrag abzuweisen (diesbezügliche Berufungsrücknahme), d. h. nur verhältnismäßig geringfügig i. S. d. § 92 II Nr. 1 ZPO.
2.) Zu den Kosten des Berufungsverfahrens:
Hier gilt Entsprechendes. Die Berufung erwies sich, gemessen am ursprünglichen Berufungsstreitwert in Höhe von 2.122,31 €, als ganz überwiegend erfolgreich. Lediglich in Höhe von 1,00 € (und hinsichtlich der diesbezüglichen Zinsen, welche aber für den Streitwert keine Rolle spielen), d. h. verhältnismäßig geringfügig i. S. d. § 92 II Nr. 1 ZPO, war die Berufung zurückgenommen worden.
3.) Anzumerken ist, dass die Kostenentscheidungen anders ausgefallen wären, hätte der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers zugestimmt. Dann nämlich hätte es billigem Ermessen i. S. d. § 91a I 1 ZPO entsprochen, es bei der Kostenentscheidung des Erstgerichts bzgl. der Kosten des Rechtsstreits erster Instanz zu belassen und darüber hinaus die Kosten des Berufungsverfahrens dem Kläger aufzuerlegen, weil zulasten des Klägers zu berücksichtigen gewesen wäre, dass er, wie ausgeführt, die Klage verfrüht erhoben hatte, während der Beklagte unverzüglich nach Darlegung der Weiternutzung des Fahrzeugs durch den Kläger über den o.g. Sechs-Monats-Zeitraum hinaus den Anspruch, soweit er nun fällig geworden war, erfüllt hatte.
IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10 S. 1 ZPO, 711, 713 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.
V. Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gemäß § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu, noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.