Aktenzeichen 9 CS 16.1257
TierSchG TierSchG § 2, § 16a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Hs. 1
TierSchHundeV TierSchHundeV § 2
Leitsatz
Die in den Fällen der Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts gemäß § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO erforderliche Begründung erfordert die Angabe besonderer, auf den konkreten Fall bezogener Gründe. Diesen Anforderungen kann die Angabe der zur Begründung des Verwaltungsakts angestellten Erwägungen genügen, wenn sich aus ihnen zugleich die Dringlichkeit der Vollziehung ergibt (hier bejaht für eine auf § 16a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Hs. 1 TierSchG gestützte behördliche Anordnung bei festgestellten tierschutzwidrigen Zuständen, Bestätigung von VGH München BeckRS 2013, 58965 Rn. 11). (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
RN 4 S 16.606 2016-06-02 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg
Tenor
I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur insoweit gegen den für sofort vollziehbar erklärten Bescheid des Landratsamts D. vom 18. März 2016, als dort – neben dem Antragsteller und seinem Bruder J. – auch anderen Personen das Halten und Betreuen der von der gleichzeitig angeordneten Auflösung seines noch bestehenden Tierbestands betroffenen Ziegen und des Hundes Benny auf dem Anwesen …, … untersagt wurde.
Der Antragsteller besitzt ein landwirtschaftliches Anwesen mit Viehhaltung. Die Betreuung der Tiere erfolgt seit mehr als einem Jahr durch seinen Bruder Josef, weil der Antragsteller dazu aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist. Ausweisich eines Aktenvermerks des Landratsamts vom 1. März 2016 waren bei einer Kontrolle der Tierhaltung auf dem Anwesen des Antragstellers massive Missstände festgestellt worden. Unter anderem lag ein Jungrind, das am Futterbarren mit einer mehrere Zentimeter tief in den Nacken eingewachsenen Kette „auf Zug“ befestigt war, im Stall am Boden in Seitenlage, „die Körperachse ebenerdig mit der Kotschicht in den Kot eingebacken“. Die Stand- und Liegefläche von sieben in Anbindehaltung gehaltenen weiblichen Rindern war vollständig mit einer bis zu 40 cm hohen durchweichten matschigen Kotschicht bedeckt. Bei zwei Rindern waren die Befestigungsketten um den Hals mehrere Zentimeter tief in den Nacken eingewachsen. Die entstandenen offenen Wunden eiterten stark und waren kotverschmiert. Ein Jungrind war mit dem Strick so fixiert, dass es das Tränkebecken nicht erreichen konnte. Bei dem ca. 6 Jahre alten mittelgroßen Mischlingsrüden Benny war am linken Hinterbein eine Afterkralle in den Fußballen eingewachsen. Der Hund war in einem Zwinger untergebracht, der zum Teil mit Stroh ausgelegt war, auf dem sich Kothaufen von etwa 2-3 Tagen befanden. Benny konnte nach Angabe des Herrn J. nur dann freien Auslauf haben, wenn er zu Hause war – „wenn dann nur sonntags“. Weiterhin stand den ca. 10 Ziegen, die auf einer Wiese hinter dem Haus gehalten wurden, zum Kontrollzeitpunkt weder Wasser, noch Heu oder Stroh zur Verfügung. Größtenteils waren die Tiere nicht gekennzeichnet.
Aufgrund der vorgefundenen Zustände wurden die Rinder vom Landratsamt unverzüglich weggenommen und der Hofhund Benny in einem Tierheim untergebracht. Die Ziegen wurden vorläufig auf dem Hof belassen, da ihr Zustand nicht zuletzt infolge der zusätzlichen Fütterung durch Dritte noch „akzeptabel“ war. Im Rahmen der Anhörung zum beabsichtigten Erlass eines Tierhalteverbots und eines Betreuungsverbots führte der Antragsteller mit Schreiben vom 7. März 2016 aus, er könne trotz seiner Erkrankung Körperkontakt zum Hund halten und ihm die notwendigen Streicheleinheiten zukommen lassen. Sein Bruder Josef könne Benny in den Morgen- und Abendstunden ausführen. Es könne ein geeignetes Hoftor eingesetzt und Benny ein Auslauf im Freien außerhalb des Zwingers gewährt werden. Er bitte deshalb um die Zusage, Benny wieder heimholen zu dürfen.
Mit Bescheid vom 18. März 2016 untersagte das Landratsamt dem Antragsteller ab sofort das Halten und Betreuen von Tieren jeder Art, ordnete die Auflösung des noch bestehenden Tierbestands bis spätestens 8. April 2016 an und verfügte in Nr. 3 des Bescheids, dass „die Tiere nicht an Herrn H… weitergegeben oder von anderen Personen auf dem Anwesen …, … gehalten oder betreut werden“ dürfen. Die sofortige Vollziehung des Bescheids wurde angeordnet.
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 18. April 2016 hat der Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht erhoben, über die noch nicht entschieden ist.
Soweit die Haltung und Betreuung der Ziegen und des Hundes auf dem Anwesen auch durch andere Personen untersagt wurde, stellte der Antragsteller einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz. Zur Begründung führte er aus, er habe seine landwirtschaftliche Hofstelle mit Ausnahme des Wohngebäudes am 1. April 2016 mit sofortiger Wirkung an seinen in N… wohnhaften Bruder W. verpachtet und an ihn sowohl den Hund Benny, als auch die 12 Ziegen verkauft und übergeben. Sein Bruder Walter könne die Tiere nur auf der gepachteten Hofstelle halten.
Mit Beschluss vom 2. Juni 2016 lehnte das Verwaltungsgericht den Eilantrag ab. Die streitgegenständliche Entscheidung des Landratsamts sei eine Annexentscheidung zum angeordneten Tierhaltungs- und Betreuungsverbot. Hinsichtlich des Hundes Benny sei die Entscheidung erforderlich und verhältnismäßig. Der Hund benötige ausreichend Umgang mit einer festen Betreuungsperson, was nicht gewährleitet werden könne, wenn die Betreuungsperson 30 km entfernt vom Ort der Hundehaltung wohne. Hinsichtlich der Ziegen seien die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage offen. Es bedürfe der Aufklärung, ob es sich bei der Übernahme des Ziegenbestands durch Herrn W. um eine Scheintierhaltung handelt. Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung überwiege das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Anordnung das Interesse des Antragstellers, dass der Vollzug ausgesetzt wird.
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter. Er ist der Ansicht, dass das Wohl der Ziegen und des Hundes bei einer Haltung oder Betreuung auf seinem Anwesen durch eine andere Person nicht gefährdet sei. Sein Bruder Walter habe seit Abschluss des Pachtvertrags erhebliche Verbesserungen in Bezug auf die Ziegenhaltung und zur Vorbereitung der Hundehaltung auf dem Hof herbeigeführt. Es gebe daher für einen Sofortvollzug keinen nachvollziehbar begründeten Anlass mehr. Der Antragsteller beantragt,
unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 2. Juni 2016 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Nr. 3 des Bescheids des Landratsamts D. vom 18. März 2016 insoweit wiederherzustellen, als dort die Haltung und Betreuung der von der angeordneten Bestandsauflösung betroffenen Ziegen und des Hundes Benny auf dem Anwesen …, … untersagt wurde.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Das Verwaltungsgericht habe den Eilantrag des Antragstellers zu Recht abgelehnt, weil die angefochtene Anordnung in Bezug auf den Hund im Hauptsacheverfahren voraussichtlich Bestand haben werde und es hinsichtlich der Ziegen eine zutreffende Interessenabwägung vorgenommen habe.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Akten des Landratsamts verwiesen.
II. Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Die vom Antragsteller innerhalb der gesetzlichen Begründungsfrist dargelegten Gründe, auf die sich die Prüfung beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung oder Aufhebung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses. Zwar stellen sich für den Senat die Erfolgsaussichten der Klage im Hauptsacheverfahren nicht nur bezüglich der Ziegen, sondern auch bezüglich des Hundes Benny als offen dar. Bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage kann insbesondere nicht abschließend beurteilt werden, ob § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 1 TierSchG auch dann als Rechtsgrundlage herangezogen werden kann, wenn das Haltungs- und Betreuungsverbot nicht nur gegenüber dem oder den Adressaten des Bescheids angeordnet wird, sondern auch andere Personen umfasst. Die bei offenen Erfolgsaussichten der Klage im Hauptsacheverfahren vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Suspensivinteresse des Antragstellers führt vorliegend aber zum Überwiegen des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Anordnung. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers somit im Ergebnis zu Recht abgelehnt.
a) Entgegen der Darlegungen des Antragstellers genügt die Begründung des Sofortvollzugs den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Das Landratsamt hat im Bescheid vom 18. März 2016 ausgeführt, ohne sofortige Vollziehung sei das Ziel der Anordnungen, bei den Tieren eine konkrete Gefährdung im Hinblick auf Schmerzen, Leiden oder Schäden möglichst schnell auszuschließen, gefährdet, weil durch die Einlegung eines Rechtsbehelfs Maßnahmen zum Schutz der Tiere auf längere Zeit verhindert wären und dies dem Anspruch der Tiere auf generelle tierschutzgerechte Haltung widerspräche. Damit ist der Forderung, die besonderen, auf den konkreten Fall bezogenen Gründe anzugeben, auch mit Blick darauf, dass die hier zur Begründung des Verwaltungsakts angestellten Erwägungen zugleich für die Dringlichkeit der Vollziehung sprechen, entsprochen (vgl. BayVGH, B. v. 12.11.2013 – 9 CS 13.1946 – juris Rn. 11).
b) Unstrittig wurden im Betrieb des Antragstellers bei einer Kontrolle im Februar 2016 die oben geschilderten unhaltbaren tierschutzrechtlichen Zustände und äußerst schwerwiegenden Verstöße bei der Tierhaltung festgestellt, die zu einer strafrechtlichen Verurteilung des Antragstellers und seines Bruders Josef führten und das Landratsamt veranlassten, ein vom Antragsteller nicht in Frage gestelltes Haltungs- und Betreuungsverbot gegenüber ihm und seinem Bruder Josef zu erlassen. Ein solches Haltungs- und Betreuungsverbot verbietet sowohl die Ausübung der tatsächlichen Bestimmungsmacht über Tiere als auch die rein tatsächliche Übernahme der Aufgabe, für ein Tier zu sorgen oder es zu beaufsichtigen. Hier kann zudem nicht ausgeschlossen werden, dass das Haltungs- und Betreuungsverbot gegenüber dem Antragsteller durch eine Tierhaltung mittels eines „Strohmanns“ auf dem Anwesen des Antragstellers unterlaufen werden soll. Hierfür spricht insbesondere, dass der Antragsteller am 1. April 2016 mit seinem Bruder Walter einen Pachtvertrag für seine landwirtschaftliche Hofstelle zum einen in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem Bescheid des Landratsamts vom 18. März 2016 abgeschlossen hat und zum anderen dieser Bruder in ca. 30 km Entfernung vom Anwesen des Antragstellers wohnt.
Ohne die streitgegenständliche sofortige Vollziehung der angefochtenen Anordnung ist nicht auszuschließen, dass die unverändert auf der Hofstelle bleibenden Tiere unter diesen Umständen ungeachtet des Haltungs- und Betreuungsverbots weiterhin vom Antragsteller und seinem Bruder Josef gehalten und betreut werden, so dass die Gefahr besteht, dass die bestehenden Zustände in Bezug auf die jeweiligen Tiere (hier den Hund und die Ziegen) unverändert fortbestehen. Dies gilt umso mehr, als eine Versorgung der Tiere durch den ca. 30 km entfernt wohnenden Pächter wegen seiner anderweitigen Berufstätigkeit „werktags vor der Arbeit zwischen halb 6 Uhr und 6 Uhr als auch abends“ erfolgen soll. In Bezug auf den Hund Benny ist nicht ersichtlich, wie damit dessen in § 2 TierSchG und § 2 Tierschutz-Hundeverordnung zum Ausdruck kommende essentielle Grundbedürfnisse nach ständigem Zugang zu Frischwasser, nach ausreichend Auslauf im Freien, mehrmals täglicher Möglichkeit zu einem länger dauerndem Umgang mit Betreuungspersonen und nach häufiger Nähe zur Bezugsperson durch den Pächter erfüllt werden sollen. Auch hinsichtlich der Ziegen bestünde die Gefahr einer nicht art- und bedürfnisgerechten Versorgung. Dass seit dem Abschluss des Pachtvertrags vom 1. April 2016 gewisse Verbesserungen in den Haltungsbedingungen eingetreten sein mögen, ändert daran nichts, wie auch den Feststellungen des Landratsamts anlässlich einer am 22. Juli 2016 vorgenommenen Kontrolle entnommen werden kann.
Dem bestehenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung entgegenstehende überwiegende Interessen des Antragstellers lassen sich dem Beschwerdevorbringen nicht entnehmen. Bei dieser Sachlage hat das Interesse des Antragstellers an der Aufhebung der sofortigen Vollziehung von Nr. 3 des Bescheids vom 18. März 2016 zurückzutreten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).