Medizinrecht

Kostenerstattung für Hilfsmittel während einer stationären Behandlung

Aktenzeichen  S 10 KR 71/14

Datum:
30.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BGB BGB § 280 Abs. 1 S. 1, § 389
SGB V SGB V § 39, § 69, § 109 Abs. 4, § 115 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2

 

Leitsatz

Hat eine Krankenkasse auf die Rechnungen wegen Hilfsmittelverordnungen an das Sanitätshaus gezahlt, ist die Rückabwicklung im Wege der Leistungskondiktion auch bei stationärer Behandlung in diesem Verhältnis geltend zu machen. Ein Anspruch gegenüber dem Krankenhaus besteht in der Regel nicht. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 12.838,32 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von vier Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 7. Januar 2014 aus einem Betrag in Höhe von 2.807,51 EUR und ab dem 9. Januar 2014 aus einem Betrag in Höhe von 10.030,81 EUR zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 12.838,32 EUR festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.
Der Vergütungsanspruch der Klägerin in Höhe von 12.838,32 EUR aus unstreitigen Forderungen aus dem Jahr 2009 ergibt sich aus § 109 Abs. 4 Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in Verbindung mit der Pflegesatzvereinbarung. Danach hat die Klägerin Anspruch auf die Vergütung der abgerechneten stationären Krankenhausbehandlung. Der Anspruch ist nicht durch die Aufrechnung der Beklagten gemäß § 69 Satz 4 SGB V in Verbindung mit § 389 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erloschen, da der Beklagten der aufgerechnete Zahlungsanspruch in Höhe von 12.838,32 EUR nicht zustand.
Soweit die Beklagte einerseits geltend macht, die Beklagte hätte den Betrag bereits als „ersparte Aufwendungen“ von den Rechnungen zur stationären Behandlung in Abzug bringen müssen, so dass gegenständlich im Ergebnis fehlerhafte Abrechnungen stationärer Behandlungen seien, fehlt es hierfür bereits an einer Rechtsgrundlage. Der zwischen den Beteiligten vereinbarten Vergütung durch Fallpauschalen liegt stets eine Mischkalkulation zugrunde, die Höhe der Vergütung bestimmt sich aus dem DRG-System, nicht aus der Aufsummierung – oder Weglassung – der konkreten einzelnen Behandlungs- oder Materialkosten. Insbesondere kann die Beklagte ihren geltend gemachten Zahlungsanspruch auch nicht auf einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch stützen; dem stehen die vorrangigen Regelungen der Leistungsbeziehungen zwischen Krankenkasse und Krankenhaus bei Behandlung Versicherter und zwischen Krankenhaus und von ihm einbezogenem Dritten – hier dem Sanitätshaus als Leistungserbringer – entgegen (vgl. Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 12.11.2013, Aktenzeichen B 1 KR 22/12 R). Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch setzt voraus, dass im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht oder sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen vorgenommen worden sind (vgl. BSG, a.a.O., m.w.N.). Insoweit gilt auch für den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch der allgemeine Grundsatz des Vorranges der Leistungskondiktion, das heißt, soweit eine rechtsgrundlose Leistung erfolgt ist, ist vorrangig vom Leistungsempfänger Herausgabe des Erlangten zu verlangen, nicht von einem Dritten wegen dessen Bereicherung in sonstiger Weise (vgl. BSG, a.a.O., m.w.N.). Die Beklagte hat auf die Rechnungen wegen der hier gegenständlichen Hilfsmittelverordnungen an das Sanitätshaus gezahlt, die Rückabwicklung im Wege der Leistungskondiktion wäre daher in diesem Verhältnis geltend zu machen.
Darüber hinaus steht der Aufrechnung mit einem Rückforderungsanspruch wegen fehlerhafter Abrechnungen auch die Regelung in § 12 der insoweit geltenden Pflegesatzvereinbarung für das Jahr 2009 entgegen: Danach können Beanstandungen rechnerischer oder sachlicher Art zwar auch nach Begleichung der Rechnung geltend gemacht werden. Insoweit ist aber weiter geregelt, dass, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass durch das Krankenhaus eine unberechtigte Rechnungslegung erfolgt ist, dieses die ursprüngliche Rechnung storniert, eine neue Rechnung ausstellt und den zu viel erhaltenen Betrag innerhalb von drei Wochen zurückzahlt. Im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung beträgt die Zahlungsfrist des zu viel erhaltenen Betrages drei Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung. Insoweit gilt, dass bei Beanstandungen die Rückforderung nicht schon mit Beanstandung und Fristsetzung fällig wird, sondern, wenn wie hier die Forderung bestritten wird und es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung kommt, erst drei Wochen nach Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung. Für die wirksame Aufrechnung fehlt es daher bereits an der Fälligkeit der Gegenforderung (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 23.09.2014, Aktenzeichen L 5 KR 322/10; Urteil vom 24.11.2015, Aktenzeichen L 5 KR 390/12; Urteil vom 15.09.2015, Aktenzeichen L 5 KR 244/13).
Auch der daneben von der Beklagten geltend gemachte Schadensersatzanspruch besteht nicht. Insoweit greift zwar die besondere Fälligkeitsregelung der Pflegesatzvereinbarung zur Überzeugung des Gerichts nicht, da sich diese nur auf vertragliche Ansprüche hinsichtlich der Rechnungslegung bezieht. Auch schließt das Vertragsrecht Schadensersatzansprüche der Krankenkasse bei schuldhafter Schädigung durch das Krankenhaus nicht grundsätzlich aus (vgl. BSG, a.a.O.). Die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches zum Schadensersatz wegen Pflichtverletzung sind entsprechend anwendbar. Gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Gläubiger, wenn der Schuldner eine Pflicht aus dem Vertragsverhältnis verletzt, Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt jedoch nach Satz 2 der Regelung nur, soweit der Schuldner die Pflichtverletzung zu vertreten hat. Das BSG hat eine schuldhafte Pflichtverletzung bejaht für den Fall, dass die Klinik den Leistungserbringer dazu benutzt, dem Versicherten während stationärer Behandlung pflichtwidrig vertragsärztliche Leistungen zu verschaffen, insbesondere, indem es ihm verschweigt, dass sich der Versicherte in vollstationärer Behandlung befindet. So liegt der Fall hier aber gerade nicht.
Zum einen ergibt sich aus den vorliegenden streitgegenständlichen Verordnungen, dass diese zum großen Teil überhaupt nicht von Ärzten der Kliniken der Klägerin, sondern von anderen Vertragsärzten, namentlich des MVZ O. und des MVZ I. A. GmbH ausgestellt worden sind. Eine vertragliche Pflichten der Klägerin verletzende, dieser zurechenbare schuldhafte Handlung ist insoweit bereits nicht ersichtlich oder nachgewiesen; insbesondere ist nicht ersichtlich, dass es sich bei den Ärzten des MVZ um Erfüllungsgehilfen der Klägerin hinsichtlich ihrer Verbindlichkeiten im gegenständlichen Vertragsverhältnis der Beteiligten handelte. Darüber hinaus wurde sowohl bei den Verordnungen anderer Vertragsärzte als auch bei den Verordnungen, die durch Ärzte der Kliniken der Klägerin ausgestellt worden sind, das Formblatt „Muster 16“ verwendet. Dieses Verordnungsblatt wird gemäß § 7 des Nachtrags Nr. 1 vom 10.02.1997 zum Landesvertrag gemäß § 115 Abs. 1 SGB V zu § 115 Abs. 2 Nr. 2 SGB V „gegenseitige Unterrichtung und Überlassung von Krankenunterlagen“ vom 16.04.1996 von den Krankenkassen gerade zum Zweck der Verordnung von Hilfsmitteln durch den Krankenhausarzt als gesondertes Verordnungsblatt zur Verfügung gestellt. Die Beklagte selbst hat hierzu im Schriftsatz vom 11.11.2014 vorgetragen, dass sie Verordnungen, die mit diesem Formblatt erfolgen, als „stationäre Verordnung“ bezeichne. Ihr war also durchaus bewusst, dass es sich um Verordnungen handelte, die während einer vollstationären Behandlung erfolgt sind.
Zwar weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass ausweislich der Regelung im Landesvertrag mit dem gegenständlichen Musterblatt durch den Krankenhausarzt nur die Verordnung von Hilfsmitteln erfolgen soll, die für die Zeit nach dem Krankenhausaufenthalt bestimmt und damit nicht Bestandteil der allgemeinen Krankenhausleistungen sind. Selbst wenn jedoch die hier verordneten Hilfsmittel auch bereits während des Krankenhausaufenthaltes zur Sicherung des Behandlungserfolgs benötigt worden sein sollten, kann in der Verordnung mit dem Musterblatt 16 keine objektive Pflichtverletzung der Klägerin gesehen werden. Denn eine eindeutige gesetzliche oder vertragliche Regelung dazu, wie die Versorgung mit Hilfsmitteln, die sowohl während als auch nach Beendigung der stationären Behandlung zum Einsatz kommen sollen, abzuwickeln ist, fehlt.
Zutreffend bezieht sich die Regelung im Landesvertrag nach ihrem Wortlaut auf Hilfsmittel, die für die Zeit nach dem Krankenhausaufenthalt bestimmt sind. Die von der Beklagten herangezogene gesetzliche Regelung des § 39 SGB V bezieht sich dagegen nach ihrem Wortlaut nur auf Leistungen, die für die medizinische Versorgung des Versicherten im Krankenhaus notwendig sind. Eine konkrete – vertragliche – Regelung zur Abgrenzung liegt bislang nicht vor. Eine schuldhafte Verletzung von Vertragspflichten kann der Klägerin daher jedenfalls dann nicht vorgeworfen werden, wenn wie hier durch die Hilfsmittelverordnung auf dem entsprechenden Musterblatt die Verordnung während stationärer Behandlung ersichtlich ist und insoweit die tatsächlichen Verhältnisse sowohl gegenüber dem Leistungserbringer als auch gegenüber der Krankenkasse offen gelegt sind.
Ein Rückforderungsanspruch der Beklagten, mit dem eine wirksame Aufrechnung hätte erfolgen können, ist damit nicht nachgewiesen. Der geltend gemachte Zahlungsanspruch der Klägerin ist vollumfänglich begründet. Der Zinsanspruch ergibt sich aus der Budget- und Entgeltvereinbarung der Beteiligten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 197a Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz SGG in Verbindung mit § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG)

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