Aktenzeichen M 25 K 14.5499
Leitsatz
1 Eine analoge Anwendung des § 9 Abs. 2 S. 6 AufenthG iVm § 9 Abs. 2 S. 3 AufenthG auf das Alter ist mangels planwidriger Regelungslücke nicht angezeigt (vgl. uA VGH München BeckRS 2009, 37701). (redaktioneller Leitsatz)
2 Bewilligungsbescheide nach dem SGB II sind als ein Beleg für die bestehende grundsätzliche Erwerbsfähigkeit zu werten (VGH München BeckRS 2015, 49673). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt … … als Prozessbevollmächtigten wird abgelehnt.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt in der Hauptsache, den Beklagten – unter Aufhebung des Bescheides vom 10. November 2014 – zu verpflichten, ihr eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen.
Die Klägerin wurde am … … … in Afghanistan geboren.
Nach eigenen Angaben reiste sie am … November 1996 in das Bundesgebiet ein und beantragte dort Asyl.
Mit Bescheid vom 27. Juli 1998 stellte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge fest, dass der Abschiebung nach Afghanistan ein Hindernis gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG (nunmehr: § 60 Abs. 7 AufenthG) entgegenstand. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Die Klägerin legte der Ausländerbehörde eine ärztliche Bescheinigung vom … April 2003, ausgestellt von Dr. med. G* …, vor (Behördenakte, Bl. 86):
Die Klägerin ist „aufgrund einer chronischen Erkrankung nicht in der Lage, Arbeiten von wirtschaftlichem Wert durchzuführen. Eine geregelte Beschäftigung ist nicht möglich, eine Beschäftigung im Lebensmittelbereich ausgeschlossen. Auch Arbeiten wie Putzen etc. sind ebenfalls ausgeschlossen. Denkbar ist nur eine betreuende Tätigkeit ohne jegliche körperliche Belastung, ohne Zeitdruck, ohne Zurücklegung von Wegen, und mit einer wesentlichen sprachlichen Einschränkung.“
Mit Schriftsatz vom *. Juni 2004 ließ die Klägerin – rechtsanwaltlich vertreten – unter anderem vortragen, dass sie aufgrund ihres Alters auf dem Arbeitsmarkt nicht zu vermitteln sei (Behördenakte, Bl. 95).
Am 24. September 2004 teilte die Landesversicherungsanstalt als zuständiger Rentenversicherungsträger für die Prüfung der Erwerbsunfähigkeit dem Landratsamt Starnberg mit, dass die in § 1 Nr. 2 Grundsicherungsgesetz (GSiG) genannten Voraussetzungen für eine Erwerbsunfähigkeit („volle Erwerbsminderung“) der Klägerin nicht vorlägen (Behördenakte, Bl. 130). Diese Feststellung erfolgte aufgrund einer Untersuchung (Behördenakte, Bl. 131).
Von dem 1. Januar 2005 an erhielt die Klägerin fortlaufend Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzesbuchs zur Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) (vgl. Behördenakte, Bl. 119 sowie Bewilligungsbescheide des Beklagten vom 9. Dezember 2005, Behördenakte, Bl. 143, vom 19. April 2007, Behördenakte, Bl. 152, vom 13. August 2008, Behördenakte, Bl. 167 und vom 22. Februar 2011, Behördenakte, Bl. 229).
Die Klägerin legte der Ausländerbehörde des Landratsamtes Starnberg im Folgenden eine weitere ärztliche Bescheinigung vom … September 2005, ebenfalls von Dr. med. G* …, vor (Behördenakte, Bl. 118):
Die Klägerin „ist wegen einer chronischen Erkrankung, die nicht zu bessern sei, auf Dauer nicht arbeitsfähig. Insbesondere bestehen massive schmerzhafte Bewegungsbehinderungen, die einen Arbeitseinsatz nicht zulassen“.
Seit dem 21. November 2005 verfügte die Klägerin über eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG, die seit dem 10. März 2006 mit einer wohnsitzbeschränkenden Auflage “Wohnsitzaufnahme ist auf den Freistaat Bayern beschränkt“ versehen war.
Mit Schriftsatz vom *. September 2009 beantragte die Klägerin – rechtsanwaltlich vertreten – die Aufhebung der wohnsitzbeschränkenden Auflage anlässlich des geplanten Umzugs in die Stadt O* … unter anderem unter Berufung auf ihre Pflegebedürftigkeit (Behördenakte, Bl. 174). Dazu legte sie eine weitere ärztliche Bescheinigung vom … Mai 2005 ebenfalls von Dr. med. G* …, vor (Behördenakte, Bl. 175):
Die Klägerin „leidet an einer schweren rheumatischen Erkrankung. Hilfeleistende Familienmitglieder sind im näheren Umfeld nicht mehr vorhanden . …“
Mit Schreiben vom 6. November 2009 versagte jedoch die Stadt O* … die erforderliche Zustimmung zu der Aufhebung der wohnsitzbeschränkenden Auflage, mit der Begründung, dass die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen nicht aussagekräftig seien und die Klägerin das geforderte Best-Practice-Gutachten zur Pflegebedürftigkeit nicht vorgelegt habe (Behördenakte, Bl. 196).
Daraufhin lehnte das Landratsamt Starnberg – nach Anhörung der Klägerin – die Aufhebung der wohnsitzbeschränkenden Auflage ab (Behördenakte, Bl. 198). Die Bestandskraft trat am 15. Januar 2010 ein.
Mit Schriftsatz vom … September 2010 wiederholte die Klägerin ihr Begehren auf Aufhebung der beschränkenden Wohnsitzauflage wegen Zuzugs nach O* … (Behördenakte, Bl. 214). Sie legte dazu ein ärztliches Attest vom … Mai 2010, ausgestellt von Dr. S*. M* …, vor (Behördenakte, Bl. 215):
„- Entwurzelungssyndrom
– Undifferenzierte Kollagenose
– chronische Lumboischialgie
– chronisches HWS-, LWS-Syndrom bei degenerativen Veränderungen…
Mischinkontinenz bei Z. n. Hysterektomie
– Polyarthrose
– Fibromyalgie
– Gonarthrose beidseits
Wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes sowie wegen der Sprachprobleme ist die Patientin dringend auf Betreuung angewiesen. …“
Das Landratsamt Starnberg forderte die Klägerin zu der Vorlage einer Reihe von Unterlagen auf, darunter auch ein Best Practice Gutachten sowie die Einstufung in eine Pflegestufe (Behördenakte, Bl. 216). Dies geschah in der Folge nicht.
Am … Dezember 2011 vollendete die Klägerin ihr 65. Lebensjahr.
Am 31. Dezember 2011 endete der Bezug von Leistungen nach dem SGB II (Behördenakte, Bl. 235).
Seit dem 1. Januar 2012 bezieht die Klägerin fortlaufend Leistungen nach dem Zwölften Sozialgesetzbuch Sozialhilfe, hier wegen Alters (SGB XII) (Behördenakte, Bl. 366 ff.; Gerichtsakte, Bl. 34).
Mit Schriftsatz vom … November 2013 legte die Klägerin der Ausländerbehörde des Landratsamtes erneut eine ärztliche Bestätigung vom … November 2013, ebenfalls von Dr. med G* …, vor (Behördenakte, Bl. 259).
Die Klägerin „steht seit 1997 fortlaufend in meiner hausärztlichen Behandlung. Es besteht eine unheilbare chronische Erkrankung aus dem rheumatischen Formenkreis, die seither behandelt wird und die schon bei Beginn der Betreuung die Alltagskompetenz von Frau … so stark einschränkte, dass eine Erwerbstätigkeit nie möglich war, diese Situation war durch keine Maßnahme oder Behandlung zu ändern. Die Folgen der chron. Erkrankung haben sich seither deutlich verschlechtert, dazugetreten sind weitere einschränkende und auch alterstypische Erkrankungen.
Frau … ist sicher weiterhin und auf Dauer erwerbsunfähig.
…
In der jetzigen gesundheitlichen Lage mit massiver Greifbehinderung und Einschränkung der Gehstrecke, zeitweise auf wenige 10 m, mit auch Orthopnoe bei geringer Belastung, körperlicher Schwäche und Sturzgefahr bestehen erhebliche Risiken in der Situation des Alleinelebens für Frau …“
Mit Fax vom … Januar 2014 beantragte die Klägerin – rechtsanwaltlich vertreten -die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis (Behördenakte, Bl. 266).
Mit angegriffenem Bescheid vom 10. November 2014 lehnte das Landratsamt Starnberg – nach Anhörung der Klägerin – den Antrag auf Erteilung der Niederlassungserlaubnis ab (Behördenakte, Bl. 315 ff.). Dazu führte es im Wesentlichen Folgendes aus: Die Klägerin erfülle das Erfordernis eines gesicherten Lebensunterhaltes gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht. Die Klägerin habe seit ihrer Einreise öffentliche Leistungen bezogen. Von dem Erfordernis des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG könne auch nicht ausnahmsweise gemäß § 9 Abs. 2 Satz 6 in Verbindung mit Satz 3 AufenthG abgesehen werden. Voraussetzung hierfür sei, dass der Betroffene wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht in der Lage sei, den Lebensunterhalt zu sichern. Das Attest vom … November 2013 genüge nicht den Anforderungen, um eine tatsächliche dauerhafte Erwerbsunfähigkeit nachzuweisen. Es enthalte keine substantiierten Ausführungen zu dem gesundheitlichen Zustand sowie zu Art und Umfang der Erkrankung. Dies gelte auch für die früheren Atteste. Der Aussage, dass die Klägerin nie erwerbsfähig gewesen sei, stehe entgegen, dass die Klägerin Leistungen nach dem SGB II bezogen habe, welche die Leistungsfähigkeit voraussetzen. Eingeschränkt Erwerbsfähige könnten sich auf § 9 Abs. 2 Satz 6 in Verbindung mit Satz 3 AufenthG berufen, wenn sie sich bemühten und erkennbar anstrengten, die verbliebene Erwerbsfähigkeit zur Erzielung von Einkommen zu nutzen. Seien dahingehende Feststellungen nicht möglich, scheide die Anwendung der Ausnahmeregelung aus, weil dann der Nachweis der Kausalität der Einschränkung für die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts nicht erbracht sei. Ein Rückgriff auf die allgemeine Vorschrift des § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG scheide aus, da § 9 AufenthG insoweit eine abschließende Spezialregelung für die Erteilung der Niederlassungserlaubnis enthalte.
Mit Schriftsatz vom … Dezember 2014 ließ die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten Klage erheben und beantragte,
„1. den Beklagten unter Aufhebung ihres Bescheides vom 10.11.2014 zu verpflichten, der Klägerin eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen;
2. dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.“
Weiterhin beantragte sie,
„3. Der Klägerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt … zu gewähren.“
Dazu führte sie im Wesentlichen Folgendes aus: Der Lebensunterhalt der Klägerin sei zwar nicht durch eigene Erwerbstätigkeit gesichert, die Klägerin sei jedoch mittlerweile 68 Jahre alt und stünde dem Arbeitsmarkt ohnehin nicht mehr zur Verfügung. Sie sei aufgrund ihrer Erkrankung in der Vergangenheit erwerbsunfähig gewesen.
„Beweis:
1. Ärztliche Bescheinigung vom … November 2013
2. Einholung eines amtsärztlichen Gutachtens“
Aus diesem Grund könne nach § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG von der Voraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts abgesehen werden.
Am 2. Februar 2015 wurde die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 AufenthG bis zum 9. Februar 2017 verlängert (Behördenakte, Bl. 339).
Mit Schreiben vom 1. September 2016 erwiderte das Landratsamt Starnberg auf die Klage und führte im Wesentlichen Folgendes aus: Wegen allein altersbedingten Unvermögens, den Lebensunterhalt zu sichern, können nicht von dem Erfordernis des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG für die Erteilung der Niederlassungserlaubnis abgesehen werden. Eine analoge Anwendung von § 9 Abs. 2 Satz 6 in Verbindung mit Satz 3 AufenthG komme nicht in Betracht. Die Klägerin habe im Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2011 (Erreichen des 65. Lebensjahres) ununterbrochen Leistungen nach dem SGB II bezogen. Soweit die Klägerin vortrage, erwerbsunfähig gewesen zu sein, stehe dieser Vortrag im Widerspruch zu dem Bezug der Leistungen nach dem SGB II, da Leistungen nach 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB II lediglich Personen gewährt würden, die erwerbsfähig seien. Erst seit dem 1. Januar 2012 beziehe die Klägerin nach dem Erreichen ihres 65. Lebensjahres Leistungen nach dem SGB XII als Grundsicherung im Alter. Der Leistungsbezug nach dem SGB II habe aus Altergründen geendet.
Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt das Gericht Bezug auf die Gerichts- und Behördenakte.
II.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist zulässig, aber nicht begründet.
1. Prozesskostenhilfe ist gemäß § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) auf Antrag zu gewähren, wenn die Partei nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Die Prüfung der Erfolgsaussichten dient nicht dazu, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern. Die Anforderungen sind daher nicht zu überspannen. Es genügt, wenn die Erfolgsaussichten bei summarischer Überprüfung als offen zu beurteilen sind. Schwierige oder noch nicht geklärte Rechtsfragen können deshalb nicht im Prozesskostenhilfeverfahren einer Klärung zugeführt werden. In tatsächlicher Hinsicht ist maßgeblich, ob eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür sprechen, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen wird (vgl. stRspr. kürzlich: BVerfG, B.v. 28.1.2013 – 1 BvR 274/12 – juris, Rn. 14).
2. Legt man diese Maßstäbe zugrunde, hat die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg. Die Klägerin ist nach den vorgelegten Unterlagen zwar bedürftig, die Erfolgsaussichten der Klage sind jedoch nicht in dem vorgenannten Sinne als offen anzusehen.
Die Klage ist nach summarischer Prüfung jedenfalls unbegründet, da der Bescheid des Beklagten vom 10. November 2014 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzt.
Kernfrage des Rechtsstreits ist die Frage, ob ausnahmsweise von dem Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts abzusehen ist.
a) Gemäß § 26 Abs. 4 AufenthG kann einem Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach dem Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzt, unter den auch die – hier erteilte – Aufenthaltserlaubnis nach § 25 AufenthG fällt, eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden, wenn die in § 9 Abs. 2 Satz 1 AufenthG bezeichneten Voraussetzungen vorliegen, mithin auch das Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist der Lebensunterhalt eines Ausländers gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zählt den Bezug von Leistungen auf, die nicht als Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gelten.
Die Klägerin bezog ab dem 1. Januar 2005 bis zu dem Ende des Jahres 2011, in dem sie ihr 65. Lebensjahr vollendete, Leistungen nach dem SGB II für Arbeitssuchende. Ab dem 1. Januar 2012 bezog sie wegen des Erreichens der Regelaltersgrenze Leistungen über die Grundsicherung im Alter (Gerichtsakte, Bl. 34 sowie Prozesskostenhilfeakte, Bl. 46 ff.). Damit hat sie öffentliche Mittel in Anspruch genommen und beansprucht sie auch weiterhin. Die genannten Leistungen gehören nicht zu den privilegierten Leistungen nach § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG.
b) Nach § 9 Abs. 2 Satz 6 in Verbindung mit Satz 3 AufenthG ist von dem Erfordernis des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG abzusehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht erfüllen kann.
Die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts muss ihre Ursache in einer Krankheit oder einer Behinderung haben. Das Alter ist als Grund nicht aufgeführt. Legt man die Norm nach dem Wortlaut aus, ist das Alter als Grund daher nicht umfasst. Gleiches gilt für die Auslegung nach Sinn und Zweck der Norm. Der Gesetzgeber hatte erkennbar die Intention, eine Zuwanderung in die Sozialsysteme der Bundesrepublik Deutschland zu unterbinden. Er hat lediglich zwei spezielle Ausnahmegründe angeführt. Daher kann von dem Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts nur bei außergewöhnlichen, vom normalen Lebensverlauf abweichenden Umständen, wie den gesetzlich genannten Fällen, abgesehen werden. Es ist indes kein Ausnahmefall, dass es Personen gibt, die wegen des Erreichens der allgemeinen Regelaltersgrenze aus dem Erwerbsleben ausscheiden, deren Lebensunterhalt zuvor über lange Jahre nicht gesichert war und deren erworbene Rentenansprüche aufgrund dessen sehr niedrig beziehungsweise nicht existent sind. Eine analoge Anwendung auf das Alter ist mangels planwidriger Regelungslücke nicht angezeigt (vgl. zu alledem: NdsOVG, B.v. 27.11.2014 – 13 LA 108/14 – juris Rn. 9; OVG Berlin-Bbg, U.v. 15.8.2013 – OVG 7 B 4.13 – juris Rn. 36; BayVGH, B.v. 14.5.2009 – 19 ZB 09.785 – juris Rn. 9; B.v. 29.8.2008 – 19 C 08.1994 – juris Rn. 4; VG München, U.v. 12.5.2011 – M 12 K 10.6244 – juris Rn. 34; VG Ansbach, B.v. 9.9.2008 – AN 19 S. 08.01193, AN 19 K 08.01194 – juris Rn. 25; ebenso die Kommentarliteratur: vgl. Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, AufenthG, 11. Aufl. 2016, § 9, Rn. 38).
c) Nach summarischer Prüfung ist davon auszugehen, dass die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts im vorliegenden Fall auf dem Alter der Klägerin beruht, nicht etwa auf einer Krankheit oder einer Behinderung:
aa) Der Klägerin wurden mit den genannten Bewilligungsbescheiden ab dem 1. Januar 2005 Leistungen für Arbeitssuchende nach dem SGB II bewilligt. Diese Bewilligungsbescheide sind in materieller Bestandskraft erwachsen. Die materielle Bestandskraft und die Tatbestandswirkung eines Verwaltungsakts werden durch den Regelungsgehalt begrenzt, den sich die behördliche Entscheidung nach dem objektiven Empfängerhorizont beimisst. Die materielle Bestandskraft kann nach dem objektiven Empfängerhorizont auch den Rechtsgrund und den Adressaten einschließen. Im vorliegenden Fall hat das Landratsamt in den (tenorlos formulierten) Bewilligungsbescheiden jeweils unmittelbar vor oder nach der Anrede als Gegenstand „Bescheid über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Gesetzbuch“ genannt (Behördenakte, Bl. 143, 152, 167 und 229). Auch wenn man nicht von einer materiellen Bestandskraft ausgehen sollte, so wären die Bewilligungsbescheide nach dem SGB II jedenfalls als ein „Beleg für die bestehende grundsätzliche Erwerbsfähigkeit“ zu werten (vgl. BayVGH, B.v. 15.7.2015 – 10 C 14.796 – juris Rn. 8).
bb) Selbst wenn man die Bewilligungsbescheide nicht als Beleg werten sollte, ergäbe sich nichts anderes. Denn im vorliegenden Fall ist die Klägerin vor dem Erreichen der Regelaltersgrenze zur Überprüfung der Erwerbsfähigkeit untersucht worden. Als Ergebnis wurde ausdrücklich festgestellt, dass die Klägerin nicht dauerhaft erwerbsunfähig war (vgl. Behördenakte, Bl. 130 f.). Gegenstand der Untersuchung war die volle Erwerbsminderung, nicht hingegen eine teilweise Erwerbsminderung. Dies ergibt sich zum einen aus dem Bezug auf § 1 Nr. 2 GSiG, zum anderen aus dem Umstand, dass ein Kästchen für die teilweise Erwerbsminderung fehlt. Die Klägerin ist dem Ergebnis der Untersuchung in der Folge nicht entgegengetreten. Sie hätte dem allerdings entgegentreten können, zumal sie zu diesem Zeitpunkt und auch im Nachhinein anwaltlich vertreten war (vgl. Behördenakte, Bl. 95 und 132: „weiter vertrete“).
cc) Auch die von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen sind nicht dazu angetan, eine Krankheit der Klägerin anzunehmen, welche das Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts entfallen lässt. Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin für das Vorliegen einer solchen Krankheit die materielle Darlegungs- und Beweislast trägt. Um taugliche Darlegungs- und Beweismittel darzustellen, müssen ärztliche Atteste substantiierte Ausführungen enthalten (vgl. VG München, U.v. 12.5.2011 – M 12 K 10.6244 – juris 36). Diese sollten daher die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, umfassen. Ärztliche Atteste sollten sich zudem differenzierend damit auseinandersetzen, ob und inwieweit eine etwaige Erwerbsunfähigkeit auf dem Alter und alterstypischen Einschränkungen beruht (vgl. VG Ansbach, U.v. 16.6.2016 – AN 5 K 15.00399 – juris Rn. 49). Dabei ist zu berücksichtigen, ob es sich bei dem Aussteller um einen Facharzt handelt oder nicht (vgl. VG Ansbach, U.v. 16.6.2016 – AN 5 K 15.00399 – juris Rn. 49).
Die vorgelegten Bescheinigungen und Atteste genügen diesen Anforderungen nicht. Die ärztlichen Bescheinigungen vom … April 2003 und vom … September 2005 lassen die Art der Krankheit völlig im Dunkeln („chronische Erkrankung“). Die ärztliche Bescheinigung vom *. September 2009 benennt die Krankheit lediglich vage und allgemein („schwere rheumatische Erkrankung“). Substantiierte Ausführungen zu den anderen erforderlichen Punkten fehlen. Das ärztliche Attest vom … Mai 2010 enthält zwar eine fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes. Allerdings ist diese selbst nicht durchgehend konkret (z.B.: „Entwurzelungssyndrom“ und „undifferenziert“). Außerdem mangelt es an substantiierten Ausführungen zu der Erhebungsmethode, dem Schweregrad sowie den für diesen Kontext erheblichen Folgen der Krankheit, nämlich für die Frage der dauernden Erwerbsfähigkeit. Das Attest verhält sich allein zu dem beabsichtigen Umzug der Klägerin und der familiären Betreuung in der Stadt O* … Auch die ärztliche Bescheinigung vom … November 2013 genügt den Anforderungen nicht. Zwar werden darin Symptome aufgezählt, allerdings bleibt erstens die Diagnose weiterhin äußerst vage („unheilbare chronische Erkrankung aus dem rheumatischen Formenkreis“), zweitens fehlt es an Ausführungen zu der Erhebungsmethode, drittens wurde die Bescheinigung nahezu zwei Jahre nach dem Erreichen des Regelarbeitsgrenze ausgestellt, viertens handelt es sich bei dem Aussteller, wie sich aus dem Briefkopf ergibt, nicht um einen Facharzt, und fünftens wurde in dem Attest sogar ausdrücklich auf die altersbedingte Qualität der Einschränkungen der Klägerin abgestellt.
dd) Das von der Klägerin unterbreitete Angebot eines amtsärztlichen Gutachtens ist als eine Beweisanregung zu werten. Es handelt sich nicht um einen in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag gemäß § 86 Abs. 2 VwGO, mit der Folge, dass es einer förmlichen Ablehnung nicht bedarf.
In diesem Zusammenhang ist auf Folgendes hinzuweisen: Liegen keine Tatsachen vor, die auf eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit des Betroffenen hindeuten könnten, ist das Verwaltungsgericht im Hauptsacheverfahren nicht verpflichtet, ein Sachverständigengutachten einzuholen, dessen Ergebnis als offen betrachtet werden könnte. Es liegt an dem Betroffenen, der Mitwirkungspflicht nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nachzukommen und die für ihn günstigen Umstände, soweit sie nicht offenkundig oder bekannt sind, unter Angabe nachprüfbarer Umstände geltend zu machen und die erforderlichen Nachweise beizubringen. Weder die Ausländerbehörde noch das Verwaltungsgericht sind verpflichtet, vagen Angaben und pauschalen Aussagen, auch von behandelnden Ärzten, weiter nachzugehen, wenn nicht Anhaltspunkte für das Vorliegen einer für die behauptete Erwerbsunfähigkeit ursächlichen Krankheit oder Behinderung ersichtlich sind (vgl. BayVGH, B.v. 15.7.2015 – 10 C 14.796 – juris Rn. 7).
d) Von dem Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts kann auch nicht durch Rückgriff auf die allgemeine Regelung des § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG abgesehen werden. Der Gesetzgeber hat die durch eine Niederlassungserlaubnis gestärkte Rechtsposition in § 26 Abs. 4 AufenthG von dem in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG genannten Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts abhängig gemacht. Von dieser Voraussetzung kann nach der Gesetzessystematik nur unter den besonderen in § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG normierten – hier nicht vorliegenden – Voraussetzungen abgesehen werden. Ein Rückgriff auf die allgemeine Ausnahmeregelung des § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, wonach ohne Normierung konkreter Voraussetzungen von der Anwendung der Absätze 1 und 2 des § 5 AufenthG und damit auch von dem Erfordernis der Unterhaltssicherung abgesehen werden kann, ist daher nicht möglich. Vielmehr trifft § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG insoweit eine abschließende Regelung und macht die Unterhaltssicherung bei der Niederlassungserlaubnis – anders als im Anwendungsbereich des § 5 AufenthG – mithin nicht zu einer Regelerteilungsvoraussetzung, sondern zu einer zwingenden Erteilungsvoraussetzung (vgl. BVerwG, U. v. 16.11.2010 -1 C 21.09 – juris Rn. 14 i.V.m. Rn. 19 ff.; NdsOVG, B.v. 27.11.2014 – 13 LA 108/14 – juris Rn. 10).
3. Aus genannten Gründen kommt auch die Beiordnung eines Bevollmächtigten nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO nicht in Betracht.
4. Die Entscheidung im (erstinstanzlichen) Verfahren über die Gewährung von Prozesskostenhilfe ergeht, wie sich im Umkehrschluss aus § 166 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO ergibt, ohne Kostengrundentscheidung, mithin kostenfrei. Auslagen werden nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO nicht erstattet.