Baurecht

Straßenausbaubeitrag für ein Hinterliegergrundstück

Aktenzeichen  B 4 K 15.535

Datum:
28.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 2 Abs. 1, Art. 5

 

Leitsatz

1 Gegenstand der beitragsfähigen Ausbaumaßnahme ist, wenn keine Abschnittsbildung beschlossen wurde, die einzelne Ortsstraße. Wo diese beginnt und endet, bestimmt sich nach dem Gesamteindruck. (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei nicht gefangenen Hinterliegergrundstücken ist eine Bewertung der tatsächlichen Inanspruchnahmemöglichkeit der ausgebauten Straße notwendig, um zu klären, ob diesen ein nennenswerter Vorteil durch den Ausbau zuwächst. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Die zulässige Klage ist nicht begründet. Gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind der Bescheid der Beklagten vom 05.04.2013 und der Widerspruchsbescheid des Landratsamtes vom 30.06.2015 nicht aufzuheben, weil die Festsetzung eines Straßenausbaubeitrags in Höhe von 11.714,30 EUR rechtmäßig und die Klägerin dadurch nicht in ihren Rechten verletzt ist.
Gemäß Art. 2 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG kann die Beklagte aufgrund einer besonderen Abgabesatzung zur Deckung des Aufwands für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung ihrer öffentlichen Einrichtungen (Investitionsaufwand) Beiträge von den Grundstückseigentümern und Erbbauberechtigten erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtungen besondere Vorteile bietet. Für die Verbesserung oder Erneuerung von Ortsstraßen und beschränkt-öffentlichen Wegen sollen gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG solche Beiträge erhoben werden, soweit nicht Erschließungsbeiträge nach Art. 5a KAG zu erheben sind.
Demgemäß ergibt sich aus § 7 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 und Abs. 3 in Verbindung mit § 2 der Straßenausbaubeitragssatzung der Beklagten vom 13.01.2010 (ABS), dass der nach § 6 ABS umlagefähige Aufwand für die Verbesserung/Erneuerung einer Ortsstraße auf die Grundstücke zu verteilen ist, die aus der Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtung einen besonderen Vorteil ziehen können.
a) Bei der Bildung des Abrechnungsgebietes ist die Beklagte zu Recht davon ausgegangen, dass die Straße O als die maßgebliche Ortsstraße den Gegenstand der Erneuerung und damit auch den für die Aufwandsverteilung maßgeblichen Raum bildet.
Da die Beklagte weder eine rechtliche Abschnittsbildung noch eine Zusammenfassungsentscheidung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 5 KAG in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Satz 2 ABS beschlossen hat, ist als Gegenstand der beitragsfähigen Ausbaumaßnahme auf die einzelne Ortsstraße als die maßgebliche öffentliche Einrichtung im Sinn von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG abzustellen. Wo eine solche Ortsstraße beginnt und wo sie – auch in der Form des Übergangs in eine andere Ortsstraße – endet, bestimmt sich grundsätzlich nach dem Gesamteindruck, den die jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter vermitteln. Zu fragen ist dabei, inwieweit sich die zu beurteilende Einrichtung als augenfällig eigenständiges Element des örtlichen Straßennetzes darstellt. Deshalb hat sich der ausschlaggebende Gesamteindruck nicht an Straßennamen oder Grundstücksgrenzen, sondern, ausgehend von einer natürlichen Betrachtungsweise, an der Straßenführung, der Straßenlänge, der Straßenbreite und der Ausstattung mit Teileinrichtungen auszurichten. Zugrunde zu legen ist dabei der Zustand im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten, also nach Durchführung der Ausbaumaßnahme (ständige Rechtsprechung; vgl. BayVGH, Urteil vom 01.06.2011 – 6 BV 10.2467, juris Rn. 41).
Gemessen an diesem Maßstab ist – unabhängig von der Namensgebung – die Straße O von ihrer Einmündung in die Straße K im Osten bis zum Beginn der F-Gasse im Westen als maßgebliche Ortsstraße anzusehen. Der vom erkennenden Gericht eingenommene Augenschein an der Straße hat ergeben, dass sich die Straßen O und F-Gasse aufgrund ihrer unterschiedlichen Ausgestaltung – hier überwiegend (bis auf die letzten Meter vor der Einmündung in die Straße K) asphaltierte Fahrbahn mit nur einseitiger Entwässerungsrinne, dort durchgehend gepflasterte Fahrbahn mit beidseitigen Entwässerungsrinnen – jeweils als augenfällig eigenständige Elemente des örtlichen Straßennetzes darstellen.
b) Das von der Beklagten auf dieser Grundlage für den Ausbau der Ortsstraße O gebildete Abrechnungsgebiet erweist sich – zugunsten der Klägerin – als fehlerhaft, weil das nicht gefangene Hinterliegergrundstück Fl.-Nr. H zu Unrecht in die Verteilung des umlagefähigen Aufwands einbezogen wurde. Demgemäß gehört auch das nicht gefangene Hinter-Hinterliegergrundstück Fl.-Nr. Y nicht zum Kreis der beitragspflichtigen Grundstücke.
Nicht gefangene Hinterliegergrundstücke haben nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bei der Aufwandsverteilung grundsätzlich unberücksichtigt zu bleiben, wenn sie aufgrund planungsrechtlicher, sonstiger rechtlicher oder tatsächlicher Umstände eindeutig erkennbar auf die Straße ausgerichtet sind, an die sie angrenzen, wenn es also mit anderen Worten im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten an irgendwelchen Anhaltspunkten fehlt, die den Schluss erlauben, die abzurechnende Straße werde über das Anliegergrundstück vom Hinterliegergrundstück aus ungeachtet dessen direkter Anbindung an seine „eigene“ Straße in nennenswertem Umfang in Anspruch genommen. Als Anhaltspunkt für den Schluss auf eine nennenswerte Inanspruchnahme kommt insbesondere eine tatsächlich angelegte Zufahrt oder ein tatsächlich angelegter Zugang über das Anliegergrundstück in Betracht. Bei nicht gefangenen Hinterliegergrundstücken reicht nämlich ausnahmsweise – anders als bei Anliegergrundstücken – allein der Umstand, dass deren Eigentümer über die Anliegergrundstücke eine hinreichend gesicherte Inanspruchnahmemöglichkeit der ausgebauten Straße haben, nicht für deren Teilnahme an der Verteilung des umlagefähigen Aufwands aus. Vielmehr ist bei diesen Hinterliegergrundstücken zusätzlich eine Bewertung der Inanspruchnahmemöglichkeit geboten, die ausschließlich nach dem Umfang der (wahrscheinlichen) tatsächlichen Inanspruchnahme der ausgebauten Straße zu erfolgen hat. Denn an dem die Beitragserhebung rechtfertigenden Vorteilsausgleich sind Grundstücke nur zu beteiligen, wenn und soweit ihnen durch die Inanspruchnahmemöglichkeit der ausgebauten Straße ein nennenswerter Vorteil zuwächst. Ist die gebotene Inanspruchnahmemöglichkeit für ein Hinterliegergrundstück objektiv wertlos, weil nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist, dass von diesem Grundstück aus die ausgebaute Straße in einem relevanten Umfang in Anspruch genommen werden wird, dann hat dieses Grundstück aus einer gebotenen Inanspruchnahmemöglichkeit keinen Sondervorteil und scheidet deshalb aus dem Kreis der beitragspflichtigen Grundstücke aus (ständige Rechtsprechung; vgl. BayVGH, Beschluss vom 18.05.2016 – 6 ZB 15.2785, juris Rn. 19).
Gemessen an diesem Maßstab bestehen für das nicht gefangene Hinterliegergrundstück Fl.-Nr. H, das an die öffentlichen Fußwege Weg und Wiese angrenzt, keine greifbaren Anhaltspunkte, die darauf schließen lassen, dass die tatsächlich angelegte Zugangsmöglichkeit über das Anliegergrundstück Fl.-Nr. W auf die Straße O in einem relevanten Umfang in Anspruch genommen wird.
Auf dem Areal der Grundstücke Fl.-Nrn. W, X, Y und Z befindet sich eine Behinderteneinrichtung. Das Grundstück Fl.-Nr. Z mit dem Haupt- und Verwaltungstrakt hat seinen Hauptzugang vom Z-Platz. Vom Grundstück Fl.-Nr. Z aus kann das auf den Grundstücken Fl.-Nrn. Z und W stehende, den Weg überbauende Wohnhaus betreten werden. Ferner sind über Brücken, Stege und Treppen das Grundstück Fl.-Nr. H und von dort aus das Grundstück Fl.-Nr. Y erreichbar. Das Grundstück Fl.-Nr. Y, auf dem sich unter anderem ein Parkplatz befindet, hat eine Zufahrt von der Straße K. Die Innenerschließung des Areals ist bewusst so angelegt, dass die Bewohner der Einrichtung das Gelände nicht verlassen müssen, um beispielsweise von dem Wohngruppengebäude auf dem Grundstück Fl.-Nr. H oder von den Sportanlagen auf dem Grundstück Fl.-Nr. Y zum Haupt- und Verwaltungsgebäude auf dem Grundstück Fl.-Nr. Z zu gelangen. Nachdem sich in der Straße O keine Geschäfte oder gastronomischen Angebote, sondern ausschließlich Wohnhäuser befinden, ist auch kein Grund ersichtlich, warum sich Bewohner oder Mitarbeiter der Einrichtung in nennenswertem Umfang von den Grundstücken Fl.-Nrn. H oder Y aus über das Anliegergrundstück Fl.-Nr. W auf die Straße O begeben sollten.
c) Dasselbe gilt für das Grundstück Fl.-Nr. Z, von dem aus die Straße O durch das auf den Grundstücken Fl.-Nrn. Z und W stehende Wohnhaus über den Weg hinweg theoretisch erreichbar ist. Eine Bewertung dieser Inanspruchnahmemöglichkeit nach dem Umfang der (wahrscheinlichen) tatsächlichen Inanspruchnahme ergibt keinen Sondervorteil, weil aus den dargelegten Gründen mit einer Inanspruchnahme der Straße O vom Grundstück Fl.-Nr. Z aus über das Anliegergrundstück Fl.-Nr. W in nennenswertem Umfang nicht zu rechnen ist.
d) Bei dieser Sach- und Rechtslage kommt es nicht entscheidungserheblich darauf an, ob das unbebaute Anliegergrundstück Fl.-Nr. X mit einer Grundstücksfläche von rund 2.390 qm in die Aufwandsverteilung hätte einbezogen werden müssen. Da keinesfalls ein höherer Nutzungsfaktor (§ 7 Abs. 3 ABS) als bei dem mit einem mehrgeschossigen Gebäude bebauten Grundstück Fl.-Nr. H mit einer Grundstücksfläche von rund 3.100 qm anzusetzen ist, hätte bei einer Vergleichsberechnung die Berücksichtigung des Grundstücks Fl.-Nr. X durch den Wegfall des Grundstücks Fl.-Nr. H keine Verringerung des streitgegenständlichen Beitrages zur Folge.
2. Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens trägt, abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 ZPO.

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