Verwaltungsrecht

Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis als eheunabhängiges Aufenthaltsrecht – Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung

Aktenzeichen  10 ZB 16.1296

Datum:
21.9.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 53464
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
AufenthG § 31 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4, § 81 Abs. 4

 

Leitsatz

Ist ein Urteil auf mehrere selbstständig tragende Begründungsteile gestützt, so muss vom Rechtsmittelführer für jeden dieser Begründungsteile ein Berufungszulassungsgrund dargelegt werden und auch vorliegen.  (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

10 K 15.187 2016-01-14 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000,– Euro festgesetzt.

Gründe

Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgen die Kläger ihre in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 16. Dezember 2014 und auf dessen Verpflichtung, ihnen Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen, weiter. Mit dem streitgegenständlichen Bescheid waren die Anträge der Kläger auf Erteilung bzw. Verlängerung ihrer jeweiligen Aufenthaltserlaubnis abgelehnt worden.
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils, die die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO rechtfertigen könnten, lägen nur vor, wenn die Kläger einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hätten (vgl. BVerfG, B. v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11). Ist das Urteil wie hier auf mehrere selbstständig tragende Begründungsteile gestützt, so muss vom Rechtsmittelführer für jeden dieser Begründungsteile ein Berufungszulassungsgrund dargelegt werden und auch vorliegen (Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 124a Rn. 7, § 124 Rn. 5; vgl. z. B. BayVGH, B. v. 29.7.2014 – 10 ZB 12.2448 – juris Rn. 9 m.w.N). Diese Voraussetzungen erfüllt das Zulassungsvorbringen der Kläger jedoch nicht.
Das Verwaltungsgericht hat in den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils ausführlich dargelegt, dass die Klägerin zu 1 keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG habe, weil ihr unmittelbar nach Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft im April 2014 bzw. nach Erlöschen der ihr ursprünglich erteilten Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug am 29. Januar 2014 kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 und 2 AufenthG zugestanden habe. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG setze zunächst voraus, dass die ursprünglich zum Zwecke des Ehegattennachzugs erteilte Aufenthaltserlaubnis noch bestehe. Ein Verlängerungsanspruch nach dem Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis sei grundsätzlich ausgeschlossen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 81 Abs. 4 AufenthG. Nach § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG könne die Ausländerbehörde trotz verspäteter Antragstellung zur Vermeidung einer unbilligen Härte die Fortgeltungswirkung anordnen. Dies sei jedoch nicht erfolgt. Auch habe keine unbillige Härte vorgelegen, weil die Frist zur Antragstellung nicht nur geringfügig, sondern um drei Monate überschritten worden sei. Selbst wenn man die Fristüberschreitung noch als geringfügig ansähe und der Klägerin zu 1 nur Fahrlässigkeit unterstellen wolle, so stehe ihr kein Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 1 oder 2 AufenthG zu, das gemäß § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG verlängert werden könne. Die eheliche Lebensgemeinschaft habe unstreitig nicht drei Jahre bestanden. Eine besondere Härte i. S. d. § 31 Abs. 2 AufenthG liege nicht vor. Neben den gewachsenen Bindungen und Integrationsleistungen im Bundesgebiet sei zu berücksichtigen, ob dem Ehegatten außerhalb des Bundesgebiets wegen der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erhebliche Nachteile drohten. Nicht ausreichend seien dagegen Nachteile, die sich aus den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Heimatlandes ergäben. Der Vortrag, dass der Klägerin bei der Rückkehr in den Kosovo kein Wohnraum mehr zur Verfügung stehe, da sie vorher bei den Schwiegerelten gewohnt habe, wohin sie nicht mehr zurückkehren könne, stelle keine besondere Härte dar. Ihr sei zuzumuten, sich mit den Kindern eine neue Wohnung zu suchen. Sie habe fast ihr ganzes Leben im Kosovo verbracht und kenne die dortigen Gegebenheiten. Sie sei zu einer eigenständigen Lebensführung mit ihren Kindern fähig. Eine Unzumutbarkeit i. S. d. § 31 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz AufenthG wegen häuslicher Gewalt in der Ehe könne nicht vorliegen, weil die Trennung auf Initiative des Ehemannes erfolgt sei.
Diesbezüglich bringt die Klägerin zu 1 im Zulassungsverfahren zunächst vor, dass sie vom Ablauf der ihr erteilten Aufenthaltserlaubnis am 29. Januar 2014 keine Kenntnis gehabt habe, weil ihr Ehemann die Pässe verwahrt habe und ihr verboten habe, sich in Behördenangelegenheiten einzumischen. Da sie in der ersten Zeit nach der Einreise auch der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig gewesen sei, habe sie insoweit ihrem Ehemann vertrauen müssen.
Mit diesem Vorbringen wird jedoch die Feststellung des Verwaltungsgerichts, der ihr erteilte Aufenthaltstitel sei am 29. Januar 2014 erloschen und die Ausländerbehörde habe nach der verspäteten Stellung des Verlängerungsantrages nicht gemäß § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG die Fortgeltungswirkung angeordnet, nicht in Zweifel gezogen.
Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Antrag auf Verlängerung der der Klägerin zu 1 erteilten Aufenthaltserlaubnis, der nach Vortrag der Klägerin von ihr im Rahmen einer Vorsprache am 28. April 2014 gestellt worden ist, keine Fiktionswirkung ausgelöst hat, weil eine positive Entscheidung der Ausländerbehörde nach § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG nicht ergangen ist. Offensichtlich ging die Ausländerbehörde nicht davon aus, dass die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nicht nur mangels Verschuldens oder aufgrund leichter Fahrlässigkeit verspätet beantragt worden ist (vgl. hierzu Funke-Kaiser in: Gemeinschaftskommentar AufenthG, Stand: April 2016, § 81 Rn. 106). Vielmehr hat sie gegen die Klägerin zu 1 eine Anzeige wegen illegalen Aufenthalts im Bundesgebiet erstattet.
Weiterhin hat das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen, dass auch kein Anspruch auf Anordnung der Fortgeltungswirkung bestanden habe. Eine unbillige Härte i. S. d. § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG liegt nur vor, wenn die Frist zur Antragstellung nur geringfügig und lediglich infolge Fahrlässigkeit überschritten worden ist. Dazu hat der Ausländer Tatsachen vorzutragen und glaubhaft zu machen, die belegen, warum eine rechtzeitige Antragstellung nicht möglich war oder die Fristüberschreitung lediglich auf Fahrlässigkeit beruhte (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 8.4.2016 – OVG 11 S 10.16 – juris Rn. 5 m. w. N.). Die dreimonatige Fristüberschreitung bis zur Antragstellung nach Ablauf der Aufenthaltserlaubnis ist nicht kurzfristig. Auch lag seitens der Klägerin zu 1 keine Fahrlässigkeit vor. Ihr war bewusst, dass sie nur eine befristete Aufenthaltserlaubnis besaß, die im Januar 2013 ausgestellt worden war. Sie hätte sich daher vorsorglich beim Landratsamt erkundigen können, wann die ihr erteilte Aufenthaltserlaubnis ablaufen würde, ohne ihren Ehemann um die Herausgabe der Pässe zu bitten. Bei der Vernehmung am 6. Juni 2014 bezüglich des illegalen Aufenthalts kam die Polizeiinspektion zu dem Ergebnis, die Klägerin zu 1 habe gewusst, dass der Aufenthaltstitel ungefähr im Jahr 2013 ausgestellt worden sei und nur bis Januar 2014 gültig gewesen sei. Sie hätte sich also mit dem Ausländeramt in Verbindung setzen können.
Da die Klägerin zu 1 bereits die tragende Begründung des Verwaltungsgerichts, der Anspruch nach § 31 Abs. 1 und 2 AufenthG scheitere daran, dass sie bei der Antragstellung nicht mehr im Besitz der erforderlichen Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug gewesen sei und der verspätete Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis keine Fortgeltungsfiktion ausgelöst habe, nicht ernsthaft in Zweifel gezogen hat, kommt es somit nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, ob ihr ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 2 Satz 1 und 2 AufenthG wegen einer „besonderen Härte“ zugestanden hätte. Aber auch insoweit begründet ihr Vorbringen im Zulassungsantrag keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Nach § 31 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz 1. Alt. AufenthG liegt eine besondere Härte vor, wenn dem Ehegatten wegen der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft in Zusammenhang mit der bestehenden Rückkehrverpflichtung eine erhebliche Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange droht. Mit dieser Regelung soll Härten begegnet werden, die daraus folgen, dass Ausländern aus bestimmten Herkunftsstaaten bei der Rückkehr gerade wegen der Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft besondere Nachteile entstehen. Sollte die Klägerin zu 1 bei der Rückkehr in ihr Heimatland tatsächlich Probleme bei der Arbeits- oder Wohnungssuche haben, so handelt es sich hierbei um keine besondere Benachteiligung, die aus der Auflösung der Ehe resultiert. Das Problem, bei einer Rückkehr in das Heimatland nach längerer Abwesenheit wirtschaftlich wieder Fuß fassen zu müssen, trifft die Klägerin in gleicher Weise wie jeden anderen Rückkehrer (BayVGH, B. v. 3.11.2014 – 10 ZB 14.1769 – juris Rn. 6). Insbesondere ist nicht substantiiert dargelegt, dass die Klägerin zu 1 als alleinerziehende Mutter im Kosovo einer gravierenden gesellschaftlichen Diskriminierung oder gar Bedrohung ausgesetzt ist. Das Gericht ist entgegen dem Zulassungsvorbringen nicht davon ausgegangen, dass die Klägerin zu 1 auf eine Großfamilie zurückgreifen könne. Es hat lediglich ausgeführt, dass sie zumindest in der Anfangszeit die Hilfe ihrer Großfamilie in Anspruch nehmen könne. In Anbetracht der kurzen Zeit, die die Klägerin zu 1 bislang im Bundesgebiet verbracht hat, ist auch bezüglich der Beeinträchtigung ihrer persönlichen Beziehungen durch eine Rückkehr in ihr Heimatland nicht von einer besonderen Härte auszugehen. Sie ist im Bundesgebiet weder beruflich noch sprachlich gut integriert.
Soweit das Verwaltungsgericht darauf verweist, dass auch kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz 2. Alt. AufenthG bestehe, weil der Klägerin zu 1 das weitere Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft wegen der Beeinträchtigung ihrer schutzwürdigen Belange nicht unzumutbar gewesen sei, geht es zutreffend davon aus, dass die Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft seitens des Ehemanns erfolgte. Will der stammberechtigte Ehegatte die Ehe nicht mehr fortsetzen, so liegt darin jedenfalls ein Indiz, dass dem Ausländer, hier der Klägerin zu 1, das Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht unzumutbar ist (vgl. BayVGH, B. v. 23.7.2015 – 10 ZB 15.1026 – juris Rn. 7 m. w. N.). Der angezeigte körperliche Übergriff ihres Ehemannes, der zum Beschluss vom 26. Juni 2014 führte, erfolgte erst nach Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft Anfang April 2014 und kann daher keine besondere Härte i. S. d. § 31 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz AufenthG begründen. Soweit die Klägerin zu 1 auf einen Vorfall aus dem Jahr 2012 Bezug nimmt, den sie bei der Polizei angezeigt hatte, hat das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt, dass sie damals bereits nach einem Tag im Frauenhaus wieder zu ihrem Ehemann zurückgekehrt und eine Aussage vor der Polizei nicht erfolgt ist. Trotz dieses Vorfalls hat die Klägerin zu 1 fast weitere zwei Jahre mit ihrem Ehemann zusammengelebt. Dies spricht gegen die Unzumutbarkeit der Aufrechterhaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft.
Das Zulassungsvorbringen im Schriftsatz vom 25. August 2016, das sich auf den Umgang des Ehemannes mit den Klägern zu 2 und 3 bezieht, erfolgte nach Ablauf der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO für die Darlegung der Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, und kann daher nicht berücksichtigt werden. Die Zulassungsgründe können nach Ablauf der Darlegungsfrist nur noch insoweit ergänzt werden, als der konkret zu ergänzende Zulassungsgrund in offener Frist bereits den Mindestanforderungen entsprechend dargelegt ist. Eine Ergänzung der Zulassungsgründe liegt aber dann nicht vor, wenn ein neuer, bislang noch nicht dargelegter Zulassungsgrund im Sinne des § 124 Abs. 2 VwGO nach Ablauf der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 3 und 4 VwGO vorgebracht wird oder innerhalb eines Zulassungsgrundes neue selbstständige Gründe angeführt werden (BayVGH, B. v. 14.1.2013 – 10 ZB 12.2102 – juris Rn. 14 m. w. N.). Der Schriftsatz vom 25. August 2016 stellt nicht lediglich eine Ergänzung oder Erläuterung zum Zulassungsvorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags vom 12. Juli 2016 dar, da er einen etwaigen Anspruch der Kläger zu 2 und zu 3 auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und ein daraus abgeleitetes Aufenthaltsrecht der Klägerin zu 1 betrifft, während die fristgerechten Darlegungen zum Zulassungsantrag des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zum eigenständigen Aufenthaltsrecht der Klägerin zu 1 erfolgt sind.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2, § 39 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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