Kosten- und Gebührenrecht

Vollstreckungserinnerung eines im Vollstreckungstitel nicht genannten Dritten gegen eine Räumungsvollstreckung

Aktenzeichen  14 T 14988/16

Datum:
20.9.2016
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB BGB § 242
ZPO ZPO § 750 Abs. 1 S. 1, § 766

 

Leitsatz

Das Verbot rechtsmissbräuchlichen Verhaltens gilt auch im Zwangsvollstreckungsverfahren; es kann eingreifen, wenn der Besitz für den Schuldner und den im Vollstreckungstitel nicht genannten Dritten durch dieselbe natürliche Person ausgeübt wird und diese Besitzlage erkennbar rechtsmissbräuchlich zur Vollstreckungsvereitelung eingesetzt wird. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

1507 M 8034/16 2016-08-12 Bes AGMUENCHEN AG München

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der sonstigen Beteiligten gegen den Beschluss des Amtsgerichts München vom 12.08.2016, Az. 1507 M 8034/16, wird zurückgewiesen.
2. Die sonstige Beteiligte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Parteien streiten in der Beschwerdeinstanz um die Vollstreckung eines auf Räumung einer Gewerbeeinheit gerichteten, rechtskräftigen Versäumnisurteiles.
Die BK. GmbH (im Folgenden Schuldnerin) mietete von der B. GmbH (im Folgenden Gläubigerin) die streitgegenständlichen Geschäftsräume im Mietbereich 3 im 3. OG des Anwesens B. in O. an. Mit rechtskräftigem Versäumnisurteil des Landgerichts München I vom 18.9.2015, Aktenzeichen 12 O 9032/15, wurde die Schuldnerin zur Räumung der streitgegenständlichen Räume verurteilt.
Mit Schriftsatz vom 1.6.2016 erhob die L. GmbH & Co. KG (im Folgenden sonstige Beteiligte) Vollstreckungserinnerung und beantragte, die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil einzustellen. Neben der Schuldnerin hätten zahlreiche andere Gesellschaften aus der Sphäre des Geschäftsführers der Schuldnerin, Herrn L., ihren Sitz und ihre Büros in den streitgegenständlichen Räumen. So habe auch die sonstige Beteiligte seit ihrer Eintragung in das Handelsregister am 10.8.2015 ihren Sitz in den streitgegenständlichen Räumen. Mit der Schuldnerin bestehe ein Untermietverhältnis. Da gegen die sonstige Beteiligte ein Vollstreckungstitel nicht vorliege, sei die Zwangsvollstreckung insoweit einzustellen. Zur Glaubhaftmachung legte die sonstige Beteiligte eine eidesstattliche Versicherung ihres Geschäftsführers vor, der zugleich Geschäftsführer ihrer Komplementärin, der J. GmbH, sowie der Schuldnerin ist.
Ein zwischenzeitlich anberaumter Räumungstermin wurde vom Gerichtsvollzieher mit Blick auf die anhängigen zwangsvollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfe abgesetzt.
Die Gläubigerin trat der Erinnerung entgegen. Die sonstige Beteiligte habe an den streitgegenständlichen Räumen keinen Besitz, ein Untermietvertrag sei nicht vorgelegt, auch auf dem Klingelschild sei die sonstige Beteiligte nicht ausgewiesen. Der Verfahrensbevollmächtigte und Kommanditist der sonstigen Beteiligten habe auf eine Räumungsaufforderung der Gläubigerin mit Schreiben vom 6.4.2016 erklärt, dass über die Schuldnerin hinaus keine weiteren Gesellschaften mehr in den Räumlichkeiten ansässig sind oder diese benutzen. Ohnehin könne die sonstige Beteiligte als Kommanditgesellschaft selbst keinen Besitz ausüben, vielmehr werde der Besitz durch ihre Komplementärin bzw. deren Geschäftsführer ausgeübt.
Mit Beschluss vom 12.8.2016 wies das Amtsgericht München – Vollstreckungsgericht – die Erinnerung zurück. Das Gericht sei vom Besitz der sonstigen Beteiligten an den streitgegenständlichen Räumen nicht überzeugt. Die sonstige Beteiligte setze sich mit ihrem prozessualen Vortrag in Widerspruch zur vorprozessualen Erklärung ihres Verfahrensbevollmächtigten. Vor diesem Hintergrund seien die eidesstattlichen Versicherungen zur Glaubhaftmachung nicht ausreichend, zumal diesen lediglich ein geringer Beweiswert zukomme.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die sofortige Beschwerde der sonstigen Beteiligten. Das Amtsgericht habe die Glaubhaftmachungen nicht hinreichend gewürdigt und insbesondere die eidesstattliche Versicherung des Verfahrensbevollmächtigten der sonstigen Beteiligten gänzlich übergangen. Die vorprozessuale Erklärung habe sich nur auf die Entfernung von Geschäftsunterlagen aus den streitgegenständlichen Räumen bezogen. Dessen ungeachtet ändere eine möglicherweise unzutreffende Erklärung nichts an der Tatsache, dass die Komplementärin weiterhin für die sonstige Beteiligte Besitz an den streitgegenständlichen Räumen ausübe. Rechtsfehlerhaft habe das Amtsgericht der eidesstattlichen Versicherung einen geringeren Beweiswert beigemessen, als der vorprozessualen Erklärung, zumal letztere auf einem Rechtsirrtum sowie einer unpräzisen Formulierung beruhe. In einem Parallelverfahren gehe die Gläubigerin zudem offenbar selbst von einer Besitzstellung der sonstigen Beteiligten aus, da sie – erfolglos – den Erlass einer einstweiligen Verfügung, gerichtet auf Räumung der streitgegenständlichen Räume, beantragte. Aktuell sei die sonstige Beteiligte sowohl auf dem Klingelschild, als auch auf dem Briefkasten vermerkt, auch sämtliche Geschäftsunterlagen der sonstigen Beteiligten befänden sich in den Räumen.
Mit Beschluss vom 6.9.2016 half das Amtsgericht der sofortigen Beschwerde nicht ab und legte die Beschwerde dem Landgericht München I zur Entscheidung vor.
II.
Die nach den §§ 793, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
Das Amtsgericht hat die Erinnerung der sonstigen Beteiligten zu Recht zurückgewiesen.
Die Erinnerung nach § 766 ZPO ist begründet, wenn das Vollstreckungsverfahren an einem Verfahrensfehler leidet.
Nach § 750 Abs. 1 S. 1 ZPO darf die Zwangsvollstreckung nur gegen Personen betrieben werden, die in dem Vollstreckungstitel namentlich bezeichnet sind. Die Vollstreckung gegen einen in dem Vollstreckungstitel nicht benannten Dritten ist nur zulässig, wenn dieser keinen Besitz an den Räumen hat (Schmidt-Futterer/Lehmann-Richter, 12. Aufl. 2015, § 885 ZPO Rn. 24).
Vorliegend bleibt der Einwand der sonstigen Beteiligten ohne Erfolg, ihr Besitz an den streitgegenständlichen Räumen stehe einer Zwangsvollstreckung nach § 766 i. V. m. § 750 Abs. 1 S. 1 ZPO entgegen.
1. Soweit sich die sonstige Beteiligte gegen die Beweiswürdigung des Amtsgerichts wendet und sich auf die vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen beruft, kommt diesen Versicherungen im Erinnerungsverfahren nach § 766 ZPO kein eigenständiger Beweiswert zu; es handelt sich um bloßen Parteivortrag. Im Verfahren nach § 766 ZPO gilt der Strengbeweis, die eidesstattliche Versicherung ist kein zulässiges Beweismittel (Zöller/Stöber, 31. Aufl. 2016, § 766 Rn. 27).
2. Dessen ungeachtet kann die sonstige Beteiligte ihren etwaigen (Mit-) Besitz an den streitgegenständlichen Räumen bereits aus Rechtsgründen nicht im Erinnerungsverfahren geltend machen. Dieser Einwand ist ihr nach dem Grundsatz von Treu und Glauben verwehrt.
Das Verbot rechtsmissbräuchlichen Verhaltens gilt auch im Zwangsvollstreckungsverfahren. Zwar hat der BGH entschieden, dass eine im Räumungstitel nicht benannte natürliche Person als Untermieter auch bei Anhaltspunkten für rechtsmissbräuchliches Verhalten nicht geräumt werden kann. Der Einwand rechtsmissbräuchlichen Verhaltens gem. § 242 BGB sei in dieser Konstellation nicht anwendbar. Der Untermieter berufe sich nicht nur auf eine formale Rechtsposition, vielmehr sei sicherzustellen, dass staatlicher Zwang nur gegen Personen ausgeübt werde, gegen die ein entsprechender Titel vorliegt (BGH NJW 2008, 3287).
Hier liegt es jedoch anders. Der Einwand rechtsmissbräuchlichen Verhaltens kann nach Auffassung der Kammer dann Bedeutung erlangen, wenn der Besitz für den Schuldner und den im Vollstreckungstitel nicht genannten Dritten durch die gleiche natürliche Person ausgeübt wird und diese Besitzlage erkennbar rechtsmissbräuchlich zur Vollstreckungsvereitelung eingesetzt wird.
Denn in dieser Konstellation richtet sich die Zwangsvollstreckung bei wertender Betrachtung nicht gegen einen am Erkenntnisverfahren unbeteiligten und damit ungeachtet der materiellrechtlichen Bewertung seines Besitzrechts schutzwürdigen Dritten, sondern gegen eine zur Vollstreckungsvereitelung vorgeschobene, vom Vollstreckungsschuldner beherrschte juristische Person.
So liegt es hier:
a. Die Schuldnerin, die sonstige Beteiligte und deren Komplementärin J. GmbH werden von Herrn L. als Geschäftsführer kontrolliert; nach dem eigenen Vortrag der sonstigen Beteiligten stammen alle 19 ursprünglich am Briefkasten der streitgegenständlichen Räume ausgewiesenen Firmen aus der „Sphäre“ des Herrn L. Herr L. übte – so der Vortrag der sonstigen Beteiligten – zunächst für die Schuldnerin und die sonstige Beteiligte, zuletzt nur noch für die sonstige Beteiligte den Besitz an den streitgegenständlichen Räumen aus.
b. Diese Besitzlage nutzten die Schuldnerin sowie die sonstige Beteiligte erkennbar rechtsmissbräuchlich aus, um die Zwangsvollstreckung zu vereiteln:
Die sonstige Beteiligte wurde am 10.8.2015 und damit im laufenden Räumungsprozess gegen die Schuldnerin, einen Monat vor Erlass des in Rechtskraft erwachsenen Versäumnisurteils, ins Handelsregister eingetragen. Ausweislich der Anlage AG 4 wies der Briefkasten der streitgegenständlichen Räume am 5.11.2015 neben Herrn L. persönlich 19 Gesellschaften aus dessen Einflussbereich auf, nicht aber die sonstige Beteiligte.
Auf ein an den Angaben am Briefkasten orientiertes Auskunftsersuchen der Gläubigerin teilte der Verfahrensbevollmächtigte und Kommanditist der sonstigen Beteiligten mit Schreiben vom 6.4.2016 mit, dass über die Schuldnerin hinaus „keine weiteren Nutzer mehr in den Räumen ansässig sind oder diese benutzen“.
Nachdem der zuständige Gerichtsvollzieher daraufhin einen Räumungstermin angesetzt hatte, wandte der Verfahrensbevollmächtigte der sonstigen Beteiligten ein, die sonstige Beteiligte habe seit ihrer Gründung ihren Sitz in den streitgegenständlichen Räumen, die Zwangsvollstreckung sei insofern als unzulässig einzustellen. Im Beschwerdeverfahren legt die sonstige Beteiligte nunmehr Lichtbilder vor, wonach sowohl auf dem Briefkasten als auch am Klingeltableau – ausschließlich – die sonstige Beteiligte ausgewiesen ist.
In Würdigung dieser Abläufe wurde die sonstige Beteiligte von ihrer Gründung über die bewusst irreführende Auskunft gegenüber der Gläubigerin bis zur „Umwidmung“ von Briefkasten und Klingel erkennbar rechtsmissbräuchlich für die Vereitelung der bevorstehenden Zwangsvollstreckung instrumentalisiert. Insbesondere handelt es sich bei der Erklärung vom 6.4.2016 entgegen der nachträglichen Deutung des Verfahrensbevollmächtigten der sonstigen Beteiligten ersichtlich nicht um ein von sprachlicher Ungenauigkeit geprägtes oder durch einen Rechtsirrtum bedingtes Versehen. Mit seinem Wortlaut bringt der Verfahrensbevollmächtigte der sonstigen Beteiligten vielmehr unmissverständlich und präzise zum Ausdruck, dass keine weiteren Gesellschaften in den streitgegenständlichen Räumen – rechtlich – ihren Sitz haben oder diese – rein tatsächlich – nutzen.
Die vom Geschäftsführer der Schuldnerin kontrollierte sonstige Beteiligte ist vor diesem Hintergrund nicht schutzwürdig. Ihrem – behaupteten – Besitzrecht steht der Einwand rechtsmissbräuchlichen Verhaltens entgegen. Das Amtsgericht hat die Erinnerung daher zu Recht zurückgewiesen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen. Weder hat die Sache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts, § 574 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 ZPO.

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