Aktenzeichen 21 C 16.481
VwGO VwGO § 87 Abs. 1 Nr. 6, § 98
Leitsatz
1 Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Ablehnungsantrags gegen einen Sachverständigen ist, dass dieser im Zeitpunkt der Antragstellung bereits ernannt ist. Davor ist noch offen, ob es überhaupt zur Beweisaufnahme kommt und ob und worüber der Sachverständige vernommen wird (Bestätigung von VGH Mannheim NVwZ-RR 1998, 689, 690). (redaktioneller Leitsatz)
2 Misstrauen gegen die Unparteilichkeit ist gerechtfertigt, wenn vom Standpunkt des Beteiligten aus gesehen hinreichende objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Betrachtung aller Umstände Anlass geben, an der Unparteilichkeit, Unvoreingenommenheit und Unbefangenheit des Sachverständigen zu zweifeln (Anschluss an stRspr, BVerwG NVwZ 1999, 184). (redaktioneller Leitsatz)
3 Das Verwaltungsgericht kann auch einen Sachverständigen, der bereits im Verwaltungsverfahren tätig geworden war, zum gerichtlichen Sachverständigen bestellen. Das gilt auch, wenn das behördliche Gutachten erst während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens eingeholt worden ist. Hierdurch wird keine Besorgnis der Befangenheit begründet. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 7 K 15.908 2016-02-23 Bes VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 23. Februar 2016 wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Gründe
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss, mit dem das Verwaltungsgericht München ihren gegen den Sachverständigen S … gerichteten Ablehnungsantrag abgelehnt hat, hat keinen Erfolg.
1. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft (§ 146 Abs. 1 VwGO, § 98 VwGO i.V.m. § 406 Abs. 5 ZPO; Geiger in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 98 Rn. 18) und fristgerecht eingelegt worden (§ 147 Abs. 1 VwGO).
2. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.
2.1 Der von der Klägerin beim Verwaltungsgericht gestellte Ablehnungsantrag war statthaft und wurde insbesondere rechtzeitig im Rahmen des gerichtlichen Beweiserhebungsverfahrens gestellt.
Der Ablehnungsantrag ist gemäß § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO (i.V.m. § 98 VwGO) bei dem Gericht oder Richter, von dem der Sachverständige ernannt worden ist, innerhalb gewisser zeitlicher Grenzen zu stellen. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Ablehnungsantrags ist daher u.a., dass der Sachverständige im Zeitpunkt der Antragstellung bereits ernannt ist. Ist die Ernennung noch nicht erfolgt, kann ein Sachverständiger nicht abgelehnt oder über einen Ablehnungsantrag nicht entschieden werden, weil zu einem solch frühen Zeitpunkt noch offen ist, ob es überhaupt zur Beweisaufnahme kommt und ob und worüber der Sachverständige vernommen wird (vgl. VGH BW, B. v. 21.7.1997 – 9 S. 1580/97 – juris Rn. 5 m.w.N.). Die Ernennung des Sachverständigen geschieht in der Regel durch förmlichen Beweisbeschluss (§ 98 VwGO i.V.m. § 359 Nr. 2 ZPO). Reicht ein mündliches Gutachten aus, genügt dafür jedoch ausnahmsweise eine Beweisanordnung, die das Beweisthema und die Art der Beweisaufnahme beschreibt und den Sachverständigen benennt (Huber in Musielak/Voit, ZPO, 13. Aufl. 2016, § 403 Rn. 1). Eine solche Beweisanordnung liegt hier vor.
Das Verwaltungsgericht hat im gerichtlichen Schreiben an den Ingenieur für Waffentechnik S … vom 28. Dezember 2015, das auch die Ladung zur mündlichen Verhandlung zu dem am 10. Februar 2016 anberaumten Termin enthielt, die Vernehmung des Ingenieurs für Waffentechnik S … (unter der Adresse des Bayerischen Landeskriminalamts) als Sachverständigen zum Beweisthema „Funktionsfähigkeit der Waffen, die Gegenstand der Begutachtung vom 5.11.2015 sind, und Erläuterung des Gutachtens“ gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 VwGO angeordnet. Der Ladung war eine Belehrung über die Folgen des Ausbleibens gemäß § 98 VwGO i.V.m. § 409 ff. ZPO beigefügt. Die Parteien wurden im Ladungsschreiben zur mündlichen Verhandlung vom 28. Dezember 2015 von dieser Anordnung in Kenntnis gesetzt (§ 87 Abs. 2 VwGO). Zwar liegt grundsätzlich eine Beweisanordnung und Ernennung des Sachverständigen nicht schon darin, dass der Vorsitzende ihn gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 VwGO zur mündlichen Verhandlung lädt, denn diese Ladung ergeht in der Regel vorsorglich, nämlich um den Rechtsstreit für den Fall, dass das Gericht die Vernehmung des Sachverständigen beschließt, entsprechend der Forderung des § 87 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach Möglichkeit in einer einzigen mündlichen Verhandlung zu erledigen (VGH BW, B. v. 21.7.1997 – 9 S. 1580/97 – juris Rn. 5 m.w.N.). Vorliegend kann ausnahmsweise dem gerichtlichen Schreiben vom 28. Dezember 2015 zugleich die Ernennung des Sachverständigen entnommen werden. Das Gericht lässt in dem Schreiben erkennen, dass es den Ingenieur für Waffentechnik S … als Sachverständigen entsprechend § 404 ZPO ausgewählt hat. Darüber hinaus wurde das Beweisthema exakt bezeichnet.
Die Klägerin hat den Ablehnungsantrag rechtzeitig (§ 98 VwGO i.V.m. § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO) gestellt. Das Ladungsschreiben, dem die Ernennung des Herrn S … zum Sachverständigen zu entnehmen war, wurde dem Vertreter der Klägerin am 30. Dezember 2015 zugestellt. Mit beim Verwaltungsgericht am 13. Januar 2016 eingegangenem Schriftsatz stellte die Klägerin innerhalb der Zwei-Wochen-Frist Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen S … .
Demgegenüber handelt es sich bei der vom Ingenieur für Waffentechnik S … (Bayerisches Landeskriminalamt) erstellten „Gutachterlichen Stellungnahme aus dem Bereich Untersuchung von Waffen und Munition“ vom 5. November 2015 nicht um ein im gerichtlichen Beweisverfahren gewonnenes Sachverständigengutachten, für das die Vorschriften des § 98 VwGO i.V.m. den §§ 358 ff., 402 ff., 406 ZPO, Anwendung finden, sondern um ein vom Landratsamt München in Auftrag gegebenes und vom Beklagten im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegtes Gutachten, auf das die das gerichtliche Beweisverfahren regelnden Vorschriften über den Sachverständigenbeweis keine Anwendung finden.
Legt ein Beteiligter selbst ein Gutachten vor, so dient dies immer, auch wenn es als amtliches Gutachten bezeichnet ist, der Unterstützung des eigenen Vorbringens. Ein solches behördliches Gutachten ist bei der Beweiswürdigung heranzuziehen, kann aber nicht ein Gutachten des vom Gericht zu beauftragenden Sachverständigen ersetzen (Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Aufl. 2014, § 98 Rn. 10).
2.2 Die von der Klägerin vorgebrachten Gründe rechtfertigen jedoch nicht die Ablehnung des vom Verwaltungsgericht zugezogenen Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit.
Nach § 98 VwGO i.V.m. § 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen abgelehnt werden, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen. Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO). Dies ist dann gegeben, wenn vom Standpunkt des Beteiligten aus gesehen hinreichende objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Betrachtung aller Umstände Anlass geben, an der Unparteilichkeit, Unvoreingenommenheit und Unbefangenheit des Sachverständigen zu zweifeln (st.Rspr. des BVerwG, vgl. B. v. 6.10.1998 – 3 B 35/98 – juris Rn. 10). Die nur subjektive Besorgnis, für die bei Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, reicht dagegen zur Ablehnung des Sachverständigen nicht aus.
Das Vorbringen der Klägerin gibt auch unter Berücksichtigung der Ausführungen in der Beschwerdebegründung keinen Anlass an der Unparteilichkeit des Sachverständigen zu zweifeln: 13 Der Umstand, dass der Ingenieur für Waffentechnik S … während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu dem genannten Beweisthema ein behördliches Gutachten erstellt hat, vermag als solcher nicht die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, wenn das Verwaltungsgericht ihn nunmehr auch als Sachverständigen im gerichtlichen Verfahren heranzieht. Die Klägerin begründet die fehlende Unvoreingenommenheit des Herrn S … im Wesentlichen damit, dass Herr S … kein vom Verwaltungsgericht ausgewählter unabhängiger Sachverständiger sei, sondern bereits von der Beklagten beauftragt und damit „parteiisch“ sei.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U. v. 5.12.1986 – 4 C 13.85 – juris Rn. 146 m.w.N.) kann das Verwaltungsgericht einen Sachverständigen, der bereits im Verwaltungsverfahren tätig geworden war, auch ausdrücklich zum gerichtlichen Sachverständigen bestellen. Das gleiche muss für den Fall gelten, dass das behördliche Gutachten erst während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens eingeholt worden ist (BVerwG, B. v. 13.3.1992 – 4 B 39.92 – juris Rn. 5). Allerdings wird ein Gericht, das in dieser Weise verfährt, besondere Sorgfalt bei der ihm obliegenden Beweisermittlung und Beweiswürdigung zu üben haben (BVerwG, U. v. 5.12.1986 – 4 C 13.85 – juris Rn. 146).
Im vorliegenden Fall steht die erforderliche Sachkunde des Ingenieurs für Waffentechnik S … der Mitarbeiter des Kriminaltechnischen Instituts beim Bayerischen Landeskriminalamt ist, für die Beurteilung der Frage, ob sich die betreffenden Waffen in einem funktionsfähigen Zustand befinden, außer Frage. Das Kriminaltechnische Institut des Landeskriminalamts ist eine unabhängige spezialisierte Fachbehörde, die im Jahr ca. 30.000 Untersuchungsaufträge für andere Dienststellen bearbeitet und deren Sachverständige im Kernbereich ihrer gutachterlichen Tätigkeit weisungsfrei sind (vgl. u.a. www.polizei.bayern.de).
Weiter lehnt die Klägerin den Sachverständigen S … wegen dessen inhaltlich nicht den Mindestanforderungen an ein Sachverständigengutachten genügender Stellungnahme vom 5. November 2015 ab. Die Stellungnahme sei oberflächlich und als Gefälligkeitsgutachten anzusehen. Teilweise fehlten Angaben der Kaliber, eine Begutachtung der Beschusszeichen und die Angaben dazu, mit welchen gebräuchlichen Waffen die Funktionsfähigkeit wiederhergestellt werden könne. Zudem habe Herr S … in seiner Stellungnahme rechtliche Wertungen zu Lasten der Klägerin getroffen, wodurch er seine gutachterliche Neutralität verletzt habe. Insoweit wird auf die ausführlichen und zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts im Beschluss vom 23. Februar 2016 (BA S. 5 Mitte und S. 6) Bezug genommen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
Nach alledem ist das Ablehnungsgesuch unbegründet.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es im Hinblick auf die Festgebühr von 60,00 € für das Beschwerdeverfahren nicht (Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum GKG, Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Wünschmann Hess Dr. Stadler