Aktenzeichen L 13 R 937/14
Leitsatz
Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt dann vor, wenn bereits eine einzige schwerwiegende Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. (redaktioneller Leitsatz)
Bei der Frage, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliegt, sind grundsätzlich alle qualitativen Einschränkungen zu berücksichtigen, die nicht bereits von dem Erfordernis „körperlich leichte Arbeit“ erfasst werden. Es umfasst begrifflich unter anderem solche Leistungseinschränkungen, die das Seh- und Hörvermögen, die Handbeweglichkeit oder die Einwirkung bestimmter Witterungseinflüsse (Kälte, Nässe, Staub) betreffen. (redaktioneller Leitsatz)
Bei der Prüfung von Verweisungstätigkeiten im Rahmen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen sind an das Benennungsgebot nicht derart strenge Anforderungen zu stellen wie bei einer Verweisung im Rahmen der Prüfung eines Anspruchs auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Hier genügt jedenfalls die Bezeichnung von Arbeitsfeldern. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
S 30 R 851/13 2014-08-21 Urt SGMUENCHEN SG München
Tenor
I.
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 21. August 2014 wird zurückgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 24. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. April 2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI, Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI zu. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß §§ 43 Abs. 1, 240 SGB VI kommt von vornherein nicht in Betracht, da die Klägerin nicht vor dem 2. Januar 1961 geboren ist (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).
Gem. § 43 Abs. 1, 2 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs bzw. drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist gem. § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung (vgl. § 43 Abs. 1 Nr. 2 bzw. Abs. 2 Nr. 2 SGB VI) sind nur dann erfüllt, wenn volle bzw. teilweise Erwerbsminderung spätestens bis 31. Juli 2015 eingetreten ist. Für die Klägerin wurden durchgehend bis Mai 2013 Pflichtbeiträge entrichtet. In den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung sind danach nur dann drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet worden, wenn der Leistungsfall noch im Juni 2015 eingetreten ist. Da im Januar 2014 noch ein weiterer Pflichtbeitragsmonat vorliegt, verschiebt sich der Zeitpunkt, zu dem letztmals die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind, auf 31. Juli 2015.
Ein Tatbestand im Sinne des § 43 Abs. 4 SGB VI, der zu einer Verlängerung des Zeitraums von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung führt, ist nicht gegeben. Bei der Klägerin liegt auch kein Tatbestand vor, durch den die Wartezeit vorzeitig erfüllt wäre (vgl. § 43 Abs. 5 SGB VI i. V. m. § 53 Abs. 1, 2 SGB VI), insbesondere gibt es keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass die geltend gemachte Erwerbsminderung durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten wäre. Der nicht gemeldete Wegeunfall 2005 hat – soweit es sich hierbei tatsächlich um einen Arbeitsunfall gehandelt haben sollte – nach dem vom Senat im Wege des Urkundsbeweises verwerteten Gutachten von Dr. S. nur zu einer Wirbelsäulen-Prellung geführt, ohne dass Residuen eingetreten wären.
Schließlich sind auch nicht die Voraussetzungen des § 241 Abs. 2 SGB VI erfüllt, da die Klägerin vor dem 1. Januar 1984 nicht die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren mit Beitrags- bzw. Ersatzzeiten (vgl. § 50 Abs. 1, 51 Abs. 1, 4 SGB VI) erfüllt hat. Das Versicherungsleben der Klägerin beginnt erst am 1. September 1979.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht für den erkennenden Senat fest, dass die Klägerin bis 31. Juli 2015, aber auch darüber hinaus noch in der Lage ist, mindestens 6 Stunden täglich Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und etwa als Pförtnerin oder Telefonistin zu verrichten.
Im Vordergrund stehen bei der Klägerin die Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem Fachgebiet. Bei der Untersuchung der Klägerin durch den erfahrenen Gerichtsachverständigen Dr. D. zeigte sich ein arterieller Hypertonus leichter Ausprägung. Die Prüfung der Hirnnerven erbrachte keinen eindeutigen pathologischen Befund. Die Beugefähigkeit der Wirbelsäule war leicht gemindert bei einem Finger-Boden-Abstand von 30 cm. Das Zeichen nach Laségue war allerdings negativ, Nervenwurzeldehnungszeichen konnten nicht provoziert werden. Das Reflexverhalten war niedrig bis mittellebhaft.
Muskeltonus, Muskeltrophik und grobe Kraft waren, soweit überprüfbar, nicht gestört. Allerdings demonstrierte die Klägerin eine komplette Fuß- und Zehenheberparalyse. Dr. D. hat jedoch dargelegt, dass bei seiner Untersuchung eine Fußheber- und senkerschwäche ausgeschlossen werden konnte. Dagegen sprächen ein relativ gut tastbar und auch unangepasst sichtbarer Muskelbauch des Musculus extensor digitorum brevis, das von der Klägerin demonstrierte Abrollen der Füße beim Gehen und insbesondere auch der Befund der elektrophysiologischen Untersuchung, der eine normale motorische Leitfähigkeit und normale motorische Latenzen des Nervus peronaeus links und des Nervus tibialis rechts ergeben hat. Bei der demonstrierten Fuß- und Zehenheber- und senkerschwäche ist also von einer mehr oder weniger bewusstseinsnahen dissotiativen Störung auszugehen. Eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens lässt sich hieraus jedoch nicht ableiten.
Unstrittig liegt bei der Klägerin auch eine Polyneuropathie vor, der vermutlich der seit Jahren bekannte Diabetes mellitus zugrunde liegt. Insoweit zeigte sich bei Dr. D. jedoch nur eine leichte Minderung der distalen motorischen Latenz und der Leitgeschwindigkeit des Nervus tibialis links. In diesem Zusammenhang stehen auch die von der Klägerin geklagten Hypästhesien und Hypalgesien an beiden Füßen. Das Vibrationsempfinden an den Füßen war jedoch nicht sehr stark gemindert.
Von sozialmedizinischer Bedeutung ist noch ein relativ deutlich ausgeprägtes Karpaltunnel-Syndrom beidseits. Dieses führt zu Sensibilitätsstörungen an den Händen. Dr. D. hat eine leichte Minderung des Tast- und Berührungsempfindens festgestellt. Eine quantitative Minderung der beruflichen Leistungsfähigkeit lässt sich hieraus nicht ableiten.
In psychopathologischer Hinsicht fanden sich bei der Untersuchung durch Dr. D. keine gravierenden Auffälligkeiten. Ein Hinweis auf eine depressive Störung zeigte sich nicht. Die affektive Schwingungsfähigkeit war ungestört, die Klägerin konnte auch lachen, wobei dieses mitunter etwas situationsinadäquat war. Nennenswerte kognitive, mnestische oder rezeptive Defizite konnte Dr. D. nicht positivieren. In der Laboruntersuchung ergaben sich Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin die verordneten Medikamente nicht einnimmt (Schmerzmittel Diclofenac, Opiat Tilidin).
Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin durchaus noch einen geregelten Tagesablauf mit einigen Aktivitäten hat. So erledigt sie in ihrem Zwei-Personen-Haushalt (Dreizimmerwohnung) alles, was anliegt. Nur das Staubsaugen ist ihr aufgrund Rückenschmerzen nicht möglich. Die Klägerin kocht, macht Marmelade, arbeitet im Garten (Unkrautjäten). Auch hat sie in den letzten 2 Jahren für 35 Familien deren Wohnung betreut, während diese im Urlaub gewesen sind. Hin und wieder geht sie mit ihrem Ehemann in die Berge, wobei sie allerdings mit der Gondel nach oben fährt und dann oben einen Spaziergang unternimmt.
Aus alledem hat Dr. D. nachvollziehbar geschlossen, dass die Klägerin zumindest noch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts vollschichtig ausüben kann.
Dr. D. steht damit in Übereinstimmung mit der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung durch die Vorgutachter. Auch Dr. S. hat erklärt, dass die Klägerin die Fuß- und Zehenheber auf Aufforderung nicht bewegt habe, sich aber intermittierend im Sinne einer Wackelinnervation ein leichter Widerstand tasten ließ. Auch er hat es als auffällig erachtet, dass keinerlei Muskelabbauerscheinungen und keine Seitendifferenzen der Muskelprofile vorliegen. Darüber hinaus war auch nicht der typische Steppergang bei der Klägerin zu beobachten, sondern vielmehr ein schiebend-schlurfendes Gangbild. Bei der Prüfung der Koordination konnte Dr. S. eine außerordentlich gute Geschicklichkeit der Hände feststellen. Die Klägerin konnte einen sehr kleinen Gegenstand (Büroklammer) außerordentlich geschickt in der Hand hin und her bewegen. Die Grob- und Feingriffformen waren der Klägerin beidseits möglich.
In psychischer Hinsicht war die Klägerin bei Dr. S. bewusstseinsklar, zu Ort, Zeit, Person, Situation und Vorgeschichte voll orientiert. Die Klägerin war zugewandt und kooperativ, Antrieb, Psychomotorik und Mimik waren situationsangemessen und ohne pathologische Auffälligkeiten. Im Verhalten wirkte die Klägerin weitgehend authent, allerdings konnte Dr. S. auch Demonstrationstendenzen erkennen. Eine Beeinträchtigung der kognitiven Funktionen war nicht feststellbar. Das Altgedächtnis war intakt, die Aufmerksamkeit nicht beeinträchtigt, das Konzentrationsvermögen erhalten und die Informationsverarbeitung ungestört. Die intellektuelle Leistungsfähigkeit erschien Dr. S. völlig normal bei etwas histrionischer Primärpersönlichkeit.
Die von der Klägerin geltend gemachten Schmerzen lassen sich zum Teil durch ihre orthopädischen Gesundheitsstörungen erklären. Nach den Feststellungen von Dr. K. liegt bei der Klägerin insbesondere eine Verschleißbildung an der LWS mit Instabilitätsgrad I vor. Eine verminderte Leistungsbreite der LWS ist gegeben. Die geschilderte Intensität der Rückenschmerzen lässt sich aber alleine mit den orthopädisch objektivierbaren Verschleißschäden nicht hinreichend erklären. Vielmehr besteht bei der Klägerin eine überlagernde somatoforme Störung der Schmerzempfindung. Die neurologische Untersuchung hat keinerlei Hinweise für eine Kompression der lumbalen Nervenwurzeln erbracht. Das Zeichen nach Laségue war bei Dr. S. nur endgradig positiv.
Aus alledem hat Dr. S. unter Mitberücksichtigung der Feststellungen von Dr. K. überzeugend geschlossen, dass aus der Schmerzstörung insbesondere im Bereich der Wirbelsäule nur qualitative Leistungseinschränkungen folgen. So sind insbesondere Arbeiten, die mit schweren Hebe- und Tragebelastungen verbunden sind, der Klägerin nicht mehr zumutbar.
Soweit Dr. S. ursprünglich entgegengehalten worden war, er habe die Klägerin nicht untersucht, so wurde diese Einlassung von der Klägerin ausweislich der Urteilsgründe des SG in der mündlichen Verhandlung nicht mehr aufrechterhalten. Soweit sich Dr. S. ergänzend unter Hinweis auf die fehlende Nachweisbarkeit von Tilidin im Blut der Klägerin darauf berufen hat, bei der Klägerin bestehe keine dringende Notwendigkeit, schmerzsupprimierende Präparate einzunehmen, so ist zwar der Klägerin einzuräumen, dass sich aus dem aktenkundigen Befundbericht ergibt, der Befund sei wegen der Eilbedürftigkeit elektronisch übermittelt worden. Endgültig und verbindlich sei nur der ärztlich unterschriebene Originalbefund, da sich bei der Endkontrolle noch Messwertüberprüfungen und ggf. auch Änderungen ergeben können. Insoweit ist aber darauf hinzuweisen, dass sich auch bei der Serumsuntersuchung bei Dr. D. kein Nachweis von Tilidin im Blut erbringen ließ. Darüber hinaus ist der Senat auch davon überzeugt, dass Dr. S. sein Gutachten ggf. ergänzt hätte, wenn sich im Rahmen der endgültigen Befundung tatsächlich ein wesentlich anderes Ergebnis gezeigt hätte.
Auch im Übrigen konnte weder Dr. D. noch Dr. S. aus den von der Klägerin geklagten Gesundheitsstörungen eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts ableiten. In Bezug auf die Blasen-/Mastdarm-Störung mit Dranginkontinenz hat Dr. S. darauf hingewiesen, dass sich diese auch schon bei dem letzten bestehenden Arbeitsverhältnis funktionell nicht störend ausgewirkt hatte. Die Stuhlinkontinenz sei nur gelegentlich und im geringen Umfang vorhanden. Insoweit genügt es, wenn die Klägerin auf einem Arbeitsplatz eingesetzt ist, bei dem eine Toilette in der Nähe ist. In Bezug auf die Kopfschmerzen hat Dr. S. überzeugend angemerkt, dass Leistungsminderungen hierdurch nicht zu begründen sind. Die Kopfschmerzen können auch bedarfsweise bzw. prophylaktisch mit guten Erfolgsaussichten ambulant medikamentös behandelt werden.
Das Gutachten von Dr. C. vermag an dieser Leistungsbeurteilung nichts zu ändern. Insoweit ist zunächst anzumerken, dass dieses im Januar/Februar 2016 erstellt wurde und damit zu einem Zeitpunkt, zu dem die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Klägerin schon nicht mehr gegeben sind.
Davon abgesehen hält auch Dr. C. überwiegend sitzende und in einem geschützten Rahmen stehende Tätigkeiten von 6-8 Stunden mit einfachen Überwachungsaufgaben für zumutbar. Nicht überzeugend ist, dass dies erst nach „Exposition und Eingliederung“ möglich sein soll. Eine Begründung hierfür bleibt Dr. C. schuldig.
Darüber hinaus hat die Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass die Exploration durch Dr. C. sehr beschwerdezentriert ist und keine Angaben zu einem üblichen Tagesablauf oder zu Alltagsaktivitäten enthält. Aus den einzigen Feststellungen zum psychischen Befund, nämlich dass die Klägerin im Gespräch affektiv leicht niedergestimmt ist, keine produktiven Symptome zeigt und auf Fragen adäquat antwortet, lassen sich auch nach Einschätzung des Senats keine gravierenden psychischen Störungen ableiten, die zu einer Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens führen könnten. Dr. C. hat ebenfalls ausgeführt, dass die von der Klägerin demonstrierte rechtsseitige Fußheberparese zwar klinisch zu beobachten, elektrophysiologisch jedoch „schlecht zu objektivieren“ gewesen sei. Soweit Dr. C. sich auf eine Einschränkung der bimanuellen Geschicklichkeit der Klägerin bezieht, ist darauf hinzuweisen, dass hierzu eine detaillierte Feinmotorikprüfung durch Dr. C. fehlt. Dr. D. konnte insoweit noch keine gravierenden Einschränkungen erkennen.
Nach alledem ist der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin jedenfalls bis 31. Juli 2015, aber auch darüber hinaus noch in der Lage ist, zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts vollschichtig zu verrichten.
Dessen ungeachtet hätte die Klägerin dann einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn bei ihr eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bzw. eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegen würde und ihr keine Tätigkeit benannt werden könnten, die sie trotz der qualitativen Leistungseinschränkungen noch mindestens 6 Stunden täglich verrichten kann. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung meint die Fälle, in denen bereits eine einzige schwerwiegende Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt (BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003 – B 5 RJ 64/02 R, in juris). Als Beispiel hierfür ist etwa die Einarmigkeit eines Versicherten zu nennen. Das Merkmal „Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen“ trägt hingegen dem Umstand Rechnung, dass auch eine Vielzahl von Einschränkungen, die jeweils nur einzelne Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen betreffen, zusammengenommen das noch mögliche Arbeitsfeld in erheblichem Umfang zusätzlich einengen können. In diesen Fällen besteht die Verpflichtung, ausnahmsweise eine konkrete Tätigkeit zu benennen, weil der Arbeitsmarkt möglicherweise für diese überdurchschnittlich leistungsgeminderten Versicherten keine Arbeitsstelle bereithält oder nicht davon ausgegangen werden kann, dass es für diese Versicherten eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen gibt oder ernste Zweifel daran aufkommen, ob der Versicherte in einem Betrieb einsetzbar ist (BSG Urteil vom 10. Dezember 2003, B5 RJ 64/02 R, in juris).
Bei der Frage, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliegt, sind grundsätzlich alle qualitativen Einschränkungen zu berücksichtigen, die nicht bereits von dem Erfordernis „körperlich leichte Arbeit“ erfasst werden. Es umfasst begrifflich unter anderem solche Leistungseinschränkungen, die das Seh- und Hörvermögen, die Handbeweglichkeit oder die Einwirkung bestimmter Witterungseinflüsse (Kälte, Nässe, Staub) betreffen (Kassler Kommentar zum SGB, § 43 SGB VI Rn. 47).
Bei der Prüfung von Verweisungstätigkeiten im Rahmen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen sind an das Benennungsgebot nicht derart strenge Anforderungen zu stellen wie bei einer Verweisung im Rahmen der Prüfung eines Anspruchs auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Hier genügt jedenfalls die Bezeichnung von Arbeitsfeldern wie Prüfer, Montierer oder Verpacker von Kleinteilen (KassKomm-Niesel § 240 SGB VI Rdn. 117, BSG, Urteil vom 19. August 1997 – 13 RJ 57/96, in juris).
Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass bei der Klägerin eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt. Zwar ist die Fingerbeweglichkeit aufgrund des doppelseitigen Karpaltunnelsyndroms sicherlich eingeschränkt. Daraus resultieren aber nach den Feststellungen von Dr. D. keine qualitativen Leistungseinschränkungen, nach der Einschätzung von Dr. S. nur der Ausschluss von Arbeiten mit sehr hohen Geschicklichkeitsanforderungen. Arbeiten, die insoweit nur normale Anforderungen stellen, können also von der Klägerin verrichtet werden. Dadurch wird auch bei Mitberücksichtigung der sonstigen qualitativen Leistungseinschränkungen das der Klägerin offen stehende Tätigkeitsfeld auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht wesentlich eingeschränkt.
Davon abgesehen ist die Klägerin nach der überzeugenden Einschätzung von Dr. D. jedenfalls in der Lage, 6 Stunden täglich eine Tätigkeit etwa als Tagespförtnerin oder Telefonistin zu verrichten.
Dr. D. stand dabei eine berufskundliche Stellungnahme des Landesarbeitsamtes Hessen vom 27. Juli 2014 zu diesen Tätigkeiten zur Verfügung. Bei der Tätigkeit als Tagespförtnerin handelt es sich um eine meist körperlich leichte Arbeit in geschlossenen temperierten Räumen. Es wird überwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen und Gehen gearbeitet. Die Tätigkeit erfordert keine besonderen Anforderungen an das Seh- und Hörvermögen. Eine ständige nervliche Belastung oder dauernder Zeitdruck wie beispielsweise Akkordarbeit sind damit nicht verbunden, wobei Stresssituationen nicht ganz zu vermeiden sind. Eine wechselnde Arbeitshaltung ist durch den Einsatz ergonomisch gestalteter Arbeitsplatzausstattungen möglich. Schichtdienst ist je nach Arbeitsort möglich.
Diesen Leistungsanforderungen wird die Klägerin trotz der bei ihr vorliegenden Leistungseinschränkungen gerecht. Schwere Tätigkeiten wie das schwere Heben und Tragen von Lasten, Zwangshaltungen, häufiges Bücken fallen hierbei nicht an. Die nicht wesentlichen Einschränkungen der Gebrauchsfähigkeit der Hände machen es der Klägerin nicht unmöglich, die im Rahmen von Pförtnertätigkeiten anfallenden Verrichtungen (Kontrolle von Werksausweisen, Ausstellen von Besucherkarten, Anmeldung bei der zuständigen Stelle, Aushändigen von Formularen, Aufbewahren von Fundsachen und Gepäck und das Verwalten von Schlüsseln und Schließanlagen sowie ggf. einfache Bürotätigkeiten) zu erledigen.
Der Senat hält darüber hinaus in Übereinstimmung mit Dr. D. auch Tätigkeiten als Telefonistin für leidensgerecht. Diese Tätigkeit umfasst die Bedienung von Telefon- und Fernsprechzentralen. Dazu gehört die Erteilung von Auskünften, die Weiterleitung und Registrierung von Gesprächen, die Entgegennahme und Weitergabe von Telefonnotizen, Telefaxen, E-Mails usw. Hierbei handelt es sich um körperlich leichte Arbeit in geschlossenen, temperierten Räumen. Die Tätigkeit kann in wechselnder Körperhaltung, überwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen und Gehen ausgeübt werden. Eine wechselnde Arbeitshaltung ist durch den Einsatz ergonomisch gestalteter Arbeitsplatzausstattungen möglich. Die Tätigkeit erfordert gute Sprech- und Hörfähigkeit. Insoweit bestehen bei der Klägerin jedoch keinerlei Einschränkungen. Der bei der Tätigkeit als Telefonistin auftretende gelegentliche Zeitdruck ist zumutbar.
Bei beiden Tätigkeiten handelt sich um ungelernte Arbeiten, für die keine besondere Ausbildung erforderlich ist und die nach einer entsprechenden Einarbeitungs- bzw. Einweisungszeit von bis zu 3 Monaten von der Klägerin verrichtet werden können. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt stehen insoweit hinreichend Arbeitsplätze, auch für Betriebsfremde, zur Verfügung.
Die Klägerin bedarf auch keiner unüblichen Pausen mit der Folge, dass der allgemeine Arbeitsmarkt für sie verschlossen wäre. Ein solcher unüblicher Pausenbedarf resultiert insbesondere nicht daraus, dass die Klägerin bedingt durch ihre Stuhl- und Harninkontinenz ggf. öfters die Toilette aufsuchen muss.
Nach § 4 Arbeitszeitgesetz steht vollschichtig tätigen Arbeitnehmern eine Ruhepause von 30 Minuten zu. Die Ruhepause kann nach Satz 2 dieser Bestimmung in Zeitabschnitte von jeweils mindestens 15 Minuten aufgeteilt werden. Diese Pausen kann die Klägerin somit für Toilettengänge nutzen. Über die nach dem Arbeitszeitgesetz vorgeschriebenen Pausen hinaus werden Arbeitnehmern in gewissem Umfang auch noch sogenannte Verteilzeiten zugestanden (Zeiten z. B. für den Weg vom Zeiterfassungsgerät zum Arbeitsplatz, das Vorbereiten beziehungsweise Aufräumen des Arbeitsplatzes, den Gang zur Toilette, Unterbrechungen durch Störungen durch Dritte usw.; vgl. z. B. Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 6. April 2001, Az.: L 5 RJ 641/98). Die Klägerin kann damit diese Verteilzeiten ebenfalls für Toilettengänge nutzen, so dass ein unüblicher Pausenbedarf nicht vorliegt. Dies wurde von Dr. S. auch ausdrücklich so bestätigt. Soweit Dr. C. ausführt, die Klägerin bedürfe innerhalb 1 Stunde einer 10-minütigen Pause, ist dies für den Senat nicht nachvollziehbar. Eine Begründung hierfür ist nicht ersichtlich.
Schließlich besteht bei der Klägerin auch keine rentenrelevante Einschränkung der Wegefähigkeit. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Das BSG hält dabei eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die es dem Versicherten nicht erlaubt, täglich viermal eine Fußstrecke von mehr als 500 Metern in weniger als 20 Minuten zurückzulegen, für eine derart schwere Leistungseinschränkung, dass der Arbeitsmarkt trotz vorhandenen vollschichtigen Leistungsvermögens als verschlossen anzusehen ist (BSG, Urteil vom 21. März 2006, B 5 RJ 51/04 unter Hinweis auf Großer Senat in BSGE 80, 24, 35).
Eine rentenrelevante Einschränkung der Wegefähigkeit der Klägerin wurde von keinem Sachverständigen angenommen. Der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmittel steht nichts im Wege, so dass dahinstehen kann, ob die Klägerin noch in der Lage ist, ein Kfz zu führen.
Die Berufung war damit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung (§§ 183,193 SGG) berücksichtigt, dass die Klägerin auch im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.
Gründe, die Revision zuzulassen (vgl. § 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.